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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der feinen Sitte

der Gesandten, z.B. der venezianischen, sind überreich an Einzelheiten auch
des Privatlebens und des persönlichen Wesens des Menschen. Das Interesse
aller dieser kleinen Höfe forderte es, sich gegenseitig zu beobachten, und der
Zweck weckte und förderte dann die Begabung dafür. Nun nahm man aber
gerade damals in Italien zu Gesandten nicht, wie jetzt, Kriegsmänner mit
friedfertigen Manieren oder bloß juristisch geschulte Beamte, sondern vor allen
Dingen persönlich vielseitig gebildete Männer: Schriftsteller, Dichter, Pro¬
fessoren, kurz eben jene Humanisten. Sie verstanden draußen zu sprechen
und konnten, nach Hause zurückgekehrt, verständige und brauchbare Berichte
macheu. Auf solchen Berichten der Venezianer beruht ja zum Teil die äußere
Schilderung der maßgebenden Persönlichkeiten bei Ranke und andern Neuern.
Die lateinischen Reden, die diese Gesandten hielten, machen heute auf uns
keinen großen Eindruck mehr. Sie sind rhetorische Prunkstücke, die zum Stil
der Zeit gehören, die aber nicht einmal immer stilvoll sind. Manches spa߬
hafte Zeugnis meldet, daß oft auch die souveränen Zuhörer nicht anders em¬
pfanden als wir. Aber die feierliche Rede gehörte nun einmal mit zu dem
Geschäft, das selbst freilich auf andre Art und mit andern Mitteln erledigt
werden mußte.

Über diese Mittel geben uns die lateinischen Prosaschriften des Gioviano
Pontalto, des Stifters der Akademie von Neapel, allerlei Aufschluß. Er war
1471 in des Königs Dienste getreten, war oft Gesandter gewesen und schrieb
im hohen Alter zuletzt (1499) ein Buch: ve Lsrmoruz, nämlich über die Um¬
gangssprache, die zur Annehmlichkeit und zum Witz führt, nicht die geschäft¬
liche, wie sie der Redner braucht. Pontalto ist eine viel weniger vornehme
Natur als Castiglione oder Bembo. Es ging aber auch in Neapel nicht so fein
und geistig erlesen zu wie in Urbino, in Mantua oder, namentlich seit Leo X.,
in Rom. Außerdem will sein lateinisch geschriebnes Buch keine Unterhaltungs¬
schrift für Herren und Damen sein. Er selbst ist von Hans aus Gelehrter
und behandelt darum auch diese Art von Sprache mehr als Gegenstand wissen¬
schaftlicher Untersuchung. Schon als ganz jungen Menschen hatte ihn einmal
sein Lehrer zu Einkäufen mit auf den Markt genommen. Als der Alte mit
dem Händler nicht einig werden konnte, nahm der Junge das Wort und ging
mit allerlei platten Scherzen auf den Ton des Bauern ein, was diesen sehr
erheiterte und willfährig machte, sodaß in kurzer Zeit das Geschäft unter den
anfangs verworfnen Bedingungen zustande kam. "So kann man," setzt Pon¬
talto jetzt in seinem hohen Alter hinzu, "wenn man sich selbst ein wenig lächerlich
zu machen kein Bedenken trägt, bloß durch die Kunst der Rede sich einen
Geldgewinn verschaffen, und mein Lehrer verstand das nicht!" Er selbst hatte
also schon frühe dazu Neigung und Begabung. Später hatte er einen reichen
Gönner, der Gastmähler mit witziger Unterhaltung nach den Mustern der Alten
gab und Regeln über die geeigneten Gesprächsstoffe feststellte. Pontalto teilt


Zur Geschichte der feinen Sitte

der Gesandten, z.B. der venezianischen, sind überreich an Einzelheiten auch
des Privatlebens und des persönlichen Wesens des Menschen. Das Interesse
aller dieser kleinen Höfe forderte es, sich gegenseitig zu beobachten, und der
Zweck weckte und förderte dann die Begabung dafür. Nun nahm man aber
gerade damals in Italien zu Gesandten nicht, wie jetzt, Kriegsmänner mit
friedfertigen Manieren oder bloß juristisch geschulte Beamte, sondern vor allen
Dingen persönlich vielseitig gebildete Männer: Schriftsteller, Dichter, Pro¬
fessoren, kurz eben jene Humanisten. Sie verstanden draußen zu sprechen
und konnten, nach Hause zurückgekehrt, verständige und brauchbare Berichte
macheu. Auf solchen Berichten der Venezianer beruht ja zum Teil die äußere
Schilderung der maßgebenden Persönlichkeiten bei Ranke und andern Neuern.
Die lateinischen Reden, die diese Gesandten hielten, machen heute auf uns
keinen großen Eindruck mehr. Sie sind rhetorische Prunkstücke, die zum Stil
der Zeit gehören, die aber nicht einmal immer stilvoll sind. Manches spa߬
hafte Zeugnis meldet, daß oft auch die souveränen Zuhörer nicht anders em¬
pfanden als wir. Aber die feierliche Rede gehörte nun einmal mit zu dem
Geschäft, das selbst freilich auf andre Art und mit andern Mitteln erledigt
werden mußte.

