Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ums liebe Brot

Deutsche, die auf dem Lande oder vom Lande, von der Ackerwirtschaft leben.
Und zwanzig Millionen verwöhnte Kulturmenschen unmittelbar vor der Thür
sind dem Handwerk und der Industrie mehr wert als hundert Millionen nackte
Afrikaner oder Ostasiaten. Kann nnn diesen zwanzig Millionen Deutschen
-- unsern Brüdern! -- durch ein einfaches Gesetz der Technik ein gerechter
und ein höherer Lohn für ihre persönliche Arbeitsleistung und für ihre Aus¬
lagen gegeben werden, so, daß die andern dreißig Millionen keinen Pfennig
über die heutigen Brotpreise zu zahlen brauchen, dann weiß ich nicht recht,
wie ein rechnender Deutscher noch zweifeln kann, was er gutheißen soll! Wird
die Landwirtschaft konsumkräftiger, so wird das Handwerk und die Industrie
auf der Stelle die aus dem Brotgcwerbe herausfallenden Kräfte unterbringen
können! Das wäre die Antwort auf die Frage in dem Aufsatz "Wirren und
Wege" in Heft 22.

Aber uoch etwas andres möchte doch hierbei mit berücksichtigt werden.
Wird die Landwirtschaft konsumkräftiger gemacht dadurch, daß sie für ihre Ur¬
Produkte willige Abnehmer zu gerechten Preisen erhalt, wie ganz anders wird
sie dann bestrebt sein, dem deutschen Acker abzugewinnen, was er irgend her¬
geben kann! Dann wird sie uns in sogenannten "Landesprodukten" immer
unabhängiger vom Auslande machen, und wir werden immer mehr dahin kommen,
wohin wir doch schließlich kommen müssen, daß alles, was im Lande verbraucht,
auch im Lande gewonnen wird, tropische Produkte natürlich ausgenommen.

In der letzten Kommissionssitzung zur Vvrberatung über den "Antrag
Kanitz" hat -- wenn die Zeitungen richtig berichtet haben -- Graf Armin
mitgeteilt, daß man sich selbst helfen wolle durch Errichtung genossenschaftlicher
Bückereien. Die Grenzboten haben schon so manche Anregung gegeben, und so
ist es wohl möglich, daß sie es auch hier gethan haben. Wenn aber der Ver¬
fasser von "Sparsamkeit und Selbsthilfe" in dem Aufsatze "Wirren und Wege"
als der Erfinder dieser Genossenschaftsidee bezeichnet wird, so muß er das ab¬
lehnen. Die Idee lag in der Luft, ich habe sie nur an die Tafel geschrieben.
Ich habe mir zwar dabei gesagt, daß von Worten zu Werken ein weiter Weg sei,
aber ich hoffe, daß man das Wohlergehen von zwanzig Millionen Deutschen,
die ihr Dasein in harter und nützlicher Arbeit finden sollen und wollen, doch
für wichtiger halten wird als die Unterstützung einiger Tausende, die Schein¬
arbeit leisten. Der Ackerbauer kann nicht durch Teigknetmaschinen oder über¬
haupt durch Maschinen ersetzt werden, wohl aber so und soviel Bäcker.

Wir alle, die wir einsehen, daß das Brotbacken und Brotverteilen auf
zeit- und kraftvergeudende Weise ausgeführt wird, haben einen Anspruch auf
eine Medaille mit der Inschrift "Brotverteurer," wenn wir wissen, daß diese
beiden Arbeiten besser, reinlicher, leichter und billiger ausgeführt werden
können, und -- es doch beim alten lassen. Was nützen uns die "Errungen¬
schaften der Kultur," wenn wir sie nicht anwenden wollen? Wozu bauen Wir


