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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sedini

Feuer in ihr Auge: Seit der Schirm da ist, sagte sie, ist alles anders
geworden! Sie schöpfte Atem, als ob sie zu einer langen Erzählung ausholte,
aber da klingelte es, und sie stelzte mit ihren steifen Beinen so eilig davon, wie
eine alte Henne. Er muß Wasser haben! sagte sie atemlos, als sie wieder ein¬
trat. -- Hier Base! -- Franzi war an die Leitung getreten und füllte ein
Glas. -- Nein, heißes! Die Alte fing an mit den Händen zu zittern und in
der Luft herumzugreifeu: Er muß sich rasiren! Wenn ich nur die Zündhölzer hätte!

Sie haben auf dem Tisch gelegen, wie du erzählt hast, Base! Wart nur,
ich wills schon machen!

Fräulein Bernarz stand dabei und trippelte von einem Fuß auf den andern,
während Franzi ruhig hantirte und sich nicht einmal umdrehte, als die
Thür aufging.

Fräulein Bernarz legte der Nichte von hinten beide Hände um den Leib,
als ob sie sie schieben müßte, und wechselte die Füße noch schneller vor
Aufregung. -- Ja Vase, seine Zeit muß es haben, ich sitze auch nicht drin
im Feuer, sagte Franzi langsam und machte eine kräftige Schwenkung, so-
daß die Hände der Alten von ihr abglitten. Dabei gewahrte sie den Ein¬
getretenen.

Es war ein Ungar, tadellos gewachsen; von seinem Profil, das von
der Stirn bis zum Kinn regelmäßig, aber wuchtig geformt war, wurde man
unwillkürlich an alte Bildwerke erinnert. Im Einklang mit diesen in Stein oder
edelm Metall überlieferten Schönheitsformen standen der leuchtend grünliche,
gleichmäßige Hautton und die über der Stirn verschnittenen Haare, nicht gelockt,
aber ein wenig gebogen, die den ornamentalen Eindruck des Kopfes erhöhten. Er
lächelte: Nein, heute werden die Hexen nicht mehr verbrannt, sie setzen nur
noch in Brand, gelt, Mutterl?

Geh, Schirm, sagte die Alte, wie kannst du so was sagen, als ob ich eine
Hexe wär, und dann hab ich das Feuer auch gar uicht angezündet, die Franzi
hats selber gethan.

Er lächelte noch immer der Franzi ins Gesicht und nahm dabei das
Töpfchen mit heißem Wasser aus ihren Händen. Sein Sie stille, Mutter
Bernarz, Sie Habens ja nicht kapirt. Sie verstehen ja gar nichts! Damit
ging er hinaus, und Fräulein Bernarz lief ihm nach bis zum Ausgang und
über den Gang hinüber. Dabei öffnete sie die Thüren dienstwillig vor ihm
und machte sie wieder zu, während Franzi unbeweglich auf ihrem Platze stand
und sich verwundert ihre Gedanken machte.

Sie hatte wenig gelernt, außer dem, was die Übung auf dem väterlichen
Hofe mit sich brachte. Aber sie machte es nicht anders als die Spinne daheim,
die ihr Netz im Kuhstall am Fenster hatte. Wie die, hatte sie die Augen offen,
und wenn etwas neues herbeigeflogen kam, stieg sie umsichtig von ihrem Um¬
schauort nieder, griff das Ding von oben an und von unten an, von rechts und


Sedini

Feuer in ihr Auge: Seit der Schirm da ist, sagte sie, ist alles anders
geworden! Sie schöpfte Atem, als ob sie zu einer langen Erzählung ausholte,
aber da klingelte es, und sie stelzte mit ihren steifen Beinen so eilig davon, wie
eine alte Henne. Er muß Wasser haben! sagte sie atemlos, als sie wieder ein¬
trat. — Hier Base! — Franzi war an die Leitung getreten und füllte ein
Glas. — Nein, heißes! Die Alte fing an mit den Händen zu zittern und in
der Luft herumzugreifeu: Er muß sich rasiren! Wenn ich nur die Zündhölzer hätte!

Sie haben auf dem Tisch gelegen, wie du erzählt hast, Base! Wart nur,
ich wills schon machen!

Fräulein Bernarz stand dabei und trippelte von einem Fuß auf den andern,
während Franzi ruhig hantirte und sich nicht einmal umdrehte, als die
Thür aufging.

Fräulein Bernarz legte der Nichte von hinten beide Hände um den Leib,
als ob sie sie schieben müßte, und wechselte die Füße noch schneller vor
Aufregung. — Ja Vase, seine Zeit muß es haben, ich sitze auch nicht drin
im Feuer, sagte Franzi langsam und machte eine kräftige Schwenkung, so-
daß die Hände der Alten von ihr abglitten. Dabei gewahrte sie den Ein¬
getretenen.

