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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

stellen. Kein hoher Adel ist sich bis in unsre Zeit dieser seiner Pflichten so
bewußt gewesen wie die englische nobility, keine Aristokratie hat sie mehr
hintangesetzt als der vorrevolutionäre Adel Frankreichs. Die nobility diente
allezeit ihrem Lande und ist heute noch eine Macht, der französische Adel
diente sich selbst und dem Hofe und rettete aus den innern Umwälzungen
nichts als seine leeren Titel. Auch in andern Staaten hat die hohe Gruud-
aristokratie die Pflichten, die ihr gegen das Land obliegen, schlecht verstanden
und schlecht bethätigt, sie nimmt daher im öffentlichen Leben der Nation nicht
entfernt die Stellung ein, die ihr kraft ihres geschichtlichen Ansehens und mate¬
riellen Lage zukommen könnte. Die spanischen Granden erster Klasse haben,
obwohl sie wegen ihres hohen Einkommens aus Grundbesitz Mitglieder des
Senats sind, in diesem Jahrhundert keinen bestimmenden Einfluß auf die wechsel¬
reichen Geschicke ihres Vaterlandes geäußert, und die hochadlichen Latifundien¬
besitzer in Süditalien, deren unpatriotische Mißwirtschaft eine der schlimmsten
Verlegenheiten des Königreichs bildet, sind ohne jegliches Ansehen im Volke.
Anders der von mancher Seite vielgeschmähte hohe Adel Österreichs und der
gerade jetzt stark angefeindete hohe Adel der ungarischen Krone. Man mag
über seine politischen Ideen und über die Art seines Eingreifens in die öffent¬
lichen Dinge denken, wie man will, man wird zugestehen müssen, daß er sein
altes Ansehen und seinen politischen Einfluß bis auf den heutigen Tag noch
mit Zähigkeit zu erhalten verstanden hat, und daß er in den Ländern der
Habsburgischen Krone noch immer eine lebendige Macht bildet.

In England stehen die Mitglieder der erblichen Pairie und deren Familien¬
angehörige an der Spitze der politischen Ämter und Würden. Sie haben noch,
wenn auch nicht mehr ausschließlich, die Leitung der großen Staatsgeschäfte
und werden diese auch dann behalten, wenn das Oberhaus einer gänzlichen
Umgestaltung unterliegen oder ganz verschwinden sollte. Die nobility ist die
Spitze der Gentry, die den Inselstaat regiert. Es giebt wenig Lords, die es
verschmähten, dem Lande in einem Staats- oder Grafschaftsamte höherer Ord¬
nung zu dienen. Die englische Aristokratie ist an den öffentlichen Ehrendienst
gewöhnt wie keine andre, selten wird sich ein Mitglied in rüstigen Jahren frei¬
willig auf seine Güter zurückziehen und seine Thätigkeit auf die Verwaltung
seines Besitzes oder die Verfolgung seiner Privatinteressen beschränken.
Ohne die Teilnahme mehrerer Mitglieder des hohen Adels wird kein Ministe¬
rium gebildet, häufig hat eins die führende Stelle. Seit Jahrhunderten ist
es beim englischen Adel Herkommen, sich in regster Weise an den Geschäften
des Staats und der Selbstregierung zu beteiligen, die Erziehung des Jüng¬
lings, die Schulung des jungen Mannes ist vorzugsweise auf die spätere Teil¬
nahme am öffentlichen Leben gerichtet. Die englische Baronie hat das richtige
Verständnis sür die Pflichten, die ein bevorrechteter Stand auf sich nehmen
muß, und sie ist in keiner Zeit zu einer Gemeinschaft hochtitulirter Privat-


Der hohe Adel in Preußen

stellen. Kein hoher Adel ist sich bis in unsre Zeit dieser seiner Pflichten so
bewußt gewesen wie die englische nobility, keine Aristokratie hat sie mehr
hintangesetzt als der vorrevolutionäre Adel Frankreichs. Die nobility diente
allezeit ihrem Lande und ist heute noch eine Macht, der französische Adel
diente sich selbst und dem Hofe und rettete aus den innern Umwälzungen
nichts als seine leeren Titel. Auch in andern Staaten hat die hohe Gruud-
aristokratie die Pflichten, die ihr gegen das Land obliegen, schlecht verstanden
und schlecht bethätigt, sie nimmt daher im öffentlichen Leben der Nation nicht
entfernt die Stellung ein, die ihr kraft ihres geschichtlichen Ansehens und mate¬
riellen Lage zukommen könnte. Die spanischen Granden erster Klasse haben,
obwohl sie wegen ihres hohen Einkommens aus Grundbesitz Mitglieder des
Senats sind, in diesem Jahrhundert keinen bestimmenden Einfluß auf die wechsel¬
reichen Geschicke ihres Vaterlandes geäußert, und die hochadlichen Latifundien¬
besitzer in Süditalien, deren unpatriotische Mißwirtschaft eine der schlimmsten
Verlegenheiten des Königreichs bildet, sind ohne jegliches Ansehen im Volke.
Anders der von mancher Seite vielgeschmähte hohe Adel Österreichs und der
gerade jetzt stark angefeindete hohe Adel der ungarischen Krone. Man mag
über seine politischen Ideen und über die Art seines Eingreifens in die öffent¬
lichen Dinge denken, wie man will, man wird zugestehen müssen, daß er sein
altes Ansehen und seinen politischen Einfluß bis auf den heutigen Tag noch
mit Zähigkeit zu erhalten verstanden hat, und daß er in den Ländern der
Habsburgischen Krone noch immer eine lebendige Macht bildet.

