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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wirren und Wege

Die Hauptaufgabe wäre die richtige Erziehung der sozial voraussichtlich
brauchbarsten Menschen, derer, in denen der Wille zum Guten und der Unwille
gegen das Böse am lebhaftesten geweckt werden und ein zeitgemäßes, gründliches
Wissen namentlich hinsichtlich der sozialen Frage am leichtesten Eingang finden
kann. Das Rohmaterial, das unsern heutigen Pädagogen unter die klassischen
Finger kommt, kann sicher noch viel ergiebiger ausgebeutet werden. Wieviel In¬
telligenz und Gutwilligkeit geht uns heute noch in den Sackgassen wissenschaft¬
licher Spezialdisziplinen oder hinter dem Scheuleder des Parteifanatismus ver¬
loren ! Wenn die soziale Frage das größte Problem der Zeit ist, so muß man
bereits in den Schulen, in höherem oder geringerem Grade, den jugendlichen Ge¬
mütern den Ernst der Sache näher bringen. Wo er Wurzel faßt, ist nicht nur
helfende, sondern auch werbende Kraft für die Zukunft gewonnen. Man wende
nicht ein, daß unsre Jugend schon genug zu lernen habe. Die Nberbürdungsfrnge
ist zum Schwindel ausgeartet. Muß denn alles auf die liebe Mittelmäßigkeit
zugeschnitten werden? sollen sich unsre fähigsten Köpfe selber den Weg langsam
suchen, oder haben sie nicht auch ein Recht, so früh wie möglich auf den rich¬
tigen Weg der besten Verwendbarkeit ihrer Kräfte - nämlich für soziales und
Politisches Gebiet -- gebracht zu werden? Zu den Ursachen des Untergangs
des römischen Kaiserreichs gehörte, wie Professor Meyer von Halle auf dem
letzten deutschen Historikertag ausführte, der Umstand, daß Erziehung und
Bildung auf die Mittelmäßigkeit berechnet waren, nicht aber auf die Gewinnung
der vorzüglichsten, dem Volksganzen zu gute kommenden Kräfte. "Noch ein
Jahrhundert Leser, und der Geist selber wird stinken," sagt Nietzsche, der ein
sehr treffendes Kapitel über die modernste Dntzendbilduug in seinem Zarathustra
geschrieben hat. Man erschrickt, wenn man die Anmaßlichkeit im Urteilen bei den
sogenannten Gebildeten bemerkt, wenn sie die Rute des Schulmeisters nicht mehr
zu fürchten haben. Und wie wird von der Presse für Verbreitung des Wissens
gesorgt! Welche Verwirrung wird da in Köpfen und Herzen gestiftet! Un¬
glaublich, was z. B. über Nietzsche auf gewalkten Zeitungslumpen gedruckt
worden ist. Unglaublich, mit welcher Oberflächlichkeit und Verlogenheit poli¬
tische oder soziale Tagesfragen in der Presse behandelt werden! Welcher Unfug
mit der öffentlichen Meinung getrieben werden kann, das lohnt sich gegen¬
wärtig bezüglich der Währungsfrage zu studiren. Meisterhafte, möchte man
sagen. Juteressentaktik. das Thema xrobancww, der Preissturz des Silbers
auch bei Doppelwährung, frischweg als xrobkwin zu behandeln, die breite
Masse des Volks aber durch das Schlagwort von agrarischen Sonderinteressen
zu Gunsten der Goldwährung zu stimmen.*)

Ein großer Teil des Preßschwiudels findet ja seine Korrektur durch die



Es giebt aber doch Leute, die aus Überzeugung, und ohne die mindeste Verbindung
mit d D. R. er H-uns um^nos, ans dem Boden der Goldwährung stehen.
Wirren und Wege

Die Hauptaufgabe wäre die richtige Erziehung der sozial voraussichtlich
brauchbarsten Menschen, derer, in denen der Wille zum Guten und der Unwille
gegen das Böse am lebhaftesten geweckt werden und ein zeitgemäßes, gründliches
Wissen namentlich hinsichtlich der sozialen Frage am leichtesten Eingang finden
kann. Das Rohmaterial, das unsern heutigen Pädagogen unter die klassischen
Finger kommt, kann sicher noch viel ergiebiger ausgebeutet werden. Wieviel In¬
telligenz und Gutwilligkeit geht uns heute noch in den Sackgassen wissenschaft¬
licher Spezialdisziplinen oder hinter dem Scheuleder des Parteifanatismus ver¬
loren ! Wenn die soziale Frage das größte Problem der Zeit ist, so muß man
bereits in den Schulen, in höherem oder geringerem Grade, den jugendlichen Ge¬
mütern den Ernst der Sache näher bringen. Wo er Wurzel faßt, ist nicht nur
helfende, sondern auch werbende Kraft für die Zukunft gewonnen. Man wende
nicht ein, daß unsre Jugend schon genug zu lernen habe. Die Nberbürdungsfrnge
ist zum Schwindel ausgeartet. Muß denn alles auf die liebe Mittelmäßigkeit
zugeschnitten werden? sollen sich unsre fähigsten Köpfe selber den Weg langsam
suchen, oder haben sie nicht auch ein Recht, so früh wie möglich auf den rich¬
tigen Weg der besten Verwendbarkeit ihrer Kräfte - nämlich für soziales und
Politisches Gebiet — gebracht zu werden? Zu den Ursachen des Untergangs
des römischen Kaiserreichs gehörte, wie Professor Meyer von Halle auf dem
letzten deutschen Historikertag ausführte, der Umstand, daß Erziehung und
Bildung auf die Mittelmäßigkeit berechnet waren, nicht aber auf die Gewinnung
der vorzüglichsten, dem Volksganzen zu gute kommenden Kräfte. „Noch ein
Jahrhundert Leser, und der Geist selber wird stinken," sagt Nietzsche, der ein
sehr treffendes Kapitel über die modernste Dntzendbilduug in seinem Zarathustra
geschrieben hat. Man erschrickt, wenn man die Anmaßlichkeit im Urteilen bei den
sogenannten Gebildeten bemerkt, wenn sie die Rute des Schulmeisters nicht mehr
zu fürchten haben. Und wie wird von der Presse für Verbreitung des Wissens
gesorgt! Welche Verwirrung wird da in Köpfen und Herzen gestiftet! Un¬
glaublich, was z. B. über Nietzsche auf gewalkten Zeitungslumpen gedruckt
worden ist. Unglaublich, mit welcher Oberflächlichkeit und Verlogenheit poli¬
tische oder soziale Tagesfragen in der Presse behandelt werden! Welcher Unfug
mit der öffentlichen Meinung getrieben werden kann, das lohnt sich gegen¬
wärtig bezüglich der Währungsfrage zu studiren. Meisterhafte, möchte man
sagen. Juteressentaktik. das Thema xrobancww, der Preissturz des Silbers
auch bei Doppelwährung, frischweg als xrobkwin zu behandeln, die breite
Masse des Volks aber durch das Schlagwort von agrarischen Sonderinteressen
zu Gunsten der Goldwährung zu stimmen.*)

