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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sie Behandlung des Verbrechers

Beamte macht seine traurigen Erfahrungen, er erlebt aber auch Freuden, die
ihm seinen Beruf lieb machen. In jeder Anstalt sieht man, wie Menschen
neue und bessere Wege einschlagen, ihr altes Wesen abthun und ihren stör¬
rischen Sinn ändern, und das sind nicht nur solche, die an und für sich gute
Menschen sind mit kleinen Charakterfehlern, sondern auch solche, die in der
Anstalt erst zu Menschen geworden sind. Wenn einzelne dieser "Muster¬
gefangnen," wie man sie zuweilen spöttisch nennt, später wieder sinken, so
wollen wir nicht gleich von Heuchelei reden und von Leichtgläubigkeit der Be¬
amten, sondern an die großen Schwierigkeiten denken, womit der Entlassene
zu kämpfen hat. Der Staat soll bessern, so ruft man, das ist seine Pflicht
und Schuldigkeit, aber die Gesellschaft will nicht an eine Besserung glauben,
das ist ihr Recht und ihr Behagen. Wenn sich dennoch viele Entlassene gut
und stramm halten, so haben die lieben Mitmenschen nur selten dazu etwas
gethan. Freilich, ist es einem Menschen gelungen, sich wieder einen Platz am
warmen Ofen zu erobern, so wird er anerkannt. Das Seiende ist ja immer
vernünftig.

Was der Strafvollziehung immer übel angerechnet wird, das ist der ver¬
gebliche Kampf gegen das gewohnheitsmäßige und gewerbsmäßige Verbrecher¬
tum. Dieses Gesindel verdirbt dem Beamten immer wieder seine schönsten Be¬
rechnungen. Es giebt Naturen, auf die keinerlei Einwirkung möglich zu sein
scheint. Durch Güte und Milde erreicht man bei ihnen ebenso wenig wie
durch die Anwendung der schärfsten Strafmittel. Man mag den gewerbs¬
mäßigen Verbrecher prügeln, daß er an den Wänden hinaufspringt, das wird
ihm allerdings das Zuchthaus verleiden, aber ändern wird es ihn nicht,
ebenso wenig seine Genossen, die von außen seine Schmerzenstöne gehört
haben. Denn er übt ja sein Gewerbe nicht ans, um ins Zuchthaus zu
kommen, sondern um ein fröhliches, nach seiner Anschauung angenehmes Leben
zu sichren. Er hat gar nicht die Absicht, gefaßt zu werden, es gehört per¬
sönliches Pech dazu, in das Garn des Staates zu geraten, und an dieses
Pech glaubt der eigentliche Verbrecher so lange nicht, bis er wieder einmal
dran glauben muß. Aber auch in der Anstalt weiß er sich durch sein
Geschick, seine Brauchbarkeit und Geschmeidigkeit, durch seinen Fleiß und
andre empfehlenswerte Eigenschaften, ferner durch seine Energie und seine Er¬
fahrung in Nechtsdingen leidlich angenehm einzurichten. Während der Staat
die bessern Leute, die etwas zu verlieren haben, immer mit der Strafe sehr
hart trifft, geht er mit dem gewohnheits- und gewerbsmäßigen Verbrechertum
zu gelinde um, eben weil er nicht weiß, wie er die Strafe uoch verschärfen
kann. Ich bin auch der Meinung, daß es keinen Sinn hat, diese Leute immer
von neuem auf ihre Mitmenschen loszulassen, obgleich man von vornherein
weiß, daß sie ihre wiedergewonnene Freiheit nur zum Schaden der Gesellschaft
gebrauchen werden. Man kann sich ja in seinem Urteil irren, allerlei Schick-


Sie Behandlung des Verbrechers

Beamte macht seine traurigen Erfahrungen, er erlebt aber auch Freuden, die
ihm seinen Beruf lieb machen. In jeder Anstalt sieht man, wie Menschen
neue und bessere Wege einschlagen, ihr altes Wesen abthun und ihren stör¬
rischen Sinn ändern, und das sind nicht nur solche, die an und für sich gute
Menschen sind mit kleinen Charakterfehlern, sondern auch solche, die in der
Anstalt erst zu Menschen geworden sind. Wenn einzelne dieser „Muster¬
gefangnen," wie man sie zuweilen spöttisch nennt, später wieder sinken, so
wollen wir nicht gleich von Heuchelei reden und von Leichtgläubigkeit der Be¬
amten, sondern an die großen Schwierigkeiten denken, womit der Entlassene
zu kämpfen hat. Der Staat soll bessern, so ruft man, das ist seine Pflicht
und Schuldigkeit, aber die Gesellschaft will nicht an eine Besserung glauben,
das ist ihr Recht und ihr Behagen. Wenn sich dennoch viele Entlassene gut
und stramm halten, so haben die lieben Mitmenschen nur selten dazu etwas
gethan. Freilich, ist es einem Menschen gelungen, sich wieder einen Platz am
warmen Ofen zu erobern, so wird er anerkannt. Das Seiende ist ja immer
vernünftig.

