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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Bestimmung einer Kriegsflotte

auf den weiten neutralen Gebieten der See dem Feinde planmäßig ausliefert.
Hierin liegt ein weiterer Grund für die Notwendigkeit einer Flottenoffensive.
Ein Staat, der See- oder, was gleichbedeutend ist, Weltinteressen hat, muß
diese vertreten und seine Macht über seine Territorialgewässer hinaus fühlbar
machen können. nationaler Welthandel, Weltindustrie, bis zu einem gewissen
Grade auch Hochseefischerei, Weltverkehr und Kolonien sind unmöglich ohne
eine der Offensive fähige Flotte. Die Interessenkonflikte der Nationen und
ihre Folge: das mangelnde Zutrauen des Kapitals und der Geschäftswelt
würden diese Lebensäußerungen eines Staates im Laufe der Zeit schwinden
lassen oder gar nicht aufkommen lassen, wenn ihnen nicht nationale Macht
auf den Meeren, also jenseits unsrer Gewässer, das Rückgrat gäbe. Hierin
liegt der Hauptzweck der Flotte.

Deutschland war als See- und Weltstaat untergegangen, als die See¬
macht der Hanse zusammenbrach. Der Welthandel Hollands sank von seinem
ersten Platz an die siebente Stelle, nachdem De Ruyters Flotten endgiltig ge¬
schlagen waren. Umgekehrt können wir heute sehen, wie sich das kaufmännische
Nordamerika eine offensive Kriegsflotte schafft, um damit Seehandel und See¬
interessen zu erwerben. Für die europäischen Nationen, die, um zu bestehen,
sich nicht mehr auf den Ertrag ihres Bodens beschränken können, gilt dies in be¬
sonders hohem Maße. Mit sicherm Blick erkennt man dies rings um uns
her, nur uns lassen die Nachwehen unsrer frühern politischen Uneinigkeit und
eine gewisse Schwerfälligkeit unsers Wesens langsamer zum Verständnis dieser
nationalen Aufgabe kommen.

Eine Flotte, die ihre Aufgabe in der Verteidigung von Küstenstädten und
Flußmündungen erblickt, oder die sich grundsätzlich darauf einrichtet und ent¬
wickelt, daß sie die feindliche Flotte nur in der Nähe der heimatlichen Küste er¬
warten will, hat nur geringe Daseinsberechtigung. Bei dem Landheere ist das
anders. Der Zweck der heutigen Volksheere ist in der That die Landesverteidigung,
darum wird hier eine große Versicherungsprämie sür den Kriegsfall leichter ge¬
tragen. Jeder ansässige Steuerzahler versteht ohne weiteres, welche Wirkung es
hätte, wenn der Feind ins Land käme. Die Wirkungen einer feindlichen Flotte
anf den heimischen Herd sieht man schwerer, sie sind auch nicht so unmittelbar
und nicht so schnell wie die, die der Landkrieg hervorbringen kann, denn sie
treffen unmittelbar und sofort fühlbar nur große wirtschaftliche Interessen des
Staates und deren Vertreter (Großkaufleute, Großindustrielle), aber nicht viele
einzelne Bürger zugleich. Aus demselben Grunde sind Leute mit geringem
Verständnis für die See und die Seeinteresfen gewöhnlich eher geneigt, für
die Küstenverteidigung und für eine vermeintliche Defensivflotte zu zahlen, um'
nur den Einbruch ins eigne Land zu verhindern. Aber sie scheuen sich, eine
Flotte auf die Offensive zu begründen. Nur wenn eine Nation begriffen hat,
daß eine Flotte schon im Friedcnszustciuoe dem Vaterlande wirtschaftliche Vor-


Die Bestimmung einer Kriegsflotte

auf den weiten neutralen Gebieten der See dem Feinde planmäßig ausliefert.
Hierin liegt ein weiterer Grund für die Notwendigkeit einer Flottenoffensive.
Ein Staat, der See- oder, was gleichbedeutend ist, Weltinteressen hat, muß
diese vertreten und seine Macht über seine Territorialgewässer hinaus fühlbar
machen können. nationaler Welthandel, Weltindustrie, bis zu einem gewissen
Grade auch Hochseefischerei, Weltverkehr und Kolonien sind unmöglich ohne
eine der Offensive fähige Flotte. Die Interessenkonflikte der Nationen und
ihre Folge: das mangelnde Zutrauen des Kapitals und der Geschäftswelt
würden diese Lebensäußerungen eines Staates im Laufe der Zeit schwinden
lassen oder gar nicht aufkommen lassen, wenn ihnen nicht nationale Macht
auf den Meeren, also jenseits unsrer Gewässer, das Rückgrat gäbe. Hierin
liegt der Hauptzweck der Flotte.

Deutschland war als See- und Weltstaat untergegangen, als die See¬
macht der Hanse zusammenbrach. Der Welthandel Hollands sank von seinem
ersten Platz an die siebente Stelle, nachdem De Ruyters Flotten endgiltig ge¬
schlagen waren. Umgekehrt können wir heute sehen, wie sich das kaufmännische
Nordamerika eine offensive Kriegsflotte schafft, um damit Seehandel und See¬
interessen zu erwerben. Für die europäischen Nationen, die, um zu bestehen,
sich nicht mehr auf den Ertrag ihres Bodens beschränken können, gilt dies in be¬
sonders hohem Maße. Mit sicherm Blick erkennt man dies rings um uns
her, nur uns lassen die Nachwehen unsrer frühern politischen Uneinigkeit und
eine gewisse Schwerfälligkeit unsers Wesens langsamer zum Verständnis dieser
nationalen Aufgabe kommen.