Ein großer Teil des Preßschwiudels findet ja seine Korrektur durch die



Es giebt aber doch Leute, die aus Überzeugung, und ohne die mindeste Verbindung
mit d D. R. er H-uns um^nos, ans dem Boden der Goldwährung stehen.
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[0405] Wirren und Wege Die Hauptaufgabe wäre die richtige Erziehung der sozial voraussichtlich brauchbarsten Menschen, derer, in denen der Wille zum Guten und der Unwille gegen das Böse am lebhaftesten geweckt werden und ein zeitgemäßes, gründliches Wissen namentlich hinsichtlich der sozialen Frage am leichtesten Eingang finden kann. Das Rohmaterial, das unsern heutigen Pädagogen unter die klassischen Finger kommt, kann sicher noch viel ergiebiger ausgebeutet werden. Wieviel In¬ telligenz und Gutwilligkeit geht uns heute noch in den Sackgassen wissenschaft¬ licher Spezialdisziplinen oder hinter dem Scheuleder des Parteifanatismus ver¬ loren ! Wenn die soziale Frage das größte Problem der Zeit ist, so muß man bereits in den Schulen, in höherem oder geringerem Grade, den jugendlichen Ge¬ mütern den Ernst der Sache näher bringen. Wo er Wurzel faßt, ist nicht nur helfende, sondern auch werbende Kraft für die Zukunft gewonnen. Man wende nicht ein, daß unsre Jugend schon genug zu lernen habe. Die Nberbürdungsfrnge ist zum Schwindel ausgeartet. Muß denn alles auf die liebe Mittelmäßigkeit zugeschnitten werden? sollen sich unsre fähigsten Köpfe selber den Weg langsam suchen, oder haben sie nicht auch ein Recht, so früh wie möglich auf den rich¬ tigen Weg der besten Verwendbarkeit ihrer Kräfte - nämlich für soziales und Politisches Gebiet — gebracht zu werden? Zu den Ursachen des Untergangs des römischen Kaiserreichs gehörte, wie Professor Meyer von Halle auf dem letzten deutschen Historikertag ausführte, der Umstand, daß Erziehung und Bildung auf die Mittelmäßigkeit berechnet waren, nicht aber auf die Gewinnung der vorzüglichsten, dem Volksganzen zu gute kommenden Kräfte. „Noch ein Jahrhundert Leser, und der Geist selber wird stinken," sagt Nietzsche, der ein sehr treffendes Kapitel über die modernste Dntzendbilduug in seinem Zarathustra geschrieben hat. Man erschrickt, wenn man die Anmaßlichkeit im Urteilen bei den sogenannten Gebildeten bemerkt, wenn sie die Rute des Schulmeisters nicht mehr zu fürchten haben. Und wie wird von der Presse für Verbreitung des Wissens gesorgt! Welche Verwirrung wird da in Köpfen und Herzen gestiftet! Un¬ glaublich, was z. B. über Nietzsche auf gewalkten Zeitungslumpen gedruckt worden ist. Unglaublich, mit welcher Oberflächlichkeit und Verlogenheit poli¬ tische oder soziale Tagesfragen in der Presse behandelt werden! Welcher Unfug mit der öffentlichen Meinung getrieben werden kann, das lohnt sich gegen¬ wärtig bezüglich der Währungsfrage zu studiren. Meisterhafte, möchte man sagen. Juteressentaktik. das Thema xrobancww, der Preissturz des Silbers auch bei Doppelwährung, frischweg als xrobkwin zu behandeln, die breite Masse des Volks aber durch das Schlagwort von agrarischen Sonderinteressen zu Gunsten der Goldwährung zu stimmen.*) Ein großer Teil des Preßschwiudels findet ja seine Korrektur durch die Es giebt aber doch Leute, die aus Überzeugung, und ohne die mindeste Verbindung mit d D. R. er H-uns um^nos, ans dem Boden der Goldwährung stehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/405>, abgerufen am 24.08.2024.