Über diese Mittel geben uns die lateinischen Prosaschriften des Gioviano
Pontalto, des Stifters der Akademie von Neapel, allerlei Aufschluß. Er war
1471 in des Königs Dienste getreten, war oft Gesandter gewesen und schrieb
im hohen Alter zuletzt (1499) ein Buch: ve Lsrmoruz, nämlich über die Um¬
gangssprache, die zur Annehmlichkeit und zum Witz führt, nicht die geschäft¬
liche, wie sie der Redner braucht. Pontalto ist eine viel weniger vornehme
Natur als Castiglione oder Bembo. Es ging aber auch in Neapel nicht so fein
und geistig erlesen zu wie in Urbino, in Mantua oder, namentlich seit Leo X.,
in Rom. Außerdem will sein lateinisch geschriebnes Buch keine Unterhaltungs¬
schrift für Herren und Damen sein. Er selbst ist von Hans aus Gelehrter
und behandelt darum auch diese Art von Sprache mehr als Gegenstand wissen¬
schaftlicher Untersuchung. Schon als ganz jungen Menschen hatte ihn einmal
sein Lehrer zu Einkäufen mit auf den Markt genommen. Als der Alte mit
dem Händler nicht einig werden konnte, nahm der Junge das Wort und ging
mit allerlei platten Scherzen auf den Ton des Bauern ein, was diesen sehr
erheiterte und willfährig machte, sodaß in kurzer Zeit das Geschäft unter den
anfangs verworfnen Bedingungen zustande kam. „So kann man," setzt Pon¬
talto jetzt in seinem hohen Alter hinzu, „wenn man sich selbst ein wenig lächerlich
zu machen kein Bedenken trägt, bloß durch die Kunst der Rede sich einen
Geldgewinn verschaffen, und mein Lehrer verstand das nicht!" Er selbst hatte
also schon frühe dazu Neigung und Begabung. Später hatte er einen reichen
Gönner, der Gastmähler mit witziger Unterhaltung nach den Mustern der Alten
gab und Regeln über die geeigneten Gesprächsstoffe feststellte. Pontalto teilt


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[0632] Zur Geschichte der feinen Sitte der Gesandten, z.B. der venezianischen, sind überreich an Einzelheiten auch des Privatlebens und des persönlichen Wesens des Menschen. Das Interesse aller dieser kleinen Höfe forderte es, sich gegenseitig zu beobachten, und der Zweck weckte und förderte dann die Begabung dafür. Nun nahm man aber gerade damals in Italien zu Gesandten nicht, wie jetzt, Kriegsmänner mit friedfertigen Manieren oder bloß juristisch geschulte Beamte, sondern vor allen Dingen persönlich vielseitig gebildete Männer: Schriftsteller, Dichter, Pro¬ fessoren, kurz eben jene Humanisten. Sie verstanden draußen zu sprechen und konnten, nach Hause zurückgekehrt, verständige und brauchbare Berichte macheu. Auf solchen Berichten der Venezianer beruht ja zum Teil die äußere Schilderung der maßgebenden Persönlichkeiten bei Ranke und andern Neuern. Die lateinischen Reden, die diese Gesandten hielten, machen heute auf uns keinen großen Eindruck mehr. Sie sind rhetorische Prunkstücke, die zum Stil der Zeit gehören, die aber nicht einmal immer stilvoll sind. Manches spa߬ hafte Zeugnis meldet, daß oft auch die souveränen Zuhörer nicht anders em¬ pfanden als wir. Aber die feierliche Rede gehörte nun einmal mit zu dem Geschäft, das selbst freilich auf andre Art und mit andern Mitteln erledigt werden mußte. Über diese Mittel geben uns die lateinischen Prosaschriften des Gioviano Pontalto, des Stifters der Akademie von Neapel, allerlei Aufschluß. Er war 1471 in des Königs Dienste getreten, war oft Gesandter gewesen und schrieb im hohen Alter zuletzt (1499) ein Buch: ve Lsrmoruz, nämlich über die Um¬ gangssprache, die zur Annehmlichkeit und zum Witz führt, nicht die geschäft¬ liche, wie sie der Redner braucht. Pontalto ist eine viel weniger vornehme Natur als Castiglione oder Bembo. Es ging aber auch in Neapel nicht so fein und geistig erlesen zu wie in Urbino, in Mantua oder, namentlich seit Leo X., in Rom. Außerdem will sein lateinisch geschriebnes Buch keine Unterhaltungs¬ schrift für Herren und Damen sein. Er selbst ist von Hans aus Gelehrter und behandelt darum auch diese Art von Sprache mehr als Gegenstand wissen¬ schaftlicher Untersuchung. Schon als ganz jungen Menschen hatte ihn einmal sein Lehrer zu Einkäufen mit auf den Markt genommen. Als der Alte mit dem Händler nicht einig werden konnte, nahm der Junge das Wort und ging mit allerlei platten Scherzen auf den Ton des Bauern ein, was diesen sehr erheiterte und willfährig machte, sodaß in kurzer Zeit das Geschäft unter den anfangs verworfnen Bedingungen zustande kam. „So kann man," setzt Pon¬ talto jetzt in seinem hohen Alter hinzu, „wenn man sich selbst ein wenig lächerlich zu machen kein Bedenken trägt, bloß durch die Kunst der Rede sich einen Geldgewinn verschaffen, und mein Lehrer verstand das nicht!" Er selbst hatte also schon frühe dazu Neigung und Begabung. Später hatte er einen reichen Gönner, der Gastmähler mit witziger Unterhaltung nach den Mustern der Alten gab und Regeln über die geeigneten Gesprächsstoffe feststellte. Pontalto teilt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/632>, abgerufen am 26.06.2024.