Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

lich der Lenkbarkeit wirkt, wie das Schiff rechts und links steuert, und wieviel
Zeit es zum stoppen, Rückwärtsgehen und Wenden braucht. Nach alle-
dem richten sich die Aussichten für das Gelingen des jeweiligen Manövers.
Die den Schiffbrüchigen der Oder zuteil gewordne Hilfe ging von einem durch
Signale herbeigczognen englischen Frachtdampfer ans. Daß man nicht, wie es
Herr Lieber gethan hat, ganz allgemein von "wilden Engländern" reden darf,
die die deutschen Schiffe, wenn sie nach dem Gesetz handeln, "meuchlings
überfallen" und dann auskneifen, zeigte sich bei diesem Anlaß. Die englische
Reederei verlangte vom Norddeutschen Lloyd nicht einmal eine Entschädigung,
obwohl ihr Dampfer nicht ohne Gefahr nahe bei der Strandnngsstellc gewartet
hatte und mit den Schiffbrüchigen nach dem drei Tagereisen entfernten Aden
hatte zurückgehen müssen; und als der Lloyd freiwillig eine Summe für die
Schiffsmannschaft sandte, gab man ihm ungefähr die Hälfte zurück. Ganz
unhaltbar waren ferner die Ansichten des Herrn Lieber von der Gleichgiltigkeit
des Amerikaners gegen die Gefahren der Seefahrt, die sich in der Wahl des --
schnellsten Schiffs zeigen soll! Jedenfalls handelt der Amerikaner hierin un¬
gleich verständiger als der Fraktionssachverständige, der sich erstens einem
minder sichern Schiffe anvertraut und zweitens sehr viel länger als nötig auf
dem gefährlichen Meere zubringt. Der Hauptunterschied zwischen dem deutschen
und dem amerikanischen Reisenden besteht wohl in der Schnelligkeit des Ent¬
schlusses zur Reise. Von Haus aus an weite Entfernungen gewohnt -- die
Vereinigten Staaten sind ja zwölf bis dreizehnmal ausgedehnter als das Deutsche
Reich -- macht der Amerikaner von einem "Ausflug" über den "großen Bach,"
wie er den Atlantischen Ozean zu bezeichnen liebt, keineswegs so viel Aufhebens
wie der bedächtige Deutsche, der sich nebenbei um das Zukünftige sorgt.

Der Abgeordnete Frese, der Vertreter Bremens, war der ersten Rcichstags-
beratung ferngeblieben, um sich für die zweite vom Norddeutschen Lloyd vor¬
bereiten zu lassen. Zum Trost in dem gegenwärtigen Leid verwies er auf frü¬
heres, nämlich auf den Untergang des deutschen Kreuzers Augusta im Jahre
1885. Aber die Kriegsschiffe sind den Handelsschiffen wenig vergleichbar.
Ihre ganze Einrichtung ist eine andre, und die Aufstellung der schweren Ge¬
schütze auf Deck bewirkt eine ungünstige Verteilung der Last, mithin eine Ver¬
minderung der Stabilität. Ein einziges aus seiner Befestigung gelöstes Geschütz
kann bei Sturm große Gefahr bringen. Dann wird man es auch dein Lloyd
kaum zum Verdienst anrechnen wollen, wenn seine Dampfer vou einem Orkan,
wie ein solcher die Augusta und drei andre Schiffe im Busen von Aden ver¬
nichtet hat, verschont geblieben sind. Die Besatzung der Augusta wurde von
Herrn Frese ans 480 Köpfe angegeben, während sie thatsächlich und 223 be¬
tragen hat; dagegen bemaß Herr Frese die Gesamtverlnste des Lloyd auf
364 Personen, obwohl allein mit der Elbe und der Deutschland 335 -s-60
Menschen ertrunken sind. An sich sind ja diese Zahlen gleichgiltig, aber es


Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

lich der Lenkbarkeit wirkt, wie das Schiff rechts und links steuert, und wieviel
Zeit es zum stoppen, Rückwärtsgehen und Wenden braucht. Nach alle-
dem richten sich die Aussichten für das Gelingen des jeweiligen Manövers.