In England stehen die Mitglieder der erblichen Pairie und deren Familien¬
angehörige an der Spitze der politischen Ämter und Würden. Sie haben noch,
wenn auch nicht mehr ausschließlich, die Leitung der großen Staatsgeschäfte
und werden diese auch dann behalten, wenn das Oberhaus einer gänzlichen
Umgestaltung unterliegen oder ganz verschwinden sollte. Die nobility ist die
Spitze der Gentry, die den Inselstaat regiert. Es giebt wenig Lords, die es
verschmähten, dem Lande in einem Staats- oder Grafschaftsamte höherer Ord¬
nung zu dienen. Die englische Aristokratie ist an den öffentlichen Ehrendienst
gewöhnt wie keine andre, selten wird sich ein Mitglied in rüstigen Jahren frei¬
willig auf seine Güter zurückziehen und seine Thätigkeit auf die Verwaltung
seines Besitzes oder die Verfolgung seiner Privatinteressen beschränken.
Ohne die Teilnahme mehrerer Mitglieder des hohen Adels wird kein Ministe¬
rium gebildet, häufig hat eins die führende Stelle. Seit Jahrhunderten ist
es beim englischen Adel Herkommen, sich in regster Weise an den Geschäften
des Staats und der Selbstregierung zu beteiligen, die Erziehung des Jüng¬
lings, die Schulung des jungen Mannes ist vorzugsweise auf die spätere Teil¬
nahme am öffentlichen Leben gerichtet. Die englische Baronie hat das richtige
Verständnis sür die Pflichten, die ein bevorrechteter Stand auf sich nehmen
muß, und sie ist in keiner Zeit zu einer Gemeinschaft hochtitulirter Privat-


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[0024] Der hohe Adel in Preußen stellen. Kein hoher Adel ist sich bis in unsre Zeit dieser seiner Pflichten so bewußt gewesen wie die englische nobility, keine Aristokratie hat sie mehr hintangesetzt als der vorrevolutionäre Adel Frankreichs. Die nobility diente allezeit ihrem Lande und ist heute noch eine Macht, der französische Adel diente sich selbst und dem Hofe und rettete aus den innern Umwälzungen nichts als seine leeren Titel. Auch in andern Staaten hat die hohe Gruud- aristokratie die Pflichten, die ihr gegen das Land obliegen, schlecht verstanden und schlecht bethätigt, sie nimmt daher im öffentlichen Leben der Nation nicht entfernt die Stellung ein, die ihr kraft ihres geschichtlichen Ansehens und mate¬ riellen Lage zukommen könnte. Die spanischen Granden erster Klasse haben, obwohl sie wegen ihres hohen Einkommens aus Grundbesitz Mitglieder des Senats sind, in diesem Jahrhundert keinen bestimmenden Einfluß auf die wechsel¬ reichen Geschicke ihres Vaterlandes geäußert, und die hochadlichen Latifundien¬ besitzer in Süditalien, deren unpatriotische Mißwirtschaft eine der schlimmsten Verlegenheiten des Königreichs bildet, sind ohne jegliches Ansehen im Volke. Anders der von mancher Seite vielgeschmähte hohe Adel Österreichs und der gerade jetzt stark angefeindete hohe Adel der ungarischen Krone. Man mag über seine politischen Ideen und über die Art seines Eingreifens in die öffent¬ lichen Dinge denken, wie man will, man wird zugestehen müssen, daß er sein altes Ansehen und seinen politischen Einfluß bis auf den heutigen Tag noch mit Zähigkeit zu erhalten verstanden hat, und daß er in den Ländern der Habsburgischen Krone noch immer eine lebendige Macht bildet. In England stehen die Mitglieder der erblichen Pairie und deren Familien¬ angehörige an der Spitze der politischen Ämter und Würden. Sie haben noch, wenn auch nicht mehr ausschließlich, die Leitung der großen Staatsgeschäfte und werden diese auch dann behalten, wenn das Oberhaus einer gänzlichen Umgestaltung unterliegen oder ganz verschwinden sollte. Die nobility ist die Spitze der Gentry, die den Inselstaat regiert. Es giebt wenig Lords, die es verschmähten, dem Lande in einem Staats- oder Grafschaftsamte höherer Ord¬ nung zu dienen. Die englische Aristokratie ist an den öffentlichen Ehrendienst gewöhnt wie keine andre, selten wird sich ein Mitglied in rüstigen Jahren frei¬ willig auf seine Güter zurückziehen und seine Thätigkeit auf die Verwaltung seines Besitzes oder die Verfolgung seiner Privatinteressen beschränken. Ohne die Teilnahme mehrerer Mitglieder des hohen Adels wird kein Ministe¬ rium gebildet, häufig hat eins die führende Stelle. Seit Jahrhunderten ist es beim englischen Adel Herkommen, sich in regster Weise an den Geschäften des Staats und der Selbstregierung zu beteiligen, die Erziehung des Jüng¬ lings, die Schulung des jungen Mannes ist vorzugsweise auf die spätere Teil¬ nahme am öffentlichen Leben gerichtet. Die englische Baronie hat das richtige Verständnis sür die Pflichten, die ein bevorrechteter Stand auf sich nehmen muß, und sie ist in keiner Zeit zu einer Gemeinschaft hochtitulirter Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/24>, abgerufen am 25.08.2024.