Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus einer kleinen Ecke

ja doch nicht zu verkennen, daß mehr Annäherung an die Wahrheit in der
Kunst ein Fortschritt ist, wenn sie unbeschadet der Schönheit geschieht. Vor
dem Tyrannenwort "moderne Kunst" fürchtet sich nur, wer sich kein Gefühl
sür Schönheit zutraut. Wem aber die andre Art mehr gefällt, nun, dem
wirds auch gewiß nicht an Stoff zur Bewunderung fehlen; nur dulden soll er
die andern, anch an ihnen Lobenswertes zugestehen. Mag doch einmal eine
Zeit lang jede Partei in ihrem Atelier für ihren "Salon" weiterschaffen, dann
wäre doch vorläufig Friede! Und wenn es sich dann fügen sollte, daß der
eine Salon seine letzten Besucher verlöre, dann wäre erst recht Friede. Und
was für Böses über das Publikum gesagt wird, darunter mag wohl viel
Wahres sein. Aber für uns hier im kleinen paßt auch da lange nicht alles,
weil bei uus die "Jagd nach dem Glück" nicht so hitzig ist und wir daher
viel weniger scharfe Gewürze nötig haben, um uns wieder aufzustacheln. Die
Weltstädte aber müssen eben nicht denken, daß sie die Welt wären. Und dann
möchte ich auch meinen, wenn die Direktoren, besonders die gut "fundirten,"
die sich nicht so sehr nach dem Geschmack auf den Logenplätzen zu richten
brauchen, einmal die Furcht vor geringern "Kassenerfolgen" beiseite setzten und
recht viel wirklich Gutes böten, wovon es ja aus alter und neuer Zeit glück¬
licherweise noch genug giebt, und das auch wirklich gut böten, dann würde
sich auch der Geschmack des Publikums bald anders zeigen. Man hat Beispiele
davon. Die Herrschaften aber, die ohne lirixsä piolctss keinen rechten Genuß
haben, nun, die mögen sich ihre Genüsse selber bereiten und nicht die Kunstan¬
stalten für sich mit Beschlag belegen. Um deinetwillen ist doch die Kunst nicht da!

So sind ungefähr unsre Gedanken, wenn wir die Brille wieder abgenommen
und uns von dem ersten Schrecken über den gräßlichen Zustand der Welt er¬
holt haben. Denn wenn wir auch nicht die reiche Erfahrung und den weiten
Blick der Leute da draußen haben, so finden wir doch ein paar Musterbilder
vom Gange der Welt auch bei uns, und das Denken kaun uns auch niemand
verbieten. Weil nun unsre kleine Welt hier zwar leidlich schlecht, aber auch
noch leidlich gut ist und zum Zusammenbrechen durchaus keine Miene macht,
und auch jene Gedanken uns einigen Trost geben, so denken wir, wird auch
wohl für Deutschland, die soziale Ordnung und die Menschheit immer noch
einige Hoffnung sein. Dort gehen zwar die Fehler mehr ins Große als bei
uns, aber auch die erhaltenden Triebe, Mächte und Eigenschaften haben un¬
vergleichlich größere Ausdehnung und Gewalt, als es mancher Wort haben will,
und in Wirkung werden sie schon treten. Darum ist mir um die Götter¬
dämmerung zu meinen Lebzeiten nicht bange, und wer auf den großen Krach
und den Sieg der Dämonen seine Rechnung setzt, der hat sie eben ohne die
Wesen des Lichts gemacht und muß, wenn er den Krach erleben will, sich
auf ein ganz übermäßig hohes Alter gefaßt machen, das ich ihm übrigens
gern und von Herzen wünsche.




Aus einer kleinen Ecke

ja doch nicht zu verkennen, daß mehr Annäherung an die Wahrheit in der
Kunst ein Fortschritt ist, wenn sie unbeschadet der Schönheit geschieht. Vor
dem Tyrannenwort „moderne Kunst" fürchtet sich nur, wer sich kein Gefühl
sür Schönheit zutraut. Wem aber die andre Art mehr gefällt, nun, dem
wirds auch gewiß nicht an Stoff zur Bewunderung fehlen; nur dulden soll er
die andern, anch an ihnen Lobenswertes zugestehen. Mag doch einmal eine
Zeit lang jede Partei in ihrem Atelier für ihren „Salon" weiterschaffen, dann
wäre doch vorläufig Friede! Und wenn es sich dann fügen sollte, daß der
eine Salon seine letzten Besucher verlöre, dann wäre erst recht Friede. Und
was für Böses über das Publikum gesagt wird, darunter mag wohl viel
Wahres sein. Aber für uns hier im kleinen paßt auch da lange nicht alles,
weil bei uus die „Jagd nach dem Glück" nicht so hitzig ist und wir daher
viel weniger scharfe Gewürze nötig haben, um uns wieder aufzustacheln. Die
Weltstädte aber müssen eben nicht denken, daß sie die Welt wären. Und dann
möchte ich auch meinen, wenn die Direktoren, besonders die gut „fundirten,"
die sich nicht so sehr nach dem Geschmack auf den Logenplätzen zu richten
brauchen, einmal die Furcht vor geringern „Kassenerfolgen" beiseite setzten und
recht viel wirklich Gutes böten, wovon es ja aus alter und neuer Zeit glück¬
licherweise noch genug giebt, und das auch wirklich gut böten, dann würde
sich auch der Geschmack des Publikums bald anders zeigen. Man hat Beispiele
davon. Die Herrschaften aber, die ohne lirixsä piolctss keinen rechten Genuß
haben, nun, die mögen sich ihre Genüsse selber bereiten und nicht die Kunstan¬
stalten für sich mit Beschlag belegen. Um deinetwillen ist doch die Kunst nicht da!