Ums liebe Brot

Deutsche, die auf dem Lande oder vom Lande, von der Ackerwirtschaft leben.
Und zwanzig Millionen verwöhnte Kulturmenschen unmittelbar vor der Thür
sind dem Handwerk und der Industrie mehr wert als hundert Millionen nackte
Afrikaner oder Ostasiaten. Kann nnn diesen zwanzig Millionen Deutschen
— unsern Brüdern! — durch ein einfaches Gesetz der Technik ein gerechter
und ein höherer Lohn für ihre persönliche Arbeitsleistung und für ihre Aus¬
lagen gegeben werden, so, daß die andern dreißig Millionen keinen Pfennig
über die heutigen Brotpreise zu zahlen brauchen, dann weiß ich nicht recht,
wie ein rechnender Deutscher noch zweifeln kann, was er gutheißen soll! Wird
die Landwirtschaft konsumkräftiger, so wird das Handwerk und die Industrie
auf der Stelle die aus dem Brotgcwerbe herausfallenden Kräfte unterbringen
können! Das wäre die Antwort auf die Frage in dem Aufsatz „Wirren und
Wege" in Heft 22.

Aber uoch etwas andres möchte doch hierbei mit berücksichtigt werden.
Wird die Landwirtschaft konsumkräftiger gemacht dadurch, daß sie für ihre Ur¬
Produkte willige Abnehmer zu gerechten Preisen erhalt, wie ganz anders wird
sie dann bestrebt sein, dem deutschen Acker abzugewinnen, was er irgend her¬
geben kann! Dann wird sie uns in sogenannten „Landesprodukten" immer
unabhängiger vom Auslande machen, und wir werden immer mehr dahin kommen,
wohin wir doch schließlich kommen müssen, daß alles, was im Lande verbraucht,
auch im Lande gewonnen wird, tropische Produkte natürlich ausgenommen.

In der letzten Kommissionssitzung zur Vvrberatung über den „Antrag
Kanitz" hat — wenn die Zeitungen richtig berichtet haben — Graf Armin
mitgeteilt, daß man sich selbst helfen wolle durch Errichtung genossenschaftlicher
Bückereien. Die Grenzboten haben schon so manche Anregung gegeben, und so
ist es wohl möglich, daß sie es auch hier gethan haben. Wenn aber der Ver¬
fasser von „Sparsamkeit und Selbsthilfe" in dem Aufsatze „Wirren und Wege"
als der Erfinder dieser Genossenschaftsidee bezeichnet wird, so muß er das ab¬
lehnen. Die Idee lag in der Luft, ich habe sie nur an die Tafel geschrieben.
Ich habe mir zwar dabei gesagt, daß von Worten zu Werken ein weiter Weg sei,
aber ich hoffe, daß man das Wohlergehen von zwanzig Millionen Deutschen,
die ihr Dasein in harter und nützlicher Arbeit finden sollen und wollen, doch
für wichtiger halten wird als die Unterstützung einiger Tausende, die Schein¬
arbeit leisten. Der Ackerbauer kann nicht durch Teigknetmaschinen oder über¬
haupt durch Maschinen ersetzt werden, wohl aber so und soviel Bäcker.

