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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnornngen

diesem Erlebnis geworden! Hanslick macht uns zu Zeugen eines reizenden
klösterlichen Idylls, dessen Reinheit und Anmut nicht ein Gedanke trübt.

Überaus peinlich und gewissenhaft ist er in Geldsachen. Der bloße Ge¬
danke, Schulden zu haben, ist ihm unerträglich. Diese Genauigkeit wird fast
zur Pedanterie, sie überträgt sich aber auch auf seinen Beruf und führt ihn
dort zu Grundsätzen, die jeder Kritiker mit goldnen Buchstaben über seinen
Arbeitstisch schreiben sollte. Für eine vorwiegend energische Natur hält sich
Hanslick selber nicht. Er spricht von der "weichen Empfindlichkeit seines
Charakters." Der Politik als solcher steht er fern, doch ist er zu sehr ein
Kind seiner Zeit, um nicht an den weltbewegenden Ereignissen lebhaft Anteil
zu nehmen. Der Österreicher und der Deutsche kämpfen in seiner Brust eiuen
harten und wohl nicht ganz zur Entscheidung gekommnen Kampf. Schon als
Gymnasiast in Prag hat er drei Wünsche, die er als seine höchsten zu be¬
zeichnen pflegte: "eine Konstitution sür Österreich, ein einiges deutsches Reich
mit Elsaß-Lothringen und das Aufhören der Papstherrschaft." Das Jahr 1866
bringt ihm wie allen Gleichgesinnten schwere innere Konflikte, aber 1870
triumphirt er Tag für Tag mit den Erfolgen der deutschen Armee, und wenn
er 1875 nach Stmßbnrg kommt, begrüßt er mit Jubel jeden Reichsadler auf
den Gebäuden der wieder deutsch gewordnen Stadt.

Fremde Menschen weiß er wohl zu klassifiziren nach ihrem Werte. Be¬
gegnet ihm ein Mann von Bedeutung, so entgeht ihm das nicht, wenn auch
die ganze übrige Umgebung in Kurzsichtigkeit verharrt (vergl. sein Urteil über
Arthur von Görgei). Trifft er, wie bei Fanny Lewald und ihrem Gatten
Adolf Senahr, auf Schwächen, das heißt in diesem Falle auf eitle gegenseitige
Verhimmelung, so merkt er das durch alle Artigkeit und allen Geist hindurch.

Über seine eignen Fähigkeiten ist er sich selbst klar. Er weiß, daß er
nicht das Zeug hat, bedeutendes als ausübender Künstler zu leisten, und so
wird er Beamter. Die feste Stellung giebt er erst dann auf, nachdem er vor
sich selbst und vor andern Beweise einer ungewöhnlichen kritischen und ästhe¬
tischen Begabung abgelegt hat.

Der Kritiker Hanslick entwickelt sich aus bescheidnen Anfängen. Erst
schreibt er kleine, unansehnliche Konzertberichte für ein Prager Journal, und
in Wien ist er glücklich, für eine Musikzeitung dann und wann weit draußen
in der Vorstadt einige Lieder und Klavierstücke gratis hören und kritisiren zu
dürfen. Nach und nach avamirt er zum kärglich besoldeten Referenten der
Wiener Zeitung, dann eine Stufe höher zur Presse, um schließlich in der neu
gegründeten Neuen freien Presse das ersehnte Ziel: volle Freiheit im Aus¬
sprechen seiner Meinung, einen großen Leserkreis und wohl auch ein anstän¬
diges Honorar zu finden.

Die Grundsätze, durch die sich Hanslick in seiner Thätigkeit leiten läßt,
und seine Ansichten über den Vruf des Kritikers überhaupt sind sehr be-


Eduard Hanslicks Lebenserinnornngen

diesem Erlebnis geworden! Hanslick macht uns zu Zeugen eines reizenden
klösterlichen Idylls, dessen Reinheit und Anmut nicht ein Gedanke trübt.

Überaus peinlich und gewissenhaft ist er in Geldsachen. Der bloße Ge¬
danke, Schulden zu haben, ist ihm unerträglich. Diese Genauigkeit wird fast
zur Pedanterie, sie überträgt sich aber auch auf seinen Beruf und führt ihn
dort zu Grundsätzen, die jeder Kritiker mit goldnen Buchstaben über seinen
Arbeitstisch schreiben sollte. Für eine vorwiegend energische Natur hält sich
Hanslick selber nicht. Er spricht von der „weichen Empfindlichkeit seines
Charakters." Der Politik als solcher steht er fern, doch ist er zu sehr ein
Kind seiner Zeit, um nicht an den weltbewegenden Ereignissen lebhaft Anteil
zu nehmen. Der Österreicher und der Deutsche kämpfen in seiner Brust eiuen
harten und wohl nicht ganz zur Entscheidung gekommnen Kampf. Schon als
Gymnasiast in Prag hat er drei Wünsche, die er als seine höchsten zu be¬
zeichnen pflegte: „eine Konstitution sür Österreich, ein einiges deutsches Reich
mit Elsaß-Lothringen und das Aufhören der Papstherrschaft." Das Jahr 1866
bringt ihm wie allen Gleichgesinnten schwere innere Konflikte, aber 1870
triumphirt er Tag für Tag mit den Erfolgen der deutschen Armee, und wenn
er 1875 nach Stmßbnrg kommt, begrüßt er mit Jubel jeden Reichsadler auf
den Gebäuden der wieder deutsch gewordnen Stadt.

