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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Ums liebe Brot

müssen, wenn in der Bäckerei und beim Verteilen des Brotes Arbeitskräfte frei
werden, wenn in einträchtigen und geregeltem Großbetriebe das Kneten des
Teiges nicht mehr mit den Fäusten (und bei grobem Brot mit Barfußschaufeln)
vor sich geht, sondern in polirten gußeisernen Knetmaschinen durch stählerne,
blitzende Knetschaufeln. Diese Maschinen fassen 9000 Liter Teiggemenge und
verarbeiten diese Riesenmassen in Minuten. Welche Art der Herstellung appe¬
titlicher ist, wollen wir hier gar nicht erörtern, weil uns nnr die Frage der
Leistungsfähigkeit beschäftigen soll. Soviel steht fest, daß eine Bückerei im
Großbetriebe die Herstellung des Brotes und der Semmel von früh bis spät,
frei vor aller Augen, in höchst appetitlicher Weise und mit Aufwendung des
dritten Teils der Arbeitskräfte ausführen kann, die die in müssiger Kellern
und in wenig appetitlicher Weise arbeitenden Kleinbäcker brauchen. Ebenso
fest steht, daß die Austeilung des Gebäcks heute dreimal soviel Menschen in
harter Arbeit in Atem hält, als nötig wären, wenn die Verteilung geordnet
und geregelt wäre, und wenn besonders ein einziger den Taktstock in der Hand
hielte, auf den die ganze Verteilungskapelle zu achten hätte.

Diese beiden Behauptungen werden nicht bestritten; aber man bedauert die,
die dann außer Brot kämen. Ich weiß aber nicht, ob man im praktischen Leben
und in einer richtigen Wirtschaftsführung Bedauern dafür haben darf, daß
Menschcnkrcifte frei werden. Wenn recht gerechnet und vernünftig gewirtschaftet
wird, sollte man doch eigentlich jede freigewordne produktive Arbeitskraft in
Gold fassen, denn sie hat unzählige Zwanzigmarkstücke in sich, die gemünzt
werden wollen und sollen. Aber bleiben wir zunächst bei unsrer heutigen
"Ordnung" und sehen wir uns einmal an, ob die Herren ein Recht haben,
meinem Vorschlag ein Halt zuzurufen, weil vielen Menschen dadurch die Schein¬
arbeit genommen werden würde. Denn daß dieses eintreten würde, ist sicher,
es soll ja angestrebt werden, es ist ja das einzige Mittel, höhere Kornpreise
bei gleichbleibenden Brotpreisen zu erzielen! Für die genossenschaftlichen
Bäckereien würde es die oberste Aufgabe sein, soviel Maschinen und so wenig
Menschen als möglich anzustellen. Was soll nun werden aus denen, die da¬
durch außer Arbeit kommen? Nun, die sollen wo anders Arbeit finden; daß
sie aus der Arbeit kommen, soll nur ein Mittel für sie sein, sich und vielen
andern durch nützliche Arbeit, nicht durch Scheinarbeit, bessern Lohn zu ver¬
schaffen.

Jede Arbeit ist unnütz, wenn sich für die durch sie hervorgebrachten Er¬
zeugnisse keine Käufer finden. Je mehr Käufer, desto besser wird die auf¬
gewendete Arbeit bezahlt werden. Jeder Produzent muß dahin streben, seinen
Abnehmerkreis so aufnahmefähig als möglich zu machen, dann wird er selber
konsumkräftig für andre Erzeugnisse. Der Städter, der Handwerker, der
Industrielle muß mit allen Mitteln dafür eintreten, daß der Landmann etwas
"zuzusetzen" habe, damit er sich etwas gönne. Denn es giebt zwanzig Millionen


Grenzboten II 1895 69
Ums liebe Brot

müssen, wenn in der Bäckerei und beim Verteilen des Brotes Arbeitskräfte frei
werden, wenn in einträchtigen und geregeltem Großbetriebe das Kneten des
Teiges nicht mehr mit den Fäusten (und bei grobem Brot mit Barfußschaufeln)
vor sich geht, sondern in polirten gußeisernen Knetmaschinen durch stählerne,
blitzende Knetschaufeln. Diese Maschinen fassen 9000 Liter Teiggemenge und
verarbeiten diese Riesenmassen in Minuten. Welche Art der Herstellung appe¬
titlicher ist, wollen wir hier gar nicht erörtern, weil uns nnr die Frage der
Leistungsfähigkeit beschäftigen soll. Soviel steht fest, daß eine Bückerei im
Großbetriebe die Herstellung des Brotes und der Semmel von früh bis spät,
frei vor aller Augen, in höchst appetitlicher Weise und mit Aufwendung des
dritten Teils der Arbeitskräfte ausführen kann, die die in müssiger Kellern
und in wenig appetitlicher Weise arbeitenden Kleinbäcker brauchen. Ebenso
fest steht, daß die Austeilung des Gebäcks heute dreimal soviel Menschen in
harter Arbeit in Atem hält, als nötig wären, wenn die Verteilung geordnet
und geregelt wäre, und wenn besonders ein einziger den Taktstock in der Hand
hielte, auf den die ganze Verteilungskapelle zu achten hätte.

