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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

hat der preußische hohe Adel noch immer ein großes Ansehen im Volke. Selbst
Vertreter der radikalsten politischen und wirtschaftlichen Richtungen können nicht
umhin, dies anzuerkennen. Die Geschlechter, die dem hohen Adel in unserm
Sinne angehören, haben meist eine große geschichtliche Vergangenheit, deren
Glanz noch ans die Nachkommen von hente zurückfällt, sie sind mit den Land¬
schaften, in denen sie angesessen sind, von Alters her dnrch mannichfciche Bande
verknüpft, sie hatten dort bis auf die neueste Zeit wichtige vom Staate an¬
erkannte Herrschaftsrechte, namentlich Gerichtsbarkeit und Polizei, und ragten
weit empor über den kleinen Landadel ihrer Provinz, der in einzelnen Be¬
zirken zeitweilig auch rechtlich von ihnen abhängig war und in ihren Diensten
stand. Das Andenken an diese stolze Stellung ist auch gegenwärtig noch in
weiten Kreisen ihres Sitzes nicht ganz verflüchtigt, und selbst die unter ihnen,
deren materielle Güter im Laufe der Zeiten eine starke Schmälerung erlitten
haben, und die, die seit Menschengedenken keine Spuren öffentlichen Wirkens
hinterlassen haben, werden von der Bevölkerung ihrer Gegend mit dem her¬
kömmlichen Respekt behandelt. Sie verfügen regelmüßig über einen ausgebreiteten
Anhang, über eine zahlreiche Beamtenschaft und Dienerschaft. Ihre Beamten
sind fast immer Gutsvorsteher und in den östlichen Provinzen, wenn sich ihre
Besitzungen zu geschlossenen Amtsbezirken eignen, hünfig auch Amtsvorsteher,
die als solche zwar die Polizeigewalt im Namen des Königs ausüben, aber
als standesherrliche Diener doch unter dem Einfluß der Herrschaft stehen. In
Kirche und Schule sind ihre hergebrachten Befugnisse kraft des Patronats¬
rechts auf ihren Besitzungen noch wenig eingeschränkt. Der Besitz von Fabriken
und andern gewerblichen Anlagen, von Bergwerken, von Brennereien und Ziege¬
leien mit Großbetrieb macht manchem von ihnen große Arbeiterschaften dienstbar.
Einer Anzahl von Mediatisirten ist durch die neuere Gesetzgebung das ver¬
tragsmäßige Aufsichtsrecht über die Gemeinden der Standesherrschaft und eine
Mitwirkung bei Ernennung und Bestätigung der örtlichen Verwaltungsbehörden
in einem gewissen Umfange gewahrt, und selbst bei der Präsentation von
Landrüten müssen einige hohe Standesherren gehört werden. In den öst¬
lichen Provinzen sind die Standesherren sämtlich Latifundienbesitzer, und
es ist dort wohl keiner, der weniger als 5000 Hektaren Familieneigen¬
tum hätte.

Die guten Zeiten der alteingesessenen Großgrundaristokratie sind freilich
vorüber. Mit der Ausbreitung der modernen Kapitalwirtschaft hat ihre ehe¬
malige Überlegenheit an materiellen Gütern bedeutend abgenommen; sie ist
uicht mehr die reichste Volksklasse wie ehedem, wenn sich auch unter ihr mehrere
befinden, die zu den Reichsten im Lande zählen, und sie hat sowohl dadurch
als durch die Demokratisirung des Staatskörpers, deren Kosten sie trägt, in
der Gesellschaft an Gewicht eingebüßt. Nur widerstrebend folgt sie im Wirt-
schnftsbetriebe dem kapitalistischen Zuge der Gegenwart, und namentlich im


Der hohe Adel in Preußen

hat der preußische hohe Adel noch immer ein großes Ansehen im Volke. Selbst
Vertreter der radikalsten politischen und wirtschaftlichen Richtungen können nicht
umhin, dies anzuerkennen. Die Geschlechter, die dem hohen Adel in unserm
Sinne angehören, haben meist eine große geschichtliche Vergangenheit, deren
Glanz noch ans die Nachkommen von hente zurückfällt, sie sind mit den Land¬
schaften, in denen sie angesessen sind, von Alters her dnrch mannichfciche Bande
verknüpft, sie hatten dort bis auf die neueste Zeit wichtige vom Staate an¬
erkannte Herrschaftsrechte, namentlich Gerichtsbarkeit und Polizei, und ragten
weit empor über den kleinen Landadel ihrer Provinz, der in einzelnen Be¬
zirken zeitweilig auch rechtlich von ihnen abhängig war und in ihren Diensten
stand. Das Andenken an diese stolze Stellung ist auch gegenwärtig noch in
weiten Kreisen ihres Sitzes nicht ganz verflüchtigt, und selbst die unter ihnen,
deren materielle Güter im Laufe der Zeiten eine starke Schmälerung erlitten
haben, und die, die seit Menschengedenken keine Spuren öffentlichen Wirkens
hinterlassen haben, werden von der Bevölkerung ihrer Gegend mit dem her¬
kömmlichen Respekt behandelt. Sie verfügen regelmüßig über einen ausgebreiteten
Anhang, über eine zahlreiche Beamtenschaft und Dienerschaft. Ihre Beamten
sind fast immer Gutsvorsteher und in den östlichen Provinzen, wenn sich ihre
Besitzungen zu geschlossenen Amtsbezirken eignen, hünfig auch Amtsvorsteher,
die als solche zwar die Polizeigewalt im Namen des Königs ausüben, aber
als standesherrliche Diener doch unter dem Einfluß der Herrschaft stehen. In
Kirche und Schule sind ihre hergebrachten Befugnisse kraft des Patronats¬
rechts auf ihren Besitzungen noch wenig eingeschränkt. Der Besitz von Fabriken
und andern gewerblichen Anlagen, von Bergwerken, von Brennereien und Ziege¬
leien mit Großbetrieb macht manchem von ihnen große Arbeiterschaften dienstbar.
Einer Anzahl von Mediatisirten ist durch die neuere Gesetzgebung das ver¬
tragsmäßige Aufsichtsrecht über die Gemeinden der Standesherrschaft und eine
Mitwirkung bei Ernennung und Bestätigung der örtlichen Verwaltungsbehörden
in einem gewissen Umfange gewahrt, und selbst bei der Präsentation von
Landrüten müssen einige hohe Standesherren gehört werden. In den öst¬
lichen Provinzen sind die Standesherren sämtlich Latifundienbesitzer, und
es ist dort wohl keiner, der weniger als 5000 Hektaren Familieneigen¬
tum hätte.

Die guten Zeiten der alteingesessenen Großgrundaristokratie sind freilich
vorüber. Mit der Ausbreitung der modernen Kapitalwirtschaft hat ihre ehe¬
malige Überlegenheit an materiellen Gütern bedeutend abgenommen; sie ist
uicht mehr die reichste Volksklasse wie ehedem, wenn sich auch unter ihr mehrere
befinden, die zu den Reichsten im Lande zählen, und sie hat sowohl dadurch
als durch die Demokratisirung des Staatskörpers, deren Kosten sie trägt, in
der Gesellschaft an Gewicht eingebüßt. Nur widerstrebend folgt sie im Wirt-
schnftsbetriebe dem kapitalistischen Zuge der Gegenwart, und namentlich im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/21>, abgerufen am 25.08.2024.