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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Sprachinsel Gottschee

Während den im Grunde nüchternen Gottscheeern für Ausbildung von Märchen
und Sagen das freie, glänzende Spiel der Phantasie fehlte, weshalb sich auch
die ungemein reich entwickelten Schildbürgergeschichten durchweg im Geleise
des Lalenbuches, der Schöppenstädter und Teterower Schnurren bewegen, er¬
fuhr das Volkslied bei liebevollster Pflege eine in mancher Beziehung ganz
eigentümliche Prägung. Aus diesem Grunde steht auch die reichhaltige Volks¬
liedersammlung im Mittelpunkt des Hauffenschen Werkes.

Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert entfaltete das deutsche Volks¬
lied nicht nur seine herrlichste Blüte, sondern fand auch eine so schnelle, überall
hin verzweigte Verbreitung, daß wir wie auf einen Schlag plötzlich in den
verschiedensten und entferntesten Gegenden mit demselben Reichtum auch die¬
selben Stoffe aufkommen sehen. In Gegenden aber, die vom Verkehr weiter
abliegen, wo die landschaftliche Umgebung, die Lebens- und Erwerbsverhält¬
nisse auch besondre Zustünde erzeugen, also etwa in der Schweiz, in den
innerösterreichischen Alpenländern, da bietet auch der Vvlksliederschatz, das
dichterische Spiegelbild dieser Zustände, einen eigentümlichen Charakter dar. So
hat sich besonders in den Sprachinseln ^die Volksliedersaat reiner und un-
geminderter erhalten als anderswo und ist unter der Einwirkung der fremden
Nachbarpoesie zu ganz eigner Reife gediehen. Viele der bekanntesten deutschen
Vvlksballciden und Liebeslieder kehren freilich auch in Gottschee wieder, so die
von der Liebesprobe, von dem wiederkehrenden Gatten, von der verkauften
Müllerin, von der Wirtin Töchterlein, von den zwei Gespielen und dem treu¬
losen Liebchen, aber manches hat sich doch altertümlicher erhalten oder ist
unter den neuen örtlichen Verhältnissen, zumal da die Gottschcecr die aus-
gesprochne Neigung haben, alles Überlieferte in das Gewand ihrer Heimat
zu kleiden, mit leichtem slawischen Einschlag anders ausgebildet worden.
Einige der ältesten Lieder haben die Gottscheeer sicher schon bei ihrer ersten
Einwandrung mitgebracht, so namentlich verschiedne Heimkehrlieder und an
die Gudrundichtung angeschlossene Stoffe, die in Deutschland schon im vierzehnten
Jahrhundert bekannt waren. Deutscher Einfluß reichte auch später ununter¬
brochen bis nach Gottschee; Ober- und Unterkrain waren ja erfüllt von deutschen
Niederlassungen, die Landeshauptstadt Laibach, mit der Gottschee in Handels¬
beziehungen stand, war im sechzehnten Jahrhundert so gut wie eine deutsche
Stadt, und im ganzen Lande waren auch die adlichen Grundbesitzer, vielfach
auch die Kaufleute und die Söldner deutscher Herkunft. Rechnet man zu diesen
mittelbaren Einwirkungen des deutschen Volksgcsanges den lebhaften Verkehr,
den die Gottscheeer Hausirer unmittelbar mit ihrem alten Heimatlands schon in
dem sangesfrohen sechzehnten Jahrhundert unterhielten, so wird es begreiflich,
wie so viele frische Keime unsers Volksliedes unverkümmert gleich in die doch
ziemlich entfernte Sprachinsel übernommen und in ihrem Boden zu eigentüm¬
lichem Wachstum geführt werde" konnten.



Grenzboten II 1895 17
Die deutsche Sprachinsel Gottschee

Während den im Grunde nüchternen Gottscheeern für Ausbildung von Märchen
und Sagen das freie, glänzende Spiel der Phantasie fehlte, weshalb sich auch
die ungemein reich entwickelten Schildbürgergeschichten durchweg im Geleise
des Lalenbuches, der Schöppenstädter und Teterower Schnurren bewegen, er¬
fuhr das Volkslied bei liebevollster Pflege eine in mancher Beziehung ganz
eigentümliche Prägung. Aus diesem Grunde steht auch die reichhaltige Volks¬
liedersammlung im Mittelpunkt des Hauffenschen Werkes.

Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert entfaltete das deutsche Volks¬
lied nicht nur seine herrlichste Blüte, sondern fand auch eine so schnelle, überall
hin verzweigte Verbreitung, daß wir wie auf einen Schlag plötzlich in den
verschiedensten und entferntesten Gegenden mit demselben Reichtum auch die¬
selben Stoffe aufkommen sehen. In Gegenden aber, die vom Verkehr weiter
abliegen, wo die landschaftliche Umgebung, die Lebens- und Erwerbsverhält¬
nisse auch besondre Zustünde erzeugen, also etwa in der Schweiz, in den
innerösterreichischen Alpenländern, da bietet auch der Vvlksliederschatz, das
dichterische Spiegelbild dieser Zustände, einen eigentümlichen Charakter dar. So
hat sich besonders in den Sprachinseln ^die Volksliedersaat reiner und un-
geminderter erhalten als anderswo und ist unter der Einwirkung der fremden
Nachbarpoesie zu ganz eigner Reife gediehen. Viele der bekanntesten deutschen
Vvlksballciden und Liebeslieder kehren freilich auch in Gottschee wieder, so die
von der Liebesprobe, von dem wiederkehrenden Gatten, von der verkauften
Müllerin, von der Wirtin Töchterlein, von den zwei Gespielen und dem treu¬
losen Liebchen, aber manches hat sich doch altertümlicher erhalten oder ist
unter den neuen örtlichen Verhältnissen, zumal da die Gottschcecr die aus-
gesprochne Neigung haben, alles Überlieferte in das Gewand ihrer Heimat
zu kleiden, mit leichtem slawischen Einschlag anders ausgebildet worden.
Einige der ältesten Lieder haben die Gottscheeer sicher schon bei ihrer ersten
Einwandrung mitgebracht, so namentlich verschiedne Heimkehrlieder und an
die Gudrundichtung angeschlossene Stoffe, die in Deutschland schon im vierzehnten
Jahrhundert bekannt waren. Deutscher Einfluß reichte auch später ununter¬
brochen bis nach Gottschee; Ober- und Unterkrain waren ja erfüllt von deutschen
Niederlassungen, die Landeshauptstadt Laibach, mit der Gottschee in Handels¬
beziehungen stand, war im sechzehnten Jahrhundert so gut wie eine deutsche
Stadt, und im ganzen Lande waren auch die adlichen Grundbesitzer, vielfach
auch die Kaufleute und die Söldner deutscher Herkunft. Rechnet man zu diesen
mittelbaren Einwirkungen des deutschen Volksgcsanges den lebhaften Verkehr,
den die Gottscheeer Hausirer unmittelbar mit ihrem alten Heimatlands schon in
dem sangesfrohen sechzehnten Jahrhundert unterhielten, so wird es begreiflich,
wie so viele frische Keime unsers Volksliedes unverkümmert gleich in die doch
ziemlich entfernte Sprachinsel übernommen und in ihrem Boden zu eigentüm¬
lichem Wachstum geführt werde» konnten.



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[0137] Die deutsche Sprachinsel Gottschee Während den im Grunde nüchternen Gottscheeern für Ausbildung von Märchen und Sagen das freie, glänzende Spiel der Phantasie fehlte, weshalb sich auch die ungemein reich entwickelten Schildbürgergeschichten durchweg im Geleise des Lalenbuches, der Schöppenstädter und Teterower Schnurren bewegen, er¬ fuhr das Volkslied bei liebevollster Pflege eine in mancher Beziehung ganz eigentümliche Prägung. Aus diesem Grunde steht auch die reichhaltige Volks¬ liedersammlung im Mittelpunkt des Hauffenschen Werkes. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert entfaltete das deutsche Volks¬ lied nicht nur seine herrlichste Blüte, sondern fand auch eine so schnelle, überall hin verzweigte Verbreitung, daß wir wie auf einen Schlag plötzlich in den verschiedensten und entferntesten Gegenden mit demselben Reichtum auch die¬ selben Stoffe aufkommen sehen. In Gegenden aber, die vom Verkehr weiter abliegen, wo die landschaftliche Umgebung, die Lebens- und Erwerbsverhält¬ nisse auch besondre Zustünde erzeugen, also etwa in der Schweiz, in den innerösterreichischen Alpenländern, da bietet auch der Vvlksliederschatz, das dichterische Spiegelbild dieser Zustände, einen eigentümlichen Charakter dar. So hat sich besonders in den Sprachinseln ^die Volksliedersaat reiner und un- geminderter erhalten als anderswo und ist unter der Einwirkung der fremden Nachbarpoesie zu ganz eigner Reife gediehen. Viele der bekanntesten deutschen Vvlksballciden und Liebeslieder kehren freilich auch in Gottschee wieder, so die von der Liebesprobe, von dem wiederkehrenden Gatten, von der verkauften Müllerin, von der Wirtin Töchterlein, von den zwei Gespielen und dem treu¬ losen Liebchen, aber manches hat sich doch altertümlicher erhalten oder ist unter den neuen örtlichen Verhältnissen, zumal da die Gottschcecr die aus- gesprochne Neigung haben, alles Überlieferte in das Gewand ihrer Heimat zu kleiden, mit leichtem slawischen Einschlag anders ausgebildet worden. Einige der ältesten Lieder haben die Gottscheeer sicher schon bei ihrer ersten Einwandrung mitgebracht, so namentlich verschiedne Heimkehrlieder und an die Gudrundichtung angeschlossene Stoffe, die in Deutschland schon im vierzehnten Jahrhundert bekannt waren. Deutscher Einfluß reichte auch später ununter¬ brochen bis nach Gottschee; Ober- und Unterkrain waren ja erfüllt von deutschen Niederlassungen, die Landeshauptstadt Laibach, mit der Gottschee in Handels¬ beziehungen stand, war im sechzehnten Jahrhundert so gut wie eine deutsche Stadt, und im ganzen Lande waren auch die adlichen Grundbesitzer, vielfach auch die Kaufleute und die Söldner deutscher Herkunft. Rechnet man zu diesen mittelbaren Einwirkungen des deutschen Volksgcsanges den lebhaften Verkehr, den die Gottscheeer Hausirer unmittelbar mit ihrem alten Heimatlands schon in dem sangesfrohen sechzehnten Jahrhundert unterhielten, so wird es begreiflich, wie so viele frische Keime unsers Volksliedes unverkümmert gleich in die doch ziemlich entfernte Sprachinsel übernommen und in ihrem Boden zu eigentüm¬ lichem Wachstum geführt werde» konnten. Grenzboten II 1895 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/137>, abgerufen am 22.12.2024.