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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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ernster Weise Ausdruck. Ließe sich Masecigni nicht durch die clisvsrÄizions
Scmtas doch noch zu einem weit ausgreifenden theatralischen und später
zu ähnlichem unwahrem Firlefanz verleiten, so könnte die ganze Szene er¬
greifend genannt werden.

Die leidenschaftliche erste Auseinandersetzung Scmtas und Turiddus geht
rasch vorüber, offenbart aber in drohend aufsteigenden Akkorden und wuchtigen
Accenten dramatische Kreise. Turiddus "Höre Scmtuzza, reize mich nicht" ist
nicht gerade imponirend. Die Antwort der gequälten Santa scheint denselben
Ton fortführen zu wollen, denn sie beginnt mit jener Art von Sexten, die
uns in der italienischen Oper ältern Stils auf Schritt und Tritt anwidern.
Der deutsche Musiker, der diese Sexten hört, wendet sich verächtlich ab. Was
kann weiter Gutes kommen nach solchen Banalitäten! Für diesmal behält
aber der Italiener Recht, denn schon im übernächsten Takte wird der Ausdruck
Santas ein andrer, und alsbald ist die kurze Phrase zu einer rührenden
Äußerung tiefen Schmerzes geworden. Bei der Wiederholung verdirbt sich
Mascagui allerdings den ganzen Eindruck durch eine verzerrte Kadenz und
dadurch, daß er Santa und Turiddu unisono in die Höhe hinaufschraubt.
Das wirkt natürlich theatralisch abstoßend.

Lolas Liedchen "O süße Lilie" ist harmlos, wird aber ausnahmsweise
durch geschickte Orchestration in seiner Wirkung unterstützt. Nachdem Lota
noch einige Bosheiten verübt hat, geht sie in die Kirche, Turiddu und Santa
sind allein und beginnen ihre große Auseinandersetzung. Man hat sich daran
gewöhnt, Snntuzzas "Nein nein, Turiddu" als einen ziemlich ordinären
Reißer anzusehen, und ein Mann, der etwas auf seine musikalische Reputation
giebt, wird uicht so leicht einräumen, daß hier Musik von Wert vorliege.
Es ist aber bei Lichte besehen gar uicht so schlimm mit dieser Trivialität, die
hauptsächlich durch das äußere Gewand verursacht wird, das Mascagui seinem
Gedanken umgeworfen hat. Man betrachte sich nur dieselbe Phrase im Vor¬
spiel, wo sie ohne die abgenutzte Sechzehntelbegleitung in ruhig getragner,
einfacher Weise auftritt, und man wird sich gestehen, daß sie an sich durchaus
nicht übel ist. Natürlich wenn sie unmittelbar darauf (im Borspiel) als
Losteuuto ö (Z-ranäioso einherstolzirt, ist sie nicht wiederzuerkennen. Ganz so
geht es im Duett. Maseagni verdirbt sich sein Bestes selbst durch seinen
schlechten Geschmack. Er hat wirklich gute Einfälle, seine Santa klagt in
rührenden Tönen. Wie kann aber ein reiner Eindruck zustande kommen, wenn
jeder Aufschwung in einen unisono gesungnen, schlecht opernhaften Schluß
ausmündet, und wenn schließlich der Hauptgedanke zum aufgeblasenen N^stoso
wird? Welcher Wirkung Mascagui fähig ist, wenn er die häßlichen italienischen
Gewohnheiten beiseite läßt, beweist der Schluß der Szene, das drohende "Hüte
dich" Turiddus, der Fluch Santas und vor allem das kurze Orchesternach¬
spiel, für das ich nur eine Bezeichnung weiß: großartig.


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ernster Weise Ausdruck. Ließe sich Masecigni nicht durch die clisvsrÄizions
Scmtas doch noch zu einem weit ausgreifenden theatralischen und später
zu ähnlichem unwahrem Firlefanz verleiten, so könnte die ganze Szene er¬
greifend genannt werden.

Die leidenschaftliche erste Auseinandersetzung Scmtas und Turiddus geht
rasch vorüber, offenbart aber in drohend aufsteigenden Akkorden und wuchtigen
Accenten dramatische Kreise. Turiddus „Höre Scmtuzza, reize mich nicht" ist
nicht gerade imponirend. Die Antwort der gequälten Santa scheint denselben
Ton fortführen zu wollen, denn sie beginnt mit jener Art von Sexten, die
uns in der italienischen Oper ältern Stils auf Schritt und Tritt anwidern.
Der deutsche Musiker, der diese Sexten hört, wendet sich verächtlich ab. Was
kann weiter Gutes kommen nach solchen Banalitäten! Für diesmal behält
aber der Italiener Recht, denn schon im übernächsten Takte wird der Ausdruck
Santas ein andrer, und alsbald ist die kurze Phrase zu einer rührenden
Äußerung tiefen Schmerzes geworden. Bei der Wiederholung verdirbt sich
Mascagui allerdings den ganzen Eindruck durch eine verzerrte Kadenz und
dadurch, daß er Santa und Turiddu unisono in die Höhe hinaufschraubt.
Das wirkt natürlich theatralisch abstoßend.

Lolas Liedchen „O süße Lilie" ist harmlos, wird aber ausnahmsweise
durch geschickte Orchestration in seiner Wirkung unterstützt. Nachdem Lota
noch einige Bosheiten verübt hat, geht sie in die Kirche, Turiddu und Santa
sind allein und beginnen ihre große Auseinandersetzung. Man hat sich daran
gewöhnt, Snntuzzas „Nein nein, Turiddu" als einen ziemlich ordinären
Reißer anzusehen, und ein Mann, der etwas auf seine musikalische Reputation
giebt, wird uicht so leicht einräumen, daß hier Musik von Wert vorliege.
Es ist aber bei Lichte besehen gar uicht so schlimm mit dieser Trivialität, die
hauptsächlich durch das äußere Gewand verursacht wird, das Mascagui seinem
Gedanken umgeworfen hat. Man betrachte sich nur dieselbe Phrase im Vor¬
spiel, wo sie ohne die abgenutzte Sechzehntelbegleitung in ruhig getragner,
einfacher Weise auftritt, und man wird sich gestehen, daß sie an sich durchaus
nicht übel ist. Natürlich wenn sie unmittelbar darauf (im Borspiel) als
Losteuuto ö (Z-ranäioso einherstolzirt, ist sie nicht wiederzuerkennen. Ganz so
geht es im Duett. Maseagni verdirbt sich sein Bestes selbst durch seinen
schlechten Geschmack. Er hat wirklich gute Einfälle, seine Santa klagt in
rührenden Tönen. Wie kann aber ein reiner Eindruck zustande kommen, wenn
jeder Aufschwung in einen unisono gesungnen, schlecht opernhaften Schluß
ausmündet, und wenn schließlich der Hauptgedanke zum aufgeblasenen N^stoso
wird? Welcher Wirkung Mascagui fähig ist, wenn er die häßlichen italienischen
Gewohnheiten beiseite läßt, beweist der Schluß der Szene, das drohende „Hüte
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spiel, für das ich nur eine Bezeichnung weiß: großartig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/195>, abgerufen am 25.08.2024.