Fremde Menschen weiß er wohl zu klassifiziren nach ihrem Werte. Be¬
gegnet ihm ein Mann von Bedeutung, so entgeht ihm das nicht, wenn auch
die ganze übrige Umgebung in Kurzsichtigkeit verharrt (vergl. sein Urteil über
Arthur von Görgei). Trifft er, wie bei Fanny Lewald und ihrem Gatten
Adolf Senahr, auf Schwächen, das heißt in diesem Falle auf eitle gegenseitige
Verhimmelung, so merkt er das durch alle Artigkeit und allen Geist hindurch.

Über seine eignen Fähigkeiten ist er sich selbst klar. Er weiß, daß er
nicht das Zeug hat, bedeutendes als ausübender Künstler zu leisten, und so
wird er Beamter. Die feste Stellung giebt er erst dann auf, nachdem er vor
sich selbst und vor andern Beweise einer ungewöhnlichen kritischen und ästhe¬
tischen Begabung abgelegt hat.

Der Kritiker Hanslick entwickelt sich aus bescheidnen Anfängen. Erst
schreibt er kleine, unansehnliche Konzertberichte für ein Prager Journal, und
in Wien ist er glücklich, für eine Musikzeitung dann und wann weit draußen
in der Vorstadt einige Lieder und Klavierstücke gratis hören und kritisiren zu
dürfen. Nach und nach avamirt er zum kärglich besoldeten Referenten der
Wiener Zeitung, dann eine Stufe höher zur Presse, um schließlich in der neu
gegründeten Neuen freien Presse das ersehnte Ziel: volle Freiheit im Aus¬
sprechen seiner Meinung, einen großen Leserkreis und wohl auch ein anstän¬
diges Honorar zu finden.

Die Grundsätze, durch die sich Hanslick in seiner Thätigkeit leiten läßt,
und seine Ansichten über den Vruf des Kritikers überhaupt sind sehr be-


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[0331] Eduard Hanslicks Lebenserinnornngen diesem Erlebnis geworden! Hanslick macht uns zu Zeugen eines reizenden klösterlichen Idylls, dessen Reinheit und Anmut nicht ein Gedanke trübt. Überaus peinlich und gewissenhaft ist er in Geldsachen. Der bloße Ge¬ danke, Schulden zu haben, ist ihm unerträglich. Diese Genauigkeit wird fast zur Pedanterie, sie überträgt sich aber auch auf seinen Beruf und führt ihn dort zu Grundsätzen, die jeder Kritiker mit goldnen Buchstaben über seinen Arbeitstisch schreiben sollte. Für eine vorwiegend energische Natur hält sich Hanslick selber nicht. Er spricht von der „weichen Empfindlichkeit seines Charakters." Der Politik als solcher steht er fern, doch ist er zu sehr ein Kind seiner Zeit, um nicht an den weltbewegenden Ereignissen lebhaft Anteil zu nehmen. Der Österreicher und der Deutsche kämpfen in seiner Brust eiuen harten und wohl nicht ganz zur Entscheidung gekommnen Kampf. Schon als Gymnasiast in Prag hat er drei Wünsche, die er als seine höchsten zu be¬ zeichnen pflegte: „eine Konstitution sür Österreich, ein einiges deutsches Reich mit Elsaß-Lothringen und das Aufhören der Papstherrschaft." Das Jahr 1866 bringt ihm wie allen Gleichgesinnten schwere innere Konflikte, aber 1870 triumphirt er Tag für Tag mit den Erfolgen der deutschen Armee, und wenn er 1875 nach Stmßbnrg kommt, begrüßt er mit Jubel jeden Reichsadler auf den Gebäuden der wieder deutsch gewordnen Stadt. Fremde Menschen weiß er wohl zu klassifiziren nach ihrem Werte. Be¬ gegnet ihm ein Mann von Bedeutung, so entgeht ihm das nicht, wenn auch die ganze übrige Umgebung in Kurzsichtigkeit verharrt (vergl. sein Urteil über Arthur von Görgei). Trifft er, wie bei Fanny Lewald und ihrem Gatten Adolf Senahr, auf Schwächen, das heißt in diesem Falle auf eitle gegenseitige Verhimmelung, so merkt er das durch alle Artigkeit und allen Geist hindurch. Über seine eignen Fähigkeiten ist er sich selbst klar. Er weiß, daß er nicht das Zeug hat, bedeutendes als ausübender Künstler zu leisten, und so wird er Beamter. Die feste Stellung giebt er erst dann auf, nachdem er vor sich selbst und vor andern Beweise einer ungewöhnlichen kritischen und ästhe¬ tischen Begabung abgelegt hat. Der Kritiker Hanslick entwickelt sich aus bescheidnen Anfängen. Erst schreibt er kleine, unansehnliche Konzertberichte für ein Prager Journal, und in Wien ist er glücklich, für eine Musikzeitung dann und wann weit draußen in der Vorstadt einige Lieder und Klavierstücke gratis hören und kritisiren zu dürfen. Nach und nach avamirt er zum kärglich besoldeten Referenten der Wiener Zeitung, dann eine Stufe höher zur Presse, um schließlich in der neu gegründeten Neuen freien Presse das ersehnte Ziel: volle Freiheit im Aus¬ sprechen seiner Meinung, einen großen Leserkreis und wohl auch ein anstän¬ diges Honorar zu finden. Die Grundsätze, durch die sich Hanslick in seiner Thätigkeit leiten läßt, und seine Ansichten über den Vruf des Kritikers überhaupt sind sehr be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/331>, abgerufen am 26.08.2024.