Die den Schiffbrüchigen der Oder zuteil gewordne Hilfe ging von einem durch
Signale herbeigczognen englischen Frachtdampfer ans. Daß man nicht, wie es
Herr Lieber gethan hat, ganz allgemein von „wilden Engländern" reden darf,
die die deutschen Schiffe, wenn sie nach dem Gesetz handeln, „meuchlings
überfallen" und dann auskneifen, zeigte sich bei diesem Anlaß. Die englische
Reederei verlangte vom Norddeutschen Lloyd nicht einmal eine Entschädigung,
obwohl ihr Dampfer nicht ohne Gefahr nahe bei der Strandnngsstellc gewartet
hatte und mit den Schiffbrüchigen nach dem drei Tagereisen entfernten Aden
hatte zurückgehen müssen; und als der Lloyd freiwillig eine Summe für die
Schiffsmannschaft sandte, gab man ihm ungefähr die Hälfte zurück. Ganz
unhaltbar waren ferner die Ansichten des Herrn Lieber von der Gleichgiltigkeit
des Amerikaners gegen die Gefahren der Seefahrt, die sich in der Wahl des —
schnellsten Schiffs zeigen soll! Jedenfalls handelt der Amerikaner hierin un¬
gleich verständiger als der Fraktionssachverständige, der sich erstens einem
minder sichern Schiffe anvertraut und zweitens sehr viel länger als nötig auf
dem gefährlichen Meere zubringt. Der Hauptunterschied zwischen dem deutschen
und dem amerikanischen Reisenden besteht wohl in der Schnelligkeit des Ent¬
schlusses zur Reise. Von Haus aus an weite Entfernungen gewohnt — die
Vereinigten Staaten sind ja zwölf bis dreizehnmal ausgedehnter als das Deutsche
Reich — macht der Amerikaner von einem „Ausflug" über den „großen Bach,"
wie er den Atlantischen Ozean zu bezeichnen liebt, keineswegs so viel Aufhebens
wie der bedächtige Deutsche, der sich nebenbei um das Zukünftige sorgt.

Der Abgeordnete Frese, der Vertreter Bremens, war der ersten Rcichstags-
beratung ferngeblieben, um sich für die zweite vom Norddeutschen Lloyd vor¬
bereiten zu lassen. Zum Trost in dem gegenwärtigen Leid verwies er auf frü¬
heres, nämlich auf den Untergang des deutschen Kreuzers Augusta im Jahre
1885. Aber die Kriegsschiffe sind den Handelsschiffen wenig vergleichbar.
Ihre ganze Einrichtung ist eine andre, und die Aufstellung der schweren Ge¬
schütze auf Deck bewirkt eine ungünstige Verteilung der Last, mithin eine Ver¬
minderung der Stabilität. Ein einziges aus seiner Befestigung gelöstes Geschütz
kann bei Sturm große Gefahr bringen. Dann wird man es auch dein Lloyd
kaum zum Verdienst anrechnen wollen, wenn seine Dampfer vou einem Orkan,
wie ein solcher die Augusta und drei andre Schiffe im Busen von Aden ver¬
nichtet hat, verschont geblieben sind. Die Besatzung der Augusta wurde von
Herrn Frese ans 480 Köpfe angegeben, während sie thatsächlich und 223 be¬
tragen hat; dagegen bemaß Herr Frese die Gesamtverlnste des Lloyd auf
364 Personen, obwohl allein mit der Elbe und der Deutschland 335 -s-60
Menschen ertrunken sind. An sich sind ja diese Zahlen gleichgiltig, aber es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219899"/>
          <fw type="header" place="top"> Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_786" prev="#ID_785"> lich der Lenkbarkeit wirkt, wie das Schiff rechts und links steuert, und wieviel<lb/>
Zeit es zum stoppen, Rückwärtsgehen und Wenden braucht. Nach alle-<lb/>
dem richten sich die Aussichten für das Gelingen des jeweiligen Manövers.<lb/>
