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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

Fritz winkte dem Hinausgehenden nach.

Und wir beide, Gretchen, wollen nun dein Reich besichtigen, damit du
anfängst, dich zurechtzufinden. Hast du Lust?

Aber freilich, versetzte sie eifrig. Es wird mir sehr lieb sein, alles kennen
zu lernen. Ich fühle mich noch gar nicht fo recht -- sie stockte.

Gemütlich, heimisch, meinst du. Ja ja! Er nickte vor sich hin. In seinem
nachdenklichen Blick, der wieder weit hinaus sah, stieg ein schwaches, weh¬
mütiges Lächeln auf. -- Ja ja, wiederholte er, ich hab mir schon so im
stillen gedacht, daß es wohl ein Fehler von mir gewesen ist, dich während
der Brautzeit so geflissentlich von allem ferngehalten zu haben. Vielleicht
wärs besser gewesen, wenn du einigemale vor der Hochzeit einen Blick hier
hinein gethan hättest. Du hättest dich sozusagen "orientirt," gegen manche
Einrichtungen auch wohl dein Veto eingelegt. Nun kommst du in gegebne
Verhältnisse und mußt dich mit ihnen abfinden. Thut mir leid. Ich Habs
gut gemeint, indem ich dich überraschen wollte. Na, alles geht nicht immer
so aus, wie man sichs gedacht hat.

Nein, sagte sie schnell und faßte mit beiden Händen seine niederhängende
Rechte. Rede nicht so, Fritz! Es ist ja alles so schön, und es gefällt mir
auch alles sehr, und das mit meinem Zimmer war sehr lieb von dir. Ich
meinte nur gestern Abend -- ich dachte nur -- es war mir nur so --

Er streifte sie mit einem kurzen Blick und zog nach leisem Druck seine
Hand aus ihren Fingern. Laß nur, sagte er ruhig, als sie völlig verwirrt
aufhörte zu sprechen. Das ist nun erledigt. Über geschehene Dinge, an denen
nichts mehr zu ändern ist, wollen wir keine unnützen Worte verlieren. Strich
drunter, neues Kapitel. Sicher ist nur, daß wir nicht, wie im allgemeinen
unter jungen Eheleuten üblich, gemeinsam ein neues Heimwesen gründen,
sondern daß du in alte, festgefügte Verhältnisse eintrittst. Hierüber haben wir
ja auch schon als Brautleute gesprochen, nicht wahr, und es ist dir nicht
mehr neu, daß es deine sogenannte Aufgabe sein wird, dich diesem eisernen
Bestand einzuverleiben. Du wirst bald genug heraushaben, daß das kein be¬
sondres Kunststück ist. Jeder von uns wird allezeit bereit sein -- aber wozu
red ich von selbstverständlichen Dingen? Für einen Tyrannen hast dn mich
doch wohl noch nicht gehalten?

Nein, sagte sie lächelnd. Es war ihr aber nicht sehr wohl ums Herz.
Sie fühlte ganz deutlich, daß sie etwas verscherzt hatte, was man eigentlich
sehr notwendig zum Zusammenleben braucht. Irgend ein feiner Duft war
verweht, irgend ein warmer Ton war verklungen. Einen Augenblick kam
ihr das stürmische Verlangen, sich ihm in die Arme zu werfen, wie gestern
Abend, und ihn zu bitten, flehentlich zu bitten: vergiß, verzeih, sei wieder gut!

Aber da hatte er schon die Thür geöffnet: Also wollen wir? und be¬
schämt, dunkel errötend ging sie ihm voran. Er nahm ihren Arm und führte
sie den Flur entlang.

(Fortsetzung folgt)




Der erste Beste

Fritz winkte dem Hinausgehenden nach.

Und wir beide, Gretchen, wollen nun dein Reich besichtigen, damit du
anfängst, dich zurechtzufinden. Hast du Lust?

Aber freilich, versetzte sie eifrig. Es wird mir sehr lieb sein, alles kennen
zu lernen. Ich fühle mich noch gar nicht fo recht — sie stockte.

Gemütlich, heimisch, meinst du. Ja ja! Er nickte vor sich hin. In seinem
nachdenklichen Blick, der wieder weit hinaus sah, stieg ein schwaches, weh¬
mütiges Lächeln auf. — Ja ja, wiederholte er, ich hab mir schon so im
stillen gedacht, daß es wohl ein Fehler von mir gewesen ist, dich während
der Brautzeit so geflissentlich von allem ferngehalten zu haben. Vielleicht
wärs besser gewesen, wenn du einigemale vor der Hochzeit einen Blick hier
hinein gethan hättest. Du hättest dich sozusagen „orientirt," gegen manche
Einrichtungen auch wohl dein Veto eingelegt. Nun kommst du in gegebne
Verhältnisse und mußt dich mit ihnen abfinden. Thut mir leid. Ich Habs
gut gemeint, indem ich dich überraschen wollte. Na, alles geht nicht immer
so aus, wie man sichs gedacht hat.

