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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Susi

Jetzt kann Brenken der Hoheit vorflunkern, daß er das Odium des Treu¬
bruchs der Baronin auf sich genommen habe. Der Herzog seinerseits würde sich
dadurch sehr erleichtert fühlen, wenn nur Astolf, der an dem verhängnisvollen
Abend wieder nach Ostpreußen abgereist ist, aus seinem Schweigen hervor¬
treten und Breuken als Schänder seiner Ehre vor die Pistole fordern wollte.
Aber Vachta regt sich zunächst nicht, Brenken läuft lebendig herum, und für
den Herzog wird es "positiv unheimlich, einen Menschen zu sehen, mit einem
Menschen zu sprechen, der nach dem natürlichen Verlauf der Dinge gar nicht
mehr leben konnte." Er hält den Zustand der Dinge nicht länger aus, und
da er -- freilich eine etwas wunderliche Täuschung für den vielseitigen fürst¬
lichen Herrn -- auch nicht einmal auf den naheliegenden Gedanken kommt,
daß Brenken, statt sich für ihn zu opfern, ihn verraten haben könnte, so schreibt
er schließlich einen Brief an den Jugendfreund, spricht sein Bedauern über den
traurigen Fall aus, erklärt, daß er Astvlfs Zurückziehen in die Ferne begreife,
aber nach einer Aussprache mit ihm verlange, und lädt ihn auf einen bestimmten
Tag zu einer Jagd, bei der die bewußte Unterredung stattfinden soll.

Da werden bei Astolf Vachta finstere Rachegedanken, die er seit jenem
Abend in sich wälzt, zum Entschluß: "Der Mensch, der nicht einmal den Mut
seiner Schlechtigkeit hatte, der feig genug war, seine Schuld einem seiner
Sklaven auszuwalzen, der verdient nicht, zu leben, den dürfte man totschlagen
wie eiuen tollen Hund." Mit dem Vorsatz, so zu thun, bricht der Baron nach
Vachta auf, fährt durch Schuee und Nebel zu der bestimmten Zusammenkunft
bei der großen Eiche am Nödaer Loch und bleibt, nachdem das eigentliche
Treiben auf Schwarzwild vorüber ist, mit dem Herzog allein. Der schuldige
Fürst hat beim ersten Erblicken des Jugendfreundes gesehen, daß dieser alles
weiß, und es kommt zu einer furchtbaren Szene zwischen den beiden Männern.
Astolf ruft dem Herzog zu, sich zu wehren, wenn er nicht erschlagen sein wolle.
Da, im letzten Augenblick, bricht ein vom Herzog angeschossener Eber durch die
Meute und gerade auf den vor Schrecken regungslosen Herzog los; Herr
von Vachta, einem Instinkt seiner Natur gehorchend, wirft sich zwischen das
rasende Tier und deu Bedrohten, nicht anders, "als wie er in einem Kampf
auf Tod und Leben seinen Gegner mit Aufopferung des eignen Lebens vor
einer heranbrausenden Lokomotive von den Schienen zu reißen versucht haben
würde." Er findet dabei sein Ende, ohne zum Mörder und Selbstmörder ge¬
worden zu sein, Hoheit kann dem treuen Freunde, der für seinen Landesherrn
gestorben ist, einen pomphaften Nachruf widmen, und der Weg zu der schönen
und reichen Witwe ist für Herrn von Brenken frei.

Niemand wird behaupten, daß ihm nach der Lesung dieser Erzählung be¬
sonders wohl zu Mute sei, oder daß er tragische Erhebung verspüre. Die
Katharsis in dieser Tragödie bleibt auch für die bescheidensten Ansprüche zu
dürftig, so lebendig und fesselnd auch die Dinge entwickelt und erzählt, so


Susi

Jetzt kann Brenken der Hoheit vorflunkern, daß er das Odium des Treu¬
bruchs der Baronin auf sich genommen habe. Der Herzog seinerseits würde sich
dadurch sehr erleichtert fühlen, wenn nur Astolf, der an dem verhängnisvollen
Abend wieder nach Ostpreußen abgereist ist, aus seinem Schweigen hervor¬
treten und Breuken als Schänder seiner Ehre vor die Pistole fordern wollte.
Aber Vachta regt sich zunächst nicht, Brenken läuft lebendig herum, und für
den Herzog wird es „positiv unheimlich, einen Menschen zu sehen, mit einem
Menschen zu sprechen, der nach dem natürlichen Verlauf der Dinge gar nicht
mehr leben konnte." Er hält den Zustand der Dinge nicht länger aus, und
da er — freilich eine etwas wunderliche Täuschung für den vielseitigen fürst¬
lichen Herrn — auch nicht einmal auf den naheliegenden Gedanken kommt,
daß Brenken, statt sich für ihn zu opfern, ihn verraten haben könnte, so schreibt
er schließlich einen Brief an den Jugendfreund, spricht sein Bedauern über den
traurigen Fall aus, erklärt, daß er Astvlfs Zurückziehen in die Ferne begreife,
aber nach einer Aussprache mit ihm verlange, und lädt ihn auf einen bestimmten
Tag zu einer Jagd, bei der die bewußte Unterredung stattfinden soll.

