Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Hoffentlich giebt uns das durch seinen großen Umfang doppelt furchtbare
Unglück der Elbe Anlaß, zum Nutzen der Seeleute und der Reisenden mehr
als bisher den nautischen Dingen unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Geht ein
großer Passagierdampfer zu Grunde, so ist das Schrecknis in aller Munde;
fast noch wichtiger aber sind die Tag sür Tag sich wiederholenden Unfälle im
Frachtverkehr, von denen hauptsächlich die eigentlichen Seeleute zu leiden haben.
(Die Mannschaft der großen Passagierdampfer besteht ganz überwiegend aus
Maschinenarbeitern und Kellnern.) Die am Personengeschäft beteiligten Reede¬
reien thun schon aus Rücksicht auf den guten Ruf manches, wozu sie sich aus
bloßer Nächstenliebe niemals verstehen würden; im Frachtgeschäft fällt diese
Erwägung weg, hier herrscht uneingeschränkt der Grundsatz der billigen Kon¬
kurrenz. Ist doch bei den mühsam sich durchkämpfenden kleinen Fahrzeugen
Einrichtung und Bemannung oft derart, daß sich ihnen kein Binnenländer an¬
vertrauen möchte. Aber auch um die Flotte der kapitalmüchtigen Reedereien
scheint es nicht immer musterhaft bestellt zu sein. Ein wahrer Unglückskasten
war z. B. der Dampfer Savona, 1500 Registertons haltend, der zuletzt
(1888/90) im Besitz der Hamburger Slomanlinie war. Die Savona hat in
siebzehn Jahren nicht weniger als sechsmal den Eigentümer gewechselt. Acht
schwere Havarien erlitt sie unter englischer Flagge, und zwar durch Seeschlag,
Leckspringen, Kollision, Strandung, wiederholtes "Übergehen" (auf die Seite
fallen) der Ladung und Versinken; als sie wieder flott gemacht und unter deutsche
Flagge gekommen war, begegneten ihr noch mindestens drei Unfälle, u. a.
durch Entzündung der Kohlenvorräte und Verlust sämtlicher Schraubenflügel,
bis sie auf hoher See verlassen wurde, nachdem man sie des raschem Sinkens
wegen angebohrt hatte, damit sie nicht als treibendes Wrack andern Schiffen
gefährlich würde. Die vom Seegericht befragten Sachverständigen meinten,
das Schiff sei von Haus aus "rank" (zu wenig stabil) gewesen. Nach dem im
Reichstag zitirten Schriftchen "Schutz für unsre Seeleute"") .sind in dem Jahr¬
zehnt 1881/91 allein an deutschen Schiffen 1521 durch Strandung und Zu¬
sammenstoß, sowie aus andern bekannten Ursachen verloren gegangen; außerdem
130, bei denen die Ursache des Verlustes nicht auszumachen war: sie verließen
den Hafen und kamen nie ans Ziel. Bei diesen verschiednen Gelegenheiten
haben 3000 Menschen das Leben eingebüßt. Aber nur bei 750 konnten die
Seegerichte die nähere Todesursache feststellen, und von dieser Minder¬
heit fallen 440 auf den einen Hamburger Dampfer Cimbria, der im Jahre
1883 durch eignes Mißgeschick in der Nordsee unweit der Insel Borkum von
einem englischen Frachtdampfer gerammt wurde. Die Gefahr, auf Nimmer-
wiedersehen zu verschwinden, droht am meisten in der Wasserwüste der süd¬
lichen Meere, die bei größerer Ausdehnung viel weniger Verkehr haben als



") Leipzig, Fr. Will,, Grunvw, 1894. Preis 1 Mark.

Hoffentlich giebt uns das durch seinen großen Umfang doppelt furchtbare
Unglück der Elbe Anlaß, zum Nutzen der Seeleute und der Reisenden mehr
als bisher den nautischen Dingen unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Geht ein
großer Passagierdampfer zu Grunde, so ist das Schrecknis in aller Munde;
fast noch wichtiger aber sind die Tag sür Tag sich wiederholenden Unfälle im
Frachtverkehr, von denen hauptsächlich die eigentlichen Seeleute zu leiden haben.
(Die Mannschaft der großen Passagierdampfer besteht ganz überwiegend aus
Maschinenarbeitern und Kellnern.) Die am Personengeschäft beteiligten Reede¬
reien thun schon aus Rücksicht auf den guten Ruf manches, wozu sie sich aus
bloßer Nächstenliebe niemals verstehen würden; im Frachtgeschäft fällt diese
Erwägung weg, hier herrscht uneingeschränkt der Grundsatz der billigen Kon¬
kurrenz. Ist doch bei den mühsam sich durchkämpfenden kleinen Fahrzeugen
Einrichtung und Bemannung oft derart, daß sich ihnen kein Binnenländer an¬
vertrauen möchte. Aber auch um die Flotte der kapitalmüchtigen Reedereien
scheint es nicht immer musterhaft bestellt zu sein. Ein wahrer Unglückskasten
war z. B. der Dampfer Savona, 1500 Registertons haltend, der zuletzt
(1888/90) im Besitz der Hamburger Slomanlinie war. Die Savona hat in
siebzehn Jahren nicht weniger als sechsmal den Eigentümer gewechselt. Acht
schwere Havarien erlitt sie unter englischer Flagge, und zwar durch Seeschlag,
Leckspringen, Kollision, Strandung, wiederholtes „Übergehen" (auf die Seite
fallen) der Ladung und Versinken; als sie wieder flott gemacht und unter deutsche
Flagge gekommen war, begegneten ihr noch mindestens drei Unfälle, u. a.
