Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

fettern arbeiten Aktiengesellschaften. Die Romantik des Minenlebens, die
leider in Australien keinen Bret Harte gefunden hat, ist vor der Mechanik der
Maschinen und der Goldkompagnien mit ihrem Veamteustciat, ihrem politischen
Einfluß und ihren sozialen Schwierigkeiten spurlos verschwunden. Alle Gold¬
funde im Westen und Norden ändern nichts an den zwei Thatsachen, daß die
größten Goldlager Australiens in den drei östlichen Kolonien (und Neuseeland)
gelegen sind, und daß diese alle ihre ertragreichste Zeit hinter sich haben. Der
enorme Betrag von vier Milliarden Mark, den Viktoria seit dem Jahre der
Entdeckung seiner Goldfelder, 1851, geliefert hat, setzt sich aus einer erstaun-
lichen Summe für die Zeit bis 1860 und aus von fünf zu fünf Jahren
ziemlich rasch herabsinkenden zusammen. Australien ist auch reich an Eisen
und Kupfer, hat Kohlen und Silber. Aber es führt einstweilen lieber Eisen
und Stahl aus England, Deutschland und Belgien ein, und die Ausbeutung
seiner Silberlager ist bei den heutigen Silberpreisen nur unter ungewöhnlich
günstigen Verhältnissen möglich. Neusüdwales ist die einzige australische Ko¬
lonie, die reiche Kohlenlager hat. Die Kohlenschichten von Neuseeland sind
weder so mächtig noch so gut. Die Kohle vou Neusüdwales, deren Rauch und
Ruß die australischen Städte schon in eine echte Judustrieatmosphäre hüllt, ist
besser als einige andre in den Ländern des Stillen Ozeans, z. B. Vancouver und
Chile. Wenn erst China seine so unvergleichlich reichen Schätze der vortreff¬
lichsten Anthracite und Kohlen erschließt, werden voraussichtlich die Kohlen¬
lager Australiens in Unbedeutendheit versinken. Die industrielle Macht wird
auch, wie auf der andern Halbkugel, ihren Sitz im Norden haben.

Wir haben noch nicht vom Norden Australiens gesprochen, der wieder
ganz andre Bedingungen hat. Dort nimmt Queensland den Raum eines
dreifachen Frankreich in einer nordöstlichen Erstreckung ein, die der zwischen
Berlin und Girgenti zu vergleichen ist. Ungefähr zwei Drittel der Kolonie
liegen im Tropengürtel, und damit ist gesagt, daß die wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse von Queensland gründlich verschieden sein müssen von denen der
vier südlichern Kolonien, mit denen Queensland nicht dnrch sein Alter, aber
durch sein Gedeihen in Wettbewerbung tritt. Der Norden ist noch wenig
entwickelt, die Steppe wird dort nur als Viehweide ausgenutzt, und die
von Zeit zu Zeit auftauchenden Nachrichten von Goldfunden haben einstweilen
noch nicht zu großen Unternehmungen Anlaß gegeben. Aber um den 18. Grad
südlicher Breite beginnt das Gebiet der Zuckerrohrpflanzungen, das sich süd¬
wärts bis gegen Bnndoberg ausdehnt, indem es mehr als tausend Kilometer
an der Küste entlang zieht. Und an diese schließt sich eins der größten
Viehzuchtgebiete Australiens mit einem goldreichen Hinterkante an. Hier im
Süden liegt Brisbane, die 1825 als Verbrecheransiedlung gegründete Hauptstadt
in der man vergebliche Anstrengungen macht, die zwei Hälften des Staates,
die tropische und die gemäßigte, zusammenzuhalten. Die Interessen beider streiten


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

fettern arbeiten Aktiengesellschaften. Die Romantik des Minenlebens, die
leider in Australien keinen Bret Harte gefunden hat, ist vor der Mechanik der
Maschinen und der Goldkompagnien mit ihrem Veamteustciat, ihrem politischen
Einfluß und ihren sozialen Schwierigkeiten spurlos verschwunden. Alle Gold¬
funde im Westen und Norden ändern nichts an den zwei Thatsachen, daß die
größten Goldlager Australiens in den drei östlichen Kolonien (und Neuseeland)
gelegen sind, und daß diese alle ihre ertragreichste Zeit hinter sich haben. Der
enorme Betrag von vier Milliarden Mark, den Viktoria seit dem Jahre der
Entdeckung seiner Goldfelder, 1851, geliefert hat, setzt sich aus einer erstaun-
lichen Summe für die Zeit bis 1860 und aus von fünf zu fünf Jahren
ziemlich rasch herabsinkenden zusammen. Australien ist auch reich an Eisen
und Kupfer, hat Kohlen und Silber. Aber es führt einstweilen lieber Eisen
und Stahl aus England, Deutschland und Belgien ein, und die Ausbeutung
seiner Silberlager ist bei den heutigen Silberpreisen nur unter ungewöhnlich
günstigen Verhältnissen möglich. Neusüdwales ist die einzige australische Ko¬
lonie, die reiche Kohlenlager hat. Die Kohlenschichten von Neuseeland sind
weder so mächtig noch so gut. Die Kohle vou Neusüdwales, deren Rauch und
Ruß die australischen Städte schon in eine echte Judustrieatmosphäre hüllt, ist
besser als einige andre in den Ländern des Stillen Ozeans, z. B. Vancouver und
Chile. Wenn erst China seine so unvergleichlich reichen Schätze der vortreff¬
lichsten Anthracite und Kohlen erschließt, werden voraussichtlich die Kohlen¬
lager Australiens in Unbedeutendheit versinken. Die industrielle Macht wird
auch, wie auf der andern Halbkugel, ihren Sitz im Norden haben.

