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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

gewaltigen Unterschied, ob der Grundstock des Vermögens und Einkommens
in beweglichem Gute, im Umsätze, in Geld oder Schuldverschreibungen, in Er¬
werbsquellen und Gegenständen besteht, die allen Krisen, allen Wandlungen
und Schwankungen des Verkehrs ausgesetzt sind, oder ob den Grundstock und
die Quelle der Einnahmen der Boden und dessen Ertrag bildet, der, wenn
auch die Bodenrenke zu gewissen Zeiten -- wie eben jetzt -- die Neigung
hat, zu sinken, doch gegen die plötzlichen Notstände, denen Handel und In¬
dustrie ausgesetzt sind, mehr geschützt ist als das bewegliche Kapital. Das trifft
insbesondre zu auf die Gutswirtschaft im Großbetriebe; je größer die Be¬
sitzung, um so intensiver kann regelmäßig die Wirtschaft mit allen Hilfsmitteln
der modernen Wissenschaft betrieben werden, und um so leichter kann sie perio¬
disch wiederkehrende Krisen überstehen. Reiche Bürgerfamilien aus dem In¬
dustrie- und Handelsstande pflegen das Gewerbe nicht mehrere Geschlechter
hindurch fortzusetzen; es waltet bei ihnen der Trieb vor, das Gewerbe zu
günstiger Zeit in andre Hände zu legen und sich selbst durch Ankauf von
Gütern in die Grundaristokratie einzufügen.

Der hohe Grundadel mit Stamm- und Familienbesitz erscheint hiernach
in Deutschland und Preußen als eine konservative Klasse. Sein Interesse an
der Erhaltung der bestehenden Staats-, Rechts- und Wirtschaftsordnung in
ihren Grundzügen ist vielleicht stärker als bei jeder andern Volksklasse. Er ist
ein fester Punkt in der Gesellschaft, unabhängig durch seinen auskömmlichen
Besitz uach unten wie uach oben, eine feste Stütze gegen die sich mehrenden
Angriffe auf die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Seine Ver¬
hältnisse find derart, daß er dem gemeinen Wesen ohne Eigennutz und ohne
Parteiische Hervorkehrung der landwirtschaftlichen Berufsinteressen ersprießliche
Dienste leisten kann. Die Lage eines Grandseigneurs ist eine andre als die
des einfachen Rittergutsbesitzers, zumal eines solchen, der unter der Ungunst
wirtschaftlicher Mißverhältnisse zu leiden hat; er ist meist nicht bloß Land¬
wirt oder Grundherr, seine Nebengewerbe, seine Beteiligung an Kapitalunter¬
nehmungen verschiedner Art, die steten geschäftlichen Beziehungen seiner Ver¬
waltung mit andern Berufen lassen eine übermäßige Bevorzugung der land¬
wirtschaftlichen Interessen uicht zu, und er gehört daher, wenigstens in Deutsch¬
land, fast nie zu den Wortführern einer extremen Wirtschaftspartei.

Die erbliche Landstandschaft ist ein politisches Familienrecht, aber ein
Recht, dem nationale Pflichten gegenüberstehen. Richtig verstanden ist kein
Politisches Recht ohne Pflichten. Durch geschriebne Gesetze werden diese
Pflichten nicht festgestellt, sie liegen im Rechte selbst, sie stehen damit in Wechsel¬
beziehung. Den entsprechenden Pflichten vollauf zu genügen, mag um so
schwieriger, vielleicht auch um so lästiger sein, je wichtiger das Recht selbst
lst, aber in allen Fällen ist eine dauernde Vernachlässigung unpatriotisch und
geeignet, für die bevorrechtete Klasse den Fortbestand des Rechts in Frage zu


Der hohe Adel in Preußen

gewaltigen Unterschied, ob der Grundstock des Vermögens und Einkommens
in beweglichem Gute, im Umsätze, in Geld oder Schuldverschreibungen, in Er¬
werbsquellen und Gegenständen besteht, die allen Krisen, allen Wandlungen
und Schwankungen des Verkehrs ausgesetzt sind, oder ob den Grundstock und
die Quelle der Einnahmen der Boden und dessen Ertrag bildet, der, wenn
auch die Bodenrenke zu gewissen Zeiten — wie eben jetzt — die Neigung
hat, zu sinken, doch gegen die plötzlichen Notstände, denen Handel und In¬
dustrie ausgesetzt sind, mehr geschützt ist als das bewegliche Kapital. Das trifft
insbesondre zu auf die Gutswirtschaft im Großbetriebe; je größer die Be¬
sitzung, um so intensiver kann regelmäßig die Wirtschaft mit allen Hilfsmitteln
der modernen Wissenschaft betrieben werden, und um so leichter kann sie perio¬
disch wiederkehrende Krisen überstehen. Reiche Bürgerfamilien aus dem In¬
dustrie- und Handelsstande pflegen das Gewerbe nicht mehrere Geschlechter
hindurch fortzusetzen; es waltet bei ihnen der Trieb vor, das Gewerbe zu
günstiger Zeit in andre Hände zu legen und sich selbst durch Ankauf von
Gütern in die Grundaristokratie einzufügen.