durch Entzündung der Kohlenvorräte und Verlust sämtlicher Schraubenflügel,
bis sie auf hoher See verlassen wurde, nachdem man sie des raschem Sinkens
wegen angebohrt hatte, damit sie nicht als treibendes Wrack andern Schiffen
gefährlich würde. Die vom Seegericht befragten Sachverständigen meinten,
das Schiff sei von Haus aus „rank" (zu wenig stabil) gewesen. Nach dem im
Reichstag zitirten Schriftchen „Schutz für unsre Seeleute"") .sind in dem Jahr¬
zehnt 1881/91 allein an deutschen Schiffen 1521 durch Strandung und Zu¬
sammenstoß, sowie aus andern bekannten Ursachen verloren gegangen; außerdem
130, bei denen die Ursache des Verlustes nicht auszumachen war: sie verließen
den Hafen und kamen nie ans Ziel. Bei diesen verschiednen Gelegenheiten
haben 3000 Menschen das Leben eingebüßt. Aber nur bei 750 konnten die
Seegerichte die nähere Todesursache feststellen, und von dieser Minder¬
heit fallen 440 auf den einen Hamburger Dampfer Cimbria, der im Jahre
1883 durch eignes Mißgeschick in der Nordsee unweit der Insel Borkum von
einem englischen Frachtdampfer gerammt wurde. Die Gefahr, auf Nimmer-
wiedersehen zu verschwinden, droht am meisten in der Wasserwüste der süd¬
lichen Meere, die bei größerer Ausdehnung viel weniger Verkehr haben als



") Leipzig, Fr. Will,, Grunvw, 1894. Preis 1 Mark.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219902"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Hoffentlich giebt uns das durch seinen großen Umfang doppelt furchtbare<lb/>
Unglück der Elbe Anlaß, zum Nutzen der Seeleute und der Reisenden mehr<lb/>
als bisher den nautischen Dingen unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Geht ein<lb/>
großer Passagierdampfer zu Grunde, so ist das Schrecknis in aller Munde;<lb/>
fast noch wichtiger aber sind die Tag sür Tag sich wiederholenden Unfälle im<lb/>
Frachtverkehr, von denen hauptsächlich die eigentlichen Seeleute zu leiden haben.<lb/>
(Die Mannschaft der großen Passagierdampfer besteht ganz überwiegend aus<lb/>
Maschinenarbeitern und Kellnern.) Die am Personengeschäft beteiligten Reede¬<lb/>
reien thun schon aus Rücksicht auf den guten Ruf manches, wozu sie sich aus<lb/>
bloßer Nächstenliebe niemals verstehen würden; im Frachtgeschäft fällt diese<lb/>
Erwägung weg, hier herrscht uneingeschränkt der Grundsatz der billigen Kon¬<lb/>
kurrenz. Ist doch bei den mühsam sich durchkämpfenden kleinen Fahrzeugen<lb/>
Einrichtung und Bemannung oft derart, daß sich ihnen kein Binnenländer an¬<lb/>
vertrauen möchte. Aber auch um die Flotte der kapitalmüchtigen Reedereien<lb/>
scheint es nicht immer musterhaft bestellt zu sein. Ein wahrer Unglückskasten<lb/>
war z. B. der Dampfer Savona, 1500 Registertons haltend, der zuletzt<lb/>
(1888/90) im Besitz der Hamburger Slomanlinie war. Die Savona hat in<lb/>
siebzehn Jahren nicht weniger als sechsmal den Eigentümer gewechselt. Acht<lb/>
schwere Havarien erlitt sie unter englischer Flagge, und zwar durch Seeschlag,<lb/>
Leckspringen, Kollision, Strandung, wiederholtes &#x201E;Übergehen" (auf die Seite<lb/>
fallen) der Ladung und Versinken; als sie wieder flott gemacht und unter deutsche<lb/>
Flagge gekommen war, begegneten ihr noch mindestens drei Unfälle, u. a.<lb/>
durch Entzündung der Kohlenvorräte und Verlust sämtlicher Schraubenflügel,<lb/>
bis sie auf hoher See verlassen wurde, nachdem man sie des raschem Sinkens<lb/>
wegen angebohrt hatte, damit sie nicht als treibendes Wrack andern Schiffen<lb/>
gefährlich würde. Die vom Seegericht befragten Sachverständigen meinten,<lb/>
das Schiff sei von Haus aus &#x201E;rank" (zu wenig stabil) gewesen. Nach dem im<lb/>
Reichstag zitirten Schriftchen &#x201E;Schutz für unsre Seeleute"") .sind in dem Jahr¬<lb/>
zehnt 1881/91 allein an deutschen Schiffen 1521 durch Strandung und Zu¬<lb/>
sammenstoß, sowie aus andern bekannten Ursachen verloren gegangen; außerdem<lb/>
