Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Susi greulichen Beispiele, die Modelle zu des Dichters Gestalten an den Fingern Doch unsre Leser, die Spielhagcns "Sufi" zur Zeit noch nicht gelesen Susi greulichen Beispiele, die Modelle zu des Dichters Gestalten an den Fingern Doch unsre Leser, die Spielhagcns „Sufi" zur Zeit noch nicht gelesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220057"/> <fw type="header" place="top"> Susi</fw><lb/> <p xml:id="ID_1388" prev="#ID_1387"> greulichen Beispiele, die Modelle zu des Dichters Gestalten an den Fingern<lb/> herzählen. Freilich wird sich aber auch jeder nachdenkliche Leser sagen, daß<lb/> die Mauer, mit der sich die beiden Herrschaften brüsten, doch ihre Lücken haben<lb/> muß und wird, daß unfehlbar eine stumme Nemesis über oder in ihnen waltet,<lb/> und daß es die Dichter früherer Tage unter anderm zu ihren Aufgaben rech¬<lb/> neten, den Leser etwas von dem tiefern Zusammenhang der Dinge oder der<lb/> verborgnen Weiterwirkung aller Vergangenheit sehen oder ahnen zu lassen.<lb/> Natürlich meinen wir nicht, daß sich die Tugend zu Tisch setzen solle, wahrend<lb/> sich das Laster erbricht, nein, wir wissen mit unsern weltklug gewordnen<lb/> Dichtern recht gut, daß das Laster sehr oft beim Bacchanal des Lebens setzen<lb/> bleibt, und daß es ihm weiter schmeckt. Aber dem tiefer dringenden Auge<lb/> wird die Falte um seinen Mund doch nicht entgehen, und wenn es keiner als<lb/> der Dichter fühlte, so müßte er die andern fühlen lehren, daß der Schatten<lb/> Astolfs von Vachta nicht wie der tote Körper in der Familiengruft verweilen<lb/> wird. Die Artikel des „Volksboden" sind ein trauriges Surrogat für die<lb/> poetische Wahrheit im höhern Sinne. Volksboden haben es in der Gewohnheit,<lb/> zu lügen und zu verleumden, Frau Susi und Herrn von Brenken kann gar<lb/> nichts besseres geschehen, als daß sie. mit bessern Leuten zusammen, dem<lb/> schnöden Scherbengericht eines Volksboden verfielen. Die poetische Gerechtigkeit,<lb/> die wir meinen, liegt wo ganz anders. Und es ist eine der bedenklichsten<lb/> Konsequenzen der herrschenden Manier, die die Einzelstndie an Stelle des<lb/> Bildes, die Episode an Stelle des Epos setzt, daß in diesem engen Rahmen<lb/> die Forderung unerfüllt bleiben muß, etwas weiter zu blicken, als nach dem,<lb/> was gerade zunächst geschehen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Doch unsre Leser, die Spielhagcns „Sufi" zur Zeit noch nicht gelesen<lb/> haben, wissen ja gar nicht, wovon eigentlich die Rede ist. Der Roman beginnt<lb/> auf dein Schlosse Vachta, dem Stamm- und Wohnsitz des Barons Astolf<lb/> von Vachta, des ersten und in einem tiefern Sinne vielleicht des einzigen<lb/> Edelmanns eines kleinen mitteldeutschen Herzogtums. Baron Astolf ist mit<lb/> der schönen Susi, der Tochter eines reichen und ritterlichen ostpreußischen<lb/> Grafen, vermählt und feiert den ersten Geburtstag seines Töchterchens Aux.<lb/> Der Landesherr, der Astolfs Jugendfreund ist, macht es über hundert Hindernisse<lb/> hinweg möglich, seinen Getreuen an diesem Tage mit einem persönlichen Besuch<lb/> zu beehren und seinem Patchcn. Astolfs und Susis Kinde, ein kostbares Dia-<lb/> mnntkreuz zu überbringen. Aus der ..zarten Aufmerksamkeit." unmittelbar von<lb/> der Bahn nach Schloß Vachta zu kommen, ohne auch nnr an seinem eignen<lb/> Residenzschloß vorzufahren, schließt die ganze versammelte Gesellschaft, daß des<lb/> Herzogs Leidenschaft für die junge Baronin Susi bedeutend gestiegen sei, und<lb/> entnimmt die schöne junge Frau selbst, daß sie vor einer Entscheidung stehe.<lb/> Sie ist ihres braven, vorzüglichen, aber lächerlich idealistischen Gemahls<lb/> schon vollkommen überdrüssig. Und daß Astolf Vachta die Liebe des Herzogs</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0381]
Susi
greulichen Beispiele, die Modelle zu des Dichters Gestalten an den Fingern
herzählen. Freilich wird sich aber auch jeder nachdenkliche Leser sagen, daß
die Mauer, mit der sich die beiden Herrschaften brüsten, doch ihre Lücken haben
muß und wird, daß unfehlbar eine stumme Nemesis über oder in ihnen waltet,
und daß es die Dichter früherer Tage unter anderm zu ihren Aufgaben rech¬
neten, den Leser etwas von dem tiefern Zusammenhang der Dinge oder der
verborgnen Weiterwirkung aller Vergangenheit sehen oder ahnen zu lassen.
