Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Stehendes Heer und Miliz Beruf auf, und der Staat sorgt während seiner Dienstzeit für ihn durch Be¬ Sollten hiernach wirklich die Anforderungen, die man an den Deutschen Das Lob, das Liebknecht dem schweizerischen Heere damit zu spenden Stehendes Heer und Miliz Beruf auf, und der Staat sorgt während seiner Dienstzeit für ihn durch Be¬ Sollten hiernach wirklich die Anforderungen, die man an den Deutschen Das Lob, das Liebknecht dem schweizerischen Heere damit zu spenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220130"/> <fw type="header" place="top"> Stehendes Heer und Miliz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1808" prev="#ID_1807"> Beruf auf, und der Staat sorgt während seiner Dienstzeit für ihn durch Be¬<lb/> köstigung, Löhnung, Kleidung u. s. w. Hat er aber seine Dienstleistung be¬<lb/> endet— wir sprechen hier beispielsweise vom Jnfanteristen, der als Landrekrut<lb/> ausgehoben worden ist —, so hat er während der nächsten vier oder fünf Jahre<lb/> nur noch zwei Übungen zu machen, die längstens je acht Wochen dauern,<lb/> aber meist mit vierzehn Tagen bis vier Wochen abgemacht werden. Dann<lb/> tritt er fünf Jahre in die Landwehr ersten Aufgebots und hat während dieser<lb/> Zeit nur noch zweimal acht bis vierzehn Tage Dienst zu leisten. Mit Er¬<lb/> reichung des zweiuuddreißigsten Lebensjahres ist er aber im Frieden von jeder<lb/> Einberufung befreit. Infolge dieser günstigen Umstände wird es dem jungen<lb/> Mann, der seinen aktiven Militärdienst geleistet hat, in der Regel nicht schwer<lb/> werden, eine Anstellung zu finden, umsomehr als diese aktive Dienstleistung<lb/> mit Recht für eine vorzügliche Lehrzeit gehalten wird, in der sich der junge<lb/> Manu an Ordnung, Pünktlichkeit, Gehorsam gewöhnt, andrerseits sich aber auch<lb/> einen gewissen Grad von Selbständigkeit und Selbstbewußtsein aneignet. Dem¬<lb/> gegenüber erscheinen die Schweizer Verhältnisse durchaus nicht günstiger. Die<lb/> zweijährige ununterbrochne Dienstleistung unmittelbar nach dem Eintritt giebt<lb/> es dort nicht. Infolge dessen giebt der Einberufue seine Stellung oder seine<lb/> Thätigkeit nicht auf, um Soldat zu werden, d. h. um für ein paar Jahre<lb/> einen andern festen Beruf zu ergreifen, sondern er ist nur genötigt, für fünf-<lb/> undvierzig oder sechzig Tage seine Berufsthätigkeit zu unterbrechen. In vielen<lb/> Fällen aber, namentlich im Handwerk, verliert er dadurch seinen Posten und<lb/> muß sich nach dem Militärdienst eine neue Stellung suchen. Bleibt er nun<lb/> Gemeiner, so hat er während der nächsten elf Jahre noch fünfmal einen<lb/> Wiederholungskurs von je zwanzig Tagen durchzumachen; mit zweiunddreißig<lb/> Jahren tritt er für zwölf Jahre in die Landwehr und hat während dieser Zeit<lb/> noch drei Übungen von je fünf Tagen zu leisten. Erst mit vierundvierzig<lb/> Jahren tritt er in den Landsturm, in dem er bis zum funfzigsten Jahre ver¬<lb/> bleibt; wahrscheinlich werden aber auch da uoch Einberufungen, wenn auch<lb/> nur für einen Tag, stattfinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1809"> Sollten hiernach wirklich die Anforderungen, die man an den Deutschen<lb/> stellt, soviel härter und störender für den bürgerlichen Beruf sein als in der<lb/> Schweiz? Wir glauben es nicht. Von den Vorteilen aber, die der Militär¬<lb/> dienst in Deutschland bietet durch die Erlangung der Unteroffizierscharge, die<lb/> die Gründung einer eignen Häuslichkeit gestattet und nach einer Reihe von<lb/> Jahren die Berechtigung zur Anstellung im Zivilstaatsdienst mit Pensions¬<lb/> anspruch verschafft, muß der Schweizer Wehrmann ganz absehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1810" next="#ID_1811"> Das Lob, das Liebknecht dem schweizerischen Heere damit zu spenden<lb/> glaubt, daß er in ihm keinen Unterschied findet zwischen Heer und Bürger¬<lb/> tum, wird vou sachverständiger schweizerischer Seite nicht geteilt; im Gegenteil,<lb/> die Sache wird vielmehr als eine ernste Gefahr für die Ausbildung und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Stehendes Heer und Miliz
