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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Historikertage

geistigen Gewinn. Aus Verkehr und Unterhaltung, aus den Vorträgen zumal
und selbst aus den Verhandlungen. Denn Anregung kommt ja nicht bloß aus
dem Hören, sondern reichlich so viel aus dem Mitdenken. Freilich überwiegen
in der Erinnerung die Eindrücke von den menschlichen Persönlichkeiten, und in
der Beziehung war allerdings dieser Frankfurter Tag, den zu besuchen in
leicht vorauszusehender Weise "nicht viel praktischen Zweck hatte," besonders
glück lich zusamm engesetzt.

Übrigens war das Programm an sich diesmal gar nicht so ohne. Die
an sich ja naheliegende -- Erörterung über die Gestaltung des akade¬
mischen Studiums war doch ein weit glücklicherer Griff als frühere Beratungs¬
gegenstände. Nur lege man bei allem das Gewicht mehr auf das freie Sich¬
aussprechen und die von selbst sich einstellenden Anregungen. Sobald von
vornherein formulirte Thesen und Fragen herumgereicht werden, ist es mit
dem höhern Niveau der Beratung und mit der ungehinderten Überlegung vorbei;
alle Kenntnis und Erfahrung muß dann unter dem kaudinischen Joch dieser
Formulirungen hindurch, man verbringt endlose Zeit nicht über großen Ge¬
danken, sondern mit der spitzfindigsten Flickarbeit an den Thesen, und da wo¬
möglich etwas "beschlossen" werden muß (was unsers Dafürhaltens höchst un¬
nötig ist), so bringt schließlich, für die Sache viel zu früh, für Durst und
Ungeduld viel zu spät, irgend eine geleimte Kompromißformel die Erlösung;
sie wird mit Hurra angenommen, ohne daß sie doch als die wirkliche Mei¬
nung auch nur eines Einzigen angesehen werden könnte. Der erste (Münchner)
Historikertag bildet das besonders lehrreiche Beispiel dafür.

Auch sollte man nicht so nach Punkten der Tagesordnung jagen. Das
unsichtbare Motto besonders der beiden ersten Versammlungen war: Ein König¬
reich für ein Verhandlnugsthema! Jetzt wird es darin schon besser. Und wenn
sich erst die Versammlungen minder rasch folgen werden, wird es noch besser
werden, dann werden sich solche Gegenstände auch ungesucht einstellen, und
außerdem behält der Einzelne Zeit, sich mit ihnen in Ruhe vorher zu Hause
zu beschäftigen.

Das Sichkennenlernen und gesellige Beisammensein wird Wohl immer für
viele eine und vielleicht die Hauptsache bleiben, und dem darf man auch ruhig
Rechnung tragen. Hätte man das erstemal nur zu einer Zusammenkunft,
nicht zu Verhandlungen eingeladen, so stünde es jetzt vielleicht besser um diese
"Tage."

Daneben sollte man die Gewinnung hervorragender Fachgenossen, zumal
aus den Nachbargebieten der Geschichte, für Vorträge noch ausdehnen. Es
wird doch wohl niemandem ernstlich unerwünscht sein, beim Kollegen einmal
"uis Kolleg" zu gehen. Wie gern thäte man das öfter schon an den eignen
Hochschulen! Wie viel gewinnt man so für Kritik und Selbstkritik!

Was noch zu wünschen wäre, ist die bisher nicht zulässig gewesene Dis-


Die Zukunft der Historikertage

geistigen Gewinn. Aus Verkehr und Unterhaltung, aus den Vorträgen zumal
und selbst aus den Verhandlungen. Denn Anregung kommt ja nicht bloß aus
dem Hören, sondern reichlich so viel aus dem Mitdenken. Freilich überwiegen
in der Erinnerung die Eindrücke von den menschlichen Persönlichkeiten, und in
der Beziehung war allerdings dieser Frankfurter Tag, den zu besuchen in
leicht vorauszusehender Weise „nicht viel praktischen Zweck hatte," besonders
glück lich zusamm engesetzt.

Übrigens war das Programm an sich diesmal gar nicht so ohne. Die
an sich ja naheliegende — Erörterung über die Gestaltung des akade¬
mischen Studiums war doch ein weit glücklicherer Griff als frühere Beratungs¬
gegenstände. Nur lege man bei allem das Gewicht mehr auf das freie Sich¬
aussprechen und die von selbst sich einstellenden Anregungen. Sobald von
vornherein formulirte Thesen und Fragen herumgereicht werden, ist es mit
dem höhern Niveau der Beratung und mit der ungehinderten Überlegung vorbei;
alle Kenntnis und Erfahrung muß dann unter dem kaudinischen Joch dieser
Formulirungen hindurch, man verbringt endlose Zeit nicht über großen Ge¬
danken, sondern mit der spitzfindigsten Flickarbeit an den Thesen, und da wo¬
möglich etwas „beschlossen" werden muß (was unsers Dafürhaltens höchst un¬
nötig ist), so bringt schließlich, für die Sache viel zu früh, für Durst und
Ungeduld viel zu spät, irgend eine geleimte Kompromißformel die Erlösung;
sie wird mit Hurra angenommen, ohne daß sie doch als die wirkliche Mei¬
nung auch nur eines Einzigen angesehen werden könnte. Der erste (Münchner)
Historikertag bildet das besonders lehrreiche Beispiel dafür.

