Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Behandlung des Verbrechers
von Wilhelm Speck (Schluß)

er Vorwurf, die Strafanstalten wären Korruptionshäuser, kann
sich nur auf die Anstalten mit gemeinsamer Haft beziehen, denn
die Einzelhaft soll ja gerade den schädlichen Einfluß der Ge¬
fangnen nnter einander brechen, und sie thut das auch in dem
Maße, als sie wirklich eine Einzelhaft vollzieht. Es soll nun
für die Gemeinschaftshaft keine Lanze gebrochen werden, sie ist eben billig,
bequem und für einzelne Personen die einzig mögliche Haftart. Mau hat
sie eine Hölle auf Erden genannt, eine Brutstätte des Bösen und eine
Mörderin des Guten. Doch ist die Sache nicht immer so schlimm. Wo ein
tüchtiger Aufseher steht, da ist wenigstens des Tags über Ruhe und Ordnung.
Wenn jeder Gefangne an seinem Webstuhl sitzt oder die Arbeit geräuschvoll
ist, dann ist auch der Verkehr auf das geringste Maß herabgesetzt. Wenn es
Nacht wird, dann werden much, wenn irgend möglich, die bösesten Gesellen
herausgefischt und entweder allein verwahrt oder in ein kleines Aquarium ge¬
setzt, wo sie dann mit gleichgesinnten Seelen plätschern mögen. Wenn die
gemeinschaftliche Haft wirklich so verwüstend wirkte, dann müßten ja gräßliche
Zustände im Lande herrschen. Im Jahre 1886 -- Zahlen aus spätern Jahren
stehen mir nicht zur Verfügung -- wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen
die Reichsgesetze 251172 Freiheitsstrafen verhängt mit einer Gesamtdauer von
66084 Jahren. Darunter befinden sich nun nicht einmal die zahlreichen
Freiheitsstrafen wegen Holzdiebstahl und wegen polizeilicher Übertretungen.
Die Mehrzahl dieser Strafen wird in gemeinschaftlicher Haft verbüßt. Wie
ungeheuer groß müßte nun die Sittenlosigkeit im Lande sein, wenn die Straf¬
anstalten wirkliche Korruptionshänser wären! Aber es liegt mir ganz fern,
die gemeinschaftliche Haft irgendwie zu verteidigen, ich bin ebenfalls überzeugt,
daß man in ihr zahllose Menschenleben -- zur Erreichung eines idealen
Zweckes! -- in die Gefahr bringt, von dem eigentlichen Verbrechertum auf¬
gesogen zu werden. Nun wird aber der Einzelhaft immer wieder nachgesagt,
sie führe zur Zerrüttung des Seelenlebens, obwohl die Unrichtigkeit schon
hundertmal von Ärzten und Strafvollziehungsbeamten nachgewiesen worden




Die Behandlung des Verbrechers
von Wilhelm Speck (Schluß)

er Vorwurf, die Strafanstalten wären Korruptionshäuser, kann
sich nur auf die Anstalten mit gemeinsamer Haft beziehen, denn
die Einzelhaft soll ja gerade den schädlichen Einfluß der Ge¬
fangnen nnter einander brechen, und sie thut das auch in dem
Maße, als sie wirklich eine Einzelhaft vollzieht. Es soll nun
für die Gemeinschaftshaft keine Lanze gebrochen werden, sie ist eben billig,
bequem und für einzelne Personen die einzig mögliche Haftart. Mau hat
sie eine Hölle auf Erden genannt, eine Brutstätte des Bösen und eine
Mörderin des Guten. Doch ist die Sache nicht immer so schlimm. Wo ein
tüchtiger Aufseher steht, da ist wenigstens des Tags über Ruhe und Ordnung.