Natürlich meinen wir nicht, daß sich die Tugend zu Tisch setzen solle, wahrend
sich das Laster erbricht, nein, wir wissen mit unsern weltklug gewordnen
Dichtern recht gut, daß das Laster sehr oft beim Bacchanal des Lebens setzen
bleibt, und daß es ihm weiter schmeckt. Aber dem tiefer dringenden Auge
wird die Falte um seinen Mund doch nicht entgehen, und wenn es keiner als
der Dichter fühlte, so müßte er die andern fühlen lehren, daß der Schatten
Astolfs von Vachta nicht wie der tote Körper in der Familiengruft verweilen
wird. Die Artikel des „Volksboden" sind ein trauriges Surrogat für die
poetische Wahrheit im höhern Sinne. Volksboden haben es in der Gewohnheit,
zu lügen und zu verleumden, Frau Susi und Herrn von Brenken kann gar
nichts besseres geschehen, als daß sie. mit bessern Leuten zusammen, dem
schnöden Scherbengericht eines Volksboden verfielen. Die poetische Gerechtigkeit,
die wir meinen, liegt wo ganz anders. Und es ist eine der bedenklichsten
Konsequenzen der herrschenden Manier, die die Einzelstndie an Stelle des
Bildes, die Episode an Stelle des Epos setzt, daß in diesem engen Rahmen
die Forderung unerfüllt bleiben muß, etwas weiter zu blicken, als nach dem,
was gerade zunächst geschehen wird.
Doch unsre Leser, die Spielhagcns „Sufi" zur Zeit noch nicht gelesen
haben, wissen ja gar nicht, wovon eigentlich die Rede ist. Der Roman beginnt
auf dein Schlosse Vachta, dem Stamm- und Wohnsitz des Barons Astolf
von Vachta, des ersten und in einem tiefern Sinne vielleicht des einzigen
Edelmanns eines kleinen mitteldeutschen Herzogtums. Baron Astolf ist mit
der schönen Susi, der Tochter eines reichen und ritterlichen ostpreußischen
Grafen, vermählt und feiert den ersten Geburtstag seines Töchterchens Aux.
Der Landesherr, der Astolfs Jugendfreund ist, macht es über hundert Hindernisse
hinweg möglich, seinen Getreuen an diesem Tage mit einem persönlichen Besuch
zu beehren und seinem Patchcn. Astolfs und Susis Kinde, ein kostbares Dia-
mnntkreuz zu überbringen. Aus der ..zarten Aufmerksamkeit." unmittelbar von
der Bahn nach Schloß Vachta zu kommen, ohne auch nnr an seinem eignen
Residenzschloß vorzufahren, schließt die ganze versammelte Gesellschaft, daß des
Herzogs Leidenschaft für die junge Baronin Susi bedeutend gestiegen sei, und
entnimmt die schöne junge Frau selbst, daß sie vor einer Entscheidung stehe.
Sie ist ihres braven, vorzüglichen, aber lächerlich idealistischen Gemahls
schon vollkommen überdrüssig. Und daß Astolf Vachta die Liebe des Herzogs
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