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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der litterarische Erfolg

In den deutschen Mittelstädten steht es zum Teil besser, aber dort fehlt wieder
die Initiative, und man hat allerlei lokalpatriotische Rücksichten zu nehmen.
So hat die Kunst im ganzen von der Bühne und ihren Erfolgen keinen Vor¬
teil. Der wahre Dichter wird zwar in Erinnerung an Kotzebue, Raupach, die
Birch-Pfeiffer den Erfolg als Gradmesser seiner Bedeutung nie anerkennen und
sich unter Umständen mit dem weisen Worte trösten, daß es Stücke giebt, bei
denen nur das Publikum durchfallen kann; aber irgend einen Erfolg braucht
er doch auch einmal. Selbst der strengste Idealist kann sich der Vorstellung,
daß es etwas sehr angenehmes ist, mit einem Stück hunderttausend Mark zu
verdienen, auf die Dauer nicht verschließen, und so wird er sich am Ende doch
zu Zugeständnissen an das Publikum bereit finden lasten. Wer aber einmal
Erfolg gehabt hat, der kann gewöhnlich von dem Buhlen um die Gunst der
leicht bewegten Theatermenge nicht wieder los und opfert ihr, wenn er nicht
eben ein außergewöhnlicher Charakter ist (das pflegt ein großer Dichter aller¬
dings zu sein), im Notfall auch seine Kunst. Das ist gewiß betrübend; noch
betrübender aber ist es, wenn heute auch die Dichterjugend, die in frühern
Tagen erst mit sich zu kämpfen und in sich zu ringen pflegte und ein un¬
erschütterliches, wenn auch manchmal unklares Ideal "hoher Kunst" in der
Seele trug, nichts eiligeres zu thun hat, als den Männern vom Theaterhand¬
werk ihre äußerlichen Künste, deu Leuten vom Tage ihre Modephrasen abzu¬
lernen und dann mit einem zusammengestöppelten Stück durch persönliche Ver¬
bindungen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu gelangen sucht. Ich
habe mehrere Fälle dieser Art beobachtet und mich angeekelt gefühlt.

Geld und Verbindungen! Hinter dem Spott in der Einleitung zu diesem
Aufsatze verbirgt sich der bitterste Ernst. Ohne Geld und Verbindungen kann
man es in der Gegenwart kaum zu etwas bringen in der Litteratur. Es ist
schwer, ein Werk zu schreiben, wenn man täglich von Sorgen um das nackte
Leben geplagt ist, es ist noch schwerer, ein Werk sei es bei einem Verleger
oder an der Bühne anzubringen, wenn man weder Geld noch Freunde hat.
Und selbst wenn man beides hat, darf man die Hände nach gethaner Arbeit
nicht in den Schoß legen, man muß stets sür seinen Ruhm ans dem Posten
stehen und eine ewige Reklame unterhalten, wenn man auf der Höhe bleiben
Will. Wer einmal Redakteur gewesen ist, der weiß ein Lied zu singen von
den sogenannten "Nedaktionswanzen," von den gedruckten Zettelchen, von
Freundes- und Verlegerdiensten und dem ewigen Al-ums Mkwum lavat. Man
wird sagen: ja, das ist die Litteratur des Tages, die mit dem Tage entsteht
und vergeht. Wenns nur wahr wäre! Die ganze deutsche Litteratur steckt
heute, nach dem Erfolg gierend, tief in diesem keineswegs so reinlichen Ge-
schäftstreiben, bei der die Würde der Kunst ein- um das andremal verraten
wird. Auch früher gab es Freundschaften und Kliquen; namentlich Heine und
das junge Deutschland haben schon ganz hübsches für ihren und ihrer Freunde


Der litterarische Erfolg

In den deutschen Mittelstädten steht es zum Teil besser, aber dort fehlt wieder
die Initiative, und man hat allerlei lokalpatriotische Rücksichten zu nehmen.
So hat die Kunst im ganzen von der Bühne und ihren Erfolgen keinen Vor¬
teil. Der wahre Dichter wird zwar in Erinnerung an Kotzebue, Raupach, die
Birch-Pfeiffer den Erfolg als Gradmesser seiner Bedeutung nie anerkennen und
sich unter Umständen mit dem weisen Worte trösten, daß es Stücke giebt, bei
denen nur das Publikum durchfallen kann; aber irgend einen Erfolg braucht
er doch auch einmal. Selbst der strengste Idealist kann sich der Vorstellung,
daß es etwas sehr angenehmes ist, mit einem Stück hunderttausend Mark zu
verdienen, auf die Dauer nicht verschließen, und so wird er sich am Ende doch
zu Zugeständnissen an das Publikum bereit finden lasten. Wer aber einmal
Erfolg gehabt hat, der kann gewöhnlich von dem Buhlen um die Gunst der
leicht bewegten Theatermenge nicht wieder los und opfert ihr, wenn er nicht
eben ein außergewöhnlicher Charakter ist (das pflegt ein großer Dichter aller¬
dings zu sein), im Notfall auch seine Kunst. Das ist gewiß betrübend; noch
betrübender aber ist es, wenn heute auch die Dichterjugend, die in frühern
Tagen erst mit sich zu kämpfen und in sich zu ringen pflegte und ein un¬
erschütterliches, wenn auch manchmal unklares Ideal „hoher Kunst" in der
Seele trug, nichts eiligeres zu thun hat, als den Männern vom Theaterhand¬
werk ihre äußerlichen Künste, deu Leuten vom Tage ihre Modephrasen abzu¬
lernen und dann mit einem zusammengestöppelten Stück durch persönliche Ver¬
bindungen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu gelangen sucht. Ich
habe mehrere Fälle dieser Art beobachtet und mich angeekelt gefühlt.

