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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stumme des Himmels

psychologischen Vorgangs in den Seelen beider ist mit einem Worte meister¬
haft. Wäre die Sache damit abgemacht, so könnte der Kritiker mit bestem
Rechte sein xroda,vit> drunter setzen. Aber das ist ja gerade die Sache, daß
es hiermit nicht aufhört, sondern erst beginnt.

Nachdem sich die beiden ihre Liebe gestanden haben -- weiter ist natür¬
lich zunächst nichts geschehen --, erhebt sich mit der ersten Ernüchterung grauen¬
voll für beide die Frage, wohin der Weg nun weiter gehen soll. Der Leiden¬
schaft des Mannes gegenüber erscheint es als selbstverständlich, daß zunächst
das Weib mit aller Kraft und Entschiedenheit den Weg betritt, der allein zur
Rettung führt. Eleonore Ritter fährt am nächsten Morgen mit dem ersten
Dampfer von der Insel ab und kommt noch den Abend in Berlin an, während
Herr von Randow in leicht erklärlicher Trostlosigkeit zurückbleibt, um erst nach
längerer Zeit in die Heimat zurückzukehren. Inzwischen hat Eleonore bei einer
verwitweten Generalin eine Stellung als Gesellschafterin angenommen, dort
hofft sie. wenn auch nicht Vergessenheit, so doch ihre Ruhe wiederzugewinnen.
Aber das Unglück will, daß die Generalin nicht bloß eine Gutsimchbarin,
sondern anch die Schwiegermutter des Barons ist. Die Tochter ihres ersten
Mannes ist die Frau des Herrn von Randow. So ist denn ein Wiedersehen
schon in nächster Zeit unvermeidlich, die Not muß groß werden, und sie wird
groß: dafür braucht man nur den Dichter sorgen zu lassen. In ihrer Ver¬
zweiflung giebt Eleonore den Werbungen des Grafen Wendelin nach, der, ein
vortrefflicher Mensch, ebenfalls ein Gutsnachbar Randows und sein Freund
ist. So scheint sich alles noch zum Guten wenden zu wollen. Eleonore geht
zu Verwandten nach Berlin, um dort Vorbereitungen zu ihrer Vermählung zu
treffen. Da kommen im letzten Augenblicke Briefe an, die ihre mühsam ge¬
wonnene Haltung und Fassung wieder erschüttern. Mit dem Vorsatze, das
ihrem Verlobte" gegebne Versprechen zurückzufordern, reist sie nach Pommern.
Da trifft sie am Vorabend des Tages, an dem der Graf sie seiner Mutter
zuführen will, in dem an einem See gelegnen Gasthofe des Städtchens, das
ihr Reiseziel ist, mit dem Geliebten zusammen. Ich brauche nicht weiter zu
berichten: in der Nacht schlagen die heißen Wellen der Liebe, am folgenden
Morgen die kühlen Wellen des Sees über beiden zusammen.

Das ist die Liebesgeschichte des Herrn von Randow und der Gouver¬
nante Eleonore Ritter, eine Geschichte, die ich aus den besten Gründen für
fehr problematisch erklären muß. Das erste, was man mit Recht daran aus¬
zusetzen hat, liegt in dem Umstände, daß es dem Dichter schlechterdings nicht
gelingen will, uns an die wirkliche oder die eingebildete Krankheit des Barons
glauben zu machen. Trotz aller Unbefangenheit und Harmlosigkeit, mit der
Spielhagen seinen Helden einführt, weiß doch jeder Leser gleich, daß in der
Hypochondrie des Edelmanns der Keim zu allen Verwicklungen liegt, mit denen
wir es später zu thun haben werden, und der mit der Krankheit behaftete sollte


Stumme des Himmels

psychologischen Vorgangs in den Seelen beider ist mit einem Worte meister¬
haft. Wäre die Sache damit abgemacht, so könnte der Kritiker mit bestem
Rechte sein xroda,vit> drunter setzen. Aber das ist ja gerade die Sache, daß
es hiermit nicht aufhört, sondern erst beginnt.

Nachdem sich die beiden ihre Liebe gestanden haben — weiter ist natür¬
lich zunächst nichts geschehen —, erhebt sich mit der ersten Ernüchterung grauen¬
voll für beide die Frage, wohin der Weg nun weiter gehen soll. Der Leiden¬
schaft des Mannes gegenüber erscheint es als selbstverständlich, daß zunächst
das Weib mit aller Kraft und Entschiedenheit den Weg betritt, der allein zur
Rettung führt. Eleonore Ritter fährt am nächsten Morgen mit dem ersten
Dampfer von der Insel ab und kommt noch den Abend in Berlin an, während
Herr von Randow in leicht erklärlicher Trostlosigkeit zurückbleibt, um erst nach
längerer Zeit in die Heimat zurückzukehren. Inzwischen hat Eleonore bei einer
verwitweten Generalin eine Stellung als Gesellschafterin angenommen, dort
hofft sie. wenn auch nicht Vergessenheit, so doch ihre Ruhe wiederzugewinnen.
Aber das Unglück will, daß die Generalin nicht bloß eine Gutsimchbarin,
sondern anch die Schwiegermutter des Barons ist. Die Tochter ihres ersten
Mannes ist die Frau des Herrn von Randow. So ist denn ein Wiedersehen
schon in nächster Zeit unvermeidlich, die Not muß groß werden, und sie wird
groß: dafür braucht man nur den Dichter sorgen zu lassen. In ihrer Ver¬
zweiflung giebt Eleonore den Werbungen des Grafen Wendelin nach, der, ein
vortrefflicher Mensch, ebenfalls ein Gutsnachbar Randows und sein Freund
ist. So scheint sich alles noch zum Guten wenden zu wollen. Eleonore geht
zu Verwandten nach Berlin, um dort Vorbereitungen zu ihrer Vermählung zu
treffen. Da kommen im letzten Augenblicke Briefe an, die ihre mühsam ge¬
wonnene Haltung und Fassung wieder erschüttern. Mit dem Vorsatze, das
ihrem Verlobte» gegebne Versprechen zurückzufordern, reist sie nach Pommern.
Da trifft sie am Vorabend des Tages, an dem der Graf sie seiner Mutter
zuführen will, in dem an einem See gelegnen Gasthofe des Städtchens, das
ihr Reiseziel ist, mit dem Geliebten zusammen. Ich brauche nicht weiter zu
berichten: in der Nacht schlagen die heißen Wellen der Liebe, am folgenden
Morgen die kühlen Wellen des Sees über beiden zusammen.

