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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Sprachinsel Gottschee

Was unter den Gottscheeer Volksliedern selbständige Prügung erhalten
hat, offenbart sich durchweg als Feiertagspoesie. Legenden, ernste Balladen
und episch-lyrische Liebeslieder höhern Stils stehen im Vordergrunde, und
schon ihr typischer Eingang ist ungemein feierlich: der Held oder die Heldin
steht früh morgens auf, betet, wäscht sich, nimmt ein Frühstück, läßt sich ein
Pferd satteln -- die Heldin kleidet sich schön an -- und zieht Wohlgemüt
auf das Abenteuer aus, das das Lied eben verherrlicht. Mit festlicher Er¬
hebung, mit sichtlich innerer Ergriffenheit hebt man an, es zu singen, zumal
da das entsagungsvolle, harte, von Leiden aller Art bedrängte Leben, das die
Gottscheeer Landleute früher führen mußten, den meisten Liedern einen nicht
gerade traurigen, aber entschieden gedämpften Ton verliehen hat. Es ist, als
ob das geängstigte Herz nicht aufzujubeln wagte. Daher fehlt jeder lose Scherz,
jede schalkhafte Wendung und jeder Freudenausbruch. Ernste Ereignisse, wie
Abschied, Tod, Mord, Wiederkehr des toten Freiers, stehen in besondrer Gunst,
und auch ursprünglich heitern Liedern wird gern ein tragischer Ausgang
angefügt oder der scherzhafte Schluß genommen, ja selbst Trinklieder werden
mit frommen Sprüchen eröffnet. Denn wie der Ernst den Takt schlägt, so
giebt vertrauensvolle Frömmigkeit die Melodie an. "Was Gott will haben,
ist leicht gethan" könnte hier als Motto über weltlichen und geistlichen Liedern
stehen. Auch die Mutter Maria, der sonst der Volksmund so viele liebens¬
würdig schalkhafte Züge beizulegen wagt, erscheint bei den Gottscheeern streng
und freudengram, wenn sie auch mit echt weiblicher Rührung dem betrübten
Bräutigam auf der Hochzeit die Stelle der verstorbnen Eltern vertritt:


Hnci tuir is<M Jenen wnstr UariÄ-
Lt, loiclilc (traurig) se loiäill, main praitiZom,
Lisr dslu (wir wollen) liier gli-un solrtot et-um wustr (Vater),
Lisr dein <Zivr ölig-in soirtot tunkt unser.

Dieser sittliche Ernst und beinahe pedantische Gerechtigkeitssinn geht so weit,
daß auch die Stiefmutter, auf die der Volksmund sonst so übel zu sprechen
ist, ihrer bösen Eigenschaften entlastet und selbst der Kuckuck aus einem losen
Ehebrecher zu einem betrognen Liebhaber gemacht wird. Bezeichnend für die
Gottscheeer Liederpoesie ist es auch, daß sie keine Schnadahüpfeln hat, die doch
sonst durch ganz Deutsch österreich verbreitet sind. Aber die kecke Lebenslust
und der jauchzende Übermut, der nun einmal mit diesen elementaren Gefühls¬
ausbrüchen unlöslich verbunden ist, sagt dem herben Wesen der Gottscheeer
nicht zu, wie ihre Bergeshänge auch für die lustigen, kecken Jodler Tirols und
Steiermarks kein Echo haben. Wenn man nun gar ihre spröden Liebeslieder
mit denen der Alpler vergleicht und vergebens sucht nach dem Fensterln, dem
neckischen Schmollen und Trutzen, den hunderterlei Liebesrünken und tausenderlei
Liebesgeschenken, den Schlemmer-, Buhl- und Tageliedern, die sich sonst kein
Naturvolk versagt, so möchte man beinahe glauben, die "ethische Kultur"


Die deutsche Sprachinsel Gottschee

Was unter den Gottscheeer Volksliedern selbständige Prügung erhalten
hat, offenbart sich durchweg als Feiertagspoesie. Legenden, ernste Balladen
und episch-lyrische Liebeslieder höhern Stils stehen im Vordergrunde, und
schon ihr typischer Eingang ist ungemein feierlich: der Held oder die Heldin
steht früh morgens auf, betet, wäscht sich, nimmt ein Frühstück, läßt sich ein
Pferd satteln — die Heldin kleidet sich schön an — und zieht Wohlgemüt
auf das Abenteuer aus, das das Lied eben verherrlicht. Mit festlicher Er¬
hebung, mit sichtlich innerer Ergriffenheit hebt man an, es zu singen, zumal
da das entsagungsvolle, harte, von Leiden aller Art bedrängte Leben, das die
Gottscheeer Landleute früher führen mußten, den meisten Liedern einen nicht
gerade traurigen, aber entschieden gedämpften Ton verliehen hat. Es ist, als
ob das geängstigte Herz nicht aufzujubeln wagte. Daher fehlt jeder lose Scherz,
jede schalkhafte Wendung und jeder Freudenausbruch. Ernste Ereignisse, wie
Abschied, Tod, Mord, Wiederkehr des toten Freiers, stehen in besondrer Gunst,
und auch ursprünglich heitern Liedern wird gern ein tragischer Ausgang
angefügt oder der scherzhafte Schluß genommen, ja selbst Trinklieder werden
mit frommen Sprüchen eröffnet. Denn wie der Ernst den Takt schlägt, so
giebt vertrauensvolle Frömmigkeit die Melodie an. „Was Gott will haben,
ist leicht gethan" könnte hier als Motto über weltlichen und geistlichen Liedern
stehen. Auch die Mutter Maria, der sonst der Volksmund so viele liebens¬
würdig schalkhafte Züge beizulegen wagt, erscheint bei den Gottscheeern streng
und freudengram, wenn sie auch mit echt weiblicher Rührung dem betrübten
Bräutigam auf der Hochzeit die Stelle der verstorbnen Eltern vertritt:


Hnci tuir is<M Jenen wnstr UariÄ-
Lt, loiclilc (traurig) se loiäill, main praitiZom,
Lisr dslu (wir wollen) liier gli-un solrtot et-um wustr (Vater),
Lisr dein <Zivr ölig-in soirtot tunkt unser.

