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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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ziger Flötist Karl Grenser. es "um 1828" von ..einer Enkelin Bachs" in
Leipzig erworben haben soll, und soll dasselbe sein, das einst Philipp Emanuel
Bach besessen hat. Der starb aber schon 1788; es würden also vierzig Jahre
in der Geschichte des Bildes fehlen. 1788 bis 1828. Außerdem soll das
Bild Philipp Emanuel Bachs ebenfalls von Hausmann gemalt gewesen sein;
das Peterssche aber sieht gar nicht aus wie Hausmann. Auch über seine
Entstehungszeit wissen wir nichts; es ist jetzt auch aus neue Leinwand ge¬
spannt und hat nirgends eine Malerinschrift. Auf dem Petersschen Bilde
trägt Bach die lange, auf dem der Thomasschule schon die kurze Perücke.
Aber daraus läßt sich nicht viel schließen, denn die Wolken- oder Allonge-
Perücke wurde noch lange als Staatsperücke getragen, als schon die kurze
Mode geworden war.

Ohne eigne Bedeutung ist das Berliner Bild, das sich in der Amalien-
bibliothek im Joachimsthalschen Gymnasium befindet und aus dem Besitz der
Prinzessin Anna Amalie. der Schwester Friedrichs des Großen stammt, die
1787 als Äbtissin von Quedlinburg gestorben ist. Es ist von Lisiewski ge¬
malt, aber erst siebenundzwanzig Jahre nach Bachs Tode, schließt sich in
freier Behandlung an das Bild der Thomasschule an und kann nach dem
Urteil derer, die es gesehen haben -- ich selbst habe es nicht gesehen -- sür
die Lösung der vorliegenden Aufgabe nicht in Frage kommen.

Außer den drei erhaltnen Ölbildern giebt es eine Anzahl Stiche und
Lithographien. Wäre unter diesen ein Originalstich, so würde der natürlich
dieselbe Bedeutung zu beanspruchen haben, wie die Originalgemülde. Gingen
sie aber alle nur auf das eine oder andre der vorhandnen Ölbilder zurück, so
wären sie natürlich alle bedeutungslos. Wie der Philolog bei der Gestaltung
eines Textes abweichende Lesarten unberücksichtigt läßt, wenn sie sich in spätern
Handschriften finden, die nachweislich auf vorhandne ältere Handschriften zurück¬
gehen, wie der Philolog solche Abweichungen einfach als Lese- oder Schreib¬
fehler betrachtet, so wird sich auch der Kunstgelehrte bei der Beurteilung eines
Porträts nicht um abweichende Gesichtszüge kümmern, die sich auf spätern
Stichen finden, wenn er die Originale in den Händen hat, auf die die Stiche
zurückgehen. Nun gehen aber, wie man sich leicht überzeugen kann, die vor¬
handnen Stiche und Lithographien sämtlich auf das eine oder andre der beiden
Leipziger Ölbilder zurück. Freilich zeigen sie mehr oder minder große Ab¬
weichungen davon. Der Sichlingsche Stich z. B. nach dem Bilde der Thomas¬
schule zeigt eine etwas sorgfältigere Modellirung des Gesichts als das sehr
en Mas gemalte Original. Noch stärker weicht von dem andern Ölbild ein
1774 erschienener Stich von Kütner ab. aus den wieder andre Stiche zurück¬
gehen. Der Stecher, damals ein junger, wohl noch unfertiger Schüler Bausch,
hat sich offenbar stark verzeichnet, so stark, daß sein Stich beinahe eine Kari¬
katur des Originals geworden ist. Der Unterkiefer und das Kinn sind so


ziger Flötist Karl Grenser. es „um 1828" von ..einer Enkelin Bachs" in
Leipzig erworben haben soll, und soll dasselbe sein, das einst Philipp Emanuel
Bach besessen hat. Der starb aber schon 1788; es würden also vierzig Jahre
in der Geschichte des Bildes fehlen. 1788 bis 1828. Außerdem soll das
Bild Philipp Emanuel Bachs ebenfalls von Hausmann gemalt gewesen sein;
das Peterssche aber sieht gar nicht aus wie Hausmann. Auch über seine
Entstehungszeit wissen wir nichts; es ist jetzt auch aus neue Leinwand ge¬
spannt und hat nirgends eine Malerinschrift. Auf dem Petersschen Bilde
trägt Bach die lange, auf dem der Thomasschule schon die kurze Perücke.
Aber daraus läßt sich nicht viel schließen, denn die Wolken- oder Allonge-
Perücke wurde noch lange als Staatsperücke getragen, als schon die kurze
Mode geworden war.

Ohne eigne Bedeutung ist das Berliner Bild, das sich in der Amalien-
bibliothek im Joachimsthalschen Gymnasium befindet und aus dem Besitz der
Prinzessin Anna Amalie. der Schwester Friedrichs des Großen stammt, die
1787 als Äbtissin von Quedlinburg gestorben ist. Es ist von Lisiewski ge¬
malt, aber erst siebenundzwanzig Jahre nach Bachs Tode, schließt sich in
freier Behandlung an das Bild der Thomasschule an und kann nach dem
Urteil derer, die es gesehen haben — ich selbst habe es nicht gesehen — sür
die Lösung der vorliegenden Aufgabe nicht in Frage kommen.

