Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Streit der Fakultäten

stcllmig, auch in meiner Gemeinde, den Wohlthätigkeitssinn und das Mitleid
der Leute wecken, daß etwas für die arme Frau geschieht.

Na na! sagte der Rechtsanwalt ungläubig. Ich glaube auch gar nicht,
daß Wohlthätigkeit besonders hier am Platze ist. Die soziale Gesetzgebung
hat solche Fälle genau vorgesehen, und für die Frau wird nach Möglichkeit
und den Verhältnissen angemessen gesorgt werden.

Das ist alles recht schön, unterbrach ihn die Stiftsdame. Aber bei
solchem Unglück hat das Stift auch ein Wort mitzusprechen. Man sitzt hier
und läßt sich wer weiß wie bemitleiden wegen eines zerbrochnen Armes und
soll die arme Frau mit dem kleinen Wurm an die rechnenden Herren mit
Paragraph so und soviel verweisen? Dafür wollen wir schon sorgen, daß
sie nicht Not leidet, bis sie wieder arbeiten kann. Was ihr von Rechts wegen
zusteht, muß sie natürlich zu bekommen suchen. Aber das ist nicht genug für
den Anfang. Da einzutreten ist unsre Sache, dafür lebt die Frau in Marien-
zelle. Und den kleinen Jungen wollen wir mit Gottes Hilfe auch groß ziehen.

Lassen Sie ihn nnr ja nicht Philologie studiren! rief Dr. Töteberg,
der schon wieder Mut bekam, einen kleinen Scherz zu wagen, und die ernste
Stimmung, die ihn bedrückte, gern wieder in die seiner Art mehr zusagende
von vorhin hinübergeleitet hätte, zumal da ihm die tröstlichen Zusicherungen
der Stiftsdame die Sache als abgethan erscheinen ließen.

Aber er hatte mit seiner Bemerkung kein Glück, sie wurde geflissentlich
überhört. Selbst Doktor Utcrmvhlen, der diese Leichtigkeit, über fremdes Leid
hinwegzugehen, gern gekennzeichnet hätte, schwieg. Es wurde ungemütlich.

Nicht wahr, Herr Doktor, sagte endlich die Stiftsdame, Sie erstatten mir
morgen Bericht, wie es steht? Ich werde mit der Frau Äbtissin sprechen,
und wir finden schon einen Weg.

Der Arzt erhob sich und versprach Abschied nehmend bereitwillige Hilfe.
Der Pastor schloß sich ihm an. Sein poetischer Sturmlauf war mißglückt.

Für die Besichtigung der Kirche ist es wohl zu spät?^ fragte Dr.
Töteberg.

Mir ist die Stimmung dazu vergangen, antwortete das Fräulein. Viel¬
leicht ein andermal.

So ging auch der Kuustgelehrte hinweg, und die Damen blieben mit
dem Nechtscmwcilt allein zurück.

Jetzt mußte unfehlbar das Geschäftliche besprochen werdeu, ein Aus¬
weichen war nicht mehr möglich. So hielt es denn das junge Mädchen für
das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen, sie fing selbst von dem Ver¬
kauf des Hauses zu sprechen an. Sie erbat sich noch eine letzte Bedenkzeit
von drei Tagen, die auch zugestanden wurde. Da die Frage durch diese aber¬
malige Vertagung für den Augenblick so schnell erledigt war, so blieb auch
dem Rechtsanwalt nichts übrig, als sich zu verabschieden. Es wurde ihm


Der Streit der Fakultäten

stcllmig, auch in meiner Gemeinde, den Wohlthätigkeitssinn und das Mitleid
der Leute wecken, daß etwas für die arme Frau geschieht.

Na na! sagte der Rechtsanwalt ungläubig. Ich glaube auch gar nicht,
daß Wohlthätigkeit besonders hier am Platze ist. Die soziale Gesetzgebung
hat solche Fälle genau vorgesehen, und für die Frau wird nach Möglichkeit
und den Verhältnissen angemessen gesorgt werden.

Das ist alles recht schön, unterbrach ihn die Stiftsdame. Aber bei
solchem Unglück hat das Stift auch ein Wort mitzusprechen. Man sitzt hier
und läßt sich wer weiß wie bemitleiden wegen eines zerbrochnen Armes und
soll die arme Frau mit dem kleinen Wurm an die rechnenden Herren mit
Paragraph so und soviel verweisen? Dafür wollen wir schon sorgen, daß
sie nicht Not leidet, bis sie wieder arbeiten kann. Was ihr von Rechts wegen
zusteht, muß sie natürlich zu bekommen suchen. Aber das ist nicht genug für
den Anfang. Da einzutreten ist unsre Sache, dafür lebt die Frau in Marien-
zelle. Und den kleinen Jungen wollen wir mit Gottes Hilfe auch groß ziehen.

