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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Moderne Gpern

und der ganze Schluß des Märchenspiels sich geradezu an Wagner anlehnten?
Sind sie aber deshalb weniger modern? Gewiß nicht! Wir müßten den als
einen Todfeind aller gesunden künstlerischen Weiterentwicklung betrachten, der
Humperdinck da unmodern schelten wollte, wo er sein Bestes giebt. Ganz in
demselben Sinne aber ist Beers Musik modern, ohne wagnerisch zu sein. Sie ist
ebenso weit entfernt von klassizistischer Trockenheit wie von moderner Affektation
und Geschraubtheit. Während aber Humperdinck überall da in Wagners Schoß
zurückfällt, wo ihn die eigne Erfindung im Stich läßt, zeigt Beer in schwachen
Augenblicken, die zum Glück selten sind, durch lehrhaften Ton eine Hinneigung
zu den klassischen Meistern. An Vielseitigkeit des Ausdrucks ist er Humper¬
dinck unbedingt überlegen. Ich möchte sagen, daß er neben den besten Eigen¬
schaften Humperdincks auch noch die Maseagnis hat, denn Anmut, Zartheit
und Schmelz stehen ihm nicht weniger zu Gebote, als ernste Größe und tra¬
gische Wucht.

Wenn doch diese toten Buchstaben zu tönen vermöchten, um einen Begriff
zu geben von der Lieblichkeit der den Brautzug begrüßenden Frauenchöre,
von der männlich jugendlichen Kraft des Gesanges der Jügerburschcn und von
der machtvollen Steigerung des eins gewordnen Chors! Das ist deutsche
Musik im besten Sinn des Wortes: rein, schlicht und kernig. In buntem
Wechsel lösen sich die Szenen ab; erhabner Ernst folgt auf herzerquickende An¬
mut. Wenn ich alle diese Bilder jetzt im Geiste wieder an mir vorüberziehen
lasse, weiß ich nicht, welchem ich den Preis zuerkennen soll -- jedes ist voll¬
endet in seiner Art. Die bloße Erinnerung genügt, mein Herz höher schlagen
zu machen.

Und so will ich denn mit dieser Huldigung vor einem noch wenig bekannten
Künstler unsern Rundgang beschließen. So lange die deutsche Oper noch Kräfte
hat wie Humperdinck und Beer, braucht sie nicht zu verzagen. Mit ihnen
wird sie jedem welschen Ansturm gewachsen sein. Möge ein guter künstle¬
rischer Geist über ihr wachen und sie durch all die Irrtümer und Gefahren
hindurch leiten, die sie von links und rechts bedrohen.




Moderne Gpern

und der ganze Schluß des Märchenspiels sich geradezu an Wagner anlehnten?
Sind sie aber deshalb weniger modern? Gewiß nicht! Wir müßten den als
einen Todfeind aller gesunden künstlerischen Weiterentwicklung betrachten, der
Humperdinck da unmodern schelten wollte, wo er sein Bestes giebt. Ganz in
demselben Sinne aber ist Beers Musik modern, ohne wagnerisch zu sein. Sie ist
ebenso weit entfernt von klassizistischer Trockenheit wie von moderner Affektation
und Geschraubtheit. Während aber Humperdinck überall da in Wagners Schoß
zurückfällt, wo ihn die eigne Erfindung im Stich läßt, zeigt Beer in schwachen
Augenblicken, die zum Glück selten sind, durch lehrhaften Ton eine Hinneigung
zu den klassischen Meistern. An Vielseitigkeit des Ausdrucks ist er Humper¬
dinck unbedingt überlegen. Ich möchte sagen, daß er neben den besten Eigen¬
schaften Humperdincks auch noch die Maseagnis hat, denn Anmut, Zartheit
und Schmelz stehen ihm nicht weniger zu Gebote, als ernste Größe und tra¬
gische Wucht.

