Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Italienische Eindrücke

Gegenteil sieht man Szenen von Roheit so gut wie gnr nicht, auch wenn es sehr
lebhaft und laut zugeht. Er hat eben einen äußerst lebhaften Geselligkeitstrieb,
befindet sich am wohlsten, wenn er mit andern zusammen ist, gönnt daher
auch jedem andern das hohe Maß von freier Bewegung, das er für sich selber
beansprucht. Daraus entwickeln sich wieder das höfliche und gefüllige Wesen,
die schnelle Auffassungsgabe, die Gewandtheit im Benehmen und im Ausdruck,
und das alles hängt zusammen mit dem lebhaften Kunst- und Formensinn, dem
überwiegend sozusagen ästhetischen Grundcharakter des Volkes, den eine mehr¬
tausendjährige Kultur ausgebildet hat. Derselbe Bursche, der sein Pferd mi߬
handelt, schmückt es aufs sorgfältigste, läßt -- am meisten gerade in Neapel --
das an sich schon reiche Geschirr mit zahllosen blinkenden Metallbeschlägen
besetzen, steckt ihm bunte Fasanenfedern oben auf den Kopf, befestigt rote
Quasten und Fuchsschwänze an der Züumung und wird schwerlich die Ge¬
legenheit versäumen, noch eine Blume irgendwo anzubringen. Selbst die im
schweren Lastgeschirr gehenden Tiere tragen im Neapolitanischen auf dem Sattel,
der die sehr hochliegende Gabel hält, eine Art von hohem, glänzendem Metall¬
schild mit beweglichen Fähnchen, und die großen Näder werden schön rot und
blau bemalt. Nicht minder zeigt sich dieser Sinn für Schmuck bei der Aus-
staffirung der zahllosen kleinen offnen Geschäfte, z. B. in Rom. Da werden
die Schafkäse und die Würste, die in langen Reihen hängen, mit frischen Lor¬
beerzweigen aufgeputzt, und gelbe Mimosen auf jeden kleinen Stand mit
Apfelsinen gesteckt. Ist das Wetter schön und die Blumenzeit, dann tragen
die Herren und Damen gern ein Sträußchen im Knopfloch oder im Gürtel.

Im ganzen hat der italienische Volkscharakter doch so viel liebenswürdige
Züge auszuweisen, daß man sich, wenn man ihn nur unbefangen auffaßt und
sich uicht über alles ärgert, was anders ist als bei uns und sich jedenfalls
nicht ändern läßt, doch bald angezogen und bis zu einem gewissen Grade
heimisch fühlt, am meisten vielleicht in Toskana, namentlich in Florenz, der
italienischsten aller italienische" Städte. Aus diesem Charakter entspringen
aber auch die unterscheidenden Eigentümlichkeiten des italienischen Lebens. Was
am ehesten in die Augen fällt, ist die Öffentlichkeit des ganzen persönlichen
Daseins. Die Straße wird, wo nicht gerade ein besonders großer Verkehr
herrscht, als ein Teil der Wohnung betrachtet, und wiederum nicht selten ein
Teil des Hauses, nämlich die Arkaden des Erdgeschosses, die im Norden oft
durch die ganze Straße laufen, zu dieser gezogen. Die Handwerker arbeiten bei
offnen Thüren oder auf der Gasse; dort hämmert der Schmied, klopft der
Schuster, formt der Bäcker seinen Brotteig, trocknet der Nudelfabrikant seine
Mcicearoni. Auch intimere häusliche Vorgänge spielen sich auf der Straße
c>b. Hier ordnet sich ein Mädchen das lange, dunkle Haar, dort hat eine
Mutter das Kind an der Brust; auf der andern Seite steht eine Gruppe von
Weibern am Waschbret, um dann die Wäsche auf langen Leinen an den Fenstern


Italienische Eindrücke

Gegenteil sieht man Szenen von Roheit so gut wie gnr nicht, auch wenn es sehr
