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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Fuchsmühl.

Die traurige Geschichte dieses Walddorfes drängt dem Politiker
eine Menge von Fragen auf, die Lösung fordern. Wir wollen nur ein paar davon
andeuten. Der Ort umfaßt zweihundert und etliche Haushaltungen, darunter etwa
anderthalbhundert holzberechtigte. Die Besitzungen sind klein, und der Boden ist
mager: nur zwei Stellen sollen zur Ernährung der Besitzerfamilien hinreichen. Die
Holzbezüge aus dem herrschaftlichen Walde bilden eine unentbehrliche Ergänzung des
kargen Einkommens, bei dem nur so abgehärteten und bedürfnislosen Leuten, wie
deutsche Waldbaueru zu sein pflegen, das Durchschleppen möglich ist. Dreißig
Jahre lang haben die Leute ihr Holzrecht, dessen dreihundertjährige unangefochtene
Ausübung nachgewiesen werden konnte, gegen die Vorgänger des jetzigen Be¬
sitzers verteidigen müssen, haben während dieser Zeit fünfzehn Jahre lang gar
kein "Rechtholz" und fünfzehn Jahre lang nur die Hälfte bekommen. Der jetzige
Besitzer hat, da das Recht der Bauern nicht mehr bestritten werden konnte,
die Zwangsablösung beantragt und durchgesetzt, und zwar hat er 90 000 Mark
bewilligt, während der kapitalisirte Wert des Holzes nach dem jetzigen Preise,
wie die Bauern behaupten, dreimal so hoch sein soll. Der Geldwert! Der wirt¬
schaftliche Wert ist natürlich noch weit höher anzuschlagen. Denn ein paar
hundert Mark -- 600 bis 700 durchschnittlich -- verkrümeln sich in wenigen
Jahren und bringen, wenn es gelingt, sie beisammenzuhnlten, nur etwa zwanzig
Mark Zinsen, mit denen nicht viel anzufangen ist, während die Holzlieferung
mehr als ein wirtschaftliches Bedürfnis befriedigt und so die Fortfristung eines
kümmerlichen Daseins ermöglicht. Außerdem steigt der Holzwerk im Laufe der
Zeit, während der Geldwert sinkt. Wie ist es möglich, daß deutsche Regierungen
in unsrer Zeit einen gesetzlichen Zustand aufrecht erhalten, der eine solche Be¬
drohung der Existenz zahlreicher Bauern einschließt? Mit der rationellen Forst¬
wirtschaft hat die Sache nichts zu schaffen. Auch Autoritäten des Forstfachs, denen
doch nichts mehr am Herzen liegt als der Forst, geben zu, daß, wo die Forst-
Pflege mit den Lebensinteressen ganzer Gemeinden in Konflikt gerät, diese vorgehen;
aber Holzlieferungen schädigen den Forst nicht; für diesen ist es ganz gleichgiltig,
ob die Bauern oder die Händler das Holz bekommen.

Und dann die Rechtsfrage! Waldgerechtigkeiten können allerdings durch Be¬
willigungen des Besitzers entstanden fein; das ist gewöhnlich da der Fall, wo
Gruben, Glashütten und andre industrielle Anlagen Holz aus dem herrschaftlichen
oder fiskalischen Walde beziehen; in einer Zeit, wo das Holz noch billig und die
Waldnutzung gleich Null oder nahezu Null war, hat der Waldbesitzer die Lieferung
bewilligt, um die betreffende Industrie zu heben. Wo aber Gemeinden seit Jahr¬
hunderten Holz beziehen, da ist anzunehmen, daß der Wald ursprünglich Gemeinde¬
eigentum, Markwald war, und die Holzgerechtigkeit ein Rest des ursprünglichen
Eigentums, Miteigentum ist. Mag die heutige Rechtswissenschaft den Begriff des
geteilten Eigentums verwerfen -- thatsächlich macht er sich nun einmal in solchen
Fällen geltend. Wie kann nun dem Haupteigentümer das Recht eingeräumt werden,
die Miteigentümer zur Abtretung ihrer Anteile zu zwingen gegen eine Entschädi¬
gung, die kein Äquivalent ist? Nehmen wir an, in der Zeit der Umwandlung
des Gemeinbesitzes in ein bloßes Holzrecht sei statt dessen der Wald wirklich geteilt
worden, wie stünde da die Sache? Man wird einwenden: da wäre der Bauer¬
wald vielleicht gar nicht mehr vorhanden. Wohl möglich; doch mit der Rechts-


Fuchsmühl.

