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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der litterarische Erfolg

jährlich in Deutschland geschrieben und wieviel den Thcaterdirektionen ein¬
gereicht werden, giebt es leider nicht, eine Unzahl ist es sicher. Etwas besser
sind in neuerer Zeit die Aussichten geworden, auf die Bühne zu gelangen;
denn die Bühnen in Berlin und Wien haben sich gemehrt, und jeder Direktor
hat natürlich den Ehrgeiz, seinen Sudermann zu entdecken. Aber es geht mit
den meisten Theaterdirektoren nicht anders als mit den Durchschnittsverlegern:
sie sind stets in der Mode der Zeit befangen und daher vielfach geneigt, das
wahrhaft Neue und Bedeutende abzuweisen, selbst die Anzeichen eines bevor¬
stehenden Geschmackswechsels übersehen sie meist, bis ihnen dann irgend ein
Zufall die Augen öffnet. Von einem höhern Standpunkt aus urteilt ein be¬
kannter Dichter über diese Verhältnisse: "Das Genie ist nur darum immer
der Märtyrer seiner Zeit, weil es immer feindlich zu seiner Zeit steht, weil
es ihr nehmen muß, ehe es ihr geben kann, und weil sie nur Augen hat für
das, was es ihr entreißen, nicht aber für das, was es ihr bringen soll. Dies
ist der Hauptgrund, weshalb es anfangs ignorirt, dann geschmäht und ver¬
folgt und immer verkannt wird, und der kann nie aufhören zu wirken, wenn
die Menschen nicht aufhören, mehr in der Gegenwart als in der Zukunft zu
leben, und anfangen, ihren noch ungebornen Enkeln ihr eignes Dasein zu
opfern, was sich so wenig erwarten als verlangen läßt. Nun wirft das
Genie ohnehin bekanntlich, wie alles, seinen Schatten, und der ist das Talent.
Dieses drängt sich in seine Stelle; es nimmt so viel vom Neuen, als es
braucht, um pikant zu sein, und thut so viel vom Alten hinzu, als nötig ist,
um nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht
Glück." Da hätten wir wohl das Geheimnis des Erfolgs moderner Theater¬
dichter wie Lindau, auch wohl Sudermann, nur daß uns das Genie fehlt,
dessen Schatten er ist, wenn man nicht Ibsen oder Hauptmann dafür erklären
will. Als Trost für unbekannte große Dichter füge ich auch noch den Schluß
der angeführten Stelle bei: "Dennoch stellt sich im Lauf der Zeit das richtige
Verhältnis immer wieder heraus; die Leutchen, die die dem Genius abge¬
lauschten Ideen wie Sardellen zum täglichen Butterbrot herumreichen, em¬
pfangen ihren Anfwcirterlohn und gehen vorüber, aber der Genius selbst
erhebt immer mächtiger seine Stimme, und endlich erkennt auch der blöde
Haufe, daß das ganze Verdienst der von ihm verehrten falschen Propheten
im Aufhorchen und nachsprechen bestanden hat."

Der Drang nach dem Theater nun ist es hauptsächlich, der unsre litte¬
rarischen Verhältnisse so unerquicklich macht und die Entwicklung und Aus¬
reifung so mancher erfreulichen Talente stört. Ja, wenn die Bühne heute
noch wirklich ein Kunstinstitut wäre, wenn das urteilabgebende Publikum der
ersten Aufführungen und die Kritik für künstlerisch maßgebend gehalten werden
müßten! "Volkes Stimme, Gottes Stimme!" hieß es einst, aber nichts vertritt
das deutsche Volk weniger als die Leute, die in den Berliner "Premieren" sitzen.


Der litterarische Erfolg

jährlich in Deutschland geschrieben und wieviel den Thcaterdirektionen ein¬
gereicht werden, giebt es leider nicht, eine Unzahl ist es sicher. Etwas besser
sind in neuerer Zeit die Aussichten geworden, auf die Bühne zu gelangen;
denn die Bühnen in Berlin und Wien haben sich gemehrt, und jeder Direktor
hat natürlich den Ehrgeiz, seinen Sudermann zu entdecken. Aber es geht mit
den meisten Theaterdirektoren nicht anders als mit den Durchschnittsverlegern:
sie sind stets in der Mode der Zeit befangen und daher vielfach geneigt, das
wahrhaft Neue und Bedeutende abzuweisen, selbst die Anzeichen eines bevor¬
stehenden Geschmackswechsels übersehen sie meist, bis ihnen dann irgend ein
Zufall die Augen öffnet. Von einem höhern Standpunkt aus urteilt ein be¬
kannter Dichter über diese Verhältnisse: „Das Genie ist nur darum immer
der Märtyrer seiner Zeit, weil es immer feindlich zu seiner Zeit steht, weil
es ihr nehmen muß, ehe es ihr geben kann, und weil sie nur Augen hat für
das, was es ihr entreißen, nicht aber für das, was es ihr bringen soll. Dies
ist der Hauptgrund, weshalb es anfangs ignorirt, dann geschmäht und ver¬
folgt und immer verkannt wird, und der kann nie aufhören zu wirken, wenn
die Menschen nicht aufhören, mehr in der Gegenwart als in der Zukunft zu
leben, und anfangen, ihren noch ungebornen Enkeln ihr eignes Dasein zu
opfern, was sich so wenig erwarten als verlangen läßt. Nun wirft das
Genie ohnehin bekanntlich, wie alles, seinen Schatten, und der ist das Talent.
Dieses drängt sich in seine Stelle; es nimmt so viel vom Neuen, als es
braucht, um pikant zu sein, und thut so viel vom Alten hinzu, als nötig ist,
um nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht
Glück." Da hätten wir wohl das Geheimnis des Erfolgs moderner Theater¬
dichter wie Lindau, auch wohl Sudermann, nur daß uns das Genie fehlt,
dessen Schatten er ist, wenn man nicht Ibsen oder Hauptmann dafür erklären
will. Als Trost für unbekannte große Dichter füge ich auch noch den Schluß
der angeführten Stelle bei: „Dennoch stellt sich im Lauf der Zeit das richtige
Verhältnis immer wieder heraus; die Leutchen, die die dem Genius abge¬
lauschten Ideen wie Sardellen zum täglichen Butterbrot herumreichen, em¬
pfangen ihren Anfwcirterlohn und gehen vorüber, aber der Genius selbst
erhebt immer mächtiger seine Stimme, und endlich erkennt auch der blöde
Haufe, daß das ganze Verdienst der von ihm verehrten falschen Propheten
im Aufhorchen und nachsprechen bestanden hat."