So sind ungefähr unsre Gedanken, wenn wir die Brille wieder abgenommen
und uns von dem ersten Schrecken über den gräßlichen Zustand der Welt er¬
holt haben. Denn wenn wir auch nicht die reiche Erfahrung und den weiten
Blick der Leute da draußen haben, so finden wir doch ein paar Musterbilder
vom Gange der Welt auch bei uns, und das Denken kaun uns auch niemand
verbieten. Weil nun unsre kleine Welt hier zwar leidlich schlecht, aber auch
noch leidlich gut ist und zum Zusammenbrechen durchaus keine Miene macht,
und auch jene Gedanken uns einigen Trost geben, so denken wir, wird auch
wohl für Deutschland, die soziale Ordnung und die Menschheit immer noch
einige Hoffnung sein. Dort gehen zwar die Fehler mehr ins Große als bei
uns, aber auch die erhaltenden Triebe, Mächte und Eigenschaften haben un¬
vergleichlich größere Ausdehnung und Gewalt, als es mancher Wort haben will,
und in Wirkung werden sie schon treten. Darum ist mir um die Götter¬
dämmerung zu meinen Lebzeiten nicht bange, und wer auf den großen Krach
und den Sieg der Dämonen seine Rechnung setzt, der hat sie eben ohne die
Wesen des Lichts gemacht und muß, wenn er den Krach erleben will, sich
auf ein ganz übermäßig hohes Alter gefaßt machen, das ich ihm übrigens
gern und von Herzen wünsche.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219499"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus einer kleinen Ecke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1456" prev="#ID_1455"> ja doch nicht zu verkennen, daß mehr Annäherung an die Wahrheit in der<lb/>
Kunst ein Fortschritt ist, wenn sie unbeschadet der Schönheit geschieht. Vor<lb/>
dem Tyrannenwort &#x201E;moderne Kunst" fürchtet sich nur, wer sich kein Gefühl<lb/>
sür Schönheit zutraut. Wem aber die andre Art mehr gefällt, nun, dem<lb/>
wirds auch gewiß nicht an Stoff zur Bewunderung fehlen; nur dulden soll er<lb/>
die andern, anch an ihnen Lobenswertes zugestehen. Mag doch einmal eine<lb/>
Zeit lang jede Partei in ihrem Atelier für ihren &#x201E;Salon" weiterschaffen, dann<lb/>
wäre doch vorläufig Friede! Und wenn es sich dann fügen sollte, daß der<lb/>
eine Salon seine letzten Besucher verlöre, dann wäre erst recht Friede. Und<lb/>
was für Böses über das Publikum gesagt wird, darunter mag wohl viel<lb/>
Wahres sein. Aber für uns hier im kleinen paßt auch da lange nicht alles,<lb/>
weil bei uus die &#x201E;Jagd nach dem Glück" nicht so hitzig ist und wir daher<lb/>
viel weniger scharfe Gewürze nötig haben, um uns wieder aufzustacheln. Die<lb/>
Weltstädte aber müssen eben nicht denken, daß sie die Welt wären. Und dann<lb/>
möchte ich auch meinen, wenn die Direktoren, besonders die gut &#x201E;fundirten,"<lb/>
die sich nicht so sehr nach dem Geschmack auf den Logenplätzen zu richten<lb/>
brauchen, einmal die Furcht vor geringern &#x201E;Kassenerfolgen" beiseite setzten und<lb/>
recht viel wirklich Gutes böten, wovon es ja aus alter und neuer Zeit glück¬<lb/>
licherweise noch genug giebt, und das auch wirklich gut böten, dann würde<lb/>
sich auch der Geschmack des Publikums bald anders zeigen. Man hat Beispiele<lb/>
davon. Die Herrschaften aber, die ohne lirixsä piolctss keinen rechten Genuß<lb/>
haben, nun, die mögen sich ihre Genüsse selber bereiten und nicht die Kunstan¬<lb/>
stalten für sich mit Beschlag belegen. Um deinetwillen ist doch die Kunst nicht da!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> So sind ungefähr unsre Gedanken, wenn wir die Brille wieder abgenommen<lb/>
und uns von dem ersten Schrecken über den gräßlichen Zustand der Welt er¬<lb/>
holt haben. Denn wenn wir auch nicht die reiche Erfahrung und den weiten<lb/>
Blick der Leute da draußen haben, so finden wir doch ein paar Musterbilder<lb/>
vom Gange der Welt auch bei uns, und das Denken kaun uns auch niemand<lb/>
verbieten. Weil nun unsre kleine Welt hier zwar leidlich schlecht, aber auch<lb/>
noch leidlich gut ist und zum Zusammenbrechen durchaus keine Miene macht,<lb/>
