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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

waren. Es sind das nämlich in der Mehrzahl keine körperlich kräftigen und
seelisch rohen Menschen, wie viele von den Negern, die sich einst in Afrika
und Amerika leichter über ihre Sklavenstellung getröstet hatten, sondern von
einer geistigen und seelischen Begabung, wie sie nicht allen Weißen eigen ist.
Zwang endlich das Gesetz, diese menschliche Ware wieder zurückzubringen, so
genügte es zur Erfüllung der Form, sie auf einer beliebigen Insel auszu¬
setzen. Da nun auf den melanesischen Inseln häufig die urrechtliche Regel
gilt: Der Fremde ist der Feind -- auf den Neuen Hebriden in das grausame
Bild gekleidet, das den angetriebnen Fremden mit einer angeschwemmten Kokos¬
nuß vergleicht, die mit dem Steinhämmer zerschlagen wird --, so bedeutete die
Aussetzung oft nichts andres als den Tod. Die Summe von Leiden, die
allein die aueensländischen Zuckerpflanzungen über die armen Insulaner des
Stillen Ozeans gebracht haben, ist unermeßlich. Jeglicher Gedanke daran
sollte England abhalten, an der Behandlung der Eingebornen in andrer Machte
Kolonien Kritik zu üben. Es kamen dazu noch Mißbräuche in der Behandlung,
Behausung und Verpflegung der Arbeiter auf Pflanzungen und in Zucker¬
mühleu. 1890 untersagte die Regierung von Queensland alle Einfuhr von
Kanälen, der beste Beweis, wie schlecht das ganze System gewesen sein
muß. Infolge der großen Aufregung in allen an den Zuckerpflanzungen be¬
teiligten Kreisen, infolge der Drohung einiger großen Pflanzer, auszuwandern,
ihr Geschüft nach den Fidschiinseln zu verlegen u. dergl., wurde 1893 dieses
Gesetz zurückgenommen und ein andres System der Einfuhr vorgeschlagen, das
anscheinend die Freiheit und das Wohlsein der Kanälen sichert. Es ist seit
1893 in Thätigkeit und kann natürlich nur nach der Art, wie es gehandhabt
wird, mit der Zeit beurteilt werden. Da die Zuckerkrisis sich auch auf Queens-
land ausgedehnt hat, ist zu befürchten, daß die armen Kanälen einen unver¬
hältnismäßigen Teil der Last tragen müssen, die der Fall der Zuckerpreise dieser
Industrie auflegte.

Leider hat auch das im gemäßigten Klimagürtel gelegne Australien seine
sozialen Schwierigkeiten. Man muß sie Krankheiten nennen, so tief sitzen sie
in den jungen Körpern. Kein andres Land der Erde hat die Gelegenheit gehabt,
auf einer Weltinsel wie Australien, unter allen Klimaten, die dem Menschen zu¬
sagen, fern von feindlichen oder störenden Einflüssen seinem Volk eine neue
Heimat zu gründen. Es waren die geographischen Bedingungen einer Utopie.
Was hat das Europa des neunzehnten Jahrhunderts, auf der Höhe der Kultur,
und besonders England daraus gemacht? Zuerst eine Verbrecherkolonie, die
über die wehrlosen Eingebornen einen Schlammstrom von Lastern, Entartung
bis zu seelischer und körperlicher Fäulnis hinleitete, bis die im Kampf mit der
Natur und in der Vereinzelung geläuterten Enkel der Deportirten die Anti-
Transportations-Bewegung hervorriefen und das "Mutterland" zwangen, seine
Verbrecher für sich zu behalten. Die Idioten u. dergl. wurden erst später


Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

waren. Es sind das nämlich in der Mehrzahl keine körperlich kräftigen und
seelisch rohen Menschen, wie viele von den Negern, die sich einst in Afrika
und Amerika leichter über ihre Sklavenstellung getröstet hatten, sondern von
einer geistigen und seelischen Begabung, wie sie nicht allen Weißen eigen ist.
Zwang endlich das Gesetz, diese menschliche Ware wieder zurückzubringen, so
genügte es zur Erfüllung der Form, sie auf einer beliebigen Insel auszu¬
setzen. Da nun auf den melanesischen Inseln häufig die urrechtliche Regel
gilt: Der Fremde ist der Feind — auf den Neuen Hebriden in das grausame
Bild gekleidet, das den angetriebnen Fremden mit einer angeschwemmten Kokos¬
nuß vergleicht, die mit dem Steinhämmer zerschlagen wird —, so bedeutete die
Aussetzung oft nichts andres als den Tod. Die Summe von Leiden, die
allein die aueensländischen Zuckerpflanzungen über die armen Insulaner des
Stillen Ozeans gebracht haben, ist unermeßlich. Jeglicher Gedanke daran
sollte England abhalten, an der Behandlung der Eingebornen in andrer Machte
Kolonien Kritik zu üben. Es kamen dazu noch Mißbräuche in der Behandlung,
Behausung und Verpflegung der Arbeiter auf Pflanzungen und in Zucker¬
mühleu. 1890 untersagte die Regierung von Queensland alle Einfuhr von
Kanälen, der beste Beweis, wie schlecht das ganze System gewesen sein
muß. Infolge der großen Aufregung in allen an den Zuckerpflanzungen be¬
teiligten Kreisen, infolge der Drohung einiger großen Pflanzer, auszuwandern,
ihr Geschüft nach den Fidschiinseln zu verlegen u. dergl., wurde 1893 dieses
Gesetz zurückgenommen und ein andres System der Einfuhr vorgeschlagen, das
anscheinend die Freiheit und das Wohlsein der Kanälen sichert. Es ist seit
1893 in Thätigkeit und kann natürlich nur nach der Art, wie es gehandhabt
wird, mit der Zeit beurteilt werden. Da die Zuckerkrisis sich auch auf Queens-
land ausgedehnt hat, ist zu befürchten, daß die armen Kanälen einen unver¬
hältnismäßigen Teil der Last tragen müssen, die der Fall der Zuckerpreise dieser
Industrie auflegte.

