Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der feinen Sitte

weilen spricht wohl die Rücksicht des Gemüts aus die Mitmenschen mit. Aber
häufig und tief sind diese Züge nicht. So berührt beispielsweise derselbe
dcllci Ccisa die nicht übelgemeinte Gewohnheit mancher Leute, frohe Gesellschaft
durch unpassende Erwähnung eignen Kummers oder fremder Unglücksfälle zu
verstimmen, und empfiehlt dabei solchen Störenfrieden schonend entgegenzutreten,
sie durch die Kunst der Unterhaltung auf einen andern Weg zu lenken. Ein
Unterschied der Zeit, ob es der Anfang oder die Mitte des sechzehnten Jahr¬
hunderts ist, läßt sich nicht begründen. Unterschiede sind persönlich. Der
feinste und auch der gemütvollste bleibt immer Castiglione. Aber selbst ihm
ist der egoistische Kardinal von Este, Ariosts Gönner, der gesellschaftliche
Jdealmensch, und eine auch bei uns recht bekannte rohe Geschichte von den
beiden Bnmmlern, die ihren Kumpan im Dunkeln dahin bringen, sich für blind
zu halten, indem sie sich sehend stellen, und die sich dann über seinen Jammer
totlachen wollen, diese Geschichte findet er, aufgefaßt als Veranstaltung mit
glänzend gelungner: Erfolg -- geistreich! Immerhin bleibt er der beste in
diesem Kreise und auch der gemütvollste, soweit man bei einem Italiener über¬
haupt von Gemüt sprechen kann. Befriedigt werden wir uns ja nur finden,
wenn wir an der Kunst des schönen Scheins, die ja dann much jedes bessern
Inhalts Form werden kann, genügen lassen, einer Kunst, die, wenn sie den
eignen Vorteil aufgiebt, dies doch nur infolge einer noch feinern Berech¬
nung thut.

Was nützt es dir, so etwa heißt es im Galateo, deinen Gegner an Witz
oder Geist übertroffen zu haben, wenn du damit auf deine Zuhörer keinen
für dich vorteilhaften Eindruck machst und sie, obwohl sie lachen, im Herzen
ihn vielleicht lieber haben als dich? Richte also deine Äußerungen stets mit
auf diese letzte Wirkung. Der böse Spott will kränken, der Witz nur erheitern
und möchte ungern dem betroffnen Scham oder Verdruß bringen. Aber weil
doch in seiner Wirkung Witz leicht zu Spott werden kann, so soll der, der.
wenn Persönlichkeiten in Frage kommen, nicht heiter und anmutig scherzen
kann, es ganz lassen.

Es ist keine Frage, daß diese Italiener, allen voran Castiglione, zuerst nach
den Alten, und ich glaube vielseitiger als sie, über die Natur des Witzes und
seine Bedeutung für Unterhaltung und Rede nachgedacht haben. Alles Witzige,
sagen sie, beruht zunächst darauf, daß man des Zuhörers Vermutung täuscht
und etwas andres sagt, als er erwartet. Mit dieser Art des Betruges (in-
sslmuo) muß jeder Witz gewürzt sein, ehe er seiue weitere und im einzelnen
sehr verschiedne Richtung nimmt. Castiglione spricht über die verschiednen
Arten der Pointen ("worauf es hinausgeht," das riusoirs), über die besondre
Art des spanischen, des französischen, des italienischen Witzes. Den deutschen
vermissen wir. Pontalto erzählt, daß bei einer Hochzeitsfeier am Hofe zu
Neapel plötzlich ein Deutscher in die lautlose Versammlung einen lateinischen


Zur Geschichte der feinen Sitte

weilen spricht wohl die Rücksicht des Gemüts aus die Mitmenschen mit. Aber
häufig und tief sind diese Züge nicht. So berührt beispielsweise derselbe
dcllci Ccisa die nicht übelgemeinte Gewohnheit mancher Leute, frohe Gesellschaft
durch unpassende Erwähnung eignen Kummers oder fremder Unglücksfälle zu
verstimmen, und empfiehlt dabei solchen Störenfrieden schonend entgegenzutreten,
sie durch die Kunst der Unterhaltung auf einen andern Weg zu lenken. Ein
Unterschied der Zeit, ob es der Anfang oder die Mitte des sechzehnten Jahr¬
hunderts ist, läßt sich nicht begründen. Unterschiede sind persönlich. Der
feinste und auch der gemütvollste bleibt immer Castiglione. Aber selbst ihm
ist der egoistische Kardinal von Este, Ariosts Gönner, der gesellschaftliche
Jdealmensch, und eine auch bei uns recht bekannte rohe Geschichte von den
beiden Bnmmlern, die ihren Kumpan im Dunkeln dahin bringen, sich für blind
zu halten, indem sie sich sehend stellen, und die sich dann über seinen Jammer
totlachen wollen, diese Geschichte findet er, aufgefaßt als Veranstaltung mit
glänzend gelungner: Erfolg — geistreich! Immerhin bleibt er der beste in
diesem Kreise und auch der gemütvollste, soweit man bei einem Italiener über¬
haupt von Gemüt sprechen kann. Befriedigt werden wir uns ja nur finden,
wenn wir an der Kunst des schönen Scheins, die ja dann much jedes bessern
Inhalts Form werden kann, genügen lassen, einer Kunst, die, wenn sie den
eignen Vorteil aufgiebt, dies doch nur infolge einer noch feinern Berech¬
nung thut.