Eine Flotte, die ihre Aufgabe in der Verteidigung von Küstenstädten und
Flußmündungen erblickt, oder die sich grundsätzlich darauf einrichtet und ent¬
wickelt, daß sie die feindliche Flotte nur in der Nähe der heimatlichen Küste er¬
warten will, hat nur geringe Daseinsberechtigung. Bei dem Landheere ist das
anders. Der Zweck der heutigen Volksheere ist in der That die Landesverteidigung,
darum wird hier eine große Versicherungsprämie sür den Kriegsfall leichter ge¬
tragen. Jeder ansässige Steuerzahler versteht ohne weiteres, welche Wirkung es
hätte, wenn der Feind ins Land käme. Die Wirkungen einer feindlichen Flotte
anf den heimischen Herd sieht man schwerer, sie sind auch nicht so unmittelbar
und nicht so schnell wie die, die der Landkrieg hervorbringen kann, denn sie
treffen unmittelbar und sofort fühlbar nur große wirtschaftliche Interessen des
Staates und deren Vertreter (Großkaufleute, Großindustrielle), aber nicht viele
einzelne Bürger zugleich. Aus demselben Grunde sind Leute mit geringem
Verständnis für die See und die Seeinteresfen gewöhnlich eher geneigt, für
die Küstenverteidigung und für eine vermeintliche Defensivflotte zu zahlen, um'
nur den Einbruch ins eigne Land zu verhindern. Aber sie scheuen sich, eine
Flotte auf die Offensive zu begründen. Nur wenn eine Nation begriffen hat,
daß eine Flotte schon im Friedcnszustciuoe dem Vaterlande wirtschaftliche Vor-


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[0122] Die Bestimmung einer Kriegsflotte auf den weiten neutralen Gebieten der See dem Feinde planmäßig ausliefert. Hierin liegt ein weiterer Grund für die Notwendigkeit einer Flottenoffensive. Ein Staat, der See- oder, was gleichbedeutend ist, Weltinteressen hat, muß diese vertreten und seine Macht über seine Territorialgewässer hinaus fühlbar machen können. nationaler Welthandel, Weltindustrie, bis zu einem gewissen Grade auch Hochseefischerei, Weltverkehr und Kolonien sind unmöglich ohne eine der Offensive fähige Flotte. Die Interessenkonflikte der Nationen und ihre Folge: das mangelnde Zutrauen des Kapitals und der Geschäftswelt würden diese Lebensäußerungen eines Staates im Laufe der Zeit schwinden lassen oder gar nicht aufkommen lassen, wenn ihnen nicht nationale Macht auf den Meeren, also jenseits unsrer Gewässer, das Rückgrat gäbe. Hierin liegt der Hauptzweck der Flotte. Deutschland war als See- und Weltstaat untergegangen, als die See¬ macht der Hanse zusammenbrach. Der Welthandel Hollands sank von seinem ersten Platz an die siebente Stelle, nachdem De Ruyters Flotten endgiltig ge¬ schlagen waren. Umgekehrt können wir heute sehen, wie sich das kaufmännische Nordamerika eine offensive Kriegsflotte schafft, um damit Seehandel und See¬ interessen zu erwerben. Für die europäischen Nationen, die, um zu bestehen, sich nicht mehr auf den Ertrag ihres Bodens beschränken können, gilt dies in be¬ sonders hohem Maße. Mit sicherm Blick erkennt man dies rings um uns her, nur uns lassen die Nachwehen unsrer frühern politischen Uneinigkeit und eine gewisse Schwerfälligkeit unsers Wesens langsamer zum Verständnis dieser nationalen Aufgabe kommen. Eine Flotte, die ihre Aufgabe in der Verteidigung von Küstenstädten und Flußmündungen erblickt, oder die sich grundsätzlich darauf einrichtet und ent¬ wickelt, daß sie die feindliche Flotte nur in der Nähe der heimatlichen Küste er¬ warten will, hat nur geringe Daseinsberechtigung. Bei dem Landheere ist das anders. Der Zweck der heutigen Volksheere ist in der That die Landesverteidigung, darum wird hier eine große Versicherungsprämie sür den Kriegsfall leichter ge¬ tragen. Jeder ansässige Steuerzahler versteht ohne weiteres, welche Wirkung es hätte, wenn der Feind ins Land käme. Die Wirkungen einer feindlichen Flotte anf den heimischen Herd sieht man schwerer, sie sind auch nicht so unmittelbar und nicht so schnell wie die, die der Landkrieg hervorbringen kann, denn sie treffen unmittelbar und sofort fühlbar nur große wirtschaftliche Interessen des Staates und deren Vertreter (Großkaufleute, Großindustrielle), aber nicht viele einzelne Bürger zugleich. Aus demselben Grunde sind Leute mit geringem Verständnis für die See und die Seeinteresfen gewöhnlich eher geneigt, für die Küstenverteidigung und für eine vermeintliche Defensivflotte zu zahlen, um' nur den Einbruch ins eigne Land zu verhindern. Aber sie scheuen sich, eine Flotte auf die Offensive zu begründen. Nur wenn eine Nation begriffen hat, daß eine Flotte schon im Friedcnszustciuoe dem Vaterlande wirtschaftliche Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/122>, abgerufen am 26.08.2024.