Leider hat auch das im gemäßigten Klimagürtel gelegne Australien seine
sozialen Schwierigkeiten. Man muß sie Krankheiten nennen, so tief sitzen sie
in den jungen Körpern. Kein andres Land der Erde hat die Gelegenheit gehabt,
auf einer Weltinsel wie Australien, unter allen Klimaten, die dem Menschen zu¬
sagen, fern von feindlichen oder störenden Einflüssen seinem Volk eine neue
Heimat zu gründen. Es waren die geographischen Bedingungen einer Utopie.
Was hat das Europa des neunzehnten Jahrhunderts, auf der Höhe der Kultur,
und besonders England daraus gemacht? Zuerst eine Verbrecherkolonie, die
über die wehrlosen Eingebornen einen Schlammstrom von Lastern, Entartung
bis zu seelischer und körperlicher Fäulnis hinleitete, bis die im Kampf mit der
Natur und in der Vereinzelung geläuterten Enkel der Deportirten die Anti-
Transportations-Bewegung hervorriefen und das „Mutterland" zwangen, seine
Verbrecher für sich zu behalten. Die Idioten u. dergl. wurden erst später


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[0319] Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik waren. Es sind das nämlich in der Mehrzahl keine körperlich kräftigen und seelisch rohen Menschen, wie viele von den Negern, die sich einst in Afrika und Amerika leichter über ihre Sklavenstellung getröstet hatten, sondern von einer geistigen und seelischen Begabung, wie sie nicht allen Weißen eigen ist. Zwang endlich das Gesetz, diese menschliche Ware wieder zurückzubringen, so genügte es zur Erfüllung der Form, sie auf einer beliebigen Insel auszu¬ setzen. Da nun auf den melanesischen Inseln häufig die urrechtliche Regel gilt: Der Fremde ist der Feind — auf den Neuen Hebriden in das grausame Bild gekleidet, das den angetriebnen Fremden mit einer angeschwemmten Kokos¬ nuß vergleicht, die mit dem Steinhämmer zerschlagen wird —, so bedeutete die Aussetzung oft nichts andres als den Tod. Die Summe von Leiden, die allein die aueensländischen Zuckerpflanzungen über die armen Insulaner des Stillen Ozeans gebracht haben, ist unermeßlich. Jeglicher Gedanke daran sollte England abhalten, an der Behandlung der Eingebornen in andrer Machte Kolonien Kritik zu üben. Es kamen dazu noch Mißbräuche in der Behandlung, Behausung und Verpflegung der Arbeiter auf Pflanzungen und in Zucker¬ mühleu. 1890 untersagte die Regierung von Queensland alle Einfuhr von Kanälen, der beste Beweis, wie schlecht das ganze System gewesen sein muß. Infolge der großen Aufregung in allen an den Zuckerpflanzungen be¬ teiligten Kreisen, infolge der Drohung einiger großen Pflanzer, auszuwandern, ihr Geschüft nach den Fidschiinseln zu verlegen u. dergl., wurde 1893 dieses Gesetz zurückgenommen und ein andres System der Einfuhr vorgeschlagen, das anscheinend die Freiheit und das Wohlsein der Kanälen sichert. Es ist seit 1893 in Thätigkeit und kann natürlich nur nach der Art, wie es gehandhabt wird, mit der Zeit beurteilt werden. Da die Zuckerkrisis sich auch auf Queens- land ausgedehnt hat, ist zu befürchten, daß die armen Kanälen einen unver¬ hältnismäßigen Teil der Last tragen müssen, die der Fall der Zuckerpreise dieser Industrie auflegte. Leider hat auch das im gemäßigten Klimagürtel gelegne Australien seine sozialen Schwierigkeiten. Man muß sie Krankheiten nennen, so tief sitzen sie in den jungen Körpern. Kein andres Land der Erde hat die Gelegenheit gehabt, auf einer Weltinsel wie Australien, unter allen Klimaten, die dem Menschen zu¬ sagen, fern von feindlichen oder störenden Einflüssen seinem Volk eine neue Heimat zu gründen. Es waren die geographischen Bedingungen einer Utopie. Was hat das Europa des neunzehnten Jahrhunderts, auf der Höhe der Kultur, und besonders England daraus gemacht? Zuerst eine Verbrecherkolonie, die über die wehrlosen Eingebornen einen Schlammstrom von Lastern, Entartung bis zu seelischer und körperlicher Fäulnis hinleitete, bis die im Kampf mit der Natur und in der Vereinzelung geläuterten Enkel der Deportirten die Anti- Transportations-Bewegung hervorriefen und das „Mutterland" zwangen, seine Verbrecher für sich zu behalten. Die Idioten u. dergl. wurden erst später

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/319>, abgerufen am 25.08.2024.