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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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der Staubwolke eines im Fluge dahinrollenden Bauerngefährts, daß Menschen
im Lande verkehren. Aber der Weg läuft stundenweit, ehe er auf ein Dorf
führt. Die Wohnungen liegen versteckt in den Thälern, wo Wasser auf¬
zugraben war, wo sich die herrschenden Winde brechen, die aus den grenzenlos
breiten Landstraßen hohe Stanbmassen aufwirbeln zur Qual aller atmenden
Wesen. In jenen Bodensenkungen, die die Niederschläge länger zurückhalten
und zuweilen Sumpfstellen haben, gedeiht die einzige Vegetation der Landschaft,
spärliches Buschwerk, aus dem Falken und paarweise schwärmende Elstern aus¬
fliegen, dann und wann ein Obstbaum oder eine schattenspendende Linde. Dicht
um solche Wohlthäter gruppiren sich dann die Wohnsitze, und mit einigen
Dutzend Hausstünden zählen sie schon zu den stattlichem Ortschaften. Höhlen¬
artig, halb in den Boden cingegrabne Hütten mit flachen Erddächern und
geflochtenen Schornsteinen dienen den ärmsten Insassen. Glücklichere wohnen
in Lehmhäuscheu, die sich durch Schilfdächer auszeichnen und in schmucklosen
Holzhallen gegen Süden öffnen. Hochaufgerichtete Getreideschober, offne Tennen,
Reisighürden für das Vieh und seltsame Korbgehäuse für die Maisfrucht bilden
das primitive Anwesen größerer Gehöfte, die nach antiker Weise von Wall und
Graben umfriedet sind. Ein neuerbautes ebenerdiges Steinhaus, das aus
zwei Klassenzimmern der rumänischen Volksschule besteht, wirkt wie der Palast
des Orts. Eine Kirche oder Moschee fehlt. Die Heiligtümer der Gemeinden,
zu denen alles wallfahrtet, sind die Gemeindebrunnen, die mit großem Auf-
wande schachtförmig in ungewöhnliche Tiefen gebohrt sind; einen Begriff von
ihrer Tiefe geben die Schöpfseile, die die Länge von Ankertauen haben und
durch kreisende Zugtiere um unförmlich rohe, knarrende Holzgerüste aufgewunden
werden. Sonstige öffentliche Vorsorge ist unbekannt. Umherliegende Tier¬
gerippe und verwesendes Aas vollenden einen Eindruck, der sich für den An¬
kommenden durch das Geheul grimmig zufahrender wolfartiger Hunde nicht
freundlicher gestaltet. Seit den Tristien des Ovid scheint sich in diesen Zu¬
ständen, denen der Stempel säkularer Notstände aufgedrückt ist, keine Entwick¬
lung vollzogen zu haben. Schon der Bestand der Bevölkerung an sich, das
bunte Nassengemisch von Tataren, Türken, Griechen, Zigeunern, Bulgaren und
siebenbürgischen Walachen, das die Geschichte wie Völkerkehricht auf diesem
Boden zusammengefegt hat, giebt ein Bild stationären Elends im Wechsel der
Schicksale."

In dieser Gegend also, fünfzehn Kilometer südlich von Nassvva, dem
Scheitelpunkte des Donauknies, liegt das Dorf Adamklissi, ausgezeichnet vor
vielen seinesgleichen durch den Besitz einer lebendigen Quelle, die von dem
höher gelegnen Dorfe als ein dünner Wasserfaden in das Thal von Urlujcr
hinabrinnt. Etwas nördlich davon auf kahler Anhöhe, 150 Meter über dem
Meere, steht das Denkmal. Auf den ersten Anblick ist davon nichts übrig als
ein kolossaler, aus massivem Gußwerk hergestellter Rundturm von 27 Meter


der Staubwolke eines im Fluge dahinrollenden Bauerngefährts, daß Menschen
im Lande verkehren. Aber der Weg läuft stundenweit, ehe er auf ein Dorf
führt. Die Wohnungen liegen versteckt in den Thälern, wo Wasser auf¬
zugraben war, wo sich die herrschenden Winde brechen, die aus den grenzenlos
breiten Landstraßen hohe Stanbmassen aufwirbeln zur Qual aller atmenden
Wesen. In jenen Bodensenkungen, die die Niederschläge länger zurückhalten
und zuweilen Sumpfstellen haben, gedeiht die einzige Vegetation der Landschaft,
spärliches Buschwerk, aus dem Falken und paarweise schwärmende Elstern aus¬
fliegen, dann und wann ein Obstbaum oder eine schattenspendende Linde. Dicht
um solche Wohlthäter gruppiren sich dann die Wohnsitze, und mit einigen
Dutzend Hausstünden zählen sie schon zu den stattlichem Ortschaften. Höhlen¬
artig, halb in den Boden cingegrabne Hütten mit flachen Erddächern und
geflochtenen Schornsteinen dienen den ärmsten Insassen. Glücklichere wohnen
in Lehmhäuscheu, die sich durch Schilfdächer auszeichnen und in schmucklosen
Holzhallen gegen Süden öffnen. Hochaufgerichtete Getreideschober, offne Tennen,
Reisighürden für das Vieh und seltsame Korbgehäuse für die Maisfrucht bilden
das primitive Anwesen größerer Gehöfte, die nach antiker Weise von Wall und
Graben umfriedet sind. Ein neuerbautes ebenerdiges Steinhaus, das aus
zwei Klassenzimmern der rumänischen Volksschule besteht, wirkt wie der Palast
des Orts. Eine Kirche oder Moschee fehlt. Die Heiligtümer der Gemeinden,
zu denen alles wallfahrtet, sind die Gemeindebrunnen, die mit großem Auf-
wande schachtförmig in ungewöhnliche Tiefen gebohrt sind; einen Begriff von
ihrer Tiefe geben die Schöpfseile, die die Länge von Ankertauen haben und
durch kreisende Zugtiere um unförmlich rohe, knarrende Holzgerüste aufgewunden
werden. Sonstige öffentliche Vorsorge ist unbekannt. Umherliegende Tier¬
gerippe und verwesendes Aas vollenden einen Eindruck, der sich für den An¬
kommenden durch das Geheul grimmig zufahrender wolfartiger Hunde nicht
freundlicher gestaltet. Seit den Tristien des Ovid scheint sich in diesen Zu¬
ständen, denen der Stempel säkularer Notstände aufgedrückt ist, keine Entwick¬
lung vollzogen zu haben. Schon der Bestand der Bevölkerung an sich, das
bunte Nassengemisch von Tataren, Türken, Griechen, Zigeunern, Bulgaren und
siebenbürgischen Walachen, das die Geschichte wie Völkerkehricht auf diesem
Boden zusammengefegt hat, giebt ein Bild stationären Elends im Wechsel der
Schicksale."