Nein, sagte sie schnell und faßte mit beiden Händen seine niederhängende
Rechte. Rede nicht so, Fritz! Es ist ja alles so schön, und es gefällt mir
auch alles sehr, und das mit meinem Zimmer war sehr lieb von dir. Ich
meinte nur gestern Abend — ich dachte nur — es war mir nur so —

Er streifte sie mit einem kurzen Blick und zog nach leisem Druck seine
Hand aus ihren Fingern. Laß nur, sagte er ruhig, als sie völlig verwirrt
aufhörte zu sprechen. Das ist nun erledigt. Über geschehene Dinge, an denen
nichts mehr zu ändern ist, wollen wir keine unnützen Worte verlieren. Strich
drunter, neues Kapitel. Sicher ist nur, daß wir nicht, wie im allgemeinen
unter jungen Eheleuten üblich, gemeinsam ein neues Heimwesen gründen,
sondern daß du in alte, festgefügte Verhältnisse eintrittst. Hierüber haben wir
ja auch schon als Brautleute gesprochen, nicht wahr, und es ist dir nicht
mehr neu, daß es deine sogenannte Aufgabe sein wird, dich diesem eisernen
Bestand einzuverleiben. Du wirst bald genug heraushaben, daß das kein be¬
sondres Kunststück ist. Jeder von uns wird allezeit bereit sein — aber wozu
red ich von selbstverständlichen Dingen? Für einen Tyrannen hast dn mich
doch wohl noch nicht gehalten?

Nein, sagte sie lächelnd. Es war ihr aber nicht sehr wohl ums Herz.
Sie fühlte ganz deutlich, daß sie etwas verscherzt hatte, was man eigentlich
sehr notwendig zum Zusammenleben braucht. Irgend ein feiner Duft war
verweht, irgend ein warmer Ton war verklungen. Einen Augenblick kam
ihr das stürmische Verlangen, sich ihm in die Arme zu werfen, wie gestern
Abend, und ihn zu bitten, flehentlich zu bitten: vergiß, verzeih, sei wieder gut!

Aber da hatte er schon die Thür geöffnet: Also wollen wir? und be¬
schämt, dunkel errötend ging sie ihm voran. Er nahm ihren Arm und führte
sie den Flur entlang.

(Fortsetzung folgt)




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[0488] Der erste Beste Fritz winkte dem Hinausgehenden nach. Und wir beide, Gretchen, wollen nun dein Reich besichtigen, damit du anfängst, dich zurechtzufinden. Hast du Lust? Aber freilich, versetzte sie eifrig. Es wird mir sehr lieb sein, alles kennen zu lernen. Ich fühle mich noch gar nicht fo recht — sie stockte. Gemütlich, heimisch, meinst du. Ja ja! Er nickte vor sich hin. In seinem nachdenklichen Blick, der wieder weit hinaus sah, stieg ein schwaches, weh¬ mütiges Lächeln auf. — Ja ja, wiederholte er, ich hab mir schon so im stillen gedacht, daß es wohl ein Fehler von mir gewesen ist, dich während der Brautzeit so geflissentlich von allem ferngehalten zu haben. Vielleicht wärs besser gewesen, wenn du einigemale vor der Hochzeit einen Blick hier hinein gethan hättest. Du hättest dich sozusagen „orientirt," gegen manche Einrichtungen auch wohl dein Veto eingelegt. Nun kommst du in gegebne Verhältnisse und mußt dich mit ihnen abfinden. Thut mir leid. Ich Habs gut gemeint, indem ich dich überraschen wollte. Na, alles geht nicht immer so aus, wie man sichs gedacht hat. Nein, sagte sie schnell und faßte mit beiden Händen seine niederhängende Rechte. Rede nicht so, Fritz! Es ist ja alles so schön, und es gefällt mir auch alles sehr, und das mit meinem Zimmer war sehr lieb von dir. Ich meinte nur gestern Abend — ich dachte nur — es war mir nur so — Er streifte sie mit einem kurzen Blick und zog nach leisem Druck seine Hand aus ihren Fingern. Laß nur, sagte er ruhig, als sie völlig verwirrt aufhörte zu sprechen. Das ist nun erledigt. Über geschehene Dinge, an denen nichts mehr zu ändern ist, wollen wir keine unnützen Worte verlieren. Strich drunter, neues Kapitel. Sicher ist nur, daß wir nicht, wie im allgemeinen unter jungen Eheleuten üblich, gemeinsam ein neues Heimwesen gründen, sondern daß du in alte, festgefügte Verhältnisse eintrittst. Hierüber haben wir ja auch schon als Brautleute gesprochen, nicht wahr, und es ist dir nicht mehr neu, daß es deine sogenannte Aufgabe sein wird, dich diesem eisernen Bestand einzuverleiben. Du wirst bald genug heraushaben, daß das kein be¬ sondres Kunststück ist. Jeder von uns wird allezeit bereit sein — aber wozu red ich von selbstverständlichen Dingen? Für einen Tyrannen hast dn mich doch wohl noch nicht gehalten? Nein, sagte sie lächelnd. Es war ihr aber nicht sehr wohl ums Herz. Sie fühlte ganz deutlich, daß sie etwas verscherzt hatte, was man eigentlich sehr notwendig zum Zusammenleben braucht. Irgend ein feiner Duft war verweht, irgend ein warmer Ton war verklungen. Einen Augenblick kam ihr das stürmische Verlangen, sich ihm in die Arme zu werfen, wie gestern Abend, und ihn zu bitten, flehentlich zu bitten: vergiß, verzeih, sei wieder gut! Aber da hatte er schon die Thür geöffnet: Also wollen wir? und be¬ schämt, dunkel errötend ging sie ihm voran. Er nahm ihren Arm und führte sie den Flur entlang. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/488>, abgerufen am 24.08.2024.