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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

er den Mchrertrag der "nichtrcproduzirbnren Produktionsmittel," unter denen der
Boden dos wichtigste ist. Er glaubt bewiesen zu hoben, daß sich Arbeits- und
Kapitalrente einander parallel und der Besitzrente entgegengesetzt bewegen, sodnß
also diese sinkt, wenn jene beiden steigen. Wir halten seine sämtlichen Sätze für
sehr anfechtbar und bezweifeln, daß seine sehr mühsamen und scharfsinnigen Be¬
rechnungen und zahlreichen Formeln die Einsicht in den Zusammenhang der Pro¬
duktions-, Besitz- und Einkommensverhältnisse wesentlich fördern werden. -- Da¬
gegen verleihen dem Buche von Rodbertus: Zur Erklärung und Abhilfe
der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes die darin enthaltene Renten¬
theorie und zahlreiche geistvolle und anregende Betrachtungen einen bleibenden
wissenschaftlichen Wert. Es war daher nützlich, daß die Verlagsbuchhandlung (Her¬
mann Bahr in Berlin) vor zwei Jahren eine neue Auflage davon veranstaltet hat,
die wir doch nachträglich noch erwähnen wollen, um so mehr, als der in neuerer Zeit
wieder sehr rührige Dr. Rudolf Meyer eine interessante Vorrede dazu geschrieben
Hot. Freilich, das "Nentenprinzip," das nach des konservativen Sozialisten Ansicht
den Grundbesitz retten sollte, ist hinfällig. Es besteht in Kürze in folgenden!:
Heute wird der Boden als Kapital behandelt. Wirft ein Gut im Jahre 4000 Thaler
Rente ab, und der Zinsfuß steht auf 4 Prozent, so gilt das Gut 25 x 4000 oder
100 000 Thaler. Die steigende Verschuldung eines Gutes wegen wiederholter
Erbteilnng würde an sich nichts schaden, wenn der Ertrag beständig stiege, wie das
im zweiten Drittel unsers Jahrhunderts der Fall war. Denn steigt der Ertrag
von 4000 auf 5000 Thaler, so kann der Besitzer immerhin vier Geschwistern je
1000 Thaler jährlich auszahlen, er behält immer noch 1000 Thaler für sich zum
Leben übrig. Geschieht aber die Abfindung nicht in Rentenform, sondern wird
die kapitalisirte Reute auf einmal ausgezahlt oder als Hypothek eingetragen, so
geschieht beim Steigen des Zinsfußes folgendes. 1000 Thaler zu 4 Prozent kapi¬
talisiert geben 26 000 Thaler. Eingetragen wurden also 100 000 Thaler. Steigt
nun gleichzeitig mit dem Gutsertrage auch der Zinsfuß, und zwar auf ö Prozent,
so ist das Gut bei 5000 Thalern Ertrag nicht 25 x 6000 ^ 126 000. fondern
bloß 20 x 5000 oder wieder nur 100000 Thaler wert, und beim Verkauf behält
der Besitzer nicht einen Pfennig. Deshalb, fordert Rodbertus, darf der Grund
und Boden nicht als Kapital, sondern muß als ein "immerwährender Rentenfonds"
behandelt werden, darf er nicht nach einem angeblichen Kapitalwert, sondern muß
er nach seinem Ertragswert geschätzt werden, und dürfen beim Kauf und bei der
Abfindung vou Miterben nicht Kapitalschulden, sondern nur Nentenschulden ein¬
getragen werden, sodaß also der Besitzer zwar verpflichtet werden kann, einen be¬
stimmten Zins, nicht aber die Kapitalsumme heranszuzahleu, die sich ergiebt, wenn
man den Zins mit der dem Zinsfuß entsprechenden Zahl multiplizirt. Der Vor¬
redner zeigt, was ohnehin jeder auf den ersten Blick sieht, daß diese Behandlungs-
weise den Grundbesitzern nur dann helfen könnte, wenn die Grundrente immerfort
stiege, daß ihnen aber much nach dem "Nentenprinzip" bei einem gewissen Grade
von Verschuldung nichts oder weniger als nichts bleibt, wenn die Grundrente fällt,
wie dies, wenigstens nach der Behauptung der Agrarier, seit zwanzig Jahren der
Fall ist. Merkwürdig, daß ein so erfahrner, praktischer und scharfsinniger Mann
wie Rodbertus an die Wahrscheinlichkeit des nahe bevorstehenden Falls der Grund¬
rente nicht gedacht hat! Gegenüber der landläufigen Vorstellung, als ob das mobile
Kapital als eine dem Grundbesitz gegenüberstehende feindliche Macht diesen gewisser¬
maßen erdrücke und verschlinge, erinnert Rodbertus wiederholt darau, daß ja dieses
mobile Kapital, soweit es in Hypotheken- und Pfandbriefform erscheint, größten-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

