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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

Eine wirkliche Rückgabe des eingezognen Kirchengutes ist natürlich so
wenig möglich als in Frankreich nach der großen Revolution, die wohl noch
radikaler verfahren ist, und insofern scheint der Gegensatz zwischen dein König¬
reich Italien und der Kirche unausgleichbar zu sein, denn die Kirche wird
grundsätzlich immer ihr Rom xossumu8 festhalten. Was die Frage hier noch
verwickelter macht, ist die Einziehung auch des Kirchenstaats. Dein Papste
hat man in der That nur ein winziges Gebiet gelassen. In Rom beschränkt
es sich streng auf die Peterskirche und den Vatikan mit seinen Gärten. Nicht
einmal der Petersplatz ist päpstlich geblieben; sogar die Straße, die um die
Kirche und den Palast herum zum Eingang in die vatikanischen Sammlungen
führt, ist italienisch. Gegenüber der Schweizerwachc, die in ihrer schwarzrot-
gelben Landsknechttracht, stahlgrauen Mantel, Feldmütze und Bajonettgewehr
ein wunderliches Gemisch von alter und neuer Zeit aufweist, spaziert eine ita¬
lienische Schildwache auf und ab, und auf dem Petersplatze versehen königliche
Carabinieri und Guardia civile die Polizei. In der Stadt sind dem Papste
nur der Lateran und der Palast der Cancelleria verblieben, außerhalb der
Stadt der Sommerpalast von Castel Gandolfo im Albanergebirge, der jetzt
fehr verfallen und verwahrlost aussieht, weil er nicht benutzt wird.

Wie Italien aus diesen Gegensätzen zwischen den hierarchischen Ansprüchen
und den nationalen Bestrebungen, der unkirchlichen Gesinnung in der Mehr¬
zahl der Gebildeten und den naiven kirchlichen Bedürfnissen des Volkes
und der ganzen Frauenwelt herauskommen soll, ist schwer zu sagen. Aber
die Weltgeschichte wird nicht von der Logik regiert. Trotz aller grundsätzlichen
Feindschaft ist der Draht zwischen dem Vatikan und dem Quirinal nicht zer¬
rissen. Es wird behauptet, die Königin würde es als den glücklichsten Tag
ihres Lebens betrachten, wenn sie vom Papste in offizieller Audienz empfangen
werden könnte, und wie Crispi persönlich Fühlung mit vatikanischen Kreisen
nimmt, ist jüngst ziemlich deutlich geworden. Es kann deshalb ein mocws
vivönäi, zwischen dem Staate und der Kirche oder vielmehr der Hierarchie oder
ganz genau genommen mit dem Papsttum in Italien nicht für unmöglich
gelten. Ja bei Lichte betrachtet ist er längst insofern da, als die Kirche doch
mitten in der Nation drin steht und ihren Beruf völlig ungestört ausübt,
ihre Einrichtungen nach wie vor behauptet, auch die Erziehung zum Teil noch
in der Hand hat. In Frankreich hat sich die Kirche längst den vollendeten
Thatsachen gefügt, sie wird es schließlich auch in Italien thun.

Denn die Wahrnehmung drängt sich in Italien jedem, der Augen und
Ohren hat, mit unwiderstehlicher Gewalt auf: der Gedanke des italienischen
Nationalstaats ist den gebildeten Italienern in Fleisch und Blut übergegangen.
Eine Rückkehr zu der Vergangenheit vor 1859 giebt es schlechterdings nicht
mehr, es sei denn durch auswärtige Gewalt; alles, was vor der Bildung
des Königreichs Italien liegt, ist wie mit einem Schwämme weggewischt, voll-


Italienische Lindrücke

Eine wirkliche Rückgabe des eingezognen Kirchengutes ist natürlich so
wenig möglich als in Frankreich nach der großen Revolution, die wohl noch
radikaler verfahren ist, und insofern scheint der Gegensatz zwischen dein König¬
reich Italien und der Kirche unausgleichbar zu sein, denn die Kirche wird
grundsätzlich immer ihr Rom xossumu8 festhalten. Was die Frage hier noch
verwickelter macht, ist die Einziehung auch des Kirchenstaats. Dein Papste
hat man in der That nur ein winziges Gebiet gelassen. In Rom beschränkt
es sich streng auf die Peterskirche und den Vatikan mit seinen Gärten. Nicht
einmal der Petersplatz ist päpstlich geblieben; sogar die Straße, die um die
Kirche und den Palast herum zum Eingang in die vatikanischen Sammlungen
führt, ist italienisch. Gegenüber der Schweizerwachc, die in ihrer schwarzrot-
gelben Landsknechttracht, stahlgrauen Mantel, Feldmütze und Bajonettgewehr
ein wunderliches Gemisch von alter und neuer Zeit aufweist, spaziert eine ita¬
lienische Schildwache auf und ab, und auf dem Petersplatze versehen königliche
Carabinieri und Guardia civile die Polizei. In der Stadt sind dem Papste
nur der Lateran und der Palast der Cancelleria verblieben, außerhalb der
Stadt der Sommerpalast von Castel Gandolfo im Albanergebirge, der jetzt
fehr verfallen und verwahrlost aussieht, weil er nicht benutzt wird.

Wie Italien aus diesen Gegensätzen zwischen den hierarchischen Ansprüchen
und den nationalen Bestrebungen, der unkirchlichen Gesinnung in der Mehr¬
zahl der Gebildeten und den naiven kirchlichen Bedürfnissen des Volkes
und der ganzen Frauenwelt herauskommen soll, ist schwer zu sagen. Aber
die Weltgeschichte wird nicht von der Logik regiert. Trotz aller grundsätzlichen
Feindschaft ist der Draht zwischen dem Vatikan und dem Quirinal nicht zer¬
rissen. Es wird behauptet, die Königin würde es als den glücklichsten Tag
ihres Lebens betrachten, wenn sie vom Papste in offizieller Audienz empfangen
werden könnte, und wie Crispi persönlich Fühlung mit vatikanischen Kreisen
nimmt, ist jüngst ziemlich deutlich geworden. Es kann deshalb ein mocws
vivönäi, zwischen dem Staate und der Kirche oder vielmehr der Hierarchie oder
ganz genau genommen mit dem Papsttum in Italien nicht für unmöglich
gelten. Ja bei Lichte betrachtet ist er längst insofern da, als die Kirche doch
mitten in der Nation drin steht und ihren Beruf völlig ungestört ausübt,
ihre Einrichtungen nach wie vor behauptet, auch die Erziehung zum Teil noch
in der Hand hat. In Frankreich hat sich die Kirche längst den vollendeten
Thatsachen gefügt, sie wird es schließlich auch in Italien thun.

Denn die Wahrnehmung drängt sich in Italien jedem, der Augen und
Ohren hat, mit unwiderstehlicher Gewalt auf: der Gedanke des italienischen
Nationalstaats ist den gebildeten Italienern in Fleisch und Blut übergegangen.
Eine Rückkehr zu der Vergangenheit vor 1859 giebt es schlechterdings nicht
mehr, es sei denn durch auswärtige Gewalt; alles, was vor der Bildung
des Königreichs Italien liegt, ist wie mit einem Schwämme weggewischt, voll-


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[0571] Italienische Lindrücke Eine wirkliche Rückgabe des eingezognen Kirchengutes ist natürlich so wenig möglich als in Frankreich nach der großen Revolution, die wohl noch radikaler verfahren ist, und insofern scheint der Gegensatz zwischen dein König¬ reich Italien und der Kirche unausgleichbar zu sein, denn die Kirche wird grundsätzlich immer ihr Rom xossumu8 festhalten. Was die Frage hier noch verwickelter macht, ist die Einziehung auch des Kirchenstaats. Dein Papste hat man in der That nur ein winziges Gebiet gelassen. In Rom beschränkt es sich streng auf die Peterskirche und den Vatikan mit seinen Gärten. Nicht einmal der Petersplatz ist päpstlich geblieben; sogar die Straße, die um die Kirche und den Palast herum zum Eingang in die vatikanischen Sammlungen führt, ist italienisch. Gegenüber der Schweizerwachc, die in ihrer schwarzrot- gelben Landsknechttracht, stahlgrauen Mantel, Feldmütze und Bajonettgewehr ein wunderliches Gemisch von alter und neuer Zeit aufweist, spaziert eine ita¬ lienische Schildwache auf und ab, und auf dem Petersplatze versehen königliche Carabinieri und Guardia civile die Polizei. In der Stadt sind dem Papste nur der Lateran und der Palast der Cancelleria verblieben, außerhalb der Stadt der Sommerpalast von Castel Gandolfo im Albanergebirge, der jetzt fehr verfallen und verwahrlost aussieht, weil er nicht benutzt wird. Wie Italien aus diesen Gegensätzen zwischen den hierarchischen Ansprüchen und den nationalen Bestrebungen, der unkirchlichen Gesinnung in der Mehr¬ zahl der Gebildeten und den naiven kirchlichen Bedürfnissen des Volkes und der ganzen Frauenwelt herauskommen soll, ist schwer zu sagen. Aber die Weltgeschichte wird nicht von der Logik regiert. Trotz aller grundsätzlichen Feindschaft ist der Draht zwischen dem Vatikan und dem Quirinal nicht zer¬ rissen. Es wird behauptet, die Königin würde es als den glücklichsten Tag ihres Lebens betrachten, wenn sie vom Papste in offizieller Audienz empfangen werden könnte, und wie Crispi persönlich Fühlung mit vatikanischen Kreisen nimmt, ist jüngst ziemlich deutlich geworden. Es kann deshalb ein mocws vivönäi, zwischen dem Staate und der Kirche oder vielmehr der Hierarchie oder ganz genau genommen mit dem Papsttum in Italien nicht für unmöglich gelten. Ja bei Lichte betrachtet ist er längst insofern da, als die Kirche doch mitten in der Nation drin steht und ihren Beruf völlig ungestört ausübt, ihre Einrichtungen nach wie vor behauptet, auch die Erziehung zum Teil noch in der Hand hat. In Frankreich hat sich die Kirche längst den vollendeten Thatsachen gefügt, sie wird es schließlich auch in Italien thun. Denn die Wahrnehmung drängt sich in Italien jedem, der Augen und Ohren hat, mit unwiderstehlicher Gewalt auf: der Gedanke des italienischen Nationalstaats ist den gebildeten Italienern in Fleisch und Blut übergegangen. Eine Rückkehr zu der Vergangenheit vor 1859 giebt es schlechterdings nicht mehr, es sei denn durch auswärtige Gewalt; alles, was vor der Bildung des Königreichs Italien liegt, ist wie mit einem Schwämme weggewischt, voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/571>, abgerufen am 25.08.2024.