Wenn jeder Gefangne an seinem Webstuhl sitzt oder die Arbeit geräuschvoll
ist, dann ist auch der Verkehr auf das geringste Maß herabgesetzt. Wenn es
Nacht wird, dann werden much, wenn irgend möglich, die bösesten Gesellen
herausgefischt und entweder allein verwahrt oder in ein kleines Aquarium ge¬
setzt, wo sie dann mit gleichgesinnten Seelen plätschern mögen. Wenn die
gemeinschaftliche Haft wirklich so verwüstend wirkte, dann müßten ja gräßliche
Zustände im Lande herrschen. Im Jahre 1886 — Zahlen aus spätern Jahren
stehen mir nicht zur Verfügung — wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen
die Reichsgesetze 251172 Freiheitsstrafen verhängt mit einer Gesamtdauer von
66084 Jahren. Darunter befinden sich nun nicht einmal die zahlreichen
Freiheitsstrafen wegen Holzdiebstahl und wegen polizeilicher Übertretungen.
Die Mehrzahl dieser Strafen wird in gemeinschaftlicher Haft verbüßt. Wie
ungeheuer groß müßte nun die Sittenlosigkeit im Lande sein, wenn die Straf¬
anstalten wirkliche Korruptionshänser wären! Aber es liegt mir ganz fern,
die gemeinschaftliche Haft irgendwie zu verteidigen, ich bin ebenfalls überzeugt,
daß man in ihr zahllose Menschenleben — zur Erreichung eines idealen
Zweckes! — in die Gefahr bringt, von dem eigentlichen Verbrechertum auf¬
gesogen zu werden. Nun wird aber der Einzelhaft immer wieder nachgesagt,
sie führe zur Zerrüttung des Seelenlebens, obwohl die Unrichtigkeit schon
hundertmal von Ärzten und Strafvollziehungsbeamten nachgewiesen worden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219800"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_219675/figures/grenzboten_341861_219675_219800_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Behandlung des Verbrechers<lb/><note type="byline"> von Wilhelm Speck</note> (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_400" next="#ID_401"> er Vorwurf, die Strafanstalten wären Korruptionshäuser, kann<lb/>
sich nur auf die Anstalten mit gemeinsamer Haft beziehen, denn<lb/>
die Einzelhaft soll ja gerade den schädlichen Einfluß der Ge¬<lb/>
fangnen nnter einander brechen, und sie thut das auch in dem<lb/>
Maße, als sie wirklich eine Einzelhaft vollzieht. Es soll nun<lb/>
für die Gemeinschaftshaft keine Lanze gebrochen werden, sie ist eben billig,<lb/>
bequem und für einzelne Personen die einzig mögliche Haftart. Mau hat<lb/>
sie eine Hölle auf Erden genannt, eine Brutstätte des Bösen und eine<lb/>
Mörderin des Guten. Doch ist die Sache nicht immer so schlimm. Wo ein<lb/>
tüchtiger Aufseher steht, da ist wenigstens des Tags über Ruhe und Ordnung.<lb/>
Wenn jeder Gefangne an seinem Webstuhl sitzt oder die Arbeit geräuschvoll<lb/>
ist, dann ist auch der Verkehr auf das geringste Maß herabgesetzt. Wenn es<lb/>
Nacht wird, dann werden much, wenn irgend möglich, die bösesten Gesellen<lb/>
herausgefischt und entweder allein verwahrt oder in ein kleines Aquarium ge¬<lb/>
setzt, wo sie dann mit gleichgesinnten Seelen plätschern mögen. Wenn die<lb/>
gemeinschaftliche Haft wirklich so verwüstend wirkte, dann müßten ja gräßliche<lb/>
Zustände im Lande herrschen. Im Jahre 1886 &#x2014; Zahlen aus spätern Jahren<lb/>
stehen mir nicht zur Verfügung &#x2014; wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen<lb/>