Wenn doch diese toten Buchstaben zu tönen vermöchten, um einen Begriff
zu geben von der Lieblichkeit der den Brautzug begrüßenden Frauenchöre,
von der männlich jugendlichen Kraft des Gesanges der Jügerburschcn und von
der machtvollen Steigerung des eins gewordnen Chors! Das ist deutsche
Musik im besten Sinn des Wortes: rein, schlicht und kernig. In buntem
Wechsel lösen sich die Szenen ab; erhabner Ernst folgt auf herzerquickende An¬
mut. Wenn ich alle diese Bilder jetzt im Geiste wieder an mir vorüberziehen
lasse, weiß ich nicht, welchem ich den Preis zuerkennen soll — jedes ist voll¬
endet in seiner Art. Die bloße Erinnerung genügt, mein Herz höher schlagen
zu machen.

Und so will ich denn mit dieser Huldigung vor einem noch wenig bekannten
Künstler unsern Rundgang beschließen. So lange die deutsche Oper noch Kräfte
hat wie Humperdinck und Beer, braucht sie nicht zu verzagen. Mit ihnen
wird sie jedem welschen Ansturm gewachsen sein. Möge ein guter künstle¬
rischer Geist über ihr wachen und sie durch all die Irrtümer und Gefahren
hindurch leiten, die sie von links und rechts bedrohen.




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[0293] Moderne Gpern und der ganze Schluß des Märchenspiels sich geradezu an Wagner anlehnten? Sind sie aber deshalb weniger modern? Gewiß nicht! Wir müßten den als einen Todfeind aller gesunden künstlerischen Weiterentwicklung betrachten, der Humperdinck da unmodern schelten wollte, wo er sein Bestes giebt. Ganz in demselben Sinne aber ist Beers Musik modern, ohne wagnerisch zu sein. Sie ist ebenso weit entfernt von klassizistischer Trockenheit wie von moderner Affektation und Geschraubtheit. Während aber Humperdinck überall da in Wagners Schoß zurückfällt, wo ihn die eigne Erfindung im Stich läßt, zeigt Beer in schwachen Augenblicken, die zum Glück selten sind, durch lehrhaften Ton eine Hinneigung zu den klassischen Meistern. An Vielseitigkeit des Ausdrucks ist er Humper¬ dinck unbedingt überlegen. Ich möchte sagen, daß er neben den besten Eigen¬ schaften Humperdincks auch noch die Maseagnis hat, denn Anmut, Zartheit und Schmelz stehen ihm nicht weniger zu Gebote, als ernste Größe und tra¬ gische Wucht. Wenn doch diese toten Buchstaben zu tönen vermöchten, um einen Begriff zu geben von der Lieblichkeit der den Brautzug begrüßenden Frauenchöre, von der männlich jugendlichen Kraft des Gesanges der Jügerburschcn und von der machtvollen Steigerung des eins gewordnen Chors! Das ist deutsche Musik im besten Sinn des Wortes: rein, schlicht und kernig. In buntem Wechsel lösen sich die Szenen ab; erhabner Ernst folgt auf herzerquickende An¬ mut. Wenn ich alle diese Bilder jetzt im Geiste wieder an mir vorüberziehen lasse, weiß ich nicht, welchem ich den Preis zuerkennen soll — jedes ist voll¬ endet in seiner Art. Die bloße Erinnerung genügt, mein Herz höher schlagen zu machen. Und so will ich denn mit dieser Huldigung vor einem noch wenig bekannten Künstler unsern Rundgang beschließen. So lange die deutsche Oper noch Kräfte hat wie Humperdinck und Beer, braucht sie nicht zu verzagen. Mit ihnen wird sie jedem welschen Ansturm gewachsen sein. Möge ein guter künstle¬ rischer Geist über ihr wachen und sie durch all die Irrtümer und Gefahren hindurch leiten, die sie von links und rechts bedrohen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/293>, abgerufen am 25.08.2024.