130, bei denen die Ursache des Verlustes nicht auszumachen war: sie verließen<lb/>
den Hafen und kamen nie ans Ziel. Bei diesen verschiednen Gelegenheiten<lb/>
haben 3000 Menschen das Leben eingebüßt. Aber nur bei 750 konnten die<lb/>
Seegerichte die nähere Todesursache feststellen, und von dieser Minder¬<lb/>
heit fallen 440 auf den einen Hamburger Dampfer Cimbria, der im Jahre<lb/>
1883 durch eignes Mißgeschick in der Nordsee unweit der Insel Borkum von<lb/>
einem englischen Frachtdampfer gerammt wurde. Die Gefahr, auf Nimmer-<lb/>
wiedersehen zu verschwinden, droht am meisten in der Wasserwüste der süd¬<lb/>
lichen Meere, die bei größerer Ausdehnung viel weniger Verkehr haben als</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> ") Leipzig, Fr. Will,, Grunvw, 1894. Preis 1 Mark.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Hoffentlich giebt uns das durch seinen großen Umfang doppelt furchtbare Unglück der Elbe Anlaß, zum Nutzen der Seeleute und der Reisenden mehr als bisher den nautischen Dingen unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Geht ein großer Passagierdampfer zu Grunde, so ist das Schrecknis in aller Munde; fast noch wichtiger aber sind die Tag sür Tag sich wiederholenden Unfälle im Frachtverkehr, von denen hauptsächlich die eigentlichen Seeleute zu leiden haben. (Die Mannschaft der großen Passagierdampfer besteht ganz überwiegend aus Maschinenarbeitern und Kellnern.) Die am Personengeschäft beteiligten Reede¬ reien thun schon aus Rücksicht auf den guten Ruf manches, wozu sie sich aus bloßer Nächstenliebe niemals verstehen würden; im Frachtgeschäft fällt diese Erwägung weg, hier herrscht uneingeschränkt der Grundsatz der billigen Kon¬ kurrenz. Ist doch bei den mühsam sich durchkämpfenden kleinen Fahrzeugen Einrichtung und Bemannung oft derart, daß sich ihnen kein Binnenländer an¬ vertrauen möchte. Aber auch um die Flotte der kapitalmüchtigen Reedereien scheint es nicht immer musterhaft bestellt zu sein. Ein wahrer Unglückskasten war z. B. der Dampfer Savona, 1500 Registertons haltend, der zuletzt (1888/90) im Besitz der Hamburger Slomanlinie war. Die Savona hat in siebzehn Jahren nicht weniger als sechsmal den Eigentümer gewechselt. Acht schwere Havarien erlitt sie unter englischer Flagge, und zwar durch Seeschlag, Leckspringen, Kollision, Strandung, wiederholtes „Übergehen" (auf die Seite fallen) der Ladung und Versinken; als sie wieder flott gemacht und unter deutsche Flagge gekommen war, begegneten ihr noch mindestens drei Unfälle, u. a. durch Entzündung der Kohlenvorräte und Verlust sämtlicher Schraubenflügel, bis sie auf hoher See verlassen wurde, nachdem man sie des raschem Sinkens wegen angebohrt hatte, damit sie nicht als treibendes Wrack andern Schiffen gefährlich würde. Die vom Seegericht befragten Sachverständigen meinten, das Schiff sei von Haus aus „rank" (zu wenig stabil) gewesen. Nach dem im Reichstag zitirten Schriftchen „Schutz für unsre Seeleute"") .sind in dem Jahr¬ zehnt 1881/91 allein an deutschen Schiffen 1521 durch Strandung und Zu¬ sammenstoß, sowie aus andern bekannten Ursachen verloren gegangen; außerdem 130, bei denen die Ursache des Verlustes nicht auszumachen war: sie verließen den Hafen und kamen nie ans Ziel. Bei diesen verschiednen Gelegenheiten haben 3000 Menschen das Leben eingebüßt. Aber nur bei 750 konnten die Seegerichte die nähere Todesursache feststellen, und von dieser Minder¬ heit fallen 440 auf den einen Hamburger Dampfer Cimbria, der im Jahre 1883 durch eignes Mißgeschick in der Nordsee unweit der Insel Borkum von einem englischen Frachtdampfer gerammt wurde. Die Gefahr, auf Nimmer- wiedersehen zu verschwinden, droht am meisten in der Wasserwüste der süd¬ lichen Meere, die bei größerer Ausdehnung viel weniger Verkehr haben als ") Leipzig, Fr. Will,, Grunvw, 1894. Preis 1 Mark.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/226>, abgerufen am 22.12.2024.