lebhaft und laut zugeht. Er hat eben einen äußerst lebhaften Geselligkeitstrieb,
befindet sich am wohlsten, wenn er mit andern zusammen ist, gönnt daher
auch jedem andern das hohe Maß von freier Bewegung, das er für sich selber
beansprucht. Daraus entwickeln sich wieder das höfliche und gefüllige Wesen,
die schnelle Auffassungsgabe, die Gewandtheit im Benehmen und im Ausdruck,
und das alles hängt zusammen mit dem lebhaften Kunst- und Formensinn, dem
überwiegend sozusagen ästhetischen Grundcharakter des Volkes, den eine mehr¬
tausendjährige Kultur ausgebildet hat. Derselbe Bursche, der sein Pferd mi߬
handelt, schmückt es aufs sorgfältigste, läßt — am meisten gerade in Neapel —
das an sich schon reiche Geschirr mit zahllosen blinkenden Metallbeschlägen
besetzen, steckt ihm bunte Fasanenfedern oben auf den Kopf, befestigt rote
Quasten und Fuchsschwänze an der Züumung und wird schwerlich die Ge¬
legenheit versäumen, noch eine Blume irgendwo anzubringen. Selbst die im
schweren Lastgeschirr gehenden Tiere tragen im Neapolitanischen auf dem Sattel,
der die sehr hochliegende Gabel hält, eine Art von hohem, glänzendem Metall¬
schild mit beweglichen Fähnchen, und die großen Näder werden schön rot und
blau bemalt. Nicht minder zeigt sich dieser Sinn für Schmuck bei der Aus-
staffirung der zahllosen kleinen offnen Geschäfte, z. B. in Rom. Da werden
die Schafkäse und die Würste, die in langen Reihen hängen, mit frischen Lor¬
beerzweigen aufgeputzt, und gelbe Mimosen auf jeden kleinen Stand mit
Apfelsinen gesteckt. Ist das Wetter schön und die Blumenzeit, dann tragen
die Herren und Damen gern ein Sträußchen im Knopfloch oder im Gürtel.

Im ganzen hat der italienische Volkscharakter doch so viel liebenswürdige
Züge auszuweisen, daß man sich, wenn man ihn nur unbefangen auffaßt und
sich uicht über alles ärgert, was anders ist als bei uns und sich jedenfalls
nicht ändern läßt, doch bald angezogen und bis zu einem gewissen Grade
heimisch fühlt, am meisten vielleicht in Toskana, namentlich in Florenz, der
italienischsten aller italienische» Städte. Aus diesem Charakter entspringen
aber auch die unterscheidenden Eigentümlichkeiten des italienischen Lebens. Was
am ehesten in die Augen fällt, ist die Öffentlichkeit des ganzen persönlichen
Daseins. Die Straße wird, wo nicht gerade ein besonders großer Verkehr
herrscht, als ein Teil der Wohnung betrachtet, und wiederum nicht selten ein
Teil des Hauses, nämlich die Arkaden des Erdgeschosses, die im Norden oft
durch die ganze Straße laufen, zu dieser gezogen. Die Handwerker arbeiten bei
offnen Thüren oder auf der Gasse; dort hämmert der Schmied, klopft der
Schuster, formt der Bäcker seinen Brotteig, trocknet der Nudelfabrikant seine
Mcicearoni. Auch intimere häusliche Vorgänge spielen sich auf der Straße
c>b. Hier ordnet sich ein Mädchen das lange, dunkle Haar, dort hat eine
Mutter das Kind an der Brust; auf der andern Seite steht eine Gruppe von
Weibern am Waschbret, um dann die Wäsche auf langen Leinen an den Fenstern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220199"/>
          <fw type="header" place="top"> Italienische Eindrücke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2054" prev="#ID_2053"> Gegenteil sieht man Szenen von Roheit so gut wie gnr nicht, auch wenn es sehr<lb/>