Die traurige Geschichte dieses Walddorfes drängt dem Politiker
eine Menge von Fragen auf, die Lösung fordern. Wir wollen nur ein paar davon
andeuten. Der Ort umfaßt zweihundert und etliche Haushaltungen, darunter etwa
anderthalbhundert holzberechtigte. Die Besitzungen sind klein, und der Boden ist
mager: nur zwei Stellen sollen zur Ernährung der Besitzerfamilien hinreichen. Die
Holzbezüge aus dem herrschaftlichen Walde bilden eine unentbehrliche Ergänzung des
kargen Einkommens, bei dem nur so abgehärteten und bedürfnislosen Leuten, wie
deutsche Waldbaueru zu sein pflegen, das Durchschleppen möglich ist. Dreißig
Jahre lang haben die Leute ihr Holzrecht, dessen dreihundertjährige unangefochtene
Ausübung nachgewiesen werden konnte, gegen die Vorgänger des jetzigen Be¬
sitzers verteidigen müssen, haben während dieser Zeit fünfzehn Jahre lang gar
kein „Rechtholz" und fünfzehn Jahre lang nur die Hälfte bekommen. Der jetzige
Besitzer hat, da das Recht der Bauern nicht mehr bestritten werden konnte,
die Zwangsablösung beantragt und durchgesetzt, und zwar hat er 90 000 Mark
bewilligt, während der kapitalisirte Wert des Holzes nach dem jetzigen Preise,
wie die Bauern behaupten, dreimal so hoch sein soll. Der Geldwert! Der wirt¬
schaftliche Wert ist natürlich noch weit höher anzuschlagen. Denn ein paar
hundert Mark — 600 bis 700 durchschnittlich — verkrümeln sich in wenigen
Jahren und bringen, wenn es gelingt, sie beisammenzuhnlten, nur etwa zwanzig
Mark Zinsen, mit denen nicht viel anzufangen ist, während die Holzlieferung
mehr als ein wirtschaftliches Bedürfnis befriedigt und so die Fortfristung eines
kümmerlichen Daseins ermöglicht. Außerdem steigt der Holzwerk im Laufe der
Zeit, während der Geldwert sinkt. Wie ist es möglich, daß deutsche Regierungen
in unsrer Zeit einen gesetzlichen Zustand aufrecht erhalten, der eine solche Be¬
drohung der Existenz zahlreicher Bauern einschließt? Mit der rationellen Forst¬
wirtschaft hat die Sache nichts zu schaffen. Auch Autoritäten des Forstfachs, denen
doch nichts mehr am Herzen liegt als der Forst, geben zu, daß, wo die Forst-
Pflege mit den Lebensinteressen ganzer Gemeinden in Konflikt gerät, diese vorgehen;
aber Holzlieferungen schädigen den Forst nicht; für diesen ist es ganz gleichgiltig,
ob die Bauern oder die Händler das Holz bekommen.

Und dann die Rechtsfrage! Waldgerechtigkeiten können allerdings durch Be¬
willigungen des Besitzers entstanden fein; das ist gewöhnlich da der Fall, wo
Gruben, Glashütten und andre industrielle Anlagen Holz aus dem herrschaftlichen
oder fiskalischen Walde beziehen; in einer Zeit, wo das Holz noch billig und die
Waldnutzung gleich Null oder nahezu Null war, hat der Waldbesitzer die Lieferung
bewilligt, um die betreffende Industrie zu heben. Wo aber Gemeinden seit Jahr¬
hunderten Holz beziehen, da ist anzunehmen, daß der Wald ursprünglich Gemeinde¬
eigentum, Markwald war, und die Holzgerechtigkeit ein Rest des ursprünglichen
Eigentums, Miteigentum ist. Mag die heutige Rechtswissenschaft den Begriff des
geteilten Eigentums verwerfen — thatsächlich macht er sich nun einmal in solchen
Fällen geltend. Wie kann nun dem Haupteigentümer das Recht eingeräumt werden,
die Miteigentümer zur Abtretung ihrer Anteile zu zwingen gegen eine Entschädi¬
gung, die kein Äquivalent ist? Nehmen wir an, in der Zeit der Umwandlung
des Gemeinbesitzes in ein bloßes Holzrecht sei statt dessen der Wald wirklich geteilt
worden, wie stünde da die Sache? Man wird einwenden: da wäre der Bauer¬
wald vielleicht gar nicht mehr vorhanden. Wohl möglich; doch mit der Rechts-


