Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

ungeheuern Gewichte von ihr in Thätigkeit gesetzt werden, geht daraus hervor,
daß bei den Cunarders die gesamte Welle mehr als 100 Tonnen wiegt und jeder
Flügel ihrer beiden Dreiflügelschrauben etwa 7 Tonnen. Die aus Mangan-
bronze hergestellten Flügelblätter allein, ohne die Rabe, aus der sie befestigt
sind, kosteten mehr als 150000 Mark.

Nebenbei sei hier der manchmal gehörten Ansicht begegnet, als werde durch
die hohe Dampfspannung die Sicherheit gefährdet. Vor dem Auftreten der
Arizona und der Elbe fuhr man mit sechs Atmosphären Druck nicht sichrer
als heute mit dem doppelten Druck. Die Erhöhung des Drucks hängt mit
der Einführung des Stahls in die Schiffstechnik anstatt des Eisens zusammen.
Unglücksfälle sind selten, doch so wenig wie bei den Landmaschinen ganz zu ver¬
meiden; so z. V. wurde die bekannte Havarie der Paris durch die Explosion eines
Dampfeylinders hervorgerufen, und dem Cunarddampfer Aurania ist auf der
ersten Reise (1883) der Deckel des Hochdrnckeylinders davongeflogen, glücklicher¬
weise ohne bedeutenden Schaden zu stiften, weil dieser Cylinder auf dem Nieder-
druckchlinder stand. Unter dem Wettfahren um die schnellste Reise, den so¬
genannten Record, hat man nicht eine Überspannung der Maschine zu ver¬
stehen, sondern es handelt sich dabei um die Geltendmachung einer ganzen
Reihe von Vorteilen, die zufällig zusammentreffen müssen, wenn etwas außer¬
gewöhnliches zustandekommen soll: richtige Verteilung der Last im Schiffe,
gute Kohlen, geschicktes Feuern, sorgfältige "Navigirung" und nicht zum we¬
nigsten auch eine möglichst glatte Beschaffenheit des Bodens (der Boden wird
durch das Anhaften von Muscheln und Algenfäden rauh und reibt sich dann
viel stärker am Wasser); ganz abgesehen von der Größe des Schiffs (der
größere Dampfer überwindet leichter den Gegenwind), sowie von der Schnei¬
digkeit der Schiffsform und der Leistungsfähigkeit der Maschine. Man glaube
auch nicht, daß die "wettfahrenden" Dampfer einander in Sicht zu behalten
suchen; selbst wenn es zufällig einmal vorkommt, daß gleichwertige Gegner zu
derselben Zeit den Hafen verlassen, führt sie der Weg bald weit aus einander.
Verstöße gegen die Sicherheit fallen am häufigsten dem Kapitän zur Last, der,
einer zwar uicht ausgesprochnen, aber sehr fühlbaren Forderung seiner Reederei
nachgebend, aus Rücksichten der Konkurrenz auch bei umsichtigen Wetter drauf¬
losjagt, sich in zu schwieriges Fahrwasser wagt und "die Ecken Schramme,"
d. h. um die hinderlichen Landvorsprünge zu knapp umbiegt.

Künftighin wird man den Schnelldampfern stets mehr als eine Maschine
geben. Ohne Zweifel wäre der norddeutsche Lloyd, dem englischen und dem
Hamburger Beispiele folgend, schon mit der Havel und der Spree (1890) zum
Doppelschraubensystem übergegangen, wenn er nicht die Mehrkosten gescheut
hätte; denn zwei Maschinen stellen sich nicht nur in der Anlage, sondern auch
im Betriebe (Heizung, Bedienung) teurer als eine und erfordern mehr Raum,
wodurch sich die Ladefähigkeit verringert. Dafür ist aber auch ihre dech-


Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

ungeheuern Gewichte von ihr in Thätigkeit gesetzt werden, geht daraus hervor,
daß bei den Cunarders die gesamte Welle mehr als 100 Tonnen wiegt und jeder
Flügel ihrer beiden Dreiflügelschrauben etwa 7 Tonnen. Die aus Mangan-
bronze hergestellten Flügelblätter allein, ohne die Rabe, aus der sie befestigt
sind, kosteten mehr als 150000 Mark.