Wir haben noch nicht vom Norden Australiens gesprochen, der wieder
ganz andre Bedingungen hat. Dort nimmt Queensland den Raum eines
dreifachen Frankreich in einer nordöstlichen Erstreckung ein, die der zwischen
Berlin und Girgenti zu vergleichen ist. Ungefähr zwei Drittel der Kolonie
liegen im Tropengürtel, und damit ist gesagt, daß die wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse von Queensland gründlich verschieden sein müssen von denen der
vier südlichern Kolonien, mit denen Queensland nicht dnrch sein Alter, aber
durch sein Gedeihen in Wettbewerbung tritt. Der Norden ist noch wenig
entwickelt, die Steppe wird dort nur als Viehweide ausgenutzt, und die
von Zeit zu Zeit auftauchenden Nachrichten von Goldfunden haben einstweilen
noch nicht zu großen Unternehmungen Anlaß gegeben. Aber um den 18. Grad
südlicher Breite beginnt das Gebiet der Zuckerrohrpflanzungen, das sich süd¬
wärts bis gegen Bnndoberg ausdehnt, indem es mehr als tausend Kilometer
an der Küste entlang zieht. Und an diese schließt sich eins der größten
Viehzuchtgebiete Australiens mit einem goldreichen Hinterkante an. Hier im
Süden liegt Brisbane, die 1825 als Verbrecheransiedlung gegründete Hauptstadt
in der man vergebliche Anstrengungen macht, die zwei Hälften des Staates,
die tropische und die gemäßigte, zusammenzuhalten. Die Interessen beider streiten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219992"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1134" prev="#ID_1133"> fettern arbeiten Aktiengesellschaften. Die Romantik des Minenlebens, die<lb/>
leider in Australien keinen Bret Harte gefunden hat, ist vor der Mechanik der<lb/>
Maschinen und der Goldkompagnien mit ihrem Veamteustciat, ihrem politischen<lb/>
Einfluß und ihren sozialen Schwierigkeiten spurlos verschwunden. Alle Gold¬<lb/>
funde im Westen und Norden ändern nichts an den zwei Thatsachen, daß die<lb/>
größten Goldlager Australiens in den drei östlichen Kolonien (und Neuseeland)<lb/>
gelegen sind, und daß diese alle ihre ertragreichste Zeit hinter sich haben. Der<lb/>
enorme Betrag von vier Milliarden Mark, den Viktoria seit dem Jahre der<lb/>
Entdeckung seiner Goldfelder, 1851, geliefert hat, setzt sich aus einer erstaun-<lb/>
lichen Summe für die Zeit bis 1860 und aus von fünf zu fünf Jahren<lb/>
ziemlich rasch herabsinkenden zusammen. Australien ist auch reich an Eisen<lb/>
und Kupfer, hat Kohlen und Silber. Aber es führt einstweilen lieber Eisen<lb/>
und Stahl aus England, Deutschland und Belgien ein, und die Ausbeutung<lb/>
seiner Silberlager ist bei den heutigen Silberpreisen nur unter ungewöhnlich<lb/>
günstigen Verhältnissen möglich. Neusüdwales ist die einzige australische Ko¬<lb/>
lonie, die reiche Kohlenlager hat. Die Kohlenschichten von Neuseeland sind<lb/>
weder so mächtig noch so gut. Die Kohle vou Neusüdwales, deren Rauch und<lb/>
Ruß die australischen Städte schon in eine echte Judustrieatmosphäre hüllt, ist<lb/>
besser als einige andre in den Ländern des Stillen Ozeans, z. B. Vancouver und<lb/>
Chile. Wenn erst China seine so unvergleichlich reichen Schätze der vortreff¬<lb/>
lichsten Anthracite und Kohlen erschließt, werden voraussichtlich die Kohlen¬<lb/>
lager Australiens in Unbedeutendheit versinken. Die industrielle Macht wird<lb/>
auch, wie auf der andern Halbkugel, ihren Sitz im Norden haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1135" next="#ID_1136"> Wir haben noch nicht vom Norden Australiens gesprochen, der wieder<lb/>
ganz andre Bedingungen hat. Dort nimmt Queensland den Raum eines<lb/>
dreifachen Frankreich in einer nordöstlichen Erstreckung ein, die der zwischen<lb/>
Berlin und Girgenti zu vergleichen ist. Ungefähr zwei Drittel der Kolonie<lb/>
liegen im Tropengürtel, und damit ist gesagt, daß die wirtschaftlichen Ver¬<lb/>
hältnisse von Queensland gründlich verschieden sein müssen von denen der<lb/>
vier südlichern Kolonien, mit denen Queensland nicht dnrch sein Alter, aber<lb/>
durch sein Gedeihen in Wettbewerbung tritt. Der Norden ist noch wenig<lb/>