Geld und Verbindungen! Hinter dem Spott in der Einleitung zu diesem
Aufsatze verbirgt sich der bitterste Ernst. Ohne Geld und Verbindungen kann
man es in der Gegenwart kaum zu etwas bringen in der Litteratur. Es ist
schwer, ein Werk zu schreiben, wenn man täglich von Sorgen um das nackte
Leben geplagt ist, es ist noch schwerer, ein Werk sei es bei einem Verleger
oder an der Bühne anzubringen, wenn man weder Geld noch Freunde hat.
Und selbst wenn man beides hat, darf man die Hände nach gethaner Arbeit
nicht in den Schoß legen, man muß stets sür seinen Ruhm ans dem Posten
stehen und eine ewige Reklame unterhalten, wenn man auf der Höhe bleiben
Will. Wer einmal Redakteur gewesen ist, der weiß ein Lied zu singen von
den sogenannten „Nedaktionswanzen," von den gedruckten Zettelchen, von
Freundes- und Verlegerdiensten und dem ewigen Al-ums Mkwum lavat. Man
wird sagen: ja, das ist die Litteratur des Tages, die mit dem Tage entsteht
und vergeht. Wenns nur wahr wäre! Die ganze deutsche Litteratur steckt
heute, nach dem Erfolg gierend, tief in diesem keineswegs so reinlichen Ge-
schäftstreiben, bei der die Würde der Kunst ein- um das andremal verraten
wird. Auch früher gab es Freundschaften und Kliquen; namentlich Heine und
das junge Deutschland haben schon ganz hübsches für ihren und ihrer Freunde


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[0485] Der litterarische Erfolg In den deutschen Mittelstädten steht es zum Teil besser, aber dort fehlt wieder die Initiative, und man hat allerlei lokalpatriotische Rücksichten zu nehmen. So hat die Kunst im ganzen von der Bühne und ihren Erfolgen keinen Vor¬ teil. Der wahre Dichter wird zwar in Erinnerung an Kotzebue, Raupach, die Birch-Pfeiffer den Erfolg als Gradmesser seiner Bedeutung nie anerkennen und sich unter Umständen mit dem weisen Worte trösten, daß es Stücke giebt, bei denen nur das Publikum durchfallen kann; aber irgend einen Erfolg braucht er doch auch einmal. Selbst der strengste Idealist kann sich der Vorstellung, daß es etwas sehr angenehmes ist, mit einem Stück hunderttausend Mark zu verdienen, auf die Dauer nicht verschließen, und so wird er sich am Ende doch zu Zugeständnissen an das Publikum bereit finden lasten. Wer aber einmal Erfolg gehabt hat, der kann gewöhnlich von dem Buhlen um die Gunst der leicht bewegten Theatermenge nicht wieder los und opfert ihr, wenn er nicht eben ein außergewöhnlicher Charakter ist (das pflegt ein großer Dichter aller¬ dings zu sein), im Notfall auch seine Kunst. Das ist gewiß betrübend; noch betrübender aber ist es, wenn heute auch die Dichterjugend, die in frühern Tagen erst mit sich zu kämpfen und in sich zu ringen pflegte und ein un¬ erschütterliches, wenn auch manchmal unklares Ideal „hoher Kunst" in der Seele trug, nichts eiligeres zu thun hat, als den Männern vom Theaterhand¬ werk ihre äußerlichen Künste, deu Leuten vom Tage ihre Modephrasen abzu¬ lernen und dann mit einem zusammengestöppelten Stück durch persönliche Ver¬ bindungen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu gelangen sucht. Ich habe mehrere Fälle dieser Art beobachtet und mich angeekelt gefühlt. Geld und Verbindungen! Hinter dem Spott in der Einleitung zu diesem Aufsatze verbirgt sich der bitterste Ernst. Ohne Geld und Verbindungen kann man es in der Gegenwart kaum zu etwas bringen in der Litteratur. Es ist schwer, ein Werk zu schreiben, wenn man täglich von Sorgen um das nackte Leben geplagt ist, es ist noch schwerer, ein Werk sei es bei einem Verleger oder an der Bühne anzubringen, wenn man weder Geld noch Freunde hat. Und selbst wenn man beides hat, darf man die Hände nach gethaner Arbeit nicht in den Schoß legen, man muß stets sür seinen Ruhm ans dem Posten stehen und eine ewige Reklame unterhalten, wenn man auf der Höhe bleiben Will. Wer einmal Redakteur gewesen ist, der weiß ein Lied zu singen von den sogenannten „Nedaktionswanzen," von den gedruckten Zettelchen, von Freundes- und Verlegerdiensten und dem ewigen Al-ums Mkwum lavat. Man wird sagen: ja, das ist die Litteratur des Tages, die mit dem Tage entsteht und vergeht. Wenns nur wahr wäre! Die ganze deutsche Litteratur steckt heute, nach dem Erfolg gierend, tief in diesem keineswegs so reinlichen Ge- schäftstreiben, bei der die Würde der Kunst ein- um das andremal verraten wird. Auch früher gab es Freundschaften und Kliquen; namentlich Heine und das junge Deutschland haben schon ganz hübsches für ihren und ihrer Freunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/485>, abgerufen am 22.07.2024.