Es war ein Ungar, tadellos gewachsen; von seinem Profil, das von
der Stirn bis zum Kinn regelmäßig, aber wuchtig geformt war, wurde man
unwillkürlich an alte Bildwerke erinnert. Im Einklang mit diesen in Stein oder
edelm Metall überlieferten Schönheitsformen standen der leuchtend grünliche,
gleichmäßige Hautton und die über der Stirn verschnittenen Haare, nicht gelockt,
aber ein wenig gebogen, die den ornamentalen Eindruck des Kopfes erhöhten. Er
lächelte: Nein, heute werden die Hexen nicht mehr verbrannt, sie setzen nur
noch in Brand, gelt, Mutterl?

Geh, Schirm, sagte die Alte, wie kannst du so was sagen, als ob ich eine
Hexe wär, und dann hab ich das Feuer auch gar uicht angezündet, die Franzi
hats selber gethan.

Er lächelte noch immer der Franzi ins Gesicht und nahm dabei das
Töpfchen mit heißem Wasser aus ihren Händen. Sein Sie stille, Mutter
Bernarz, Sie Habens ja nicht kapirt. Sie verstehen ja gar nichts! Damit
ging er hinaus, und Fräulein Bernarz lief ihm nach bis zum Ausgang und
über den Gang hinüber. Dabei öffnete sie die Thüren dienstwillig vor ihm
und machte sie wieder zu, während Franzi unbeweglich auf ihrem Platze stand
und sich verwundert ihre Gedanken machte.

Sie hatte wenig gelernt, außer dem, was die Übung auf dem väterlichen
Hofe mit sich brachte. Aber sie machte es nicht anders als die Spinne daheim,
die ihr Netz im Kuhstall am Fenster hatte. Wie die, hatte sie die Augen offen,
und wenn etwas neues herbeigeflogen kam, stieg sie umsichtig von ihrem Um¬
schauort nieder, griff das Ding von oben an und von unten an, von rechts und


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[0054] Sedini Feuer in ihr Auge: Seit der Schirm da ist, sagte sie, ist alles anders geworden! Sie schöpfte Atem, als ob sie zu einer langen Erzählung ausholte, aber da klingelte es, und sie stelzte mit ihren steifen Beinen so eilig davon, wie eine alte Henne. Er muß Wasser haben! sagte sie atemlos, als sie wieder ein¬ trat. — Hier Base! — Franzi war an die Leitung getreten und füllte ein Glas. — Nein, heißes! Die Alte fing an mit den Händen zu zittern und in der Luft herumzugreifeu: Er muß sich rasiren! Wenn ich nur die Zündhölzer hätte! Sie haben auf dem Tisch gelegen, wie du erzählt hast, Base! Wart nur, ich wills schon machen! Fräulein Bernarz stand dabei und trippelte von einem Fuß auf den andern, während Franzi ruhig hantirte und sich nicht einmal umdrehte, als die Thür aufging. Fräulein Bernarz legte der Nichte von hinten beide Hände um den Leib, als ob sie sie schieben müßte, und wechselte die Füße noch schneller vor Aufregung. — Ja Vase, seine Zeit muß es haben, ich sitze auch nicht drin im Feuer, sagte Franzi langsam und machte eine kräftige Schwenkung, so- daß die Hände der Alten von ihr abglitten. Dabei gewahrte sie den Ein¬ getretenen. Es war ein Ungar, tadellos gewachsen; von seinem Profil, das von der Stirn bis zum Kinn regelmäßig, aber wuchtig geformt war, wurde man unwillkürlich an alte Bildwerke erinnert. Im Einklang mit diesen in Stein oder edelm Metall überlieferten Schönheitsformen standen der leuchtend grünliche, gleichmäßige Hautton und die über der Stirn verschnittenen Haare, nicht gelockt, aber ein wenig gebogen, die den ornamentalen Eindruck des Kopfes erhöhten. Er lächelte: Nein, heute werden die Hexen nicht mehr verbrannt, sie setzen nur noch in Brand, gelt, Mutterl? Geh, Schirm, sagte die Alte, wie kannst du so was sagen, als ob ich eine Hexe wär, und dann hab ich das Feuer auch gar uicht angezündet, die Franzi hats selber gethan. Er lächelte noch immer der Franzi ins Gesicht und nahm dabei das Töpfchen mit heißem Wasser aus ihren Händen. Sein Sie stille, Mutter Bernarz, Sie Habens ja nicht kapirt. Sie verstehen ja gar nichts! Damit ging er hinaus, und Fräulein Bernarz lief ihm nach bis zum Ausgang und über den Gang hinüber. Dabei öffnete sie die Thüren dienstwillig vor ihm und machte sie wieder zu, während Franzi unbeweglich auf ihrem Platze stand und sich verwundert ihre Gedanken machte. Sie hatte wenig gelernt, außer dem, was die Übung auf dem väterlichen Hofe mit sich brachte. Aber sie machte es nicht anders als die Spinne daheim, die ihr Netz im Kuhstall am Fenster hatte. Wie die, hatte sie die Augen offen, und wenn etwas neues herbeigeflogen kam, stieg sie umsichtig von ihrem Um¬ schauort nieder, griff das Ding von oben an und von unten an, von rechts und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/54>, abgerufen am 22.12.2024.