Der hohe Grundadel mit Stamm- und Familienbesitz erscheint hiernach
in Deutschland und Preußen als eine konservative Klasse. Sein Interesse an
der Erhaltung der bestehenden Staats-, Rechts- und Wirtschaftsordnung in
ihren Grundzügen ist vielleicht stärker als bei jeder andern Volksklasse. Er ist
ein fester Punkt in der Gesellschaft, unabhängig durch seinen auskömmlichen
Besitz uach unten wie uach oben, eine feste Stütze gegen die sich mehrenden
Angriffe auf die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Seine Ver¬
hältnisse find derart, daß er dem gemeinen Wesen ohne Eigennutz und ohne
Parteiische Hervorkehrung der landwirtschaftlichen Berufsinteressen ersprießliche
Dienste leisten kann. Die Lage eines Grandseigneurs ist eine andre als die
des einfachen Rittergutsbesitzers, zumal eines solchen, der unter der Ungunst
wirtschaftlicher Mißverhältnisse zu leiden hat; er ist meist nicht bloß Land¬
wirt oder Grundherr, seine Nebengewerbe, seine Beteiligung an Kapitalunter¬
nehmungen verschiedner Art, die steten geschäftlichen Beziehungen seiner Ver¬
waltung mit andern Berufen lassen eine übermäßige Bevorzugung der land¬
wirtschaftlichen Interessen uicht zu, und er gehört daher, wenigstens in Deutsch¬
land, fast nie zu den Wortführern einer extremen Wirtschaftspartei.

Die erbliche Landstandschaft ist ein politisches Familienrecht, aber ein
Recht, dem nationale Pflichten gegenüberstehen. Richtig verstanden ist kein
Politisches Recht ohne Pflichten. Durch geschriebne Gesetze werden diese
Pflichten nicht festgestellt, sie liegen im Rechte selbst, sie stehen damit in Wechsel¬
beziehung. Den entsprechenden Pflichten vollauf zu genügen, mag um so
schwieriger, vielleicht auch um so lästiger sein, je wichtiger das Recht selbst
lst, aber in allen Fällen ist eine dauernde Vernachlässigung unpatriotisch und
geeignet, für die bevorrechtete Klasse den Fortbestand des Rechts in Frage zu


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[0023] Der hohe Adel in Preußen gewaltigen Unterschied, ob der Grundstock des Vermögens und Einkommens in beweglichem Gute, im Umsätze, in Geld oder Schuldverschreibungen, in Er¬ werbsquellen und Gegenständen besteht, die allen Krisen, allen Wandlungen und Schwankungen des Verkehrs ausgesetzt sind, oder ob den Grundstock und die Quelle der Einnahmen der Boden und dessen Ertrag bildet, der, wenn auch die Bodenrenke zu gewissen Zeiten — wie eben jetzt — die Neigung hat, zu sinken, doch gegen die plötzlichen Notstände, denen Handel und In¬ dustrie ausgesetzt sind, mehr geschützt ist als das bewegliche Kapital. Das trifft insbesondre zu auf die Gutswirtschaft im Großbetriebe; je größer die Be¬ sitzung, um so intensiver kann regelmäßig die Wirtschaft mit allen Hilfsmitteln der modernen Wissenschaft betrieben werden, und um so leichter kann sie perio¬ disch wiederkehrende Krisen überstehen. Reiche Bürgerfamilien aus dem In¬ dustrie- und Handelsstande pflegen das Gewerbe nicht mehrere Geschlechter hindurch fortzusetzen; es waltet bei ihnen der Trieb vor, das Gewerbe zu günstiger Zeit in andre Hände zu legen und sich selbst durch Ankauf von Gütern in die Grundaristokratie einzufügen. Der hohe Grundadel mit Stamm- und Familienbesitz erscheint hiernach in Deutschland und Preußen als eine konservative Klasse. Sein Interesse an der Erhaltung der bestehenden Staats-, Rechts- und Wirtschaftsordnung in ihren Grundzügen ist vielleicht stärker als bei jeder andern Volksklasse. Er ist ein fester Punkt in der Gesellschaft, unabhängig durch seinen auskömmlichen Besitz uach unten wie uach oben, eine feste Stütze gegen die sich mehrenden Angriffe auf die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Seine Ver¬ hältnisse find derart, daß er dem gemeinen Wesen ohne Eigennutz und ohne Parteiische Hervorkehrung der landwirtschaftlichen Berufsinteressen ersprießliche Dienste leisten kann. Die Lage eines Grandseigneurs ist eine andre als die des einfachen Rittergutsbesitzers, zumal eines solchen, der unter der Ungunst wirtschaftlicher Mißverhältnisse zu leiden hat; er ist meist nicht bloß Land¬ wirt oder Grundherr, seine Nebengewerbe, seine Beteiligung an Kapitalunter¬ nehmungen verschiedner Art, die steten geschäftlichen Beziehungen seiner Ver¬ waltung mit andern Berufen lassen eine übermäßige Bevorzugung der land¬ wirtschaftlichen Interessen uicht zu, und er gehört daher, wenigstens in Deutsch¬ land, fast nie zu den Wortführern einer extremen Wirtschaftspartei. Die erbliche Landstandschaft ist ein politisches Familienrecht, aber ein Recht, dem nationale Pflichten gegenüberstehen. Richtig verstanden ist kein Politisches Recht ohne Pflichten. Durch geschriebne Gesetze werden diese Pflichten nicht festgestellt, sie liegen im Rechte selbst, sie stehen damit in Wechsel¬ beziehung. Den entsprechenden Pflichten vollauf zu genügen, mag um so schwieriger, vielleicht auch um so lästiger sein, je wichtiger das Recht selbst lst, aber in allen Fällen ist eine dauernde Vernachlässigung unpatriotisch und geeignet, für die bevorrechtete Klasse den Fortbestand des Rechts in Frage zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/23>, abgerufen am 25.08.2024.