Was nützt es dir, so etwa heißt es im Galateo, deinen Gegner an Witz
oder Geist übertroffen zu haben, wenn du damit auf deine Zuhörer keinen
für dich vorteilhaften Eindruck machst und sie, obwohl sie lachen, im Herzen
ihn vielleicht lieber haben als dich? Richte also deine Äußerungen stets mit
auf diese letzte Wirkung. Der böse Spott will kränken, der Witz nur erheitern
und möchte ungern dem betroffnen Scham oder Verdruß bringen. Aber weil
doch in seiner Wirkung Witz leicht zu Spott werden kann, so soll der, der.
wenn Persönlichkeiten in Frage kommen, nicht heiter und anmutig scherzen
kann, es ganz lassen.

Es ist keine Frage, daß diese Italiener, allen voran Castiglione, zuerst nach
den Alten, und ich glaube vielseitiger als sie, über die Natur des Witzes und
seine Bedeutung für Unterhaltung und Rede nachgedacht haben. Alles Witzige,
sagen sie, beruht zunächst darauf, daß man des Zuhörers Vermutung täuscht
und etwas andres sagt, als er erwartet. Mit dieser Art des Betruges (in-
sslmuo) muß jeder Witz gewürzt sein, ehe er seiue weitere und im einzelnen
sehr verschiedne Richtung nimmt. Castiglione spricht über die verschiednen
Arten der Pointen („worauf es hinausgeht," das riusoirs), über die besondre
Art des spanischen, des französischen, des italienischen Witzes. Den deutschen
vermissen wir. Pontalto erzählt, daß bei einer Hochzeitsfeier am Hofe zu
Neapel plötzlich ein Deutscher in die lautlose Versammlung einen lateinischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0637" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219641"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der feinen Sitte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1978" prev="#ID_1977"> weilen spricht wohl die Rücksicht des Gemüts aus die Mitmenschen mit. Aber<lb/>
häufig und tief sind diese Züge nicht. So berührt beispielsweise derselbe<lb/>
dcllci Ccisa die nicht übelgemeinte Gewohnheit mancher Leute, frohe Gesellschaft<lb/>
durch unpassende Erwähnung eignen Kummers oder fremder Unglücksfälle zu<lb/>
verstimmen, und empfiehlt dabei solchen Störenfrieden schonend entgegenzutreten,<lb/>
sie durch die Kunst der Unterhaltung auf einen andern Weg zu lenken. Ein<lb/>
Unterschied der Zeit, ob es der Anfang oder die Mitte des sechzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts ist, läßt sich nicht begründen. Unterschiede sind persönlich. Der<lb/>
feinste und auch der gemütvollste bleibt immer Castiglione. Aber selbst ihm<lb/>
ist der egoistische Kardinal von Este, Ariosts Gönner, der gesellschaftliche<lb/>
Jdealmensch, und eine auch bei uns recht bekannte rohe Geschichte von den<lb/>
beiden Bnmmlern, die ihren Kumpan im Dunkeln dahin bringen, sich für blind<lb/>
zu halten, indem sie sich sehend stellen, und die sich dann über seinen Jammer<lb/>
totlachen wollen, diese Geschichte findet er, aufgefaßt als Veranstaltung mit<lb/>
glänzend gelungner: Erfolg &#x2014; geistreich! Immerhin bleibt er der beste in<lb/>
diesem Kreise und auch der gemütvollste, soweit man bei einem Italiener über¬<lb/>
haupt von Gemüt sprechen kann. Befriedigt werden wir uns ja nur finden,<lb/>
wenn wir an der Kunst des schönen Scheins, die ja dann much jedes bessern<lb/>
Inhalts Form werden kann, genügen lassen, einer Kunst, die, wenn sie den<lb/>
eignen Vorteil aufgiebt, dies doch nur infolge einer noch feinern Berech¬<lb/>
nung thut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1979"> Was nützt es dir, so etwa heißt es im Galateo, deinen Gegner an Witz<lb/>
oder Geist übertroffen zu haben, wenn du damit auf deine Zuhörer keinen<lb/>
für dich vorteilhaften Eindruck machst und sie, obwohl sie lachen, im Herzen<lb/>
ihn vielleicht lieber haben als dich? Richte also deine Äußerungen stets mit<lb/>
auf diese letzte Wirkung. Der böse Spott will kränken, der Witz nur erheitern<lb/>
und möchte ungern dem betroffnen Scham oder Verdruß bringen. Aber weil<lb/>
doch in seiner Wirkung Witz leicht zu Spott werden kann, so soll der, der.<lb/>
wenn Persönlichkeiten in Frage kommen, nicht heiter und anmutig scherzen<lb/>