und auch jene Gedanken uns einigen Trost geben, so denken wir, wird auch<lb/>
wohl für Deutschland, die soziale Ordnung und die Menschheit immer noch<lb/>
einige Hoffnung sein. Dort gehen zwar die Fehler mehr ins Große als bei<lb/>
uns, aber auch die erhaltenden Triebe, Mächte und Eigenschaften haben un¬<lb/>
vergleichlich größere Ausdehnung und Gewalt, als es mancher Wort haben will,<lb/>
und in Wirkung werden sie schon treten. Darum ist mir um die Götter¬<lb/>
dämmerung zu meinen Lebzeiten nicht bange, und wer auf den großen Krach<lb/>
und den Sieg der Dämonen seine Rechnung setzt, der hat sie eben ohne die<lb/>
Wesen des Lichts gemacht und muß, wenn er den Krach erleben will, sich<lb/>
auf ein ganz übermäßig hohes Alter gefaßt machen, das ich ihm übrigens<lb/>
gern und von Herzen wünsche.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0497] Aus einer kleinen Ecke ja doch nicht zu verkennen, daß mehr Annäherung an die Wahrheit in der Kunst ein Fortschritt ist, wenn sie unbeschadet der Schönheit geschieht. Vor dem Tyrannenwort „moderne Kunst" fürchtet sich nur, wer sich kein Gefühl sür Schönheit zutraut. Wem aber die andre Art mehr gefällt, nun, dem wirds auch gewiß nicht an Stoff zur Bewunderung fehlen; nur dulden soll er die andern, anch an ihnen Lobenswertes zugestehen. Mag doch einmal eine Zeit lang jede Partei in ihrem Atelier für ihren „Salon" weiterschaffen, dann wäre doch vorläufig Friede! Und wenn es sich dann fügen sollte, daß der eine Salon seine letzten Besucher verlöre, dann wäre erst recht Friede. Und was für Böses über das Publikum gesagt wird, darunter mag wohl viel Wahres sein. Aber für uns hier im kleinen paßt auch da lange nicht alles, weil bei uus die „Jagd nach dem Glück" nicht so hitzig ist und wir daher viel weniger scharfe Gewürze nötig haben, um uns wieder aufzustacheln. Die Weltstädte aber müssen eben nicht denken, daß sie die Welt wären. Und dann möchte ich auch meinen, wenn die Direktoren, besonders die gut „fundirten," die sich nicht so sehr nach dem Geschmack auf den Logenplätzen zu richten brauchen, einmal die Furcht vor geringern „Kassenerfolgen" beiseite setzten und recht viel wirklich Gutes böten, wovon es ja aus alter und neuer Zeit glück¬ licherweise noch genug giebt, und das auch wirklich gut böten, dann würde sich auch der Geschmack des Publikums bald anders zeigen. Man hat Beispiele davon. Die Herrschaften aber, die ohne lirixsä piolctss keinen rechten Genuß haben, nun, die mögen sich ihre Genüsse selber bereiten und nicht die Kunstan¬ stalten für sich mit Beschlag belegen. Um deinetwillen ist doch die Kunst nicht da! So sind ungefähr unsre Gedanken, wenn wir die Brille wieder abgenommen und uns von dem ersten Schrecken über den gräßlichen Zustand der Welt er¬ holt haben. Denn wenn wir auch nicht die reiche Erfahrung und den weiten Blick der Leute da draußen haben, so finden wir doch ein paar Musterbilder vom Gange der Welt auch bei uns, und das Denken kaun uns auch niemand verbieten. Weil nun unsre kleine Welt hier zwar leidlich schlecht, aber auch noch leidlich gut ist und zum Zusammenbrechen durchaus keine Miene macht, und auch jene Gedanken uns einigen Trost geben, so denken wir, wird auch wohl für Deutschland, die soziale Ordnung und die Menschheit immer noch einige Hoffnung sein. Dort gehen zwar die Fehler mehr ins Große als bei uns, aber auch die erhaltenden Triebe, Mächte und Eigenschaften haben un¬ vergleichlich größere Ausdehnung und Gewalt, als es mancher Wort haben will, und in Wirkung werden sie schon treten. Darum ist mir um die Götter¬ dämmerung zu meinen Lebzeiten nicht bange, und wer auf den großen Krach und den Sieg der Dämonen seine Rechnung setzt, der hat sie eben ohne die Wesen des Lichts gemacht und muß, wenn er den Krach erleben will, sich auf ein ganz übermäßig hohes Alter gefaßt machen, das ich ihm übrigens gern und von Herzen wünsche.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/497
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/497>, abgerufen am 22.07.2024.