Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Wandlungen des Ich im Ieitenstrome und einen großen Garten. Diesen besuchte ich monatlich einmal; zu unsern Wandlungen des Ich im Ieitenstrome und einen großen Garten. Diesen besuchte ich monatlich einmal; zu unsern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220204"/> <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Ieitenstrome</fw><lb/> <p xml:id="ID_2066" prev="#ID_2065"> und einen großen Garten. Diesen besuchte ich monatlich einmal; zu unsern<lb/> Rehberger Festen kam er nicht. Kapläne, mit denen ich hätte umgehen können,<lb/> gab es nicht in der Nähe. Dafür fand ich in dem jüngern der beiden Lehrer<lb/> einen Freund, mit dem sich verständig reden ließ, und der mir in seiner Dach-<lb/> stube manchmal etwas auf dem Klavier vorspielte. Außerdem hatte ich die<lb/> oben erwähnten beiden Familien: einen sehr musikalischen Assessor mit seiner<lb/> liebenswürdigen jungen Frau, und einen Kreisbaumeifter, der ebenfalls eine<lb/> liebenswürdige Frau und eine Menge lieber Kinder hatte. Dieser Baumeister<lb/> war ein ausgezeichneter Charakter und ein peinlich gewissenhafter Beamter,<lb/> hatte aber den einen Fehler, daß er bigott katholisch war; durch seine auf¬<lb/> füllige Bigotterie hat er sich später um sein Amt gebracht. Als er durch mich<lb/> mit Fuchs bekannt wurde, war das Unglück fertig: die beiden beschlossen einen<lb/> Rosenkranzverein zu gründen, und ich mußte eine ,konstituirende Versammlung<lb/> in der Schule abhalten. Das wird wohl doch dem Pfarrer und seiner Liese<lb/> zu viel werden, dachte ich, und erschrak, als der Pfarrer einige Tage darauf<lb/> loslegen zu wollen schien. Er hatte bei Tische die Gepflogenheit, sich nach<lb/> der Suppe und nach dem Rindfleisch zurückzukehren — er saß immer auf dem<lb/> Sofa — und die Hände über dem Bauche zu falten. Die Pause nach der<lb/> Suppe verging in schweigendem Sinnen, nach dem Rindfleisch aber warf er<lb/> immer eine Bemerkung hin, an die sich dann eine mäßig bewegte Unterhaltung<lb/> knüpfte, bis der Braten wieder ernstere Aufgaben stellte. An jenem Tage nun<lb/> ächzte er nach dem Rindfleisch tief und schaute, nachdem er sich angelehnt<lb/> hatte, mit schmerzlich bewegten Zügen und zuckenden Mundwinkeln zu den<lb/> Emmausjüngern an der Decke empor; im Sommer aßen wir nämlich in einem<lb/> kühlen Gartensaale, dessen gewölbte Decke mit Fresken geschmückt war. Dann<lb/> stieß er die Worte hervor: 's hiert uf! Richtig, dachte ich, nun gehts los!<lb/> Oder nein, er thut gar zu gefährlich; es muß ihm wohl etwas sehr schlimmes<lb/> begegnet sein? Und furchtsam fragte ich, was es denn gebe. Die Einsauer¬<lb/> gurken kühlen fufzen Biehmen. Das ist allerdings schrecklich, bemerkte ich er¬<lb/> leichtert, aber mit möglichst teilnehmender Miene, obwohl ich keine Ahnung<lb/> von dem normalen Gurkenpreise hatte und auch nicht wußte, ob sich der Preis<lb/> auf eine Mandel, ein Schock oder einen Scheffel beziehe. Ich wagte also, ihm<lb/> die Neuigkeit, die er wohl schon von der Liese gehört haben mochte, nach und<lb/> nach beizubringen, und es erfolgte darauf nichts als ein ironisches Lächeln<lb/> und Kopfschütteln und einige Sticheleien in der Küche. Nur einer der beiden<lb/> Leibphilister des Pfarrers vermochte den Ärger über diese Bedrohung des<lb/> Gemeindestilllebens nicht ganz zu verkneifen. Als er einmal den Pfarrer ab¬<lb/> holte, und ich zufällig unten war, lieferten die Sperlinge des Gartens einander<lb/> gerade eine große Schlacht und machten einen Heidenlärm. Sehn Se, Herr<lb/> Kaplan, sehn Se? Gerade so sein die Kapläne, wenn se aufm Alumnat kommen,<lb/> seitdem der verflixte Sauer dort sei Wesen treibt!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0528]