Die den Schiffbrüchigen der Oder zuteil gewordne Hilfe ging von einem durch<lb/>
Signale herbeigczognen englischen Frachtdampfer ans. Daß man nicht, wie es<lb/>
Herr Lieber gethan hat, ganz allgemein von &#x201E;wilden Engländern" reden darf,<lb/>
die die deutschen Schiffe, wenn sie nach dem Gesetz handeln, &#x201E;meuchlings<lb/>
überfallen" und dann auskneifen, zeigte sich bei diesem Anlaß. Die englische<lb/>
Reederei verlangte vom Norddeutschen Lloyd nicht einmal eine Entschädigung,<lb/>
obwohl ihr Dampfer nicht ohne Gefahr nahe bei der Strandnngsstellc gewartet<lb/>
hatte und mit den Schiffbrüchigen nach dem drei Tagereisen entfernten Aden<lb/>
hatte zurückgehen müssen; und als der Lloyd freiwillig eine Summe für die<lb/>
Schiffsmannschaft sandte, gab man ihm ungefähr die Hälfte zurück. Ganz<lb/>
unhaltbar waren ferner die Ansichten des Herrn Lieber von der Gleichgiltigkeit<lb/>
des Amerikaners gegen die Gefahren der Seefahrt, die sich in der Wahl des &#x2014;<lb/>
schnellsten Schiffs zeigen soll! Jedenfalls handelt der Amerikaner hierin un¬<lb/>
gleich verständiger als der Fraktionssachverständige, der sich erstens einem<lb/>
minder sichern Schiffe anvertraut und zweitens sehr viel länger als nötig auf<lb/>
dem gefährlichen Meere zubringt. Der Hauptunterschied zwischen dem deutschen<lb/>
und dem amerikanischen Reisenden besteht wohl in der Schnelligkeit des Ent¬<lb/>
schlusses zur Reise. Von Haus aus an weite Entfernungen gewohnt &#x2014; die<lb/>
Vereinigten Staaten sind ja zwölf bis dreizehnmal ausgedehnter als das Deutsche<lb/>
Reich &#x2014; macht der Amerikaner von einem &#x201E;Ausflug" über den &#x201E;großen Bach,"<lb/>
wie er den Atlantischen Ozean zu bezeichnen liebt, keineswegs so viel Aufhebens<lb/>
wie der bedächtige Deutsche, der sich nebenbei um das Zukünftige sorgt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Der Abgeordnete Frese, der Vertreter Bremens, war der ersten Rcichstags-<lb/>
beratung ferngeblieben, um sich für die zweite vom Norddeutschen Lloyd vor¬<lb/>
bereiten zu lassen. Zum Trost in dem gegenwärtigen Leid verwies er auf frü¬<lb/>
heres, nämlich auf den Untergang des deutschen Kreuzers Augusta im Jahre<lb/>
1885. Aber die Kriegsschiffe sind den Handelsschiffen wenig vergleichbar.<lb/>
Ihre ganze Einrichtung ist eine andre, und die Aufstellung der schweren Ge¬<lb/>
schütze auf Deck bewirkt eine ungünstige Verteilung der Last, mithin eine Ver¬<lb/>
minderung der Stabilität. Ein einziges aus seiner Befestigung gelöstes Geschütz<lb/>
kann bei Sturm große Gefahr bringen. Dann wird man es auch dein Lloyd<lb/>
kaum zum Verdienst anrechnen wollen, wenn seine Dampfer vou einem Orkan,<lb/>
wie ein solcher die Augusta und drei andre Schiffe im Busen von Aden ver¬<lb/>
nichtet hat, verschont geblieben sind. Die Besatzung der Augusta wurde von<lb/>
Herrn Frese ans 480 Köpfe angegeben, während sie thatsächlich und 223 be¬<lb/>
tragen hat; dagegen bemaß Herr Frese die Gesamtverlnste des Lloyd auf<lb/>
364 Personen, obwohl allein mit der Elbe und der Deutschland 335 -s-60<lb/>
