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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der gerichtliche Lid

größer als heute. Weniger allerdings im Prozeß, als außerhalb des Pro¬
zesses. In der ältesten Zeit war der Eid das gebräuchlichste Mittel zur Be¬
stärkung von Verträgen. Noch in dem Zwölftafelgcsetz wird der Eid als das
stärkste Band zur Befestigung übcrnommner Verpflichtungen angeführt. Wer
eine unter Anrufung der Götter, also eidlich gegebne Zusage bricht, der hat
keinen Anspruch mehr auf den Schutz, den sonst die Götter dem Volksgenossen
gewähren, er wird rechtlos; es ist nun keine gottlose und rechtswidrige Hand¬
lung mehr, sich seiner zu bemächtigen und ihn nach Willkür zu behandeln, ja
ihn zu töten; im Gegenteil, wer dies thut, der vollstreckt an ihm nur die
Strafe der beleidigten Gottheit.

Die Bestärkung eines Rechtsgeschäftes durch den Eid hat sich aus dem
römischen Recht auch noch ins Mittelalter fortgesetzt und hier in Übung er¬
halten. Das kanonische Recht mußte, seiner ganzen Anlage nach, eine solche
Verstürkuug besonders streng behandeln. Es hat denn auch deu Grundsatz auf¬
gestellt, der auch von der weltlichen Gesetzgebung bestätigt wurde, daß der Eid
selbst ein sonst nichtiges Geschäft unanfechtbar mache. Ein Fall dieser Art
war in dem Gebiete des gemeinen Rechts noch bis vor kurzem sehr häufig: das
römische Recht gab eiuer Frau, die für eiuen andern, namentlich für ihren
Ehemann eine Verbindlichkeit, z. V. eine Bürgschaft, eine Gesamthaftung, über¬
nommen hatte, das Recht, die Erfüllung solcher Verpflichtungen zu verweigern.
Diese sogenannte "weibliche Rechtswohlthat" fiel aber weg, wenn die Frau
die Übernahme der Verbindlichkeit eidlich bestärkt hatte. In den gemeinrecht¬
lichen Landesteilen Preußens wurde dies erst 1869 beseitigt, in einzelnen
kleinern deutschen Gebieten besteht es wohl noch heute.

Abgesehen von diesem besondern Falle ist im heutigen Verkehrsleben der
Eid als Bestärkungsmittel bei Verträgen kaum noch in Anwendung. Das Reichs¬
gesetz über den Wucher hebt allerdings unter andern noch den Fall, wo sich
jemand wucherische Vermögensvorteile eidlich versprechen läßt, als besonders
strafbar hervor. Man wird aber nicht fehlgehen mit der Annahme, daß eben
höchstens bei derartigen Geschäften noch die eidliche Bestärkung vorkommen
wird, während sie dem redlichen Verkehr ganz fremd geworden ist. Der Ent¬
wurf des bürgerlichen Gesetzbuchs erwähut überhaupt den Eid als Mittel zur
Bestärkung von Rechtsgeschäften nicht. Auch bei Wuchergeschäften wird übrigens
noch mehr als der Eid eine andre Versicherung, die ebenfalls das Wucher¬
gesetz besonders hervorhebt, in Übung sein: die Verpfändung der Ehre, das
Versprechen "auf Ehrenwort," das ja gerade in den obern Volkskreisen, bei
Offizieren und Studenten, üblich ist, und dessen Bruch, gleichviel unter welchen
Umstünden es abgegeben worden ist, nach den Anschauungen dieser Kreise die
härtesten Folgen nach sich zieht, während das Recht an den Bruch des eid¬
lichen Gelöbnisses überhaupt nnr dann eine Strafe knüpft, wenn es vor Ge¬
richt abgegeben ist.


Der gerichtliche Lid

größer als heute. Weniger allerdings im Prozeß, als außerhalb des Pro¬
zesses. In der ältesten Zeit war der Eid das gebräuchlichste Mittel zur Be¬
stärkung von Verträgen. Noch in dem Zwölftafelgcsetz wird der Eid als das
stärkste Band zur Befestigung übcrnommner Verpflichtungen angeführt. Wer
eine unter Anrufung der Götter, also eidlich gegebne Zusage bricht, der hat
keinen Anspruch mehr auf den Schutz, den sonst die Götter dem Volksgenossen
gewähren, er wird rechtlos; es ist nun keine gottlose und rechtswidrige Hand¬
lung mehr, sich seiner zu bemächtigen und ihn nach Willkür zu behandeln, ja
ihn zu töten; im Gegenteil, wer dies thut, der vollstreckt an ihm nur die
Strafe der beleidigten Gottheit.

Die Bestärkung eines Rechtsgeschäftes durch den Eid hat sich aus dem
römischen Recht auch noch ins Mittelalter fortgesetzt und hier in Übung er¬
halten. Das kanonische Recht mußte, seiner ganzen Anlage nach, eine solche
Verstürkuug besonders streng behandeln. Es hat denn auch deu Grundsatz auf¬
gestellt, der auch von der weltlichen Gesetzgebung bestätigt wurde, daß der Eid
selbst ein sonst nichtiges Geschäft unanfechtbar mache. Ein Fall dieser Art
war in dem Gebiete des gemeinen Rechts noch bis vor kurzem sehr häufig: das
römische Recht gab eiuer Frau, die für eiuen andern, namentlich für ihren
Ehemann eine Verbindlichkeit, z. V. eine Bürgschaft, eine Gesamthaftung, über¬
nommen hatte, das Recht, die Erfüllung solcher Verpflichtungen zu verweigern.
Diese sogenannte „weibliche Rechtswohlthat" fiel aber weg, wenn die Frau
die Übernahme der Verbindlichkeit eidlich bestärkt hatte. In den gemeinrecht¬
lichen Landesteilen Preußens wurde dies erst 1869 beseitigt, in einzelnen
kleinern deutschen Gebieten besteht es wohl noch heute.

Abgesehen von diesem besondern Falle ist im heutigen Verkehrsleben der
Eid als Bestärkungsmittel bei Verträgen kaum noch in Anwendung. Das Reichs¬
gesetz über den Wucher hebt allerdings unter andern noch den Fall, wo sich
jemand wucherische Vermögensvorteile eidlich versprechen läßt, als besonders
strafbar hervor. Man wird aber nicht fehlgehen mit der Annahme, daß eben
höchstens bei derartigen Geschäften noch die eidliche Bestärkung vorkommen
wird, während sie dem redlichen Verkehr ganz fremd geworden ist. Der Ent¬
wurf des bürgerlichen Gesetzbuchs erwähut überhaupt den Eid als Mittel zur
Bestärkung von Rechtsgeschäften nicht. Auch bei Wuchergeschäften wird übrigens
noch mehr als der Eid eine andre Versicherung, die ebenfalls das Wucher¬
gesetz besonders hervorhebt, in Übung sein: die Verpfändung der Ehre, das
Versprechen „auf Ehrenwort," das ja gerade in den obern Volkskreisen, bei
Offizieren und Studenten, üblich ist, und dessen Bruch, gleichviel unter welchen
Umstünden es abgegeben worden ist, nach den Anschauungen dieser Kreise die
härtesten Folgen nach sich zieht, während das Recht an den Bruch des eid¬
lichen Gelöbnisses überhaupt nnr dann eine Strafe knüpft, wenn es vor Ge¬
richt abgegeben ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/507>, abgerufen am 26.08.2024.