er den Mchrertrag der „nichtrcproduzirbnren Produktionsmittel," unter denen der
Boden dos wichtigste ist. Er glaubt bewiesen zu hoben, daß sich Arbeits- und
Kapitalrente einander parallel und der Besitzrente entgegengesetzt bewegen, sodnß
also diese sinkt, wenn jene beiden steigen. Wir halten seine sämtlichen Sätze für
sehr anfechtbar und bezweifeln, daß seine sehr mühsamen und scharfsinnigen Be¬
rechnungen und zahlreichen Formeln die Einsicht in den Zusammenhang der Pro¬
duktions-, Besitz- und Einkommensverhältnisse wesentlich fördern werden. — Da¬
gegen verleihen dem Buche von Rodbertus: Zur Erklärung und Abhilfe
der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes die darin enthaltene Renten¬
theorie und zahlreiche geistvolle und anregende Betrachtungen einen bleibenden
wissenschaftlichen Wert. Es war daher nützlich, daß die Verlagsbuchhandlung (Her¬
mann Bahr in Berlin) vor zwei Jahren eine neue Auflage davon veranstaltet hat,
die wir doch nachträglich noch erwähnen wollen, um so mehr, als der in neuerer Zeit
wieder sehr rührige Dr. Rudolf Meyer eine interessante Vorrede dazu geschrieben
Hot. Freilich, das „Nentenprinzip," das nach des konservativen Sozialisten Ansicht
den Grundbesitz retten sollte, ist hinfällig. Es besteht in Kürze in folgenden!:
Heute wird der Boden als Kapital behandelt. Wirft ein Gut im Jahre 4000 Thaler
Rente ab, und der Zinsfuß steht auf 4 Prozent, so gilt das Gut 25 x 4000 oder
100 000 Thaler. Die steigende Verschuldung eines Gutes wegen wiederholter
Erbteilnng würde an sich nichts schaden, wenn der Ertrag beständig stiege, wie das
im zweiten Drittel unsers Jahrhunderts der Fall war. Denn steigt der Ertrag
von 4000 auf 5000 Thaler, so kann der Besitzer immerhin vier Geschwistern je
1000 Thaler jährlich auszahlen, er behält immer noch 1000 Thaler für sich zum
Leben übrig. Geschieht aber die Abfindung nicht in Rentenform, sondern wird
die kapitalisirte Reute auf einmal ausgezahlt oder als Hypothek eingetragen, so
geschieht beim Steigen des Zinsfußes folgendes. 1000 Thaler zu 4 Prozent kapi¬
talisiert geben 26 000 Thaler. Eingetragen wurden also 100 000 Thaler. Steigt
nun gleichzeitig mit dem Gutsertrage auch der Zinsfuß, und zwar auf ö Prozent,
so ist das Gut bei 5000 Thalern Ertrag nicht 25 x 6000 ^ 126 000. fondern
bloß 20 x 5000 oder wieder nur 100000 Thaler wert, und beim Verkauf behält
der Besitzer nicht einen Pfennig. Deshalb, fordert Rodbertus, darf der Grund
und Boden nicht als Kapital, sondern muß als ein „immerwährender Rentenfonds"
behandelt werden, darf er nicht nach einem angeblichen Kapitalwert, sondern muß
er nach seinem Ertragswert geschätzt werden, und dürfen beim Kauf und bei der
Abfindung vou Miterben nicht Kapitalschulden, sondern nur Nentenschulden ein¬
getragen werden, sodaß also der Besitzer zwar verpflichtet werden kann, einen be¬
stimmten Zins, nicht aber die Kapitalsumme heranszuzahleu, die sich ergiebt, wenn
man den Zins mit der dem Zinsfuß entsprechenden Zahl multiplizirt. Der Vor¬
redner zeigt, was ohnehin jeder auf den ersten Blick sieht, daß diese Behandlungs-
weise den Grundbesitzern nur dann helfen könnte, wenn die Grundrente immerfort
stiege, daß ihnen aber much nach dem „Nentenprinzip" bei einem gewissen Grade
von Verschuldung nichts oder weniger als nichts bleibt, wenn die Grundrente fällt,
wie dies, wenigstens nach der Behauptung der Agrarier, seit zwanzig Jahren der
Fall ist. Merkwürdig, daß ein so erfahrner, praktischer und scharfsinniger Mann
wie Rodbertus an die Wahrscheinlichkeit des nahe bevorstehenden Falls der Grund¬
rente nicht gedacht hat! Gegenüber der landläufigen Vorstellung, als ob das mobile
Kapital als eine dem Grundbesitz gegenüberstehende feindliche Macht diesen gewisser¬
maßen erdrücke und verschlinge, erinnert Rodbertus wiederholt darau, daß ja dieses
mobile Kapital, soweit es in Hypotheken- und Pfandbriefform erscheint, größten-