Menschen ertrunken sind.  An sich sind ja diese Zahlen gleichgiltig, aber es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0223] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag lich der Lenkbarkeit wirkt, wie das Schiff rechts und links steuert, und wieviel Zeit es zum stoppen, Rückwärtsgehen und Wenden braucht. Nach alle- dem richten sich die Aussichten für das Gelingen des jeweiligen Manövers. Die den Schiffbrüchigen der Oder zuteil gewordne Hilfe ging von einem durch Signale herbeigczognen englischen Frachtdampfer ans. Daß man nicht, wie es Herr Lieber gethan hat, ganz allgemein von „wilden Engländern" reden darf, die die deutschen Schiffe, wenn sie nach dem Gesetz handeln, „meuchlings überfallen" und dann auskneifen, zeigte sich bei diesem Anlaß. Die englische Reederei verlangte vom Norddeutschen Lloyd nicht einmal eine Entschädigung, obwohl ihr Dampfer nicht ohne Gefahr nahe bei der Strandnngsstellc gewartet hatte und mit den Schiffbrüchigen nach dem drei Tagereisen entfernten Aden hatte zurückgehen müssen; und als der Lloyd freiwillig eine Summe für die Schiffsmannschaft sandte, gab man ihm ungefähr die Hälfte zurück. Ganz unhaltbar waren ferner die Ansichten des Herrn Lieber von der Gleichgiltigkeit des Amerikaners gegen die Gefahren der Seefahrt, die sich in der Wahl des — schnellsten Schiffs zeigen soll! Jedenfalls handelt der Amerikaner hierin un¬ gleich verständiger als der Fraktionssachverständige, der sich erstens einem minder sichern Schiffe anvertraut und zweitens sehr viel länger als nötig auf dem gefährlichen Meere zubringt. Der Hauptunterschied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Reisenden besteht wohl in der Schnelligkeit des Ent¬ schlusses zur Reise. Von Haus aus an weite Entfernungen gewohnt — die Vereinigten Staaten sind ja zwölf bis dreizehnmal ausgedehnter als das Deutsche Reich — macht der Amerikaner von einem „Ausflug" über den „großen Bach," wie er den Atlantischen Ozean zu bezeichnen liebt, keineswegs so viel Aufhebens wie der bedächtige Deutsche, der sich nebenbei um das Zukünftige sorgt. Der Abgeordnete Frese, der Vertreter Bremens, war der ersten Rcichstags- beratung ferngeblieben, um sich für die zweite vom Norddeutschen Lloyd vor¬ bereiten zu lassen. Zum Trost in dem gegenwärtigen Leid verwies er auf frü¬ heres, nämlich auf den Untergang des deutschen Kreuzers Augusta im Jahre 1885. Aber die Kriegsschiffe sind den Handelsschiffen wenig vergleichbar. Ihre ganze Einrichtung ist eine andre, und die Aufstellung der schweren Ge¬ schütze auf Deck bewirkt eine ungünstige Verteilung der Last, mithin eine Ver¬ minderung der Stabilität. Ein einziges aus seiner Befestigung gelöstes Geschütz kann bei Sturm große Gefahr bringen. Dann wird man es auch dein Lloyd kaum zum Verdienst anrechnen wollen, wenn seine Dampfer vou einem Orkan, wie ein solcher die Augusta und drei andre Schiffe im Busen von Aden ver¬ nichtet hat, verschont geblieben sind. Die Besatzung der Augusta wurde von Herrn Frese ans 480 Köpfe angegeben, während sie thatsächlich und 223 be¬ tragen hat; dagegen bemaß Herr Frese die Gesamtverlnste des Lloyd auf 364 Personen, obwohl allein mit der Elbe und der Deutschland 335 -s-60 Menschen ertrunken sind. An sich sind ja diese Zahlen gleichgiltig, aber es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/223
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/223>, abgerufen am 31.08.2024.