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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

öffentlichrechtlich von andern Gütern nicht mehr unterschieden, die Fürsten,
Grafen und Herren sind heute nur Gutsbesitzer mit hohen Adelstiteln.

Es versteht sich von selbst, daß ein hoher Adel im staatsrechtlichen Sinne,
eine Gruppe mit politischen Vorrechten, der steten Ergänzung bedarf. Vor¬
nehme Geschlechter sterben aus, andre Familien heben sich im Laufe der Zeit
aus der Menge hervor und gelangen zu einem Ansehen und einem Einfluß,
die derart wachsen, daß sie mit Fug und Recht den Anspruch erheben dürfen,
in die bevorrechtete Klasse, die der Staat als solche anerkennt, eingereiht zu
werden. Es ist ein ganz richtiger, von England aus in die meisten mon¬
archischen Staaten übernommner Grundsatz, daß nur der Krone die Befugnis
zusteht, erbliche Pairs zu ernennen. Auf dem Wege der Gesetzgebung läßt sich
das Ernennungsrecht nicht wohl ausüben; solche Akte müssen dem Kampfe der
politischen Parteien entzogen sein.

Die preußische Krone hat bei der Auswahl der erblichen Pairs im all¬
gemeinen und hauptsachlich das geschichtliche und fortdauernde Ansehen, großen
fuudirten Besitz mit Majorat oder Seniorat, zuweilen auch die von Alters her
gepflegten nahen Beziehungen zum Herrscherhause berücksichtigt. Die mit ehe¬
mals reichstüudischen Besitzungen im Staate angesessenen Familien konnte sie
überhaupt nicht übergehen, da sie durch den Artikel 14 der deutschen Bundes¬
akte völkerrechtlich verpflichtet ist, den Häuptern der Familien Landstandschaft
in der ersten Kammer zu bewilligen. Großgrundbesitzer sind alle berufenen
Familien; es giebt unter ihnen manche, die außerordentlich landreich sind,
andre freilich auch, die an Güterbesitz und Einkommen von vielen adlichen und
bürgerliche!? Grundbesitzern übertroffen werden. Über fo große Besitzungen
von zehntausend Hektaren und mehr, die bei den Magnaten der östlichen Pro¬
vinzen keine Seltenheit sind, können viele Standesherren in den westlichen
Landesteilen nicht gebieten. An eine annähernd gleichmüßige Verteilung der
erblichen Hcrrenhaussitze auf die einzelnen Provinzen ist bei den für die Be¬
rufung ausschlaggebenden Gesichtspunkten heute so wenig zu denken, wie früher
bei den Berufungen zum Vereinigten Landtage; Schlesien ist wegen der zahl¬
reichen dortigen Standesherrschaften am stärksten vertreten, am wenigsten sind
im Verhältnis zu Größe und Bedeutung die Provinzen Sachsen, Hannover,
Schleswig-Holstein und Pommern bedacht. Teilweise mag diese Erscheinung
auf die Bodenverteilung und den Mangel an vinkulirtem Großbesitz in
mehreren Landesteilen zurückzuführen sein, teilweise wird aber wohl auch die
geringe Berücksichtigung der einen oder andern Provinz auf politischen Er¬
wägungen beruhen, wie dies sicherlich hinsichtlich der Provinz Hannover der
Fall ist, wo der angesessene Adel noch zum überwiegenden Teile aus seinen
preußenfeindlichen Gesinnungen kein Hehl macht.

Trotz aller demokratischen Staatseinrichtungen und des Nivellirungswerkcs
der Gesetzgebung, trotz der Beseitigung früherer Herrschaftsrechte und Privilegien


Der hohe Adel in Preußen

öffentlichrechtlich von andern Gütern nicht mehr unterschieden, die Fürsten,
Grafen und Herren sind heute nur Gutsbesitzer mit hohen Adelstiteln.

Es versteht sich von selbst, daß ein hoher Adel im staatsrechtlichen Sinne,
eine Gruppe mit politischen Vorrechten, der steten Ergänzung bedarf. Vor¬
nehme Geschlechter sterben aus, andre Familien heben sich im Laufe der Zeit
aus der Menge hervor und gelangen zu einem Ansehen und einem Einfluß,
die derart wachsen, daß sie mit Fug und Recht den Anspruch erheben dürfen,
in die bevorrechtete Klasse, die der Staat als solche anerkennt, eingereiht zu
werden. Es ist ein ganz richtiger, von England aus in die meisten mon¬
archischen Staaten übernommner Grundsatz, daß nur der Krone die Befugnis
zusteht, erbliche Pairs zu ernennen. Auf dem Wege der Gesetzgebung läßt sich
das Ernennungsrecht nicht wohl ausüben; solche Akte müssen dem Kampfe der
politischen Parteien entzogen sein.

Die preußische Krone hat bei der Auswahl der erblichen Pairs im all¬
gemeinen und hauptsachlich das geschichtliche und fortdauernde Ansehen, großen
fuudirten Besitz mit Majorat oder Seniorat, zuweilen auch die von Alters her
gepflegten nahen Beziehungen zum Herrscherhause berücksichtigt. Die mit ehe¬
mals reichstüudischen Besitzungen im Staate angesessenen Familien konnte sie
überhaupt nicht übergehen, da sie durch den Artikel 14 der deutschen Bundes¬
akte völkerrechtlich verpflichtet ist, den Häuptern der Familien Landstandschaft
in der ersten Kammer zu bewilligen. Großgrundbesitzer sind alle berufenen
Familien; es giebt unter ihnen manche, die außerordentlich landreich sind,
andre freilich auch, die an Güterbesitz und Einkommen von vielen adlichen und
bürgerliche!? Grundbesitzern übertroffen werden. Über fo große Besitzungen
von zehntausend Hektaren und mehr, die bei den Magnaten der östlichen Pro¬
vinzen keine Seltenheit sind, können viele Standesherren in den westlichen
Landesteilen nicht gebieten. An eine annähernd gleichmüßige Verteilung der
erblichen Hcrrenhaussitze auf die einzelnen Provinzen ist bei den für die Be¬
rufung ausschlaggebenden Gesichtspunkten heute so wenig zu denken, wie früher
bei den Berufungen zum Vereinigten Landtage; Schlesien ist wegen der zahl¬
reichen dortigen Standesherrschaften am stärksten vertreten, am wenigsten sind
im Verhältnis zu Größe und Bedeutung die Provinzen Sachsen, Hannover,
Schleswig-Holstein und Pommern bedacht. Teilweise mag diese Erscheinung
auf die Bodenverteilung und den Mangel an vinkulirtem Großbesitz in
mehreren Landesteilen zurückzuführen sein, teilweise wird aber wohl auch die
geringe Berücksichtigung der einen oder andern Provinz auf politischen Er¬
wägungen beruhen, wie dies sicherlich hinsichtlich der Provinz Hannover der
Fall ist, wo der angesessene Adel noch zum überwiegenden Teile aus seinen
preußenfeindlichen Gesinnungen kein Hehl macht.

Trotz aller demokratischen Staatseinrichtungen und des Nivellirungswerkcs
der Gesetzgebung, trotz der Beseitigung früherer Herrschaftsrechte und Privilegien


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[0020] Der hohe Adel in Preußen öffentlichrechtlich von andern Gütern nicht mehr unterschieden, die Fürsten, Grafen und Herren sind heute nur Gutsbesitzer mit hohen Adelstiteln. Es versteht sich von selbst, daß ein hoher Adel im staatsrechtlichen Sinne, eine Gruppe mit politischen Vorrechten, der steten Ergänzung bedarf. Vor¬ nehme Geschlechter sterben aus, andre Familien heben sich im Laufe der Zeit aus der Menge hervor und gelangen zu einem Ansehen und einem Einfluß, die derart wachsen, daß sie mit Fug und Recht den Anspruch erheben dürfen, in die bevorrechtete Klasse, die der Staat als solche anerkennt, eingereiht zu werden. Es ist ein ganz richtiger, von England aus in die meisten mon¬ archischen Staaten übernommner Grundsatz, daß nur der Krone die Befugnis zusteht, erbliche Pairs zu ernennen. Auf dem Wege der Gesetzgebung läßt sich das Ernennungsrecht nicht wohl ausüben; solche Akte müssen dem Kampfe der politischen Parteien entzogen sein. Die preußische Krone hat bei der Auswahl der erblichen Pairs im all¬ gemeinen und hauptsachlich das geschichtliche und fortdauernde Ansehen, großen fuudirten Besitz mit Majorat oder Seniorat, zuweilen auch die von Alters her gepflegten nahen Beziehungen zum Herrscherhause berücksichtigt. Die mit ehe¬ mals reichstüudischen Besitzungen im Staate angesessenen Familien konnte sie überhaupt nicht übergehen, da sie durch den Artikel 14 der deutschen Bundes¬ akte völkerrechtlich verpflichtet ist, den Häuptern der Familien Landstandschaft in der ersten Kammer zu bewilligen. Großgrundbesitzer sind alle berufenen Familien; es giebt unter ihnen manche, die außerordentlich landreich sind, andre freilich auch, die an Güterbesitz und Einkommen von vielen adlichen und bürgerliche!? Grundbesitzern übertroffen werden. Über fo große Besitzungen von zehntausend Hektaren und mehr, die bei den Magnaten der östlichen Pro¬ vinzen keine Seltenheit sind, können viele Standesherren in den westlichen Landesteilen nicht gebieten. An eine annähernd gleichmüßige Verteilung der erblichen Hcrrenhaussitze auf die einzelnen Provinzen ist bei den für die Be¬ rufung ausschlaggebenden Gesichtspunkten heute so wenig zu denken, wie früher bei den Berufungen zum Vereinigten Landtage; Schlesien ist wegen der zahl¬ reichen dortigen Standesherrschaften am stärksten vertreten, am wenigsten sind im Verhältnis zu Größe und Bedeutung die Provinzen Sachsen, Hannover, Schleswig-Holstein und Pommern bedacht. Teilweise mag diese Erscheinung auf die Bodenverteilung und den Mangel an vinkulirtem Großbesitz in mehreren Landesteilen zurückzuführen sein, teilweise wird aber wohl auch die geringe Berücksichtigung der einen oder andern Provinz auf politischen Er¬ wägungen beruhen, wie dies sicherlich hinsichtlich der Provinz Hannover der Fall ist, wo der angesessene Adel noch zum überwiegenden Teile aus seinen preußenfeindlichen Gesinnungen kein Hehl macht. Trotz aller demokratischen Staatseinrichtungen und des Nivellirungswerkcs der Gesetzgebung, trotz der Beseitigung früherer Herrschaftsrechte und Privilegien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/20>, abgerufen am 25.08.2024.