Lassen Sie ihn nnr ja nicht Philologie studiren! rief Dr. Töteberg,
der schon wieder Mut bekam, einen kleinen Scherz zu wagen, und die ernste
Stimmung, die ihn bedrückte, gern wieder in die seiner Art mehr zusagende
von vorhin hinübergeleitet hätte, zumal da ihm die tröstlichen Zusicherungen
der Stiftsdame die Sache als abgethan erscheinen ließen.

Aber er hatte mit seiner Bemerkung kein Glück, sie wurde geflissentlich
überhört. Selbst Doktor Utcrmvhlen, der diese Leichtigkeit, über fremdes Leid
hinwegzugehen, gern gekennzeichnet hätte, schwieg. Es wurde ungemütlich.

Nicht wahr, Herr Doktor, sagte endlich die Stiftsdame, Sie erstatten mir
morgen Bericht, wie es steht? Ich werde mit der Frau Äbtissin sprechen,
und wir finden schon einen Weg.

Der Arzt erhob sich und versprach Abschied nehmend bereitwillige Hilfe.
Der Pastor schloß sich ihm an. Sein poetischer Sturmlauf war mißglückt.

Für die Besichtigung der Kirche ist es wohl zu spät?^ fragte Dr.
Töteberg.

Mir ist die Stimmung dazu vergangen, antwortete das Fräulein. Viel¬
leicht ein andermal.

So ging auch der Kuustgelehrte hinweg, und die Damen blieben mit
dem Nechtscmwcilt allein zurück.