Wir alle, die wir einsehen, daß das Brotbacken und Brotverteilen auf
zeit- und kraftvergeudende Weise ausgeführt wird, haben einen Anspruch auf
eine Medaille mit der Inschrift „Brotverteurer," wenn wir wissen, daß diese
beiden Arbeiten besser, reinlicher, leichter und billiger ausgeführt werden
können, und — es doch beim alten lassen. Was nützen uns die „Errungen¬
schaften der Kultur," wenn wir sie nicht anwenden wollen? Wozu bauen Wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220230"/>
          <fw type="header" place="top"> Ums liebe Brot</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2182" prev="#ID_2181"> Deutsche, die auf dem Lande oder vom Lande, von der Ackerwirtschaft leben.<lb/>
Und zwanzig Millionen verwöhnte Kulturmenschen unmittelbar vor der Thür<lb/>
sind dem Handwerk und der Industrie mehr wert als hundert Millionen nackte<lb/>
Afrikaner oder Ostasiaten. Kann nnn diesen zwanzig Millionen Deutschen<lb/>
&#x2014; unsern Brüdern! &#x2014; durch ein einfaches Gesetz der Technik ein gerechter<lb/>
und ein höherer Lohn für ihre persönliche Arbeitsleistung und für ihre Aus¬<lb/>
lagen gegeben werden, so, daß die andern dreißig Millionen keinen Pfennig<lb/>
über die heutigen Brotpreise zu zahlen brauchen, dann weiß ich nicht recht,<lb/>
wie ein rechnender Deutscher noch zweifeln kann, was er gutheißen soll! Wird<lb/>
die Landwirtschaft konsumkräftiger, so wird das Handwerk und die Industrie<lb/>
auf der Stelle die aus dem Brotgcwerbe herausfallenden Kräfte unterbringen<lb/>
können! Das wäre die Antwort auf die Frage in dem Aufsatz &#x201E;Wirren und<lb/>
Wege" in Heft 22.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2183"> Aber uoch etwas andres möchte doch hierbei mit berücksichtigt werden.<lb/>
Wird die Landwirtschaft konsumkräftiger gemacht dadurch, daß sie für ihre Ur¬<lb/>
Produkte willige Abnehmer zu gerechten Preisen erhalt, wie ganz anders wird<lb/>
sie dann bestrebt sein, dem deutschen Acker abzugewinnen, was er irgend her¬<lb/>
geben kann! Dann wird sie uns in sogenannten &#x201E;Landesprodukten" immer<lb/>
unabhängiger vom Auslande machen, und wir werden immer mehr dahin kommen,<lb/>
wohin wir doch schließlich kommen müssen, daß alles, was im Lande verbraucht,<lb/>
auch im Lande gewonnen wird, tropische Produkte natürlich ausgenommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2184"> In der letzten Kommissionssitzung zur Vvrberatung über den &#x201E;Antrag<lb/>
Kanitz" hat &#x2014; wenn die Zeitungen richtig berichtet haben &#x2014; Graf Armin<lb/>
mitgeteilt, daß man sich selbst helfen wolle durch Errichtung genossenschaftlicher<lb/>
Bückereien. Die Grenzboten haben schon so manche Anregung gegeben, und so<lb/>
ist es wohl möglich, daß sie es auch hier gethan haben. Wenn aber der Ver¬<lb/>
fasser von &#x201E;Sparsamkeit und Selbsthilfe" in dem Aufsatze &#x201E;Wirren und Wege"<lb/>
als der Erfinder dieser Genossenschaftsidee bezeichnet wird, so muß er das ab¬<lb/>
lehnen. Die Idee lag in der Luft, ich habe sie nur an die Tafel geschrieben.<lb/>
Ich habe mir zwar dabei gesagt, daß von Worten zu Werken ein weiter Weg sei,<lb/>
aber ich hoffe, daß man das Wohlergehen von zwanzig Millionen Deutschen,<lb/>
die ihr Dasein in harter und nützlicher Arbeit finden sollen und wollen, doch<lb/>
für wichtiger halten wird als die Unterstützung einiger Tausende, die Schein¬<lb/>
arbeit leisten. Der Ackerbauer kann nicht durch Teigknetmaschinen oder über¬<lb/>
haupt durch Maschinen ersetzt werden, wohl aber so und soviel Bäcker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2185" next="#ID_2186"> Wir alle, die wir einsehen, daß das Brotbacken und Brotverteilen auf<lb/>
