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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Umsturzvorlage

Mission geht offenbar selbst hiervon aus, da sie den neugestalteten Z 112 in
seinem ganzen Umfange unter die Fälle einordnet, in denen eine Druckschrift,
und zwar auch ohne richterliche Anordnung, soll "beschlagnahmt" werden dürfen.
Wir wünschen von Herzen, daß die Armee auch künftig Deutschlands Stolz,
daß ihr Gefüge fest und ihre Waffen scharf bleiben mögen. Wir haben nichts
dagegen, daß man, sei es auch durch allgemeine Strafandrohungen, der leidigen
Politik schlechthin den Eintritt in die Armee verwehrt. Es geht aber zu weit,
ihr selbst und ihren Einrichtungen einen Schutz zu Privilegiren, den im Staate
sonst nur der Monarch genießt, und den kein andrer Träger von Staats¬
hoheitsrechten, weder die Justiz noch die Verwaltung, beansprucht.

Der im Jahre 1876 vom Reichstag einstimmig abgekehrte Vorschlag, auch
bloße Begriffe, wie Ehe, Familie, Religion, Eigentum und Monarchie, unter
den Schutz der Strafgesetze zu stellen, wird also in demselben Reichstage im
Jahre 1895 vermutlich eine Mehrheit finden. Gerade dieser Vorschlag ist so
einmütig verurteilt worden, daß wir nicht notwendig haben, unsrer früher
hierüber geäußerten Meinung etwas hinzuzufügen. Wenn die Kommission
hinter den Worten Ehe, Familie^ und Eigentum die Worte "als Grundlagen
der Gesellschaftsordnung" eingefügt hat, fo ist es zwar sehr interessant, diese
Thatsache auch vom Strafgesetz bestätigt zu sehen; aber was der Strafrichter
damit anfangen soll, ist schwer zu verstehen. Soll es heißen, daß er be¬
schimpfende und den öffentlichen Frieden gefährdende Äußerungen gegen die
rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlichen Überlegenheit, gegen den so-
genannten Kapitalismus und Mmnmviusmus straflos zu lassen hat, solange
der Sprecher nur den Eigentumsbegriff selbst als Grundlage der bestehenden
Gesellschaftsordnung gelten läßt? Wir sind darüber nicht beruhigt und fürchten,
die Staatsanwälte werden finden, diese Grundlage müsse durch jeden, auch
noch so berechtigten Angriff leiden, und werden deshalb -- die Kommission
ermächtigt sie dazu -- auch ohne richterliche Anordnung die Beschlagnahme
jeder Zeitungsnummer, die solche Angriffe enthält, veranlassen. In England
versucht man solchen über das Ziel schießenden Amtseifer durch einige Tausend
Pfund Schadenersatz zu dämpfen. Die deutschen Gesetze legen ihm nur schwache
Zügel an, und vermutlich ist hier der Punkt, von dem aus ein straffes Pvlizei-
regiment die Hebel ansetzen wird, um der sozialdemokratischen Presse das
Lebenslicht ciuszublasen.

Den vatikanischen Zug, der der ganzen Umsturzvorlage durch das Zentrum,
den Beherrscher der Kommission, aufgedrückt worden ist, trügt am deutlichsten
der neu eingeführte § 166 zur Schau. War bisher nur die Gotteslästerung,
und nur, wenn sie Ärgernis erregt hatte, strafbar, so trifft künftig Gefängnis
bis zu drei Jahren anch den, der öffentlich in beschimpfenden Äußerungen den
Glauben an Gott oder das Christentum (also nicht auch das Judentum) an¬
greift. Waren bisher nur die Einrichtungen oder Gebräuche der Kirchen und


Die Umsturzvorlage

Mission geht offenbar selbst hiervon aus, da sie den neugestalteten Z 112 in
seinem ganzen Umfange unter die Fälle einordnet, in denen eine Druckschrift,
und zwar auch ohne richterliche Anordnung, soll „beschlagnahmt" werden dürfen.
Wir wünschen von Herzen, daß die Armee auch künftig Deutschlands Stolz,
daß ihr Gefüge fest und ihre Waffen scharf bleiben mögen. Wir haben nichts
dagegen, daß man, sei es auch durch allgemeine Strafandrohungen, der leidigen
Politik schlechthin den Eintritt in die Armee verwehrt. Es geht aber zu weit,
ihr selbst und ihren Einrichtungen einen Schutz zu Privilegiren, den im Staate
sonst nur der Monarch genießt, und den kein andrer Träger von Staats¬
hoheitsrechten, weder die Justiz noch die Verwaltung, beansprucht.

Der im Jahre 1876 vom Reichstag einstimmig abgekehrte Vorschlag, auch
bloße Begriffe, wie Ehe, Familie, Religion, Eigentum und Monarchie, unter
den Schutz der Strafgesetze zu stellen, wird also in demselben Reichstage im
Jahre 1895 vermutlich eine Mehrheit finden. Gerade dieser Vorschlag ist so
einmütig verurteilt worden, daß wir nicht notwendig haben, unsrer früher
hierüber geäußerten Meinung etwas hinzuzufügen. Wenn die Kommission
hinter den Worten Ehe, Familie^ und Eigentum die Worte „als Grundlagen
der Gesellschaftsordnung" eingefügt hat, fo ist es zwar sehr interessant, diese
Thatsache auch vom Strafgesetz bestätigt zu sehen; aber was der Strafrichter
damit anfangen soll, ist schwer zu verstehen. Soll es heißen, daß er be¬
schimpfende und den öffentlichen Frieden gefährdende Äußerungen gegen die
rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlichen Überlegenheit, gegen den so-
genannten Kapitalismus und Mmnmviusmus straflos zu lassen hat, solange
der Sprecher nur den Eigentumsbegriff selbst als Grundlage der bestehenden
Gesellschaftsordnung gelten läßt? Wir sind darüber nicht beruhigt und fürchten,
die Staatsanwälte werden finden, diese Grundlage müsse durch jeden, auch
noch so berechtigten Angriff leiden, und werden deshalb — die Kommission
ermächtigt sie dazu — auch ohne richterliche Anordnung die Beschlagnahme
jeder Zeitungsnummer, die solche Angriffe enthält, veranlassen. In England
versucht man solchen über das Ziel schießenden Amtseifer durch einige Tausend
Pfund Schadenersatz zu dämpfen. Die deutschen Gesetze legen ihm nur schwache
Zügel an, und vermutlich ist hier der Punkt, von dem aus ein straffes Pvlizei-
regiment die Hebel ansetzen wird, um der sozialdemokratischen Presse das
Lebenslicht ciuszublasen.

Den vatikanischen Zug, der der ganzen Umsturzvorlage durch das Zentrum,
den Beherrscher der Kommission, aufgedrückt worden ist, trügt am deutlichsten
der neu eingeführte § 166 zur Schau. War bisher nur die Gotteslästerung,
und nur, wenn sie Ärgernis erregt hatte, strafbar, so trifft künftig Gefängnis
bis zu drei Jahren anch den, der öffentlich in beschimpfenden Äußerungen den
Glauben an Gott oder das Christentum (also nicht auch das Judentum) an¬
greift. Waren bisher nur die Einrichtungen oder Gebräuche der Kirchen und


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[0165] Die Umsturzvorlage Mission geht offenbar selbst hiervon aus, da sie den neugestalteten Z 112 in seinem ganzen Umfange unter die Fälle einordnet, in denen eine Druckschrift, und zwar auch ohne richterliche Anordnung, soll „beschlagnahmt" werden dürfen. Wir wünschen von Herzen, daß die Armee auch künftig Deutschlands Stolz, daß ihr Gefüge fest und ihre Waffen scharf bleiben mögen. Wir haben nichts dagegen, daß man, sei es auch durch allgemeine Strafandrohungen, der leidigen Politik schlechthin den Eintritt in die Armee verwehrt. Es geht aber zu weit, ihr selbst und ihren Einrichtungen einen Schutz zu Privilegiren, den im Staate sonst nur der Monarch genießt, und den kein andrer Träger von Staats¬ hoheitsrechten, weder die Justiz noch die Verwaltung, beansprucht. Der im Jahre 1876 vom Reichstag einstimmig abgekehrte Vorschlag, auch bloße Begriffe, wie Ehe, Familie, Religion, Eigentum und Monarchie, unter den Schutz der Strafgesetze zu stellen, wird also in demselben Reichstage im Jahre 1895 vermutlich eine Mehrheit finden. Gerade dieser Vorschlag ist so einmütig verurteilt worden, daß wir nicht notwendig haben, unsrer früher hierüber geäußerten Meinung etwas hinzuzufügen. Wenn die Kommission hinter den Worten Ehe, Familie^ und Eigentum die Worte „als Grundlagen der Gesellschaftsordnung" eingefügt hat, fo ist es zwar sehr interessant, diese Thatsache auch vom Strafgesetz bestätigt zu sehen; aber was der Strafrichter damit anfangen soll, ist schwer zu verstehen. Soll es heißen, daß er be¬ schimpfende und den öffentlichen Frieden gefährdende Äußerungen gegen die rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlichen Überlegenheit, gegen den so- genannten Kapitalismus und Mmnmviusmus straflos zu lassen hat, solange der Sprecher nur den Eigentumsbegriff selbst als Grundlage der bestehenden Gesellschaftsordnung gelten läßt? Wir sind darüber nicht beruhigt und fürchten, die Staatsanwälte werden finden, diese Grundlage müsse durch jeden, auch noch so berechtigten Angriff leiden, und werden deshalb — die Kommission ermächtigt sie dazu — auch ohne richterliche Anordnung die Beschlagnahme jeder Zeitungsnummer, die solche Angriffe enthält, veranlassen. In England versucht man solchen über das Ziel schießenden Amtseifer durch einige Tausend Pfund Schadenersatz zu dämpfen. Die deutschen Gesetze legen ihm nur schwache Zügel an, und vermutlich ist hier der Punkt, von dem aus ein straffes Pvlizei- regiment die Hebel ansetzen wird, um der sozialdemokratischen Presse das Lebenslicht ciuszublasen. Den vatikanischen Zug, der der ganzen Umsturzvorlage durch das Zentrum, den Beherrscher der Kommission, aufgedrückt worden ist, trügt am deutlichsten der neu eingeführte § 166 zur Schau. War bisher nur die Gotteslästerung, und nur, wenn sie Ärgernis erregt hatte, strafbar, so trifft künftig Gefängnis bis zu drei Jahren anch den, der öffentlich in beschimpfenden Äußerungen den Glauben an Gott oder das Christentum (also nicht auch das Judentum) an¬ greift. Waren bisher nur die Einrichtungen oder Gebräuche der Kirchen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/165>, abgerufen am 25.08.2024.