Diese beiden Behauptungen werden nicht bestritten; aber man bedauert die,
die dann außer Brot kämen. Ich weiß aber nicht, ob man im praktischen Leben
und in einer richtigen Wirtschaftsführung Bedauern dafür haben darf, daß
Menschcnkrcifte frei werden. Wenn recht gerechnet und vernünftig gewirtschaftet
wird, sollte man doch eigentlich jede freigewordne produktive Arbeitskraft in
Gold fassen, denn sie hat unzählige Zwanzigmarkstücke in sich, die gemünzt
werden wollen und sollen. Aber bleiben wir zunächst bei unsrer heutigen
„Ordnung" und sehen wir uns einmal an, ob die Herren ein Recht haben,
meinem Vorschlag ein Halt zuzurufen, weil vielen Menschen dadurch die Schein¬
arbeit genommen werden würde. Denn daß dieses eintreten würde, ist sicher,
es soll ja angestrebt werden, es ist ja das einzige Mittel, höhere Kornpreise
bei gleichbleibenden Brotpreisen zu erzielen! Für die genossenschaftlichen
Bäckereien würde es die oberste Aufgabe sein, soviel Maschinen und so wenig
Menschen als möglich anzustellen. Was soll nun werden aus denen, die da¬
durch außer Arbeit kommen? Nun, die sollen wo anders Arbeit finden; daß
sie aus der Arbeit kommen, soll nur ein Mittel für sie sein, sich und vielen
andern durch nützliche Arbeit, nicht durch Scheinarbeit, bessern Lohn zu ver¬
schaffen.

Jede Arbeit ist unnütz, wenn sich für die durch sie hervorgebrachten Er¬
zeugnisse keine Käufer finden. Je mehr Käufer, desto besser wird die auf¬
gewendete Arbeit bezahlt werden. Jeder Produzent muß dahin streben, seinen
Abnehmerkreis so aufnahmefähig als möglich zu machen, dann wird er selber
konsumkräftig für andre Erzeugnisse. Der Städter, der Handwerker, der
Industrielle muß mit allen Mitteln dafür eintreten, daß der Landmann etwas
»zuzusetzen" habe, damit er sich etwas gönne. Denn es giebt zwanzig Millionen


Grenzboten II 1895 69
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[0553] Ums liebe Brot müssen, wenn in der Bäckerei und beim Verteilen des Brotes Arbeitskräfte frei werden, wenn in einträchtigen und geregeltem Großbetriebe das Kneten des Teiges nicht mehr mit den Fäusten (und bei grobem Brot mit Barfußschaufeln) vor sich geht, sondern in polirten gußeisernen Knetmaschinen durch stählerne, blitzende Knetschaufeln. Diese Maschinen fassen 9000 Liter Teiggemenge und verarbeiten diese Riesenmassen in Minuten. Welche Art der Herstellung appe¬ titlicher ist, wollen wir hier gar nicht erörtern, weil uns nnr die Frage der Leistungsfähigkeit beschäftigen soll. Soviel steht fest, daß eine Bückerei im Großbetriebe die Herstellung des Brotes und der Semmel von früh bis spät, frei vor aller Augen, in höchst appetitlicher Weise und mit Aufwendung des dritten Teils der Arbeitskräfte ausführen kann, die die in müssiger Kellern und in wenig appetitlicher Weise arbeitenden Kleinbäcker brauchen. Ebenso fest steht, daß die Austeilung des Gebäcks heute dreimal soviel Menschen in harter Arbeit in Atem hält, als nötig wären, wenn die Verteilung geordnet und geregelt wäre, und wenn besonders ein einziger den Taktstock in der Hand hielte, auf den die ganze Verteilungskapelle zu achten hätte. Diese beiden Behauptungen werden nicht bestritten; aber man bedauert die, die dann außer Brot kämen. Ich weiß aber nicht, ob man im praktischen Leben und in einer richtigen Wirtschaftsführung Bedauern dafür haben darf, daß Menschcnkrcifte frei werden. Wenn recht gerechnet und vernünftig gewirtschaftet wird, sollte man doch eigentlich jede freigewordne produktive Arbeitskraft in Gold fassen, denn sie hat unzählige Zwanzigmarkstücke in sich, die gemünzt werden wollen und sollen. Aber bleiben wir zunächst bei unsrer heutigen „Ordnung" und sehen wir uns einmal an, ob die Herren ein Recht haben, meinem Vorschlag ein Halt zuzurufen, weil vielen Menschen dadurch die Schein¬ arbeit genommen werden würde. Denn daß dieses eintreten würde, ist sicher, es soll ja angestrebt werden, es ist ja das einzige Mittel, höhere Kornpreise bei gleichbleibenden Brotpreisen zu erzielen! Für die genossenschaftlichen Bäckereien würde es die oberste Aufgabe sein, soviel Maschinen und so wenig Menschen als möglich anzustellen. Was soll nun werden aus denen, die da¬ durch außer Arbeit kommen? Nun, die sollen wo anders Arbeit finden; daß sie aus der Arbeit kommen, soll nur ein Mittel für sie sein, sich und vielen andern durch nützliche Arbeit, nicht durch Scheinarbeit, bessern Lohn zu ver¬ schaffen. Jede Arbeit ist unnütz, wenn sich für die durch sie hervorgebrachten Er¬ zeugnisse keine Käufer finden. Je mehr Käufer, desto besser wird die auf¬ gewendete Arbeit bezahlt werden. Jeder Produzent muß dahin streben, seinen Abnehmerkreis so aufnahmefähig als möglich zu machen, dann wird er selber konsumkräftig für andre Erzeugnisse. Der Städter, der Handwerker, der Industrielle muß mit allen Mitteln dafür eintreten, daß der Landmann etwas »zuzusetzen" habe, damit er sich etwas gönne. Denn es giebt zwanzig Millionen Grenzboten II 1895 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/553>, abgerufen am 25.08.2024.