entwickelt, die Steppe wird dort nur als Viehweide ausgenutzt, und die<lb/>
von Zeit zu Zeit auftauchenden Nachrichten von Goldfunden haben einstweilen<lb/>
noch nicht zu großen Unternehmungen Anlaß gegeben. Aber um den 18. Grad<lb/>
südlicher Breite beginnt das Gebiet der Zuckerrohrpflanzungen, das sich süd¬<lb/>
wärts bis gegen Bnndoberg ausdehnt, indem es mehr als tausend Kilometer<lb/>
an der Küste entlang zieht. Und an diese schließt sich eins der größten<lb/>
Viehzuchtgebiete Australiens mit einem goldreichen Hinterkante an. Hier im<lb/>
Süden liegt Brisbane, die 1825 als Verbrecheransiedlung gegründete Hauptstadt<lb/>
in der man vergebliche Anstrengungen macht, die zwei Hälften des Staates,<lb/>
die tropische und die gemäßigte, zusammenzuhalten. Die Interessen beider streiten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik fettern arbeiten Aktiengesellschaften. Die Romantik des Minenlebens, die leider in Australien keinen Bret Harte gefunden hat, ist vor der Mechanik der Maschinen und der Goldkompagnien mit ihrem Veamteustciat, ihrem politischen Einfluß und ihren sozialen Schwierigkeiten spurlos verschwunden. Alle Gold¬ funde im Westen und Norden ändern nichts an den zwei Thatsachen, daß die größten Goldlager Australiens in den drei östlichen Kolonien (und Neuseeland) gelegen sind, und daß diese alle ihre ertragreichste Zeit hinter sich haben. Der enorme Betrag von vier Milliarden Mark, den Viktoria seit dem Jahre der Entdeckung seiner Goldfelder, 1851, geliefert hat, setzt sich aus einer erstaun- lichen Summe für die Zeit bis 1860 und aus von fünf zu fünf Jahren ziemlich rasch herabsinkenden zusammen. Australien ist auch reich an Eisen und Kupfer, hat Kohlen und Silber. Aber es führt einstweilen lieber Eisen und Stahl aus England, Deutschland und Belgien ein, und die Ausbeutung seiner Silberlager ist bei den heutigen Silberpreisen nur unter ungewöhnlich günstigen Verhältnissen möglich. Neusüdwales ist die einzige australische Ko¬ lonie, die reiche Kohlenlager hat. Die Kohlenschichten von Neuseeland sind weder so mächtig noch so gut. Die Kohle vou Neusüdwales, deren Rauch und Ruß die australischen Städte schon in eine echte Judustrieatmosphäre hüllt, ist besser als einige andre in den Ländern des Stillen Ozeans, z. B. Vancouver und Chile. Wenn erst China seine so unvergleichlich reichen Schätze der vortreff¬ lichsten Anthracite und Kohlen erschließt, werden voraussichtlich die Kohlen¬ lager Australiens in Unbedeutendheit versinken. Die industrielle Macht wird auch, wie auf der andern Halbkugel, ihren Sitz im Norden haben. Wir haben noch nicht vom Norden Australiens gesprochen, der wieder ganz andre Bedingungen hat. Dort nimmt Queensland den Raum eines dreifachen Frankreich in einer nordöstlichen Erstreckung ein, die der zwischen Berlin und Girgenti zu vergleichen ist. Ungefähr zwei Drittel der Kolonie liegen im Tropengürtel, und damit ist gesagt, daß die wirtschaftlichen Ver¬ hältnisse von Queensland gründlich verschieden sein müssen von denen der vier südlichern Kolonien, mit denen Queensland nicht dnrch sein Alter, aber durch sein Gedeihen in Wettbewerbung tritt. Der Norden ist noch wenig entwickelt, die Steppe wird dort nur als Viehweide ausgenutzt, und die von Zeit zu Zeit auftauchenden Nachrichten von Goldfunden haben einstweilen noch nicht zu großen Unternehmungen Anlaß gegeben. Aber um den 18. Grad südlicher Breite beginnt das Gebiet der Zuckerrohrpflanzungen, das sich süd¬ wärts bis gegen Bnndoberg ausdehnt, indem es mehr als tausend Kilometer an der Küste entlang zieht. Und an diese schließt sich eins der größten Viehzuchtgebiete Australiens mit einem goldreichen Hinterkante an. Hier im Süden liegt Brisbane, die 1825 als Verbrecheransiedlung gegründete Hauptstadt in der man vergebliche Anstrengungen macht, die zwei Hälften des Staates, die tropische und die gemäßigte, zusammenzuhalten. Die Interessen beider streiten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/316>, abgerufen am 25.08.2024.