Wandlungen des Ich im Ieitenstrome
und einen großen Garten. Diesen besuchte ich monatlich einmal; zu unsern
Rehberger Festen kam er nicht. Kapläne, mit denen ich hätte umgehen können,
gab es nicht in der Nähe. Dafür fand ich in dem jüngern der beiden Lehrer
einen Freund, mit dem sich verständig reden ließ, und der mir in seiner Dach-
stube manchmal etwas auf dem Klavier vorspielte. Außerdem hatte ich die
oben erwähnten beiden Familien: einen sehr musikalischen Assessor mit seiner
liebenswürdigen jungen Frau, und einen Kreisbaumeifter, der ebenfalls eine
liebenswürdige Frau und eine Menge lieber Kinder hatte. Dieser Baumeister
war ein ausgezeichneter Charakter und ein peinlich gewissenhafter Beamter,
hatte aber den einen Fehler, daß er bigott katholisch war; durch seine auf¬
füllige Bigotterie hat er sich später um sein Amt gebracht. Als er durch mich
mit Fuchs bekannt wurde, war das Unglück fertig: die beiden beschlossen einen
Rosenkranzverein zu gründen, und ich mußte eine ,konstituirende Versammlung
in der Schule abhalten. Das wird wohl doch dem Pfarrer und seiner Liese
zu viel werden, dachte ich, und erschrak, als der Pfarrer einige Tage darauf
loslegen zu wollen schien. Er hatte bei Tische die Gepflogenheit, sich nach
der Suppe und nach dem Rindfleisch zurückzukehren — er saß immer auf dem
Sofa — und die Hände über dem Bauche zu falten. Die Pause nach der
Suppe verging in schweigendem Sinnen, nach dem Rindfleisch aber warf er
immer eine Bemerkung hin, an die sich dann eine mäßig bewegte Unterhaltung
knüpfte, bis der Braten wieder ernstere Aufgaben stellte. An jenem Tage nun
ächzte er nach dem Rindfleisch tief und schaute, nachdem er sich angelehnt
hatte, mit schmerzlich bewegten Zügen und zuckenden Mundwinkeln zu den
Emmausjüngern an der Decke empor; im Sommer aßen wir nämlich in einem
kühlen Gartensaale, dessen gewölbte Decke mit Fresken geschmückt war. Dann
stieß er die Worte hervor: 's hiert uf! Richtig, dachte ich, nun gehts los!
Oder nein, er thut gar zu gefährlich; es muß ihm wohl etwas sehr schlimmes
begegnet sein? Und furchtsam fragte ich, was es denn gebe. Die Einsauer¬
gurken kühlen fufzen Biehmen. Das ist allerdings schrecklich, bemerkte ich er¬
leichtert, aber mit möglichst teilnehmender Miene, obwohl ich keine Ahnung
von dem normalen Gurkenpreise hatte und auch nicht wußte, ob sich der Preis
auf eine Mandel, ein Schock oder einen Scheffel beziehe. Ich wagte also, ihm
die Neuigkeit, die er wohl schon von der Liese gehört haben mochte, nach und
nach beizubringen, und es erfolgte darauf nichts als ein ironisches Lächeln
und Kopfschütteln und einige Sticheleien in der Küche. Nur einer der beiden
Leibphilister des Pfarrers vermochte den Ärger über diese Bedrohung des
Gemeindestilllebens nicht ganz zu verkneifen. Als er einmal den Pfarrer ab¬
holte, und ich zufällig unten war, lieferten die Sperlinge des Gartens einander
gerade eine große Schlacht und machten einen Heidenlärm. Sehn Se, Herr
Kaplan, sehn Se? Gerade so sein die Kapläne, wenn se aufm Alumnat kommen,
seitdem der verflixte Sauer dort sei Wesen treibt!
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |