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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Alfios Racheschwur kommt bei den Aufführungen in unsern Theatern
meist ebenso wenig seinem eigentlichen Werte nach zur Geltung wie das
Fuhrmannslied. Außer dem gewohnheitsgemäß übersetzten Tempo trägt aber
Mascagni hier selbst die Schuld. Diese tremolirenden oder in Triolen auf-
und abjagenden Bässe sind ja auf dem Papier sehr schön gedacht, in Wirk¬
lichkeit aber rauben sie den harmonischen Folgen alle Klarheit und verzerren
den Eindruck, anstatt ihn zu vertiefen. Dem eigentlichen musikalischen Gehalte
nach steht dieser leidenschaftlich wilde Zwiegescmg Santuzzas und Alsios auf
der Höhe des Nachspiels zum Duett, auch er ist -- rund heraus gesagt --
großartig. Die kurze a LÄpsllg.-Stelle am Schluß ist nichts als ein kleines
Fleckchen an einer schönen Statue.

Über das bekannte Intermezzo heute noch unbefangen zu urteilen, da
die Drehorgeln ihm allerwärts ihren mütterlichen Schutz haben angedeihen
lassen, ist nicht leicht. Ich meine aber, daß jeder, der nicht überspannte An¬
sprüche stellt oder den Vornehmen herauskehrt, an dem Reize dieser Melodik
Gefallen finden und -- wenn er nur musikalisch genug ist -- den abwärts
schreitenden Bässen des Schlusses das Zugeständnis machen muß, daß sie
ernst und nicht gewöhnlich seien. Die bedeutungsvolle Wirkung des Jnter¬
mezzos in der Oper selbst liegt vielleicht darin, daß es Mascagni versteht,
die tragische Erregung der vorhergehenden Szene allmählich und unvermerkt
zu den idyllisch heitern Chorsätzen der folgenden hinüberzuleiten und so zu
gleicher Zeit die eine Stimmung ausklingen zu lassen, während er die andre
anknüpft.

In seinem Trinkliede zeigt Turiddu sich noch einmal als der feurige
Bursche, der er ist (den Zusatz von Trivialität übersehen wir nicht), aber
Alfio kommt und bereitet der Gemütlichkeit ein jähes Ende. Die Antwort,
die er Turiddu giebt, enthält das einzige Beispiel, daß Mascagni einer ernsten
Situation nur durch Geschraubtheit beizukommen weiß. Aber er macht den
Fehler schnell wieder gut durch das Ausmalen der bangen Stimmung, die
auf Alsios Weigerung folgt. Die weitern Szenen zeigen Mascagni nicht mehr
von einer eigentlich neuen oder besonders hervorragenden Seite. Turiddus
Reue und Beklemmung malt sich wohl gut in den flirrenden Vivlinfiguren,
und die Bitte um den Segen der Mutter kann sogar für schön gelten. Aber
dann kommen kurz vor Thorschluß noch bedenkliche Sentimentalitäten. Während
Alfio und Turiddu hinter der Szene auf Tod und Leben kämpfen, führt
Mascagni im Orchester eines seiner gefürchteten N^ostoso s driwätoso vor,
indem er diesmal Santuzzas wehmütige Klage aus der Romanze den Posaunen
preisgiebt. Aber trotz alledem: der ganze Wurf des Schlusses ist viel zu
energisch und wuchtig, als daß man sich seiner Stimmung bei allen Bedenken
im einzelnen entziehen könnte. Ehe man sich recht besonnen hat, verbreitet sich
die Schreckenskunde von Turiddus Tod in unheimlichem Gemurmel; ein jäher


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Alfios Racheschwur kommt bei den Aufführungen in unsern Theatern
meist ebenso wenig seinem eigentlichen Werte nach zur Geltung wie das
Fuhrmannslied. Außer dem gewohnheitsgemäß übersetzten Tempo trägt aber
Mascagni hier selbst die Schuld. Diese tremolirenden oder in Triolen auf-
und abjagenden Bässe sind ja auf dem Papier sehr schön gedacht, in Wirk¬
lichkeit aber rauben sie den harmonischen Folgen alle Klarheit und verzerren
den Eindruck, anstatt ihn zu vertiefen. Dem eigentlichen musikalischen Gehalte
nach steht dieser leidenschaftlich wilde Zwiegescmg Santuzzas und Alsios auf
der Höhe des Nachspiels zum Duett, auch er ist — rund heraus gesagt —
großartig. Die kurze a LÄpsllg.-Stelle am Schluß ist nichts als ein kleines
Fleckchen an einer schönen Statue.

Über das bekannte Intermezzo heute noch unbefangen zu urteilen, da
die Drehorgeln ihm allerwärts ihren mütterlichen Schutz haben angedeihen
lassen, ist nicht leicht. Ich meine aber, daß jeder, der nicht überspannte An¬
sprüche stellt oder den Vornehmen herauskehrt, an dem Reize dieser Melodik
Gefallen finden und — wenn er nur musikalisch genug ist — den abwärts
schreitenden Bässen des Schlusses das Zugeständnis machen muß, daß sie
ernst und nicht gewöhnlich seien. Die bedeutungsvolle Wirkung des Jnter¬
mezzos in der Oper selbst liegt vielleicht darin, daß es Mascagni versteht,
die tragische Erregung der vorhergehenden Szene allmählich und unvermerkt
zu den idyllisch heitern Chorsätzen der folgenden hinüberzuleiten und so zu
gleicher Zeit die eine Stimmung ausklingen zu lassen, während er die andre
anknüpft.

In seinem Trinkliede zeigt Turiddu sich noch einmal als der feurige
Bursche, der er ist (den Zusatz von Trivialität übersehen wir nicht), aber
Alfio kommt und bereitet der Gemütlichkeit ein jähes Ende. Die Antwort,
die er Turiddu giebt, enthält das einzige Beispiel, daß Mascagni einer ernsten
Situation nur durch Geschraubtheit beizukommen weiß. Aber er macht den
Fehler schnell wieder gut durch das Ausmalen der bangen Stimmung, die
auf Alsios Weigerung folgt. Die weitern Szenen zeigen Mascagni nicht mehr
von einer eigentlich neuen oder besonders hervorragenden Seite. Turiddus
Reue und Beklemmung malt sich wohl gut in den flirrenden Vivlinfiguren,
und die Bitte um den Segen der Mutter kann sogar für schön gelten. Aber
dann kommen kurz vor Thorschluß noch bedenkliche Sentimentalitäten. Während
Alfio und Turiddu hinter der Szene auf Tod und Leben kämpfen, führt
Mascagni im Orchester eines seiner gefürchteten N^ostoso s driwätoso vor,
indem er diesmal Santuzzas wehmütige Klage aus der Romanze den Posaunen
preisgiebt. Aber trotz alledem: der ganze Wurf des Schlusses ist viel zu
energisch und wuchtig, als daß man sich seiner Stimmung bei allen Bedenken
im einzelnen entziehen könnte. Ehe man sich recht besonnen hat, verbreitet sich
die Schreckenskunde von Turiddus Tod in unheimlichem Gemurmel; ein jäher


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[0196] Moderne Gpern Alfios Racheschwur kommt bei den Aufführungen in unsern Theatern meist ebenso wenig seinem eigentlichen Werte nach zur Geltung wie das Fuhrmannslied. Außer dem gewohnheitsgemäß übersetzten Tempo trägt aber Mascagni hier selbst die Schuld. Diese tremolirenden oder in Triolen auf- und abjagenden Bässe sind ja auf dem Papier sehr schön gedacht, in Wirk¬ lichkeit aber rauben sie den harmonischen Folgen alle Klarheit und verzerren den Eindruck, anstatt ihn zu vertiefen. Dem eigentlichen musikalischen Gehalte nach steht dieser leidenschaftlich wilde Zwiegescmg Santuzzas und Alsios auf der Höhe des Nachspiels zum Duett, auch er ist — rund heraus gesagt — großartig. Die kurze a LÄpsllg.-Stelle am Schluß ist nichts als ein kleines Fleckchen an einer schönen Statue. Über das bekannte Intermezzo heute noch unbefangen zu urteilen, da die Drehorgeln ihm allerwärts ihren mütterlichen Schutz haben angedeihen lassen, ist nicht leicht. Ich meine aber, daß jeder, der nicht überspannte An¬ sprüche stellt oder den Vornehmen herauskehrt, an dem Reize dieser Melodik Gefallen finden und — wenn er nur musikalisch genug ist — den abwärts schreitenden Bässen des Schlusses das Zugeständnis machen muß, daß sie ernst und nicht gewöhnlich seien. Die bedeutungsvolle Wirkung des Jnter¬ mezzos in der Oper selbst liegt vielleicht darin, daß es Mascagni versteht, die tragische Erregung der vorhergehenden Szene allmählich und unvermerkt zu den idyllisch heitern Chorsätzen der folgenden hinüberzuleiten und so zu gleicher Zeit die eine Stimmung ausklingen zu lassen, während er die andre anknüpft. In seinem Trinkliede zeigt Turiddu sich noch einmal als der feurige Bursche, der er ist (den Zusatz von Trivialität übersehen wir nicht), aber Alfio kommt und bereitet der Gemütlichkeit ein jähes Ende. Die Antwort, die er Turiddu giebt, enthält das einzige Beispiel, daß Mascagni einer ernsten Situation nur durch Geschraubtheit beizukommen weiß. Aber er macht den Fehler schnell wieder gut durch das Ausmalen der bangen Stimmung, die auf Alsios Weigerung folgt. Die weitern Szenen zeigen Mascagni nicht mehr von einer eigentlich neuen oder besonders hervorragenden Seite. Turiddus Reue und Beklemmung malt sich wohl gut in den flirrenden Vivlinfiguren, und die Bitte um den Segen der Mutter kann sogar für schön gelten. Aber dann kommen kurz vor Thorschluß noch bedenkliche Sentimentalitäten. Während Alfio und Turiddu hinter der Szene auf Tod und Leben kämpfen, führt Mascagni im Orchester eines seiner gefürchteten N^ostoso s driwätoso vor, indem er diesmal Santuzzas wehmütige Klage aus der Romanze den Posaunen preisgiebt. Aber trotz alledem: der ganze Wurf des Schlusses ist viel zu energisch und wuchtig, als daß man sich seiner Stimmung bei allen Bedenken im einzelnen entziehen könnte. Ehe man sich recht besonnen hat, verbreitet sich die Schreckenskunde von Turiddus Tod in unheimlichem Gemurmel; ein jäher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/196>, abgerufen am 25.08.2024.