Nebenbei sei hier der manchmal gehörten Ansicht begegnet, als werde durch
die hohe Dampfspannung die Sicherheit gefährdet. Vor dem Auftreten der
Arizona und der Elbe fuhr man mit sechs Atmosphären Druck nicht sichrer
als heute mit dem doppelten Druck. Die Erhöhung des Drucks hängt mit
der Einführung des Stahls in die Schiffstechnik anstatt des Eisens zusammen.
Unglücksfälle sind selten, doch so wenig wie bei den Landmaschinen ganz zu ver¬
meiden; so z. V. wurde die bekannte Havarie der Paris durch die Explosion eines
Dampfeylinders hervorgerufen, und dem Cunarddampfer Aurania ist auf der
ersten Reise (1883) der Deckel des Hochdrnckeylinders davongeflogen, glücklicher¬
weise ohne bedeutenden Schaden zu stiften, weil dieser Cylinder auf dem Nieder-
druckchlinder stand. Unter dem Wettfahren um die schnellste Reise, den so¬
genannten Record, hat man nicht eine Überspannung der Maschine zu ver¬
stehen, sondern es handelt sich dabei um die Geltendmachung einer ganzen
Reihe von Vorteilen, die zufällig zusammentreffen müssen, wenn etwas außer¬
gewöhnliches zustandekommen soll: richtige Verteilung der Last im Schiffe,
gute Kohlen, geschicktes Feuern, sorgfältige „Navigirung" und nicht zum we¬
nigsten auch eine möglichst glatte Beschaffenheit des Bodens (der Boden wird
durch das Anhaften von Muscheln und Algenfäden rauh und reibt sich dann
viel stärker am Wasser); ganz abgesehen von der Größe des Schiffs (der
größere Dampfer überwindet leichter den Gegenwind), sowie von der Schnei¬
digkeit der Schiffsform und der Leistungsfähigkeit der Maschine. Man glaube
auch nicht, daß die „wettfahrenden" Dampfer einander in Sicht zu behalten
suchen; selbst wenn es zufällig einmal vorkommt, daß gleichwertige Gegner zu
derselben Zeit den Hafen verlassen, führt sie der Weg bald weit aus einander.
Verstöße gegen die Sicherheit fallen am häufigsten dem Kapitän zur Last, der,
einer zwar uicht ausgesprochnen, aber sehr fühlbaren Forderung seiner Reederei
nachgebend, aus Rücksichten der Konkurrenz auch bei umsichtigen Wetter drauf¬
losjagt, sich in zu schwieriges Fahrwasser wagt und „die Ecken Schramme,"
d. h. um die hinderlichen Landvorsprünge zu knapp umbiegt.

Künftighin wird man den Schnelldampfern stets mehr als eine Maschine
geben. Ohne Zweifel wäre der norddeutsche Lloyd, dem englischen und dem
Hamburger Beispiele folgend, schon mit der Havel und der Spree (1890) zum
Doppelschraubensystem übergegangen, wenn er nicht die Mehrkosten gescheut
hätte; denn zwei Maschinen stellen sich nicht nur in der Anlage, sondern auch
im Betriebe (Heizung, Bedienung) teurer als eine und erfordern mehr Raum,
wodurch sich die Ladefähigkeit verringert. Dafür ist aber auch ihre dech-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219850"/>
          <fw type="header" place="top"> Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_583" prev="#ID_582"> ungeheuern Gewichte von ihr in Thätigkeit gesetzt werden, geht daraus hervor,<lb/>
daß bei den Cunarders die gesamte Welle mehr als 100 Tonnen wiegt und jeder<lb/>
Flügel ihrer beiden Dreiflügelschrauben etwa 7 Tonnen. Die aus Mangan-<lb/>
bronze hergestellten Flügelblätter allein, ohne die Rabe, aus der sie befestigt<lb/>
sind, kosteten mehr als 150000 Mark.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Nebenbei sei hier der manchmal gehörten Ansicht begegnet, als werde durch<lb/>
die hohe Dampfspannung die Sicherheit gefährdet. Vor dem Auftreten der<lb/>
Arizona und der Elbe fuhr man mit sechs Atmosphären Druck nicht sichrer<lb/>
als heute mit dem doppelten Druck. Die Erhöhung des Drucks hängt mit<lb/>
der Einführung des Stahls in die Schiffstechnik anstatt des Eisens zusammen.<lb/>
Unglücksfälle sind selten, doch so wenig wie bei den Landmaschinen ganz zu ver¬<lb/>
meiden; so z. V. wurde die bekannte Havarie der Paris durch die Explosion eines<lb/>
Dampfeylinders hervorgerufen, und dem Cunarddampfer Aurania ist auf der<lb/>
ersten Reise (1883) der Deckel des Hochdrnckeylinders davongeflogen, glücklicher¬<lb/>
weise ohne bedeutenden Schaden zu stiften, weil dieser Cylinder auf dem Nieder-<lb/>
druckchlinder stand. Unter dem Wettfahren um die schnellste Reise, den so¬<lb/>
genannten Record, hat man nicht eine Überspannung der Maschine zu ver¬<lb/>
stehen, sondern es handelt sich dabei um die Geltendmachung einer ganzen<lb/>
Reihe von Vorteilen, die zufällig zusammentreffen müssen, wenn etwas außer¬<lb/>
gewöhnliches zustandekommen soll: richtige Verteilung der Last im Schiffe,<lb/>
gute Kohlen, geschicktes Feuern, sorgfältige &#x201E;Navigirung" und nicht zum we¬<lb/>
nigsten auch eine möglichst glatte Beschaffenheit des Bodens (der Boden wird<lb/>
durch das Anhaften von Muscheln und Algenfäden rauh und reibt sich dann<lb/>
viel stärker am Wasser); ganz abgesehen von der Größe des Schiffs (der<lb/>
größere Dampfer überwindet leichter den Gegenwind), sowie von der Schnei¬<lb/>
digkeit der Schiffsform und der Leistungsfähigkeit der Maschine. Man glaube<lb/>
auch nicht, daß die &#x201E;wettfahrenden" Dampfer einander in Sicht zu behalten<lb/>
suchen; selbst wenn es zufällig einmal vorkommt, daß gleichwertige Gegner zu<lb/>
derselben Zeit den Hafen verlassen, führt sie der Weg bald weit aus einander.<lb/>
Verstöße gegen die Sicherheit fallen am häufigsten dem Kapitän zur Last, der,<lb/>
einer zwar uicht ausgesprochnen, aber sehr fühlbaren Forderung seiner Reederei<lb/>
nachgebend, aus Rücksichten der Konkurrenz auch bei umsichtigen Wetter drauf¬<lb/>
losjagt, sich in zu schwieriges Fahrwasser wagt und &#x201E;die Ecken Schramme,"<lb/>
d. h. um die hinderlichen Landvorsprünge zu knapp umbiegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585" next="#ID_586"> Künftighin wird man den Schnelldampfern stets mehr als eine Maschine<lb/>
geben. Ohne Zweifel wäre der norddeutsche Lloyd, dem englischen und dem<lb/>
Hamburger Beispiele folgend, schon mit der Havel und der Spree (1890) zum<lb/>
Doppelschraubensystem übergegangen, wenn er nicht die Mehrkosten gescheut<lb/>
hätte; denn zwei Maschinen stellen sich nicht nur in der Anlage, sondern auch<lb/>
im Betriebe (Heizung, Bedienung) teurer als eine und erfordern mehr Raum,<lb/>
wodurch sich die Ladefähigkeit verringert.  Dafür ist aber auch ihre dech-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag ungeheuern Gewichte von ihr in Thätigkeit gesetzt werden, geht daraus hervor, daß bei den Cunarders die gesamte Welle mehr als 100 Tonnen wiegt und jeder Flügel ihrer beiden Dreiflügelschrauben etwa 7 Tonnen. Die aus Mangan- bronze hergestellten Flügelblätter allein, ohne die Rabe, aus der sie befestigt sind, kosteten mehr als 150000 Mark. Nebenbei sei hier der manchmal gehörten Ansicht begegnet, als werde durch die hohe Dampfspannung die Sicherheit gefährdet. Vor dem Auftreten der Arizona und der Elbe fuhr man mit sechs Atmosphären Druck nicht sichrer als heute mit dem doppelten Druck. Die Erhöhung des Drucks hängt mit der Einführung des Stahls in die Schiffstechnik anstatt des Eisens zusammen. Unglücksfälle sind selten, doch so wenig wie bei den Landmaschinen ganz zu ver¬ meiden; so z. V. wurde die bekannte Havarie der Paris durch die Explosion eines Dampfeylinders hervorgerufen, und dem Cunarddampfer Aurania ist auf der ersten Reise (1883) der Deckel des Hochdrnckeylinders davongeflogen, glücklicher¬ weise ohne bedeutenden Schaden zu stiften, weil dieser Cylinder auf dem Nieder- druckchlinder stand. Unter dem Wettfahren um die schnellste Reise, den so¬ genannten Record, hat man nicht eine Überspannung der Maschine zu ver¬ stehen, sondern es handelt sich dabei um die Geltendmachung einer ganzen Reihe von Vorteilen, die zufällig zusammentreffen müssen, wenn etwas außer¬ gewöhnliches zustandekommen soll: richtige Verteilung der Last im Schiffe, gute Kohlen, geschicktes Feuern, sorgfältige „Navigirung" und nicht zum we¬ nigsten auch eine möglichst glatte Beschaffenheit des Bodens (der Boden wird durch das Anhaften von Muscheln und Algenfäden rauh und reibt sich dann viel stärker am Wasser); ganz abgesehen von der Größe des Schiffs (der größere Dampfer überwindet leichter den Gegenwind), sowie von der Schnei¬ digkeit der Schiffsform und der Leistungsfähigkeit der Maschine. Man glaube auch nicht, daß die „wettfahrenden" Dampfer einander in Sicht zu behalten suchen; selbst wenn es zufällig einmal vorkommt, daß gleichwertige Gegner zu derselben Zeit den Hafen verlassen, führt sie der Weg bald weit aus einander. Verstöße gegen die Sicherheit fallen am häufigsten dem Kapitän zur Last, der, einer zwar uicht ausgesprochnen, aber sehr fühlbaren Forderung seiner Reederei nachgebend, aus Rücksichten der Konkurrenz auch bei umsichtigen Wetter drauf¬ losjagt, sich in zu schwieriges Fahrwasser wagt und „die Ecken Schramme," d. h. um die hinderlichen Landvorsprünge zu knapp umbiegt. Künftighin wird man den Schnelldampfern stets mehr als eine Maschine geben. Ohne Zweifel wäre der norddeutsche Lloyd, dem englischen und dem Hamburger Beispiele folgend, schon mit der Havel und der Spree (1890) zum Doppelschraubensystem übergegangen, wenn er nicht die Mehrkosten gescheut hätte; denn zwei Maschinen stellen sich nicht nur in der Anlage, sondern auch im Betriebe (Heizung, Bedienung) teurer als eine und erfordern mehr Raum, wodurch sich die Ladefähigkeit verringert. Dafür ist aber auch ihre dech-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/174>, abgerufen am 25.08.2024.