die Reichsgesetze 251172 Freiheitsstrafen verhängt mit einer Gesamtdauer von<lb/>
66084 Jahren. Darunter befinden sich nun nicht einmal die zahlreichen<lb/>
Freiheitsstrafen wegen Holzdiebstahl und wegen polizeilicher Übertretungen.<lb/>
Die Mehrzahl dieser Strafen wird in gemeinschaftlicher Haft verbüßt. Wie<lb/>
ungeheuer groß müßte nun die Sittenlosigkeit im Lande sein, wenn die Straf¬<lb/>
anstalten wirkliche Korruptionshänser wären! Aber es liegt mir ganz fern,<lb/>
die gemeinschaftliche Haft irgendwie zu verteidigen, ich bin ebenfalls überzeugt,<lb/>
daß man in ihr zahllose Menschenleben &#x2014; zur Erreichung eines idealen<lb/>
Zweckes! &#x2014; in die Gefahr bringt, von dem eigentlichen Verbrechertum auf¬<lb/>
gesogen zu werden. Nun wird aber der Einzelhaft immer wieder nachgesagt,<lb/>
sie führe zur Zerrüttung des Seelenlebens, obwohl die Unrichtigkeit schon<lb/>
hundertmal von Ärzten und Strafvollziehungsbeamten nachgewiesen worden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] [Abbildung] Die Behandlung des Verbrechers von Wilhelm Speck (Schluß) er Vorwurf, die Strafanstalten wären Korruptionshäuser, kann sich nur auf die Anstalten mit gemeinsamer Haft beziehen, denn die Einzelhaft soll ja gerade den schädlichen Einfluß der Ge¬ fangnen nnter einander brechen, und sie thut das auch in dem Maße, als sie wirklich eine Einzelhaft vollzieht. Es soll nun für die Gemeinschaftshaft keine Lanze gebrochen werden, sie ist eben billig, bequem und für einzelne Personen die einzig mögliche Haftart. Mau hat sie eine Hölle auf Erden genannt, eine Brutstätte des Bösen und eine Mörderin des Guten. Doch ist die Sache nicht immer so schlimm. Wo ein tüchtiger Aufseher steht, da ist wenigstens des Tags über Ruhe und Ordnung. Wenn jeder Gefangne an seinem Webstuhl sitzt oder die Arbeit geräuschvoll ist, dann ist auch der Verkehr auf das geringste Maß herabgesetzt. Wenn es Nacht wird, dann werden much, wenn irgend möglich, die bösesten Gesellen herausgefischt und entweder allein verwahrt oder in ein kleines Aquarium ge¬ setzt, wo sie dann mit gleichgesinnten Seelen plätschern mögen. Wenn die gemeinschaftliche Haft wirklich so verwüstend wirkte, dann müßten ja gräßliche Zustände im Lande herrschen. Im Jahre 1886 — Zahlen aus spätern Jahren stehen mir nicht zur Verfügung — wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Reichsgesetze 251172 Freiheitsstrafen verhängt mit einer Gesamtdauer von 66084 Jahren. Darunter befinden sich nun nicht einmal die zahlreichen Freiheitsstrafen wegen Holzdiebstahl und wegen polizeilicher Übertretungen. Die Mehrzahl dieser Strafen wird in gemeinschaftlicher Haft verbüßt. Wie ungeheuer groß müßte nun die Sittenlosigkeit im Lande sein, wenn die Straf¬ anstalten wirkliche Korruptionshänser wären! Aber es liegt mir ganz fern, die gemeinschaftliche Haft irgendwie zu verteidigen, ich bin ebenfalls überzeugt, daß man in ihr zahllose Menschenleben — zur Erreichung eines idealen Zweckes! — in die Gefahr bringt, von dem eigentlichen Verbrechertum auf¬ gesogen zu werden. Nun wird aber der Einzelhaft immer wieder nachgesagt, sie führe zur Zerrüttung des Seelenlebens, obwohl die Unrichtigkeit schon hundertmal von Ärzten und Strafvollziehungsbeamten nachgewiesen worden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/124>, abgerufen am 22.12.2024.