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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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niger, dabei in vielen Einzelheiten rauh und ungeschickt, wie ja so häufig Sü߬
lichkeit und eine gewisse Art von Härte Hand in Hand gehen.

Nachdem der Kleine glücklich in Schlaf gesungen ist, erscheint sein Vater,
angeblich "in heftiger Leidenschaft und Erregung," die wir ihm auch für dies¬
mal, wenn auch mit einigem Widerstreben glauben wollen. Die Art und Weise
aber, wie Eddin dann die "Heimat seiner Lieben" ansinge, läßt keinen Zweifel,
daß er auch musikalisch Maras würdiger Gatte ist. Die harmonischen Ge¬
danken der Kuckuckszene werden dadurch nicht männlicher, daß sie hier Eddin
in den Mund gelegt sind, im Gegenteil, sie machen ihn nur noch weibischer.
Zwischen den Gatten entspinnt sich ein Zwiegescmg von ausgesuchter Leer¬
heit, doch das Unheil schreitet schnell und kündet sich für diesmal an durch
Kirchenglocken, Hornrufe, Männerchor und wildes Geschrei und Geheul der
Tscherkessen. Was will man mehr? Es ist ja schon manches gesündigt worden
auf dem weiten Gebiete der Opernlitteratur, ob aber jemals etwas Leereres
und Phrasenhafteres geschrieben worden ist als dieser Zwischensatz, der in
düsterer Weise die Katastrophe ankündigen soll, dürste doch zweifelhaft sein.
Und nun bis zum Ende der Oper kein einziger guter Gedanke mehr. Djui,
der böse Bruder, erscheint "kalt und schroff," "leidenschaftlich" und "rach¬
süchtig," alles dicht hinter einander. Mara äußert sich dementsprechend "ver¬
zweifelt," was Djui jedoch nicht verhindert, ihr "vernichtend" zu antworten;
das Orchester aber kommt Mara zu Hilfe und malt ihren Seelenzustand "mit
dem Ausdruck bittersten Wehs" u. s, w. Es ist wirklich nicht gut möglich,
diese Art von "Kunst" einer ernsthaften Kritik zu unterziehen. Hummel kennt
überhaupt nur zwei Farben -- süßliche Sentimentalität und äußerliches, thea¬
tralisches Pathos. Nicht einmal ein interessanter Irrtum ist bei ihm zu finden:
was er bietet, ist abgestandne Routine, die kaum mehr einer Gährung fähig
sein dürfte. Was nützt es, wenn hie und da einmal ein besserer harmonischer
Gedanke auftaucht? Er wird ja doch sofort weggeschwemmt von der alles
überflutenden Banalität. Hätte nicht der Dichter den guten Einfall gehabt,
zum Schluß noch einmal den kleinen Dimitri mit seinem "Kuckuck" auf der
Bühne erscheinen zu lassen, und wäre dies "Kuckuck" nicht der einzige gute
Gedanke des Komponisten, so wäre es um Maras Schicksal schlimm bestellt
gewesen. Nach dem aufregenden Lärm und der krassen Quälerei aber, die
vorhergeht, wirkt das Erscheinen des Kindes mit seinem harmlosen Motiv
wirklich wohlthuend, man atmet auf, das einschmeichelnd instrumentirte Sätzchen
gefällt aufs neue, man klatscht, und die Oper -- ist gerettet. Der Beifall,
der nur dem geschickten Schlüsse gilt, wird aufs ganze Werk bezogen. Man
kann aber nur wünschen, daß der Erfolg nicht von Dauer sei, denn Hnmmels
Mara macht der deutschen Kunst keine Ehre.

(Schluß folgt)


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niger, dabei in vielen Einzelheiten rauh und ungeschickt, wie ja so häufig Sü߬
lichkeit und eine gewisse Art von Härte Hand in Hand gehen.