Jetzt mußte unfehlbar das Geschäftliche besprochen werdeu, ein Aus¬
weichen war nicht mehr möglich. So hielt es denn das junge Mädchen für
das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen, sie fing selbst von dem Ver¬
kauf des Hauses zu sprechen an. Sie erbat sich noch eine letzte Bedenkzeit
von drei Tagen, die auch zugestanden wurde. Da die Frage durch diese aber¬
malige Vertagung für den Augenblick so schnell erledigt war, so blieb auch
dem Rechtsanwalt nichts übrig, als sich zu verabschieden. Es wurde ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219547"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Streit der Fakultäten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1654" prev="#ID_1653"> stcllmig, auch in meiner Gemeinde, den Wohlthätigkeitssinn und das Mitleid<lb/>
der Leute wecken, daß etwas für die arme Frau geschieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1655"> Na na! sagte der Rechtsanwalt ungläubig. Ich glaube auch gar nicht,<lb/>
daß Wohlthätigkeit besonders hier am Platze ist. Die soziale Gesetzgebung<lb/>
hat solche Fälle genau vorgesehen, und für die Frau wird nach Möglichkeit<lb/>
und den Verhältnissen angemessen gesorgt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1656"> Das ist alles recht schön, unterbrach ihn die Stiftsdame. Aber bei<lb/>
solchem Unglück hat das Stift auch ein Wort mitzusprechen. Man sitzt hier<lb/>
und läßt sich wer weiß wie bemitleiden wegen eines zerbrochnen Armes und<lb/>
soll die arme Frau mit dem kleinen Wurm an die rechnenden Herren mit<lb/>
Paragraph so und soviel verweisen? Dafür wollen wir schon sorgen, daß<lb/>
sie nicht Not leidet, bis sie wieder arbeiten kann. Was ihr von Rechts wegen<lb/>
zusteht, muß sie natürlich zu bekommen suchen. Aber das ist nicht genug für<lb/>
den Anfang. Da einzutreten ist unsre Sache, dafür lebt die Frau in Marien-<lb/>
zelle. Und den kleinen Jungen wollen wir mit Gottes Hilfe auch groß ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Lassen Sie ihn nnr ja nicht Philologie studiren! rief Dr. Töteberg,<lb/>
der schon wieder Mut bekam, einen kleinen Scherz zu wagen, und die ernste<lb/>
Stimmung, die ihn bedrückte, gern wieder in die seiner Art mehr zusagende<lb/>
von vorhin hinübergeleitet hätte, zumal da ihm die tröstlichen Zusicherungen<lb/>
der Stiftsdame die Sache als abgethan erscheinen ließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658"> Aber er hatte mit seiner Bemerkung kein Glück, sie wurde geflissentlich<lb/>
überhört. Selbst Doktor Utcrmvhlen, der diese Leichtigkeit, über fremdes Leid<lb/>
hinwegzugehen, gern gekennzeichnet hätte, schwieg.  Es wurde ungemütlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1659"> Nicht wahr, Herr Doktor, sagte endlich die Stiftsdame, Sie erstatten mir<lb/>
morgen Bericht, wie es steht? Ich werde mit der Frau Äbtissin sprechen,<lb/>
und wir finden schon einen Weg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1660"> Der Arzt erhob sich und versprach Abschied nehmend bereitwillige Hilfe.<lb/>
Der Pastor schloß sich ihm an.  Sein poetischer Sturmlauf war mißglückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1661"> Für die Besichtigung der Kirche ist es wohl zu spät?^ fragte Dr.<lb/>
Töteberg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1662"> Mir ist die Stimmung dazu vergangen, antwortete das Fräulein. Viel¬<lb/>
leicht ein andermal.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1663"> So ging auch der Kuustgelehrte hinweg, und die Damen blieben mit<lb/>
dem Nechtscmwcilt allein zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1664" next="#ID_1665"> Jetzt mußte unfehlbar das Geschäftliche besprochen werdeu, ein Aus¬<lb/>
weichen war nicht mehr möglich. So hielt es denn das junge Mädchen für<lb/>
das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen, sie fing selbst von dem Ver¬<lb/>
kauf des Hauses zu sprechen an. Sie erbat sich noch eine letzte Bedenkzeit<lb/>
von drei Tagen, die auch zugestanden wurde. Da die Frage durch diese aber¬<lb/>
malige Vertagung für den Augenblick so schnell erledigt war, so blieb auch<lb/>
dem Rechtsanwalt nichts übrig, als sich zu verabschieden.  Es wurde ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0545] Der Streit der Fakultäten stcllmig, auch in meiner Gemeinde, den Wohlthätigkeitssinn und das Mitleid der Leute wecken, daß etwas für die arme Frau geschieht. Na na! sagte der Rechtsanwalt ungläubig. Ich glaube auch gar nicht, daß Wohlthätigkeit besonders hier am Platze ist. Die soziale Gesetzgebung hat solche Fälle genau vorgesehen, und für die Frau wird nach Möglichkeit und den Verhältnissen angemessen gesorgt werden. Das ist alles recht schön, unterbrach ihn die Stiftsdame. Aber bei solchem Unglück hat das Stift auch ein Wort mitzusprechen. Man sitzt hier und läßt sich wer weiß wie bemitleiden wegen eines zerbrochnen Armes und soll die arme Frau mit dem kleinen Wurm an die rechnenden Herren mit Paragraph so und soviel verweisen? Dafür wollen wir schon sorgen, daß sie nicht Not leidet, bis sie wieder arbeiten kann. Was ihr von Rechts wegen zusteht, muß sie natürlich zu bekommen suchen. Aber das ist nicht genug für den Anfang. Da einzutreten ist unsre Sache, dafür lebt die Frau in Marien- zelle. Und den kleinen Jungen wollen wir mit Gottes Hilfe auch groß ziehen. Lassen Sie ihn nnr ja nicht Philologie studiren! rief Dr. Töteberg, der schon wieder Mut bekam, einen kleinen Scherz zu wagen, und die ernste Stimmung, die ihn bedrückte, gern wieder in die seiner Art mehr zusagende von vorhin hinübergeleitet hätte, zumal da ihm die tröstlichen Zusicherungen der Stiftsdame die Sache als abgethan erscheinen ließen. Aber er hatte mit seiner Bemerkung kein Glück, sie wurde geflissentlich überhört. Selbst Doktor Utcrmvhlen, der diese Leichtigkeit, über fremdes Leid hinwegzugehen, gern gekennzeichnet hätte, schwieg. Es wurde ungemütlich. Nicht wahr, Herr Doktor, sagte endlich die Stiftsdame, Sie erstatten mir morgen Bericht, wie es steht? Ich werde mit der Frau Äbtissin sprechen, und wir finden schon einen Weg. Der Arzt erhob sich und versprach Abschied nehmend bereitwillige Hilfe. Der Pastor schloß sich ihm an. Sein poetischer Sturmlauf war mißglückt. Für die Besichtigung der Kirche ist es wohl zu spät?^ fragte Dr. Töteberg. Mir ist die Stimmung dazu vergangen, antwortete das Fräulein. Viel¬ leicht ein andermal. So ging auch der Kuustgelehrte hinweg, und die Damen blieben mit dem Nechtscmwcilt allein zurück. Jetzt mußte unfehlbar das Geschäftliche besprochen werdeu, ein Aus¬ weichen war nicht mehr möglich. So hielt es denn das junge Mädchen für das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen, sie fing selbst von dem Ver¬ kauf des Hauses zu sprechen an. Sie erbat sich noch eine letzte Bedenkzeit von drei Tagen, die auch zugestanden wurde. Da die Frage durch diese aber¬ malige Vertagung für den Augenblick so schnell erledigt war, so blieb auch dem Rechtsanwalt nichts übrig, als sich zu verabschieden. Es wurde ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/545
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/545>, abgerufen am 28.09.2024.