Beruf auf, und der Staat sorgt während seiner Dienstzeit für ihn durch Be¬
köstigung, Löhnung, Kleidung u. s. w. Hat er aber seine Dienstleistung be¬
endet— wir sprechen hier beispielsweise vom Jnfanteristen, der als Landrekrut
ausgehoben worden ist —, so hat er während der nächsten vier oder fünf Jahre
nur noch zwei Übungen zu machen, die längstens je acht Wochen dauern,
aber meist mit vierzehn Tagen bis vier Wochen abgemacht werden. Dann
tritt er fünf Jahre in die Landwehr ersten Aufgebots und hat während dieser
Zeit nur noch zweimal acht bis vierzehn Tage Dienst zu leisten. Mit Er¬
reichung des zweiuuddreißigsten Lebensjahres ist er aber im Frieden von jeder
Einberufung befreit. Infolge dieser günstigen Umstände wird es dem jungen
Mann, der seinen aktiven Militärdienst geleistet hat, in der Regel nicht schwer
werden, eine Anstellung zu finden, umsomehr als diese aktive Dienstleistung
mit Recht für eine vorzügliche Lehrzeit gehalten wird, in der sich der junge
Manu an Ordnung, Pünktlichkeit, Gehorsam gewöhnt, andrerseits sich aber auch
einen gewissen Grad von Selbständigkeit und Selbstbewußtsein aneignet. Dem¬
gegenüber erscheinen die Schweizer Verhältnisse durchaus nicht günstiger. Die
zweijährige ununterbrochne Dienstleistung unmittelbar nach dem Eintritt giebt
es dort nicht. Infolge dessen giebt der Einberufue seine Stellung oder seine
Thätigkeit nicht auf, um Soldat zu werden, d. h. um für ein paar Jahre
einen andern festen Beruf zu ergreifen, sondern er ist nur genötigt, für fünf-
undvierzig oder sechzig Tage seine Berufsthätigkeit zu unterbrechen. In vielen
Fällen aber, namentlich im Handwerk, verliert er dadurch seinen Posten und
muß sich nach dem Militärdienst eine neue Stellung suchen. Bleibt er nun
Gemeiner, so hat er während der nächsten elf Jahre noch fünfmal einen
Wiederholungskurs von je zwanzig Tagen durchzumachen; mit zweiunddreißig
Jahren tritt er für zwölf Jahre in die Landwehr und hat während dieser Zeit
noch drei Übungen von je fünf Tagen zu leisten. Erst mit vierundvierzig
Jahren tritt er in den Landsturm, in dem er bis zum funfzigsten Jahre ver¬
bleibt; wahrscheinlich werden aber auch da uoch Einberufungen, wenn auch
nur für einen Tag, stattfinden.
Sollten hiernach wirklich die Anforderungen, die man an den Deutschen
stellt, soviel härter und störender für den bürgerlichen Beruf sein als in der
Schweiz? Wir glauben es nicht. Von den Vorteilen aber, die der Militär¬
dienst in Deutschland bietet durch die Erlangung der Unteroffizierscharge, die
die Gründung einer eignen Häuslichkeit gestattet und nach einer Reihe von
Jahren die Berechtigung zur Anstellung im Zivilstaatsdienst mit Pensions¬
anspruch verschafft, muß der Schweizer Wehrmann ganz absehen.
Das Lob, das Liebknecht dem schweizerischen Heere damit zu spenden
glaubt, daß er in ihm keinen Unterschied findet zwischen Heer und Bürger¬
tum, wird vou sachverständiger schweizerischer Seite nicht geteilt; im Gegenteil,
die Sache wird vielmehr als eine ernste Gefahr für die Ausbildung und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |