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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sedini

wirklich Gottes Stimme, sofern es von der Vorliebe für historische Gemälde
nie abgekommen ist, noch abkommen wird. Sicherlich liegt dem nicht bloß
gemeine Schaulust, sondern ein instinktiver ästhetischer Idealismus zu Grunde.

Ließe die moderne Richtung ab von ihrer ungerechtfertigten Verfolgung
des geistigen Gehalts in der Malerei, so könnten sich die verschiednen Rich¬
tungen wieder in einer der Würde der Kunst angemessenen Weise unter ein¬
ander vertragen, und der neuern Bewegung würde trotzdem ihr Verdienst um
den technischen Fortschritt ungeschmälert bleiben. Ihre jetzige Haltung ist
leider völlig unfruchtbar, da sie verdammt, wo sie nicht zu belehren vermag.




Sedini
(Fortsetzung)
4

raußen wurde es Morgen, und immer waren noch Gäste da.
Franzi stand im Saal an einem Pfeiler und sah, wie oben ein
paar Leute an den Dekorationen rissen und sich lange Zweige von
den künstlichen Blumen brachen. Gehns, Werfens mir auch ein
paar Blumen herunter! rief sie hinauf. Dann sah sie den Sedini
oben hernmtnruen und rupfen und rupfen.

Wissen Fräulein auch, daß es streng untersagt ist, die Dekorationen an¬
zurühren ?'

Ach, s ist doch die pure Bewunderung, daß wir sie mitnehmen!

Ja, grad das hat Eva auch gesagt im Paradies! Und Schaums, da werden
wir auch schon ausgetrieben!

Die Musik hatte zusammengepackt und war gegangen. Jetzt mußte die
Gasleitung abgestellt worden sein, denn es wurde jeden Augenblick dunkler.
Von draußen aber drang der Tag herein, so wie ein Kunstkritiker schildert,
kühl und nüchtern, und trieb die Nachzügler hinaus.

Nur hinter einem Pfeiler, unter den Arkaden versteckt, war noch ein Tisch
Trinkbrüder, die sich nicht verscheuchen ließen. Jcmko deutete mit dem Kopf
hinüber.

Da sitzen sie, meine ungarischen Brüder, im Wert von fünfzig Gulden für
mich. So viel haben sie in den letzten zwei Wochen Reisegeld von mir erhoben.
Sedini, ich bitt dich, sieben Gulden bis nach Wien! sagt der eine, und: Bitt
schön, Sedini, fünfzehn Gulden bis nach Aszvd! der andre. Der eine will
nur bis an die Grenze, der andre bis Siebenbürgen! Ein paar davon haben
einmal eine Photographie bemalt gehabt, einer einen Schatten an der Wand nach¬
gezeichnet, alle waren sie auf irgend eine Art hinter ihr Genie gekommen, und
nach München haben sie gemußt, berühmt werden haben sie wollen, wie der


Grenzboten II 189S ig
Sedini

wirklich Gottes Stimme, sofern es von der Vorliebe für historische Gemälde
nie abgekommen ist, noch abkommen wird. Sicherlich liegt dem nicht bloß
gemeine Schaulust, sondern ein instinktiver ästhetischer Idealismus zu Grunde.

Ließe die moderne Richtung ab von ihrer ungerechtfertigten Verfolgung
des geistigen Gehalts in der Malerei, so könnten sich die verschiednen Rich¬
tungen wieder in einer der Würde der Kunst angemessenen Weise unter ein¬
ander vertragen, und der neuern Bewegung würde trotzdem ihr Verdienst um
den technischen Fortschritt ungeschmälert bleiben. Ihre jetzige Haltung ist
leider völlig unfruchtbar, da sie verdammt, wo sie nicht zu belehren vermag.




Sedini
(Fortsetzung)
4

raußen wurde es Morgen, und immer waren noch Gäste da.
Franzi stand im Saal an einem Pfeiler und sah, wie oben ein
paar Leute an den Dekorationen rissen und sich lange Zweige von
den künstlichen Blumen brachen. Gehns, Werfens mir auch ein
paar Blumen herunter! rief sie hinauf. Dann sah sie den Sedini
oben hernmtnruen und rupfen und rupfen.

Wissen Fräulein auch, daß es streng untersagt ist, die Dekorationen an¬
zurühren ?'

Ach, s ist doch die pure Bewunderung, daß wir sie mitnehmen!

Ja, grad das hat Eva auch gesagt im Paradies! Und Schaums, da werden
wir auch schon ausgetrieben!

Die Musik hatte zusammengepackt und war gegangen. Jetzt mußte die
Gasleitung abgestellt worden sein, denn es wurde jeden Augenblick dunkler.
Von draußen aber drang der Tag herein, so wie ein Kunstkritiker schildert,
kühl und nüchtern, und trieb die Nachzügler hinaus.

Nur hinter einem Pfeiler, unter den Arkaden versteckt, war noch ein Tisch
Trinkbrüder, die sich nicht verscheuchen ließen. Jcmko deutete mit dem Kopf
hinüber.

Da sitzen sie, meine ungarischen Brüder, im Wert von fünfzig Gulden für
mich. So viel haben sie in den letzten zwei Wochen Reisegeld von mir erhoben.
Sedini, ich bitt dich, sieben Gulden bis nach Wien! sagt der eine, und: Bitt
schön, Sedini, fünfzehn Gulden bis nach Aszvd! der andre. Der eine will
nur bis an die Grenze, der andre bis Siebenbürgen! Ein paar davon haben
einmal eine Photographie bemalt gehabt, einer einen Schatten an der Wand nach¬
gezeichnet, alle waren sie auf irgend eine Art hinter ihr Genie gekommen, und
nach München haben sie gemußt, berühmt werden haben sie wollen, wie der


Grenzboten II 189S ig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/145>, abgerufen am 22.12.2024.