Da werden bei Astolf Vachta finstere Rachegedanken, die er seit jenem
Abend in sich wälzt, zum Entschluß: „Der Mensch, der nicht einmal den Mut
seiner Schlechtigkeit hatte, der feig genug war, seine Schuld einem seiner
Sklaven auszuwalzen, der verdient nicht, zu leben, den dürfte man totschlagen
wie eiuen tollen Hund." Mit dem Vorsatz, so zu thun, bricht der Baron nach
Vachta auf, fährt durch Schuee und Nebel zu der bestimmten Zusammenkunft
bei der großen Eiche am Nödaer Loch und bleibt, nachdem das eigentliche
Treiben auf Schwarzwild vorüber ist, mit dem Herzog allein. Der schuldige
Fürst hat beim ersten Erblicken des Jugendfreundes gesehen, daß dieser alles
weiß, und es kommt zu einer furchtbaren Szene zwischen den beiden Männern.
Astolf ruft dem Herzog zu, sich zu wehren, wenn er nicht erschlagen sein wolle.
Da, im letzten Augenblick, bricht ein vom Herzog angeschossener Eber durch die
Meute und gerade auf den vor Schrecken regungslosen Herzog los; Herr
von Vachta, einem Instinkt seiner Natur gehorchend, wirft sich zwischen das
rasende Tier und deu Bedrohten, nicht anders, „als wie er in einem Kampf
auf Tod und Leben seinen Gegner mit Aufopferung des eignen Lebens vor
einer heranbrausenden Lokomotive von den Schienen zu reißen versucht haben
würde." Er findet dabei sein Ende, ohne zum Mörder und Selbstmörder ge¬
worden zu sein, Hoheit kann dem treuen Freunde, der für seinen Landesherrn
gestorben ist, einen pomphaften Nachruf widmen, und der Weg zu der schönen
und reichen Witwe ist für Herrn von Brenken frei.

Niemand wird behaupten, daß ihm nach der Lesung dieser Erzählung be¬
sonders wohl zu Mute sei, oder daß er tragische Erhebung verspüre. Die
Katharsis in dieser Tragödie bleibt auch für die bescheidensten Ansprüche zu
dürftig, so lebendig und fesselnd auch die Dinge entwickelt und erzählt, so


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[0384] Susi Jetzt kann Brenken der Hoheit vorflunkern, daß er das Odium des Treu¬ bruchs der Baronin auf sich genommen habe. Der Herzog seinerseits würde sich dadurch sehr erleichtert fühlen, wenn nur Astolf, der an dem verhängnisvollen Abend wieder nach Ostpreußen abgereist ist, aus seinem Schweigen hervor¬ treten und Breuken als Schänder seiner Ehre vor die Pistole fordern wollte. Aber Vachta regt sich zunächst nicht, Brenken läuft lebendig herum, und für den Herzog wird es „positiv unheimlich, einen Menschen zu sehen, mit einem Menschen zu sprechen, der nach dem natürlichen Verlauf der Dinge gar nicht mehr leben konnte." Er hält den Zustand der Dinge nicht länger aus, und da er — freilich eine etwas wunderliche Täuschung für den vielseitigen fürst¬ lichen Herrn — auch nicht einmal auf den naheliegenden Gedanken kommt, daß Brenken, statt sich für ihn zu opfern, ihn verraten haben könnte, so schreibt er schließlich einen Brief an den Jugendfreund, spricht sein Bedauern über den traurigen Fall aus, erklärt, daß er Astvlfs Zurückziehen in die Ferne begreife, aber nach einer Aussprache mit ihm verlange, und lädt ihn auf einen bestimmten Tag zu einer Jagd, bei der die bewußte Unterredung stattfinden soll. Da werden bei Astolf Vachta finstere Rachegedanken, die er seit jenem Abend in sich wälzt, zum Entschluß: „Der Mensch, der nicht einmal den Mut seiner Schlechtigkeit hatte, der feig genug war, seine Schuld einem seiner Sklaven auszuwalzen, der verdient nicht, zu leben, den dürfte man totschlagen wie eiuen tollen Hund." Mit dem Vorsatz, so zu thun, bricht der Baron nach Vachta auf, fährt durch Schuee und Nebel zu der bestimmten Zusammenkunft bei der großen Eiche am Nödaer Loch und bleibt, nachdem das eigentliche Treiben auf Schwarzwild vorüber ist, mit dem Herzog allein. Der schuldige Fürst hat beim ersten Erblicken des Jugendfreundes gesehen, daß dieser alles weiß, und es kommt zu einer furchtbaren Szene zwischen den beiden Männern. Astolf ruft dem Herzog zu, sich zu wehren, wenn er nicht erschlagen sein wolle. Da, im letzten Augenblick, bricht ein vom Herzog angeschossener Eber durch die Meute und gerade auf den vor Schrecken regungslosen Herzog los; Herr von Vachta, einem Instinkt seiner Natur gehorchend, wirft sich zwischen das rasende Tier und deu Bedrohten, nicht anders, „als wie er in einem Kampf auf Tod und Leben seinen Gegner mit Aufopferung des eignen Lebens vor einer heranbrausenden Lokomotive von den Schienen zu reißen versucht haben würde." Er findet dabei sein Ende, ohne zum Mörder und Selbstmörder ge¬ worden zu sein, Hoheit kann dem treuen Freunde, der für seinen Landesherrn gestorben ist, einen pomphaften Nachruf widmen, und der Weg zu der schönen und reichen Witwe ist für Herrn von Brenken frei. Niemand wird behaupten, daß ihm nach der Lesung dieser Erzählung be¬ sonders wohl zu Mute sei, oder daß er tragische Erhebung verspüre. Die Katharsis in dieser Tragödie bleibt auch für die bescheidensten Ansprüche zu dürftig, so lebendig und fesselnd auch die Dinge entwickelt und erzählt, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/384>, abgerufen am 27.08.2024.