Außer den drei erhaltnen Ölbildern giebt es eine Anzahl Stiche und
Lithographien. Wäre unter diesen ein Originalstich, so würde der natürlich
dieselbe Bedeutung zu beanspruchen haben, wie die Originalgemülde. Gingen
sie aber alle nur auf das eine oder andre der vorhandnen Ölbilder zurück, so
wären sie natürlich alle bedeutungslos. Wie der Philolog bei der Gestaltung
eines Textes abweichende Lesarten unberücksichtigt läßt, wenn sie sich in spätern
Handschriften finden, die nachweislich auf vorhandne ältere Handschriften zurück¬
gehen, wie der Philolog solche Abweichungen einfach als Lese- oder Schreib¬
fehler betrachtet, so wird sich auch der Kunstgelehrte bei der Beurteilung eines
Porträts nicht um abweichende Gesichtszüge kümmern, die sich auf spätern
Stichen finden, wenn er die Originale in den Händen hat, auf die die Stiche
zurückgehen. Nun gehen aber, wie man sich leicht überzeugen kann, die vor¬
handnen Stiche und Lithographien sämtlich auf das eine oder andre der beiden
Leipziger Ölbilder zurück. Freilich zeigen sie mehr oder minder große Ab¬
weichungen davon. Der Sichlingsche Stich z. B. nach dem Bilde der Thomas¬
schule zeigt eine etwas sorgfältigere Modellirung des Gesichts als das sehr
en Mas gemalte Original. Noch stärker weicht von dem andern Ölbild ein
1774 erschienener Stich von Kütner ab. aus den wieder andre Stiche zurück¬
gehen. Der Stecher, damals ein junger, wohl noch unfertiger Schüler Bausch,
hat sich offenbar stark verzeichnet, so stark, daß sein Stich beinahe eine Kari¬
katur des Originals geworden ist. Der Unterkiefer und das Kinn sind so


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[0429] ziger Flötist Karl Grenser. es „um 1828" von ..einer Enkelin Bachs" in Leipzig erworben haben soll, und soll dasselbe sein, das einst Philipp Emanuel Bach besessen hat. Der starb aber schon 1788; es würden also vierzig Jahre in der Geschichte des Bildes fehlen. 1788 bis 1828. Außerdem soll das Bild Philipp Emanuel Bachs ebenfalls von Hausmann gemalt gewesen sein; das Peterssche aber sieht gar nicht aus wie Hausmann. Auch über seine Entstehungszeit wissen wir nichts; es ist jetzt auch aus neue Leinwand ge¬ spannt und hat nirgends eine Malerinschrift. Auf dem Petersschen Bilde trägt Bach die lange, auf dem der Thomasschule schon die kurze Perücke. Aber daraus läßt sich nicht viel schließen, denn die Wolken- oder Allonge- Perücke wurde noch lange als Staatsperücke getragen, als schon die kurze Mode geworden war. Ohne eigne Bedeutung ist das Berliner Bild, das sich in der Amalien- bibliothek im Joachimsthalschen Gymnasium befindet und aus dem Besitz der Prinzessin Anna Amalie. der Schwester Friedrichs des Großen stammt, die 1787 als Äbtissin von Quedlinburg gestorben ist. Es ist von Lisiewski ge¬ malt, aber erst siebenundzwanzig Jahre nach Bachs Tode, schließt sich in freier Behandlung an das Bild der Thomasschule an und kann nach dem Urteil derer, die es gesehen haben — ich selbst habe es nicht gesehen — sür die Lösung der vorliegenden Aufgabe nicht in Frage kommen. Außer den drei erhaltnen Ölbildern giebt es eine Anzahl Stiche und Lithographien. Wäre unter diesen ein Originalstich, so würde der natürlich dieselbe Bedeutung zu beanspruchen haben, wie die Originalgemülde. Gingen sie aber alle nur auf das eine oder andre der vorhandnen Ölbilder zurück, so wären sie natürlich alle bedeutungslos. Wie der Philolog bei der Gestaltung eines Textes abweichende Lesarten unberücksichtigt läßt, wenn sie sich in spätern Handschriften finden, die nachweislich auf vorhandne ältere Handschriften zurück¬ gehen, wie der Philolog solche Abweichungen einfach als Lese- oder Schreib¬ fehler betrachtet, so wird sich auch der Kunstgelehrte bei der Beurteilung eines Porträts nicht um abweichende Gesichtszüge kümmern, die sich auf spätern Stichen finden, wenn er die Originale in den Händen hat, auf die die Stiche zurückgehen. Nun gehen aber, wie man sich leicht überzeugen kann, die vor¬ handnen Stiche und Lithographien sämtlich auf das eine oder andre der beiden Leipziger Ölbilder zurück. Freilich zeigen sie mehr oder minder große Ab¬ weichungen davon. Der Sichlingsche Stich z. B. nach dem Bilde der Thomas¬ schule zeigt eine etwas sorgfältigere Modellirung des Gesichts als das sehr en Mas gemalte Original. Noch stärker weicht von dem andern Ölbild ein 1774 erschienener Stich von Kütner ab. aus den wieder andre Stiche zurück¬ gehen. Der Stecher, damals ein junger, wohl noch unfertiger Schüler Bausch, hat sich offenbar stark verzeichnet, so stark, daß sein Stich beinahe eine Kari¬ katur des Originals geworden ist. Der Unterkiefer und das Kinn sind so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/429>, abgerufen am 25.08.2024.