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[0493] Maßgebliches und Unmaßgebliches er den Mchrertrag der „nichtrcproduzirbnren Produktionsmittel," unter denen der Boden dos wichtigste ist. Er glaubt bewiesen zu hoben, daß sich Arbeits- und Kapitalrente einander parallel und der Besitzrente entgegengesetzt bewegen, sodnß also diese sinkt, wenn jene beiden steigen. Wir halten seine sämtlichen Sätze für sehr anfechtbar und bezweifeln, daß seine sehr mühsamen und scharfsinnigen Be¬ rechnungen und zahlreichen Formeln die Einsicht in den Zusammenhang der Pro¬ duktions-, Besitz- und Einkommensverhältnisse wesentlich fördern werden. — Da¬ gegen verleihen dem Buche von Rodbertus: Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes die darin enthaltene Renten¬ theorie und zahlreiche geistvolle und anregende Betrachtungen einen bleibenden wissenschaftlichen Wert. Es war daher nützlich, daß die Verlagsbuchhandlung (Her¬ mann Bahr in Berlin) vor zwei Jahren eine neue Auflage davon veranstaltet hat, die wir doch nachträglich noch erwähnen wollen, um so mehr, als der in neuerer Zeit wieder sehr rührige Dr. Rudolf Meyer eine interessante Vorrede dazu geschrieben Hot. Freilich, das „Nentenprinzip," das nach des konservativen Sozialisten Ansicht den Grundbesitz retten sollte, ist hinfällig. Es besteht in Kürze in folgenden!: Heute wird der Boden als Kapital behandelt. Wirft ein Gut im Jahre 4000 Thaler Rente ab, und der Zinsfuß steht auf 4 Prozent, so gilt das Gut 25 x 4000 oder 100 000 Thaler. Die steigende Verschuldung eines Gutes wegen wiederholter Erbteilnng würde an sich nichts schaden, wenn der Ertrag beständig stiege, wie das im zweiten Drittel unsers Jahrhunderts der Fall war. Denn steigt der Ertrag von 4000 auf 5000 Thaler, so kann der Besitzer immerhin vier Geschwistern je 1000 Thaler jährlich auszahlen, er behält immer noch 1000 Thaler für sich zum Leben übrig. Geschieht aber die Abfindung nicht in Rentenform, sondern wird die kapitalisirte Reute auf einmal ausgezahlt oder als Hypothek eingetragen, so geschieht beim Steigen des Zinsfußes folgendes. 1000 Thaler zu 4 Prozent kapi¬ talisiert geben 26 000 Thaler. Eingetragen wurden also 100 000 Thaler. Steigt nun gleichzeitig mit dem Gutsertrage auch der Zinsfuß, und zwar auf ö Prozent, so ist das Gut bei 5000 Thalern Ertrag nicht 25 x 6000 ^ 126 000. fondern bloß 20 x 5000 oder wieder nur 100000 Thaler wert, und beim Verkauf behält der Besitzer nicht einen Pfennig. Deshalb, fordert Rodbertus, darf der Grund und Boden nicht als Kapital, sondern muß als ein „immerwährender Rentenfonds" behandelt werden, darf er nicht nach einem angeblichen Kapitalwert, sondern muß er nach seinem Ertragswert geschätzt werden, und dürfen beim Kauf und bei der Abfindung vou Miterben nicht Kapitalschulden, sondern nur Nentenschulden ein¬ getragen werden, sodaß also der Besitzer zwar verpflichtet werden kann, einen be¬ stimmten Zins, nicht aber die Kapitalsumme heranszuzahleu, die sich ergiebt, wenn man den Zins mit der dem Zinsfuß entsprechenden Zahl multiplizirt. Der Vor¬ redner zeigt, was ohnehin jeder auf den ersten Blick sieht, daß diese Behandlungs- weise den Grundbesitzern nur dann helfen könnte, wenn die Grundrente immerfort stiege, daß ihnen aber much nach dem „Nentenprinzip" bei einem gewissen Grade von Verschuldung nichts oder weniger als nichts bleibt, wenn die Grundrente fällt, wie dies, wenigstens nach der Behauptung der Agrarier, seit zwanzig Jahren der Fall ist. Merkwürdig, daß ein so erfahrner, praktischer und scharfsinniger Mann wie Rodbertus an die Wahrscheinlichkeit des nahe bevorstehenden Falls der Grund¬ rente nicht gedacht hat! Gegenüber der landläufigen Vorstellung, als ob das mobile Kapital als eine dem Grundbesitz gegenüberstehende feindliche Macht diesen gewisser¬ maßen erdrücke und verschlinge, erinnert Rodbertus wiederholt darau, daß ja dieses mobile Kapital, soweit es in Hypotheken- und Pfandbriefform erscheint, größten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/493>, abgerufen am 22.12.2024.