Der Drang nach dem Theater nun ist es hauptsächlich, der unsre litte¬
rarischen Verhältnisse so unerquicklich macht und die Entwicklung und Aus¬
reifung so mancher erfreulichen Talente stört. Ja, wenn die Bühne heute
noch wirklich ein Kunstinstitut wäre, wenn das urteilabgebende Publikum der
ersten Aufführungen und die Kritik für künstlerisch maßgebend gehalten werden
müßten! „Volkes Stimme, Gottes Stimme!" hieß es einst, aber nichts vertritt
das deutsche Volk weniger als die Leute, die in den Berliner „Premieren" sitzen.


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[0484] Der litterarische Erfolg jährlich in Deutschland geschrieben und wieviel den Thcaterdirektionen ein¬ gereicht werden, giebt es leider nicht, eine Unzahl ist es sicher. Etwas besser sind in neuerer Zeit die Aussichten geworden, auf die Bühne zu gelangen; denn die Bühnen in Berlin und Wien haben sich gemehrt, und jeder Direktor hat natürlich den Ehrgeiz, seinen Sudermann zu entdecken. Aber es geht mit den meisten Theaterdirektoren nicht anders als mit den Durchschnittsverlegern: sie sind stets in der Mode der Zeit befangen und daher vielfach geneigt, das wahrhaft Neue und Bedeutende abzuweisen, selbst die Anzeichen eines bevor¬ stehenden Geschmackswechsels übersehen sie meist, bis ihnen dann irgend ein Zufall die Augen öffnet. Von einem höhern Standpunkt aus urteilt ein be¬ kannter Dichter über diese Verhältnisse: „Das Genie ist nur darum immer der Märtyrer seiner Zeit, weil es immer feindlich zu seiner Zeit steht, weil es ihr nehmen muß, ehe es ihr geben kann, und weil sie nur Augen hat für das, was es ihr entreißen, nicht aber für das, was es ihr bringen soll. Dies ist der Hauptgrund, weshalb es anfangs ignorirt, dann geschmäht und ver¬ folgt und immer verkannt wird, und der kann nie aufhören zu wirken, wenn die Menschen nicht aufhören, mehr in der Gegenwart als in der Zukunft zu leben, und anfangen, ihren noch ungebornen Enkeln ihr eignes Dasein zu opfern, was sich so wenig erwarten als verlangen läßt. Nun wirft das Genie ohnehin bekanntlich, wie alles, seinen Schatten, und der ist das Talent. Dieses drängt sich in seine Stelle; es nimmt so viel vom Neuen, als es braucht, um pikant zu sein, und thut so viel vom Alten hinzu, als nötig ist, um nicht herbe zu werden; die Mischung gefällt, und was gefällt, macht Glück." Da hätten wir wohl das Geheimnis des Erfolgs moderner Theater¬ dichter wie Lindau, auch wohl Sudermann, nur daß uns das Genie fehlt, dessen Schatten er ist, wenn man nicht Ibsen oder Hauptmann dafür erklären will. Als Trost für unbekannte große Dichter füge ich auch noch den Schluß der angeführten Stelle bei: „Dennoch stellt sich im Lauf der Zeit das richtige Verhältnis immer wieder heraus; die Leutchen, die die dem Genius abge¬ lauschten Ideen wie Sardellen zum täglichen Butterbrot herumreichen, em¬ pfangen ihren Anfwcirterlohn und gehen vorüber, aber der Genius selbst erhebt immer mächtiger seine Stimme, und endlich erkennt auch der blöde Haufe, daß das ganze Verdienst der von ihm verehrten falschen Propheten im Aufhorchen und nachsprechen bestanden hat." Der Drang nach dem Theater nun ist es hauptsächlich, der unsre litte¬ rarischen Verhältnisse so unerquicklich macht und die Entwicklung und Aus¬ reifung so mancher erfreulichen Talente stört. Ja, wenn die Bühne heute noch wirklich ein Kunstinstitut wäre, wenn das urteilabgebende Publikum der ersten Aufführungen und die Kritik für künstlerisch maßgebend gehalten werden müßten! „Volkes Stimme, Gottes Stimme!" hieß es einst, aber nichts vertritt das deutsche Volk weniger als die Leute, die in den Berliner „Premieren" sitzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/484>, abgerufen am 23.07.2024.