In dieser Gegend also, fünfzehn Kilometer südlich von Nassvva, dem
Scheitelpunkte des Donauknies, liegt das Dorf Adamklissi, ausgezeichnet vor
vielen seinesgleichen durch den Besitz einer lebendigen Quelle, die von dem
höher gelegnen Dorfe als ein dünner Wasserfaden in das Thal von Urlujcr
hinabrinnt. Etwas nördlich davon auf kahler Anhöhe, 150 Meter über dem
Meere, steht das Denkmal. Auf den ersten Anblick ist davon nichts übrig als
ein kolossaler, aus massivem Gußwerk hergestellter Rundturm von 27 Meter


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[0580] der Staubwolke eines im Fluge dahinrollenden Bauerngefährts, daß Menschen im Lande verkehren. Aber der Weg läuft stundenweit, ehe er auf ein Dorf führt. Die Wohnungen liegen versteckt in den Thälern, wo Wasser auf¬ zugraben war, wo sich die herrschenden Winde brechen, die aus den grenzenlos breiten Landstraßen hohe Stanbmassen aufwirbeln zur Qual aller atmenden Wesen. In jenen Bodensenkungen, die die Niederschläge länger zurückhalten und zuweilen Sumpfstellen haben, gedeiht die einzige Vegetation der Landschaft, spärliches Buschwerk, aus dem Falken und paarweise schwärmende Elstern aus¬ fliegen, dann und wann ein Obstbaum oder eine schattenspendende Linde. Dicht um solche Wohlthäter gruppiren sich dann die Wohnsitze, und mit einigen Dutzend Hausstünden zählen sie schon zu den stattlichem Ortschaften. Höhlen¬ artig, halb in den Boden cingegrabne Hütten mit flachen Erddächern und geflochtenen Schornsteinen dienen den ärmsten Insassen. Glücklichere wohnen in Lehmhäuscheu, die sich durch Schilfdächer auszeichnen und in schmucklosen Holzhallen gegen Süden öffnen. Hochaufgerichtete Getreideschober, offne Tennen, Reisighürden für das Vieh und seltsame Korbgehäuse für die Maisfrucht bilden das primitive Anwesen größerer Gehöfte, die nach antiker Weise von Wall und Graben umfriedet sind. Ein neuerbautes ebenerdiges Steinhaus, das aus zwei Klassenzimmern der rumänischen Volksschule besteht, wirkt wie der Palast des Orts. Eine Kirche oder Moschee fehlt. Die Heiligtümer der Gemeinden, zu denen alles wallfahrtet, sind die Gemeindebrunnen, die mit großem Auf- wande schachtförmig in ungewöhnliche Tiefen gebohrt sind; einen Begriff von ihrer Tiefe geben die Schöpfseile, die die Länge von Ankertauen haben und durch kreisende Zugtiere um unförmlich rohe, knarrende Holzgerüste aufgewunden werden. Sonstige öffentliche Vorsorge ist unbekannt. Umherliegende Tier¬ gerippe und verwesendes Aas vollenden einen Eindruck, der sich für den An¬ kommenden durch das Geheul grimmig zufahrender wolfartiger Hunde nicht freundlicher gestaltet. Seit den Tristien des Ovid scheint sich in diesen Zu¬ ständen, denen der Stempel säkularer Notstände aufgedrückt ist, keine Entwick¬ lung vollzogen zu haben. Schon der Bestand der Bevölkerung an sich, das bunte Nassengemisch von Tataren, Türken, Griechen, Zigeunern, Bulgaren und siebenbürgischen Walachen, das die Geschichte wie Völkerkehricht auf diesem Boden zusammengefegt hat, giebt ein Bild stationären Elends im Wechsel der Schicksale." In dieser Gegend also, fünfzehn Kilometer südlich von Nassvva, dem Scheitelpunkte des Donauknies, liegt das Dorf Adamklissi, ausgezeichnet vor vielen seinesgleichen durch den Besitz einer lebendigen Quelle, die von dem höher gelegnen Dorfe als ein dünner Wasserfaden in das Thal von Urlujcr hinabrinnt. Etwas nördlich davon auf kahler Anhöhe, 150 Meter über dem Meere, steht das Denkmal. Auf den ersten Anblick ist davon nichts übrig als ein kolossaler, aus massivem Gußwerk hergestellter Rundturm von 27 Meter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/580>, abgerufen am 23.07.2024.