Das ist die Liebesgeschichte des Herrn von Randow und der Gouver¬
nante Eleonore Ritter, eine Geschichte, die ich aus den besten Gründen für
fehr problematisch erklären muß. Das erste, was man mit Recht daran aus¬
zusetzen hat, liegt in dem Umstände, daß es dem Dichter schlechterdings nicht
gelingen will, uns an die wirkliche oder die eingebildete Krankheit des Barons
glauben zu machen. Trotz aller Unbefangenheit und Harmlosigkeit, mit der
Spielhagen seinen Helden einführt, weiß doch jeder Leser gleich, daß in der
Hypochondrie des Edelmanns der Keim zu allen Verwicklungen liegt, mit denen
wir es später zu thun haben werden, und der mit der Krankheit behaftete sollte


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[0651] Stumme des Himmels psychologischen Vorgangs in den Seelen beider ist mit einem Worte meister¬ haft. Wäre die Sache damit abgemacht, so könnte der Kritiker mit bestem Rechte sein xroda,vit> drunter setzen. Aber das ist ja gerade die Sache, daß es hiermit nicht aufhört, sondern erst beginnt. Nachdem sich die beiden ihre Liebe gestanden haben — weiter ist natür¬ lich zunächst nichts geschehen —, erhebt sich mit der ersten Ernüchterung grauen¬ voll für beide die Frage, wohin der Weg nun weiter gehen soll. Der Leiden¬ schaft des Mannes gegenüber erscheint es als selbstverständlich, daß zunächst das Weib mit aller Kraft und Entschiedenheit den Weg betritt, der allein zur Rettung führt. Eleonore Ritter fährt am nächsten Morgen mit dem ersten Dampfer von der Insel ab und kommt noch den Abend in Berlin an, während Herr von Randow in leicht erklärlicher Trostlosigkeit zurückbleibt, um erst nach längerer Zeit in die Heimat zurückzukehren. Inzwischen hat Eleonore bei einer verwitweten Generalin eine Stellung als Gesellschafterin angenommen, dort hofft sie. wenn auch nicht Vergessenheit, so doch ihre Ruhe wiederzugewinnen. Aber das Unglück will, daß die Generalin nicht bloß eine Gutsimchbarin, sondern anch die Schwiegermutter des Barons ist. Die Tochter ihres ersten Mannes ist die Frau des Herrn von Randow. So ist denn ein Wiedersehen schon in nächster Zeit unvermeidlich, die Not muß groß werden, und sie wird groß: dafür braucht man nur den Dichter sorgen zu lassen. In ihrer Ver¬ zweiflung giebt Eleonore den Werbungen des Grafen Wendelin nach, der, ein vortrefflicher Mensch, ebenfalls ein Gutsnachbar Randows und sein Freund ist. So scheint sich alles noch zum Guten wenden zu wollen. Eleonore geht zu Verwandten nach Berlin, um dort Vorbereitungen zu ihrer Vermählung zu treffen. Da kommen im letzten Augenblicke Briefe an, die ihre mühsam ge¬ wonnene Haltung und Fassung wieder erschüttern. Mit dem Vorsatze, das ihrem Verlobte» gegebne Versprechen zurückzufordern, reist sie nach Pommern. Da trifft sie am Vorabend des Tages, an dem der Graf sie seiner Mutter zuführen will, in dem an einem See gelegnen Gasthofe des Städtchens, das ihr Reiseziel ist, mit dem Geliebten zusammen. Ich brauche nicht weiter zu berichten: in der Nacht schlagen die heißen Wellen der Liebe, am folgenden Morgen die kühlen Wellen des Sees über beiden zusammen. Das ist die Liebesgeschichte des Herrn von Randow und der Gouver¬ nante Eleonore Ritter, eine Geschichte, die ich aus den besten Gründen für fehr problematisch erklären muß. Das erste, was man mit Recht daran aus¬ zusetzen hat, liegt in dem Umstände, daß es dem Dichter schlechterdings nicht gelingen will, uns an die wirkliche oder die eingebildete Krankheit des Barons glauben zu machen. Trotz aller Unbefangenheit und Harmlosigkeit, mit der Spielhagen seinen Helden einführt, weiß doch jeder Leser gleich, daß in der Hypochondrie des Edelmanns der Keim zu allen Verwicklungen liegt, mit denen wir es später zu thun haben werden, und der mit der Krankheit behaftete sollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/651>, abgerufen am 25.08.2024.