Auch sollte man nicht so nach Punkten der Tagesordnung jagen. Das
unsichtbare Motto besonders der beiden ersten Versammlungen war: Ein König¬
reich für ein Verhandlnugsthema! Jetzt wird es darin schon besser. Und wenn
sich erst die Versammlungen minder rasch folgen werden, wird es noch besser
werden, dann werden sich solche Gegenstände auch ungesucht einstellen, und
außerdem behält der Einzelne Zeit, sich mit ihnen in Ruhe vorher zu Hause
zu beschäftigen.

Das Sichkennenlernen und gesellige Beisammensein wird Wohl immer für
viele eine und vielleicht die Hauptsache bleiben, und dem darf man auch ruhig
Rechnung tragen. Hätte man das erstemal nur zu einer Zusammenkunft,
nicht zu Verhandlungen eingeladen, so stünde es jetzt vielleicht besser um diese
„Tage."

Daneben sollte man die Gewinnung hervorragender Fachgenossen, zumal
aus den Nachbargebieten der Geschichte, für Vorträge noch ausdehnen. Es
wird doch wohl niemandem ernstlich unerwünscht sein, beim Kollegen einmal
„uis Kolleg" zu gehen. Wie gern thäte man das öfter schon an den eignen
Hochschulen! Wie viel gewinnt man so für Kritik und Selbstkritik!

Was noch zu wünschen wäre, ist die bisher nicht zulässig gewesene Dis-


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[0283] Die Zukunft der Historikertage geistigen Gewinn. Aus Verkehr und Unterhaltung, aus den Vorträgen zumal und selbst aus den Verhandlungen. Denn Anregung kommt ja nicht bloß aus dem Hören, sondern reichlich so viel aus dem Mitdenken. Freilich überwiegen in der Erinnerung die Eindrücke von den menschlichen Persönlichkeiten, und in der Beziehung war allerdings dieser Frankfurter Tag, den zu besuchen in leicht vorauszusehender Weise „nicht viel praktischen Zweck hatte," besonders glück lich zusamm engesetzt. Übrigens war das Programm an sich diesmal gar nicht so ohne. Die an sich ja naheliegende — Erörterung über die Gestaltung des akade¬ mischen Studiums war doch ein weit glücklicherer Griff als frühere Beratungs¬ gegenstände. Nur lege man bei allem das Gewicht mehr auf das freie Sich¬ aussprechen und die von selbst sich einstellenden Anregungen. Sobald von vornherein formulirte Thesen und Fragen herumgereicht werden, ist es mit dem höhern Niveau der Beratung und mit der ungehinderten Überlegung vorbei; alle Kenntnis und Erfahrung muß dann unter dem kaudinischen Joch dieser Formulirungen hindurch, man verbringt endlose Zeit nicht über großen Ge¬ danken, sondern mit der spitzfindigsten Flickarbeit an den Thesen, und da wo¬ möglich etwas „beschlossen" werden muß (was unsers Dafürhaltens höchst un¬ nötig ist), so bringt schließlich, für die Sache viel zu früh, für Durst und Ungeduld viel zu spät, irgend eine geleimte Kompromißformel die Erlösung; sie wird mit Hurra angenommen, ohne daß sie doch als die wirkliche Mei¬ nung auch nur eines Einzigen angesehen werden könnte. Der erste (Münchner) Historikertag bildet das besonders lehrreiche Beispiel dafür. Auch sollte man nicht so nach Punkten der Tagesordnung jagen. Das unsichtbare Motto besonders der beiden ersten Versammlungen war: Ein König¬ reich für ein Verhandlnugsthema! Jetzt wird es darin schon besser. Und wenn sich erst die Versammlungen minder rasch folgen werden, wird es noch besser werden, dann werden sich solche Gegenstände auch ungesucht einstellen, und außerdem behält der Einzelne Zeit, sich mit ihnen in Ruhe vorher zu Hause zu beschäftigen. Das Sichkennenlernen und gesellige Beisammensein wird Wohl immer für viele eine und vielleicht die Hauptsache bleiben, und dem darf man auch ruhig Rechnung tragen. Hätte man das erstemal nur zu einer Zusammenkunft, nicht zu Verhandlungen eingeladen, so stünde es jetzt vielleicht besser um diese „Tage." Daneben sollte man die Gewinnung hervorragender Fachgenossen, zumal aus den Nachbargebieten der Geschichte, für Vorträge noch ausdehnen. Es wird doch wohl niemandem ernstlich unerwünscht sein, beim Kollegen einmal „uis Kolleg" zu gehen. Wie gern thäte man das öfter schon an den eignen Hochschulen! Wie viel gewinnt man so für Kritik und Selbstkritik! Was noch zu wünschen wäre, ist die bisher nicht zulässig gewesene Dis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/283>, abgerufen am 26.08.2024.