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[0298] Fuchsmühl. Die traurige Geschichte dieses Walddorfes drängt dem Politiker eine Menge von Fragen auf, die Lösung fordern. Wir wollen nur ein paar davon andeuten. Der Ort umfaßt zweihundert und etliche Haushaltungen, darunter etwa anderthalbhundert holzberechtigte. Die Besitzungen sind klein, und der Boden ist mager: nur zwei Stellen sollen zur Ernährung der Besitzerfamilien hinreichen. Die Holzbezüge aus dem herrschaftlichen Walde bilden eine unentbehrliche Ergänzung des kargen Einkommens, bei dem nur so abgehärteten und bedürfnislosen Leuten, wie deutsche Waldbaueru zu sein pflegen, das Durchschleppen möglich ist. Dreißig Jahre lang haben die Leute ihr Holzrecht, dessen dreihundertjährige unangefochtene Ausübung nachgewiesen werden konnte, gegen die Vorgänger des jetzigen Be¬ sitzers verteidigen müssen, haben während dieser Zeit fünfzehn Jahre lang gar kein „Rechtholz" und fünfzehn Jahre lang nur die Hälfte bekommen. Der jetzige Besitzer hat, da das Recht der Bauern nicht mehr bestritten werden konnte, die Zwangsablösung beantragt und durchgesetzt, und zwar hat er 90 000 Mark bewilligt, während der kapitalisirte Wert des Holzes nach dem jetzigen Preise, wie die Bauern behaupten, dreimal so hoch sein soll. Der Geldwert! Der wirt¬ schaftliche Wert ist natürlich noch weit höher anzuschlagen. Denn ein paar hundert Mark — 600 bis 700 durchschnittlich — verkrümeln sich in wenigen Jahren und bringen, wenn es gelingt, sie beisammenzuhnlten, nur etwa zwanzig Mark Zinsen, mit denen nicht viel anzufangen ist, während die Holzlieferung mehr als ein wirtschaftliches Bedürfnis befriedigt und so die Fortfristung eines kümmerlichen Daseins ermöglicht. Außerdem steigt der Holzwerk im Laufe der Zeit, während der Geldwert sinkt. Wie ist es möglich, daß deutsche Regierungen in unsrer Zeit einen gesetzlichen Zustand aufrecht erhalten, der eine solche Be¬ drohung der Existenz zahlreicher Bauern einschließt? Mit der rationellen Forst¬ wirtschaft hat die Sache nichts zu schaffen. Auch Autoritäten des Forstfachs, denen doch nichts mehr am Herzen liegt als der Forst, geben zu, daß, wo die Forst- Pflege mit den Lebensinteressen ganzer Gemeinden in Konflikt gerät, diese vorgehen; aber Holzlieferungen schädigen den Forst nicht; für diesen ist es ganz gleichgiltig, ob die Bauern oder die Händler das Holz bekommen. Und dann die Rechtsfrage! Waldgerechtigkeiten können allerdings durch Be¬ willigungen des Besitzers entstanden fein; das ist gewöhnlich da der Fall, wo Gruben, Glashütten und andre industrielle Anlagen Holz aus dem herrschaftlichen oder fiskalischen Walde beziehen; in einer Zeit, wo das Holz noch billig und die Waldnutzung gleich Null oder nahezu Null war, hat der Waldbesitzer die Lieferung bewilligt, um die betreffende Industrie zu heben. Wo aber Gemeinden seit Jahr¬ hunderten Holz beziehen, da ist anzunehmen, daß der Wald ursprünglich Gemeinde¬ eigentum, Markwald war, und die Holzgerechtigkeit ein Rest des ursprünglichen Eigentums, Miteigentum ist. Mag die heutige Rechtswissenschaft den Begriff des geteilten Eigentums verwerfen — thatsächlich macht er sich nun einmal in solchen Fällen geltend. Wie kann nun dem Haupteigentümer das Recht eingeräumt werden, die Miteigentümer zur Abtretung ihrer Anteile zu zwingen gegen eine Entschädi¬ gung, die kein Äquivalent ist? Nehmen wir an, in der Zeit der Umwandlung des Gemeinbesitzes in ein bloßes Holzrecht sei statt dessen der Wald wirklich geteilt worden, wie stünde da die Sache? Man wird einwenden: da wäre der Bauer¬ wald vielleicht gar nicht mehr vorhanden. Wohl möglich; doch mit der Rechts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/298>, abgerufen am 22.12.2024.