Nachdem der Kleine glücklich in Schlaf gesungen ist, erscheint sein Vater,
angeblich „in heftiger Leidenschaft und Erregung," die wir ihm auch für dies¬
mal, wenn auch mit einigem Widerstreben glauben wollen. Die Art und Weise
aber, wie Eddin dann die „Heimat seiner Lieben" ansinge, läßt keinen Zweifel,
daß er auch musikalisch Maras würdiger Gatte ist. Die harmonischen Ge¬
danken der Kuckuckszene werden dadurch nicht männlicher, daß sie hier Eddin
in den Mund gelegt sind, im Gegenteil, sie machen ihn nur noch weibischer.
Zwischen den Gatten entspinnt sich ein Zwiegescmg von ausgesuchter Leer¬
heit, doch das Unheil schreitet schnell und kündet sich für diesmal an durch
Kirchenglocken, Hornrufe, Männerchor und wildes Geschrei und Geheul der
Tscherkessen. Was will man mehr? Es ist ja schon manches gesündigt worden
auf dem weiten Gebiete der Opernlitteratur, ob aber jemals etwas Leereres
und Phrasenhafteres geschrieben worden ist als dieser Zwischensatz, der in
düsterer Weise die Katastrophe ankündigen soll, dürste doch zweifelhaft sein.
Und nun bis zum Ende der Oper kein einziger guter Gedanke mehr. Djui,
der böse Bruder, erscheint „kalt und schroff," „leidenschaftlich" und „rach¬
süchtig," alles dicht hinter einander. Mara äußert sich dementsprechend „ver¬
zweifelt," was Djui jedoch nicht verhindert, ihr „vernichtend" zu antworten;
das Orchester aber kommt Mara zu Hilfe und malt ihren Seelenzustand „mit
dem Ausdruck bittersten Wehs" u. s, w. Es ist wirklich nicht gut möglich,
diese Art von „Kunst" einer ernsthaften Kritik zu unterziehen. Hummel kennt
überhaupt nur zwei Farben — süßliche Sentimentalität und äußerliches, thea¬
tralisches Pathos. Nicht einmal ein interessanter Irrtum ist bei ihm zu finden:
was er bietet, ist abgestandne Routine, die kaum mehr einer Gährung fähig
sein dürfte. Was nützt es, wenn hie und da einmal ein besserer harmonischer
Gedanke auftaucht? Er wird ja doch sofort weggeschwemmt von der alles
überflutenden Banalität. Hätte nicht der Dichter den guten Einfall gehabt,
zum Schluß noch einmal den kleinen Dimitri mit seinem „Kuckuck" auf der
Bühne erscheinen zu lassen, und wäre dies „Kuckuck" nicht der einzige gute
Gedanke des Komponisten, so wäre es um Maras Schicksal schlimm bestellt
gewesen. Nach dem aufregenden Lärm und der krassen Quälerei aber, die
vorhergeht, wirkt das Erscheinen des Kindes mit seinem harmlosen Motiv
wirklich wohlthuend, man atmet auf, das einschmeichelnd instrumentirte Sätzchen
gefällt aufs neue, man klatscht, und die Oper — ist gerettet. Der Beifall,
der nur dem geschickten Schlüsse gilt, wird aufs ganze Werk bezogen. Man
kann aber nur wünschen, daß der Erfolg nicht von Dauer sei, denn Hnmmels
Mara macht der deutschen Kunst keine Ehre.

(Schluß folgt)


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[0244] Moderne Gpern niger, dabei in vielen Einzelheiten rauh und ungeschickt, wie ja so häufig Sü߬ lichkeit und eine gewisse Art von Härte Hand in Hand gehen. Nachdem der Kleine glücklich in Schlaf gesungen ist, erscheint sein Vater, angeblich „in heftiger Leidenschaft und Erregung," die wir ihm auch für dies¬ mal, wenn auch mit einigem Widerstreben glauben wollen. Die Art und Weise aber, wie Eddin dann die „Heimat seiner Lieben" ansinge, läßt keinen Zweifel, daß er auch musikalisch Maras würdiger Gatte ist. Die harmonischen Ge¬ danken der Kuckuckszene werden dadurch nicht männlicher, daß sie hier Eddin in den Mund gelegt sind, im Gegenteil, sie machen ihn nur noch weibischer. Zwischen den Gatten entspinnt sich ein Zwiegescmg von ausgesuchter Leer¬ heit, doch das Unheil schreitet schnell und kündet sich für diesmal an durch Kirchenglocken, Hornrufe, Männerchor und wildes Geschrei und Geheul der Tscherkessen. Was will man mehr? Es ist ja schon manches gesündigt worden auf dem weiten Gebiete der Opernlitteratur, ob aber jemals etwas Leereres und Phrasenhafteres geschrieben worden ist als dieser Zwischensatz, der in düsterer Weise die Katastrophe ankündigen soll, dürste doch zweifelhaft sein. Und nun bis zum Ende der Oper kein einziger guter Gedanke mehr. Djui, der böse Bruder, erscheint „kalt und schroff," „leidenschaftlich" und „rach¬ süchtig," alles dicht hinter einander. Mara äußert sich dementsprechend „ver¬ zweifelt," was Djui jedoch nicht verhindert, ihr „vernichtend" zu antworten; das Orchester aber kommt Mara zu Hilfe und malt ihren Seelenzustand „mit dem Ausdruck bittersten Wehs" u. s, w. Es ist wirklich nicht gut möglich, diese Art von „Kunst" einer ernsthaften Kritik zu unterziehen. Hummel kennt überhaupt nur zwei Farben — süßliche Sentimentalität und äußerliches, thea¬ tralisches Pathos. Nicht einmal ein interessanter Irrtum ist bei ihm zu finden: was er bietet, ist abgestandne Routine, die kaum mehr einer Gährung fähig sein dürfte. Was nützt es, wenn hie und da einmal ein besserer harmonischer Gedanke auftaucht? Er wird ja doch sofort weggeschwemmt von der alles überflutenden Banalität. Hätte nicht der Dichter den guten Einfall gehabt, zum Schluß noch einmal den kleinen Dimitri mit seinem „Kuckuck" auf der Bühne erscheinen zu lassen, und wäre dies „Kuckuck" nicht der einzige gute Gedanke des Komponisten, so wäre es um Maras Schicksal schlimm bestellt gewesen. Nach dem aufregenden Lärm und der krassen Quälerei aber, die vorhergeht, wirkt das Erscheinen des Kindes mit seinem harmlosen Motiv wirklich wohlthuend, man atmet auf, das einschmeichelnd instrumentirte Sätzchen gefällt aufs neue, man klatscht, und die Oper — ist gerettet. Der Beifall, der nur dem geschickten Schlüsse gilt, wird aufs ganze Werk bezogen. Man kann aber nur wünschen, daß der Erfolg nicht von Dauer sei, denn Hnmmels Mara macht der deutschen Kunst keine Ehre. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/244>, abgerufen am 22.12.2024.