Dieser sittliche Ernst und beinahe pedantische Gerechtigkeitssinn geht so weit,
daß auch die Stiefmutter, auf die der Volksmund sonst so übel zu sprechen
ist, ihrer bösen Eigenschaften entlastet und selbst der Kuckuck aus einem losen
Ehebrecher zu einem betrognen Liebhaber gemacht wird. Bezeichnend für die
Gottscheeer Liederpoesie ist es auch, daß sie keine Schnadahüpfeln hat, die doch
sonst durch ganz Deutsch österreich verbreitet sind. Aber die kecke Lebenslust
und der jauchzende Übermut, der nun einmal mit diesen elementaren Gefühls¬
ausbrüchen unlöslich verbunden ist, sagt dem herben Wesen der Gottscheeer
nicht zu, wie ihre Bergeshänge auch für die lustigen, kecken Jodler Tirols und
Steiermarks kein Echo haben. Wenn man nun gar ihre spröden Liebeslieder
mit denen der Alpler vergleicht und vergebens sucht nach dem Fensterln, dem
neckischen Schmollen und Trutzen, den hunderterlei Liebesrünken und tausenderlei
Liebesgeschenken, den Schlemmer-, Buhl- und Tageliedern, die sich sonst kein
Naturvolk versagt, so möchte man beinahe glauben, die „ethische Kultur"


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[0138] Die deutsche Sprachinsel Gottschee Was unter den Gottscheeer Volksliedern selbständige Prügung erhalten hat, offenbart sich durchweg als Feiertagspoesie. Legenden, ernste Balladen und episch-lyrische Liebeslieder höhern Stils stehen im Vordergrunde, und schon ihr typischer Eingang ist ungemein feierlich: der Held oder die Heldin steht früh morgens auf, betet, wäscht sich, nimmt ein Frühstück, läßt sich ein Pferd satteln — die Heldin kleidet sich schön an — und zieht Wohlgemüt auf das Abenteuer aus, das das Lied eben verherrlicht. Mit festlicher Er¬ hebung, mit sichtlich innerer Ergriffenheit hebt man an, es zu singen, zumal da das entsagungsvolle, harte, von Leiden aller Art bedrängte Leben, das die Gottscheeer Landleute früher führen mußten, den meisten Liedern einen nicht gerade traurigen, aber entschieden gedämpften Ton verliehen hat. Es ist, als ob das geängstigte Herz nicht aufzujubeln wagte. Daher fehlt jeder lose Scherz, jede schalkhafte Wendung und jeder Freudenausbruch. Ernste Ereignisse, wie Abschied, Tod, Mord, Wiederkehr des toten Freiers, stehen in besondrer Gunst, und auch ursprünglich heitern Liedern wird gern ein tragischer Ausgang angefügt oder der scherzhafte Schluß genommen, ja selbst Trinklieder werden mit frommen Sprüchen eröffnet. Denn wie der Ernst den Takt schlägt, so giebt vertrauensvolle Frömmigkeit die Melodie an. „Was Gott will haben, ist leicht gethan" könnte hier als Motto über weltlichen und geistlichen Liedern stehen. Auch die Mutter Maria, der sonst der Volksmund so viele liebens¬ würdig schalkhafte Züge beizulegen wagt, erscheint bei den Gottscheeern streng und freudengram, wenn sie auch mit echt weiblicher Rührung dem betrübten Bräutigam auf der Hochzeit die Stelle der verstorbnen Eltern vertritt: Hnci tuir is<M Jenen wnstr UariÄ- Lt, loiclilc (traurig) se loiäill, main praitiZom, Lisr dslu (wir wollen) liier gli-un solrtot et-um wustr (Vater), Lisr dein <Zivr ölig-in soirtot tunkt unser. Dieser sittliche Ernst und beinahe pedantische Gerechtigkeitssinn geht so weit, daß auch die Stiefmutter, auf die der Volksmund sonst so übel zu sprechen ist, ihrer bösen Eigenschaften entlastet und selbst der Kuckuck aus einem losen Ehebrecher zu einem betrognen Liebhaber gemacht wird. Bezeichnend für die Gottscheeer Liederpoesie ist es auch, daß sie keine Schnadahüpfeln hat, die doch sonst durch ganz Deutsch österreich verbreitet sind. Aber die kecke Lebenslust und der jauchzende Übermut, der nun einmal mit diesen elementaren Gefühls¬ ausbrüchen unlöslich verbunden ist, sagt dem herben Wesen der Gottscheeer nicht zu, wie ihre Bergeshänge auch für die lustigen, kecken Jodler Tirols und Steiermarks kein Echo haben. Wenn man nun gar ihre spröden Liebeslieder mit denen der Alpler vergleicht und vergebens sucht nach dem Fensterln, dem neckischen Schmollen und Trutzen, den hunderterlei Liebesrünken und tausenderlei Liebesgeschenken, den Schlemmer-, Buhl- und Tageliedern, die sich sonst kein Naturvolk versagt, so möchte man beinahe glauben, die „ethische Kultur"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/138>, abgerufen am 24.08.2024.