Was der Strafvollziehung immer übel angerechnet wird, das ist der ver¬
gebliche Kampf gegen das gewohnheitsmäßige und gewerbsmäßige Verbrecher¬
tum. Dieses Gesindel verdirbt dem Beamten immer wieder seine schönsten Be¬
rechnungen. Es giebt Naturen, auf die keinerlei Einwirkung möglich zu sein
scheint. Durch Güte und Milde erreicht man bei ihnen ebenso wenig wie
durch die Anwendung der schärfsten Strafmittel. Man mag den gewerbs¬
mäßigen Verbrecher prügeln, daß er an den Wänden hinaufspringt, das wird
ihm allerdings das Zuchthaus verleiden, aber ändern wird es ihn nicht,
ebenso wenig seine Genossen, die von außen seine Schmerzenstöne gehört
haben. Denn er übt ja sein Gewerbe nicht ans, um ins Zuchthaus zu
kommen, sondern um ein fröhliches, nach seiner Anschauung angenehmes Leben
zu sichren. Er hat gar nicht die Absicht, gefaßt zu werden, es gehört per¬
sönliches Pech dazu, in das Garn des Staates zu geraten, und an dieses
Pech glaubt der eigentliche Verbrecher so lange nicht, bis er wieder einmal
dran glauben muß. Aber auch in der Anstalt weiß er sich durch sein
Geschick, seine Brauchbarkeit und Geschmeidigkeit, durch seinen Fleiß und
andre empfehlenswerte Eigenschaften, ferner durch seine Energie und seine Er¬
fahrung in Nechtsdingen leidlich angenehm einzurichten. Während der Staat
die bessern Leute, die etwas zu verlieren haben, immer mit der Strafe sehr
hart trifft, geht er mit dem gewohnheits- und gewerbsmäßigen Verbrechertum
zu gelinde um, eben weil er nicht weiß, wie er die Strafe uoch verschärfen
kann. Ich bin auch der Meinung, daß es keinen Sinn hat, diese Leute immer
von neuem auf ihre Mitmenschen loszulassen, obgleich man von vornherein
weiß, daß sie ihre wiedergewonnene Freiheit nur zum Schaden der Gesellschaft
gebrauchen werden. Man kann sich ja in seinem Urteil irren, allerlei Schick-


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[0126] Sie Behandlung des Verbrechers Beamte macht seine traurigen Erfahrungen, er erlebt aber auch Freuden, die ihm seinen Beruf lieb machen. In jeder Anstalt sieht man, wie Menschen neue und bessere Wege einschlagen, ihr altes Wesen abthun und ihren stör¬ rischen Sinn ändern, und das sind nicht nur solche, die an und für sich gute Menschen sind mit kleinen Charakterfehlern, sondern auch solche, die in der Anstalt erst zu Menschen geworden sind. Wenn einzelne dieser „Muster¬ gefangnen," wie man sie zuweilen spöttisch nennt, später wieder sinken, so wollen wir nicht gleich von Heuchelei reden und von Leichtgläubigkeit der Be¬ amten, sondern an die großen Schwierigkeiten denken, womit der Entlassene zu kämpfen hat. Der Staat soll bessern, so ruft man, das ist seine Pflicht und Schuldigkeit, aber die Gesellschaft will nicht an eine Besserung glauben, das ist ihr Recht und ihr Behagen. Wenn sich dennoch viele Entlassene gut und stramm halten, so haben die lieben Mitmenschen nur selten dazu etwas gethan. Freilich, ist es einem Menschen gelungen, sich wieder einen Platz am warmen Ofen zu erobern, so wird er anerkannt. Das Seiende ist ja immer vernünftig. Was der Strafvollziehung immer übel angerechnet wird, das ist der ver¬ gebliche Kampf gegen das gewohnheitsmäßige und gewerbsmäßige Verbrecher¬ tum. Dieses Gesindel verdirbt dem Beamten immer wieder seine schönsten Be¬ rechnungen. Es giebt Naturen, auf die keinerlei Einwirkung möglich zu sein scheint. Durch Güte und Milde erreicht man bei ihnen ebenso wenig wie durch die Anwendung der schärfsten Strafmittel. Man mag den gewerbs¬ mäßigen Verbrecher prügeln, daß er an den Wänden hinaufspringt, das wird ihm allerdings das Zuchthaus verleiden, aber ändern wird es ihn nicht, ebenso wenig seine Genossen, die von außen seine Schmerzenstöne gehört haben. Denn er übt ja sein Gewerbe nicht ans, um ins Zuchthaus zu kommen, sondern um ein fröhliches, nach seiner Anschauung angenehmes Leben zu sichren. Er hat gar nicht die Absicht, gefaßt zu werden, es gehört per¬ sönliches Pech dazu, in das Garn des Staates zu geraten, und an dieses Pech glaubt der eigentliche Verbrecher so lange nicht, bis er wieder einmal dran glauben muß. Aber auch in der Anstalt weiß er sich durch sein Geschick, seine Brauchbarkeit und Geschmeidigkeit, durch seinen Fleiß und andre empfehlenswerte Eigenschaften, ferner durch seine Energie und seine Er¬ fahrung in Nechtsdingen leidlich angenehm einzurichten. Während der Staat die bessern Leute, die etwas zu verlieren haben, immer mit der Strafe sehr hart trifft, geht er mit dem gewohnheits- und gewerbsmäßigen Verbrechertum zu gelinde um, eben weil er nicht weiß, wie er die Strafe uoch verschärfen kann. Ich bin auch der Meinung, daß es keinen Sinn hat, diese Leute immer von neuem auf ihre Mitmenschen loszulassen, obgleich man von vornherein weiß, daß sie ihre wiedergewonnene Freiheit nur zum Schaden der Gesellschaft gebrauchen werden. Man kann sich ja in seinem Urteil irren, allerlei Schick-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/126>, abgerufen am 25.08.2024.