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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Anne Huber

sichten lieh und leiht und nur für solche empfänglich und aufmerksam ist. Ich
werde mich daher hüten, die Menschen darüber zu enttäuschen; der beste Teil
der Expcmsiouskraft liegt darin, die Welt im ganzen genommen ist für Furcht
viel empfänglicher als für Einsicht und Liebe."

Nicht weniger als Lassalle, war ihm auch der atheistische und phan¬
tastische Owen zuwider gewesen, und doch mußte er bekennen, daß Owen, nicht
die Puseyiten und andre fromme Leute, der eigentliche Urheber der englischen
Genossenschaftsbewegung gewesen sei. Lebte er hente noch, so würde er sich
auch vor Lassalle für besiegt erklären müssen, nicht zwar in Beziehung auf
das Ziel, da sich ja unser Staatssozialismus in ganz andern Bahnen bewegt
als der von Lassalle geforderte, sondern in Beziehung auf die Taktik. Ohne
die Sozialdemokratie würde unser deutscher Arbeiterstand ungefähr auf die
Stufe hinunter gesunken sein, auf der sich der englische in den dreißiger Jahren
befand, und da seine Verkümmerung nicht, wie in England, durch auswärts
erbeutete Reichtümer aufgewogen werden konnte, so würde sie in weit höherm
Grade eine Schwächung der Macht unsers Volks bedeuten. Dem Geschlecht
unsrer Tage, schreibt Mundiug im Vorwort, dürfte es vorbehalten sein, das
genossenschaftliche Reformwerk Hubers in Angriff zu nehmen und in den Kreis
seiner Weltanschauung einzutreten. Das hoffen wir auch. Aber wenn heute
Menschen genug leben, die für seine Worte empfänglich sind, wenn deren er¬
neute Aussaat nicht wie die erste ein Säen auf den Fels oder gar auf den
Weg ist, so hat er das dem Umstände zu verdanken, daß durch die sozialdemo¬
kratische Bewegung größere Massen der Denkenden und Wohlgesinnten gezwungen
oder wenigstens veranlaßt worden sind, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen;
ohne das wäre auch die vorliegende neue Ausgabe seiner Werke, der wir eine
weite Verbreitung und eifrige Leser wünschen, nicht zu Stande gekommen. Übrigens
ist es doch noch die Frage, ob diese zweite Aussaat nicht schon zu spät kommt.
Die sogenannte Sozialpolitik, die der sozialdemokratischen Partei das Wasser
abgraben sollte, hat eine Menge Zwangsorganisationen geschaffen, die allen
genossenschaftlichen Organisationen die Kräfte entziehen und sie lahmlegen. Wo
es der Büreaukratie noch nicht gelungen ist, die im Volke thätigen organischen
Kräfte totzuschlagen, wie in Westfalen, das lebenskräftige Banernvereine hat,
da sträubt man sich gegen die von der Büreaukratie aufgedeckten Zwangs-,
Zahl- und Schreilnnaschinerien, deren letzte die Landwirtschaftskammern sind,
aufs äußerste. Das Sträuben wird auf die Dauer nichts nützen, und auch die
Handwerkerkammern werden wir wohl bekommen. Die Umsturzvorlage aber
ist dazu bestimmt, den letzten Regungen von Selbständigkeit, den letzten Ver¬
suchen von Selbsthilfe in dem Stande der Lohnarbeiter ein Ende zu machen.
Unsre heutigen Konservativen aber würden es am Ende als Hohn ansehen,
wenn wir die Erwartung aussprechen wollten, daß sie heute bereitwilliger sein
würden, die ihnen von Huber zugedachte Aufgabe zu übernehmen.




G
Victor Anne Huber

sichten lieh und leiht und nur für solche empfänglich und aufmerksam ist. Ich
werde mich daher hüten, die Menschen darüber zu enttäuschen; der beste Teil
der Expcmsiouskraft liegt darin, die Welt im ganzen genommen ist für Furcht
viel empfänglicher als für Einsicht und Liebe."

Nicht weniger als Lassalle, war ihm auch der atheistische und phan¬
tastische Owen zuwider gewesen, und doch mußte er bekennen, daß Owen, nicht
die Puseyiten und andre fromme Leute, der eigentliche Urheber der englischen
Genossenschaftsbewegung gewesen sei. Lebte er hente noch, so würde er sich
auch vor Lassalle für besiegt erklären müssen, nicht zwar in Beziehung auf
das Ziel, da sich ja unser Staatssozialismus in ganz andern Bahnen bewegt
als der von Lassalle geforderte, sondern in Beziehung auf die Taktik. Ohne
die Sozialdemokratie würde unser deutscher Arbeiterstand ungefähr auf die
Stufe hinunter gesunken sein, auf der sich der englische in den dreißiger Jahren
befand, und da seine Verkümmerung nicht, wie in England, durch auswärts
erbeutete Reichtümer aufgewogen werden konnte, so würde sie in weit höherm
Grade eine Schwächung der Macht unsers Volks bedeuten. Dem Geschlecht
unsrer Tage, schreibt Mundiug im Vorwort, dürfte es vorbehalten sein, das
genossenschaftliche Reformwerk Hubers in Angriff zu nehmen und in den Kreis
seiner Weltanschauung einzutreten. Das hoffen wir auch. Aber wenn heute
Menschen genug leben, die für seine Worte empfänglich sind, wenn deren er¬
neute Aussaat nicht wie die erste ein Säen auf den Fels oder gar auf den
Weg ist, so hat er das dem Umstände zu verdanken, daß durch die sozialdemo¬
kratische Bewegung größere Massen der Denkenden und Wohlgesinnten gezwungen
oder wenigstens veranlaßt worden sind, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen;
ohne das wäre auch die vorliegende neue Ausgabe seiner Werke, der wir eine
weite Verbreitung und eifrige Leser wünschen, nicht zu Stande gekommen. Übrigens
ist es doch noch die Frage, ob diese zweite Aussaat nicht schon zu spät kommt.
Die sogenannte Sozialpolitik, die der sozialdemokratischen Partei das Wasser
abgraben sollte, hat eine Menge Zwangsorganisationen geschaffen, die allen
genossenschaftlichen Organisationen die Kräfte entziehen und sie lahmlegen. Wo
es der Büreaukratie noch nicht gelungen ist, die im Volke thätigen organischen
Kräfte totzuschlagen, wie in Westfalen, das lebenskräftige Banernvereine hat,
da sträubt man sich gegen die von der Büreaukratie aufgedeckten Zwangs-,
Zahl- und Schreilnnaschinerien, deren letzte die Landwirtschaftskammern sind,
aufs äußerste. Das Sträuben wird auf die Dauer nichts nützen, und auch die
Handwerkerkammern werden wir wohl bekommen. Die Umsturzvorlage aber
ist dazu bestimmt, den letzten Regungen von Selbständigkeit, den letzten Ver¬
suchen von Selbsthilfe in dem Stande der Lohnarbeiter ein Ende zu machen.
Unsre heutigen Konservativen aber würden es am Ende als Hohn ansehen,
wenn wir die Erwartung aussprechen wollten, daß sie heute bereitwilliger sein
würden, die ihnen von Huber zugedachte Aufgabe zu übernehmen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/475>, abgerufen am 22.07.2024.