kann, es ganz lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1980" next="#ID_1981"> Es ist keine Frage, daß diese Italiener, allen voran Castiglione, zuerst nach<lb/>
den Alten, und ich glaube vielseitiger als sie, über die Natur des Witzes und<lb/>
seine Bedeutung für Unterhaltung und Rede nachgedacht haben. Alles Witzige,<lb/>
sagen sie, beruht zunächst darauf, daß man des Zuhörers Vermutung täuscht<lb/>
und etwas andres sagt, als er erwartet. Mit dieser Art des Betruges (in-<lb/>
sslmuo) muß jeder Witz gewürzt sein, ehe er seiue weitere und im einzelnen<lb/>
sehr verschiedne Richtung nimmt. Castiglione spricht über die verschiednen<lb/>
Arten der Pointen (&#x201E;worauf es hinausgeht," das riusoirs), über die besondre<lb/>
Art des spanischen, des französischen, des italienischen Witzes. Den deutschen<lb/>
vermissen wir. Pontalto erzählt, daß bei einer Hochzeitsfeier am Hofe zu<lb/>
Neapel plötzlich ein Deutscher in die lautlose Versammlung einen lateinischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0637] Zur Geschichte der feinen Sitte weilen spricht wohl die Rücksicht des Gemüts aus die Mitmenschen mit. Aber häufig und tief sind diese Züge nicht. So berührt beispielsweise derselbe dcllci Ccisa die nicht übelgemeinte Gewohnheit mancher Leute, frohe Gesellschaft durch unpassende Erwähnung eignen Kummers oder fremder Unglücksfälle zu verstimmen, und empfiehlt dabei solchen Störenfrieden schonend entgegenzutreten, sie durch die Kunst der Unterhaltung auf einen andern Weg zu lenken. Ein Unterschied der Zeit, ob es der Anfang oder die Mitte des sechzehnten Jahr¬ hunderts ist, läßt sich nicht begründen. Unterschiede sind persönlich. Der feinste und auch der gemütvollste bleibt immer Castiglione. Aber selbst ihm ist der egoistische Kardinal von Este, Ariosts Gönner, der gesellschaftliche Jdealmensch, und eine auch bei uns recht bekannte rohe Geschichte von den beiden Bnmmlern, die ihren Kumpan im Dunkeln dahin bringen, sich für blind zu halten, indem sie sich sehend stellen, und die sich dann über seinen Jammer totlachen wollen, diese Geschichte findet er, aufgefaßt als Veranstaltung mit glänzend gelungner: Erfolg — geistreich! Immerhin bleibt er der beste in diesem Kreise und auch der gemütvollste, soweit man bei einem Italiener über¬ haupt von Gemüt sprechen kann. Befriedigt werden wir uns ja nur finden, wenn wir an der Kunst des schönen Scheins, die ja dann much jedes bessern Inhalts Form werden kann, genügen lassen, einer Kunst, die, wenn sie den eignen Vorteil aufgiebt, dies doch nur infolge einer noch feinern Berech¬ nung thut. Was nützt es dir, so etwa heißt es im Galateo, deinen Gegner an Witz oder Geist übertroffen zu haben, wenn du damit auf deine Zuhörer keinen für dich vorteilhaften Eindruck machst und sie, obwohl sie lachen, im Herzen ihn vielleicht lieber haben als dich? Richte also deine Äußerungen stets mit auf diese letzte Wirkung. Der böse Spott will kränken, der Witz nur erheitern und möchte ungern dem betroffnen Scham oder Verdruß bringen. Aber weil doch in seiner Wirkung Witz leicht zu Spott werden kann, so soll der, der. wenn Persönlichkeiten in Frage kommen, nicht heiter und anmutig scherzen kann, es ganz lassen. Es ist keine Frage, daß diese Italiener, allen voran Castiglione, zuerst nach den Alten, und ich glaube vielseitiger als sie, über die Natur des Witzes und seine Bedeutung für Unterhaltung und Rede nachgedacht haben. Alles Witzige, sagen sie, beruht zunächst darauf, daß man des Zuhörers Vermutung täuscht und etwas andres sagt, als er erwartet. Mit dieser Art des Betruges (in- sslmuo) muß jeder Witz gewürzt sein, ehe er seiue weitere und im einzelnen sehr verschiedne Richtung nimmt. Castiglione spricht über die verschiednen Arten der Pointen („worauf es hinausgeht," das riusoirs), über die besondre Art des spanischen, des französischen, des italienischen Witzes. Den deutschen vermissen wir. Pontalto erzählt, daß bei einer Hochzeitsfeier am Hofe zu Neapel plötzlich ein Deutscher in die lautlose Versammlung einen lateinischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/637
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/637>, abgerufen am 24.06.2024.