lebhaft und laut zugeht. Er hat eben einen äußerst lebhaften Geselligkeitstrieb,<lb/>
befindet sich am wohlsten, wenn er mit andern zusammen ist, gönnt daher<lb/>
auch jedem andern das hohe Maß von freier Bewegung, das er für sich selber<lb/>
beansprucht. Daraus entwickeln sich wieder das höfliche und gefüllige Wesen,<lb/>
die schnelle Auffassungsgabe, die Gewandtheit im Benehmen und im Ausdruck,<lb/>
und das alles hängt zusammen mit dem lebhaften Kunst- und Formensinn, dem<lb/>
überwiegend sozusagen ästhetischen Grundcharakter des Volkes, den eine mehr¬<lb/>
tausendjährige Kultur ausgebildet hat. Derselbe Bursche, der sein Pferd mi߬<lb/>
handelt, schmückt es aufs sorgfältigste, läßt &#x2014; am meisten gerade in Neapel &#x2014;<lb/>
das an sich schon reiche Geschirr mit zahllosen blinkenden Metallbeschlägen<lb/>
besetzen, steckt ihm bunte Fasanenfedern oben auf den Kopf, befestigt rote<lb/>
Quasten und Fuchsschwänze an der Züumung und wird schwerlich die Ge¬<lb/>
legenheit versäumen, noch eine Blume irgendwo anzubringen. Selbst die im<lb/>
schweren Lastgeschirr gehenden Tiere tragen im Neapolitanischen auf dem Sattel,<lb/>
der die sehr hochliegende Gabel hält, eine Art von hohem, glänzendem Metall¬<lb/>
schild mit beweglichen Fähnchen, und die großen Näder werden schön rot und<lb/>
blau bemalt. Nicht minder zeigt sich dieser Sinn für Schmuck bei der Aus-<lb/>
staffirung der zahllosen kleinen offnen Geschäfte, z. B. in Rom. Da werden<lb/>
die Schafkäse und die Würste, die in langen Reihen hängen, mit frischen Lor¬<lb/>
beerzweigen aufgeputzt, und gelbe Mimosen auf jeden kleinen Stand mit<lb/>
Apfelsinen gesteckt. Ist das Wetter schön und die Blumenzeit, dann tragen<lb/>
die Herren und Damen gern ein Sträußchen im Knopfloch oder im Gürtel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2055" next="#ID_2056"> Im ganzen hat der italienische Volkscharakter doch so viel liebenswürdige<lb/>
Züge auszuweisen, daß man sich, wenn man ihn nur unbefangen auffaßt und<lb/>
sich uicht über alles ärgert, was anders ist als bei uns und sich jedenfalls<lb/>
nicht ändern läßt, doch bald angezogen und bis zu einem gewissen Grade<lb/>
heimisch fühlt, am meisten vielleicht in Toskana, namentlich in Florenz, der<lb/>
italienischsten aller italienische» Städte. Aus diesem Charakter entspringen<lb/>
aber auch die unterscheidenden Eigentümlichkeiten des italienischen Lebens. Was<lb/>
am ehesten in die Augen fällt, ist die Öffentlichkeit des ganzen persönlichen<lb/>
Daseins. Die Straße wird, wo nicht gerade ein besonders großer Verkehr<lb/>
herrscht, als ein Teil der Wohnung betrachtet, und wiederum nicht selten ein<lb/>
Teil des Hauses, nämlich die Arkaden des Erdgeschosses, die im Norden oft<lb/>
durch die ganze Straße laufen, zu dieser gezogen. Die Handwerker arbeiten bei<lb/>
offnen Thüren oder auf der Gasse; dort hämmert der Schmied, klopft der<lb/>
Schuster, formt der Bäcker seinen Brotteig, trocknet der Nudelfabrikant seine<lb/>
Mcicearoni. Auch intimere häusliche Vorgänge spielen sich auf der Straße<lb/>
c&gt;b. Hier ordnet sich ein Mädchen das lange, dunkle Haar, dort hat eine<lb/>
Mutter das Kind an der Brust; auf der andern Seite steht eine Gruppe von<lb/>
Weibern am Waschbret, um dann die Wäsche auf langen Leinen an den Fenstern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0523] Italienische Eindrücke Gegenteil sieht man Szenen von Roheit so gut wie gnr nicht, auch wenn es sehr lebhaft und laut zugeht. Er hat eben einen äußerst lebhaften Geselligkeitstrieb, befindet sich am wohlsten, wenn er mit andern zusammen ist, gönnt daher auch jedem andern das hohe Maß von freier Bewegung, das er für sich selber beansprucht. Daraus entwickeln sich wieder das höfliche und gefüllige Wesen, die schnelle Auffassungsgabe, die Gewandtheit im Benehmen und im Ausdruck, und das alles hängt zusammen mit dem lebhaften Kunst- und Formensinn, dem überwiegend sozusagen ästhetischen Grundcharakter des Volkes, den eine mehr¬ tausendjährige Kultur ausgebildet hat. Derselbe Bursche, der sein Pferd mi߬ handelt, schmückt es aufs sorgfältigste, läßt — am meisten gerade in Neapel — das an sich schon reiche Geschirr mit zahllosen blinkenden Metallbeschlägen besetzen, steckt ihm bunte Fasanenfedern oben auf den Kopf, befestigt rote Quasten und Fuchsschwänze an der Züumung und wird schwerlich die Ge¬ legenheit versäumen, noch eine Blume irgendwo anzubringen. Selbst die im schweren Lastgeschirr gehenden Tiere tragen im Neapolitanischen auf dem Sattel, der die sehr hochliegende Gabel hält, eine Art von hohem, glänzendem Metall¬ schild mit beweglichen Fähnchen, und die großen Näder werden schön rot und blau bemalt. Nicht minder zeigt sich dieser Sinn für Schmuck bei der Aus- staffirung der zahllosen kleinen offnen Geschäfte, z. B. in Rom. Da werden die Schafkäse und die Würste, die in langen Reihen hängen, mit frischen Lor¬ beerzweigen aufgeputzt, und gelbe Mimosen auf jeden kleinen Stand mit Apfelsinen gesteckt. Ist das Wetter schön und die Blumenzeit, dann tragen die Herren und Damen gern ein Sträußchen im Knopfloch oder im Gürtel. Im ganzen hat der italienische Volkscharakter doch so viel liebenswürdige Züge auszuweisen, daß man sich, wenn man ihn nur unbefangen auffaßt und sich uicht über alles ärgert, was anders ist als bei uns und sich jedenfalls nicht ändern läßt, doch bald angezogen und bis zu einem gewissen Grade heimisch fühlt, am meisten vielleicht in Toskana, namentlich in Florenz, der italienischsten aller italienische» Städte. Aus diesem Charakter entspringen aber auch die unterscheidenden Eigentümlichkeiten des italienischen Lebens. Was am ehesten in die Augen fällt, ist die Öffentlichkeit des ganzen persönlichen Daseins. Die Straße wird, wo nicht gerade ein besonders großer Verkehr herrscht, als ein Teil der Wohnung betrachtet, und wiederum nicht selten ein Teil des Hauses, nämlich die Arkaden des Erdgeschosses, die im Norden oft durch die ganze Straße laufen, zu dieser gezogen. Die Handwerker arbeiten bei offnen Thüren oder auf der Gasse; dort hämmert der Schmied, klopft der Schuster, formt der Bäcker seinen Brotteig, trocknet der Nudelfabrikant seine Mcicearoni. Auch intimere häusliche Vorgänge spielen sich auf der Straße c>b. Hier ordnet sich ein Mädchen das lange, dunkle Haar, dort hat eine Mutter das Kind an der Brust; auf der andern Seite steht eine Gruppe von Weibern am Waschbret, um dann die Wäsche auf langen Leinen an den Fenstern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/523
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/523>, abgerufen am 27.08.2024.