zeit- und kraftvergeudende Weise ausgeführt wird, haben einen Anspruch auf<lb/>
eine Medaille mit der Inschrift &#x201E;Brotverteurer," wenn wir wissen, daß diese<lb/>
beiden Arbeiten besser, reinlicher, leichter und billiger ausgeführt werden<lb/>
können, und &#x2014; es doch beim alten lassen. Was nützen uns die &#x201E;Errungen¬<lb/>
schaften der Kultur," wenn wir sie nicht anwenden wollen? Wozu bauen Wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0554] Ums liebe Brot Deutsche, die auf dem Lande oder vom Lande, von der Ackerwirtschaft leben. Und zwanzig Millionen verwöhnte Kulturmenschen unmittelbar vor der Thür sind dem Handwerk und der Industrie mehr wert als hundert Millionen nackte Afrikaner oder Ostasiaten. Kann nnn diesen zwanzig Millionen Deutschen — unsern Brüdern! — durch ein einfaches Gesetz der Technik ein gerechter und ein höherer Lohn für ihre persönliche Arbeitsleistung und für ihre Aus¬ lagen gegeben werden, so, daß die andern dreißig Millionen keinen Pfennig über die heutigen Brotpreise zu zahlen brauchen, dann weiß ich nicht recht, wie ein rechnender Deutscher noch zweifeln kann, was er gutheißen soll! Wird die Landwirtschaft konsumkräftiger, so wird das Handwerk und die Industrie auf der Stelle die aus dem Brotgcwerbe herausfallenden Kräfte unterbringen können! Das wäre die Antwort auf die Frage in dem Aufsatz „Wirren und Wege" in Heft 22. Aber uoch etwas andres möchte doch hierbei mit berücksichtigt werden. Wird die Landwirtschaft konsumkräftiger gemacht dadurch, daß sie für ihre Ur¬ Produkte willige Abnehmer zu gerechten Preisen erhalt, wie ganz anders wird sie dann bestrebt sein, dem deutschen Acker abzugewinnen, was er irgend her¬ geben kann! Dann wird sie uns in sogenannten „Landesprodukten" immer unabhängiger vom Auslande machen, und wir werden immer mehr dahin kommen, wohin wir doch schließlich kommen müssen, daß alles, was im Lande verbraucht, auch im Lande gewonnen wird, tropische Produkte natürlich ausgenommen. In der letzten Kommissionssitzung zur Vvrberatung über den „Antrag Kanitz" hat — wenn die Zeitungen richtig berichtet haben — Graf Armin mitgeteilt, daß man sich selbst helfen wolle durch Errichtung genossenschaftlicher Bückereien. Die Grenzboten haben schon so manche Anregung gegeben, und so ist es wohl möglich, daß sie es auch hier gethan haben. Wenn aber der Ver¬ fasser von „Sparsamkeit und Selbsthilfe" in dem Aufsatze „Wirren und Wege" als der Erfinder dieser Genossenschaftsidee bezeichnet wird, so muß er das ab¬ lehnen. Die Idee lag in der Luft, ich habe sie nur an die Tafel geschrieben. Ich habe mir zwar dabei gesagt, daß von Worten zu Werken ein weiter Weg sei, aber ich hoffe, daß man das Wohlergehen von zwanzig Millionen Deutschen, die ihr Dasein in harter und nützlicher Arbeit finden sollen und wollen, doch für wichtiger halten wird als die Unterstützung einiger Tausende, die Schein¬ arbeit leisten. Der Ackerbauer kann nicht durch Teigknetmaschinen oder über¬ haupt durch Maschinen ersetzt werden, wohl aber so und soviel Bäcker. Wir alle, die wir einsehen, daß das Brotbacken und Brotverteilen auf zeit- und kraftvergeudende Weise ausgeführt wird, haben einen Anspruch auf eine Medaille mit der Inschrift „Brotverteurer," wenn wir wissen, daß diese beiden Arbeiten besser, reinlicher, leichter und billiger ausgeführt werden können, und — es doch beim alten lassen. Was nützen uns die „Errungen¬ schaften der Kultur," wenn wir sie nicht anwenden wollen? Wozu bauen Wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/554
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/554>, abgerufen am 22.12.2024.