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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Amo Huber

des Staatssozialismus sein. Alles Gute und Lebensfähige gedeiht, davon ist
er überzeugt, nur auf dem Wege des geräuschlosen, langsamen, natürlichen
Wachstums, der freiwilligen Thätigkeit, nicht durch künstliche Mache, geräusch¬
volle, großartige Staatsaktionen und äußern Glanz. Und noch dazu unsre
Bureaukratie, die nicht einmal den ihr von Rechts wegen obliegenden Auf¬
gaben gewachsen ist, wie könne sie sich mit so ungeheuern neuen Aufgaben
beladen, die ihrer Natur widerstrebten! Bleibt nur der Staat als Retter aus
sozialen Noten übrig, dann sind wir verloren. "Daß der Staat gewaltsame
Ausbrüche jederzeit und überall mit rascher, alles überwältigender Energie zu
verhindern oder zu unterdrücken berechtigt, verpflichtet, willig und imstande
sein wird, ist wohl wenigstens in Deutschland und vor allem in Preußen selbst¬
verständlich. Mag er aber mit seinen Reifen von Stahl und Eisen die Fässer
auch in der heftigsten Gährung des sozialen und politischen Inhalts zusammen¬
halten, so ist das zwar eine unerläßliche Bedingung der Weingährung, aber
es ist damit die Möglichkeit der sauern oder faulen Gährung nicht ausge¬
schlossen, und auch das Holz ist vor Fäulnis und endlicher Auflösung nicht
geschützt. Wehe aber der Zeit, die diese Jauche zu trinken oder darin zu
ertrinken verdammt sein wird!" Später, als unsre heutige sogenannnte Sozial¬
politik schon im Anzüge war, schreibt er einmal: "Auch die konservative Partei
-- wenigstens die gouvernemental Jungkonservativen 5 1a, Wagener -- haben
allerlei im Sack, was aber auf Büreaukratisirung der ganzen sozialen Be¬
wegung hinausläuft. Werden wir je aus diesem Schlendrian herauskommen?
Wo nicht -- nun dann freilich sind alle Steine zum künftigen Brückenbau
.vergeblich ins Wasser gelegt und holt uus überhaupt der Teufel, wenn er uns
noch mag."

Bei dieser Richtung mußte er ein entschiedner Gegnern von Männern wie
Lassalle und Rodbertus sein, während er das Wirken von Schulze-Delitzsch,
soweit es auch hinter seinem Ideal zurückblieb, als einen erfreulichen Anfang
mit uneingeschränkter Anerkennung begleitete. Ihm, dem alle wüste Massen¬
agitation mit heftigen, aufreizenden Reden, revolutionären Tendenzen, Kneipen¬
leben und allem, was drum und dran hängt, ein Greuel war, ihm, der in
vornehmer Ruhe und zartsiuuiger, gewissenhafter Zurückhaltung nur einem
kleinen vornehmen Kreise -- stocktauber Zuhörer predigte, konnte nichts ent¬
setzlicheres begegnen, als die Organisation der sozialdemokratischen Partei durch
Lassalle ansehen zu müssen. Er hat diese Bewegung und ihren Führer be¬
kämpft und diesem sein Mißfallen in den stärksten Ausdrücken kundgegeben.
Lassalle hat ihm in einigen Briefen geantwortet, die zwar, wenn wir nicht
irren, schon vor Mundings neuem Abdruck bekannt geworden sind, aus denen
wir aber doch einige Stellen hervorheben wollen, weil sie gerade im gegen¬
wärtigen Augenblick ernsthaft erwogen zu werden verdienen.

"Sie hassen meinen Weg der Massenagitation, schreibt Lassalle, aber


Victor Amo Huber

des Staatssozialismus sein. Alles Gute und Lebensfähige gedeiht, davon ist
er überzeugt, nur auf dem Wege des geräuschlosen, langsamen, natürlichen
Wachstums, der freiwilligen Thätigkeit, nicht durch künstliche Mache, geräusch¬
volle, großartige Staatsaktionen und äußern Glanz. Und noch dazu unsre
Bureaukratie, die nicht einmal den ihr von Rechts wegen obliegenden Auf¬
gaben gewachsen ist, wie könne sie sich mit so ungeheuern neuen Aufgaben
beladen, die ihrer Natur widerstrebten! Bleibt nur der Staat als Retter aus
sozialen Noten übrig, dann sind wir verloren. „Daß der Staat gewaltsame
Ausbrüche jederzeit und überall mit rascher, alles überwältigender Energie zu
verhindern oder zu unterdrücken berechtigt, verpflichtet, willig und imstande
sein wird, ist wohl wenigstens in Deutschland und vor allem in Preußen selbst¬
verständlich. Mag er aber mit seinen Reifen von Stahl und Eisen die Fässer
auch in der heftigsten Gährung des sozialen und politischen Inhalts zusammen¬
halten, so ist das zwar eine unerläßliche Bedingung der Weingährung, aber
es ist damit die Möglichkeit der sauern oder faulen Gährung nicht ausge¬
schlossen, und auch das Holz ist vor Fäulnis und endlicher Auflösung nicht
geschützt. Wehe aber der Zeit, die diese Jauche zu trinken oder darin zu
ertrinken verdammt sein wird!" Später, als unsre heutige sogenannnte Sozial¬
politik schon im Anzüge war, schreibt er einmal: „Auch die konservative Partei
— wenigstens die gouvernemental Jungkonservativen 5 1a, Wagener — haben
allerlei im Sack, was aber auf Büreaukratisirung der ganzen sozialen Be¬
wegung hinausläuft. Werden wir je aus diesem Schlendrian herauskommen?
Wo nicht — nun dann freilich sind alle Steine zum künftigen Brückenbau
.vergeblich ins Wasser gelegt und holt uus überhaupt der Teufel, wenn er uns
noch mag."

Bei dieser Richtung mußte er ein entschiedner Gegnern von Männern wie
Lassalle und Rodbertus sein, während er das Wirken von Schulze-Delitzsch,
soweit es auch hinter seinem Ideal zurückblieb, als einen erfreulichen Anfang
mit uneingeschränkter Anerkennung begleitete. Ihm, dem alle wüste Massen¬
agitation mit heftigen, aufreizenden Reden, revolutionären Tendenzen, Kneipen¬
leben und allem, was drum und dran hängt, ein Greuel war, ihm, der in
vornehmer Ruhe und zartsiuuiger, gewissenhafter Zurückhaltung nur einem
kleinen vornehmen Kreise — stocktauber Zuhörer predigte, konnte nichts ent¬
setzlicheres begegnen, als die Organisation der sozialdemokratischen Partei durch
Lassalle ansehen zu müssen. Er hat diese Bewegung und ihren Führer be¬
kämpft und diesem sein Mißfallen in den stärksten Ausdrücken kundgegeben.
Lassalle hat ihm in einigen Briefen geantwortet, die zwar, wenn wir nicht
irren, schon vor Mundings neuem Abdruck bekannt geworden sind, aus denen
wir aber doch einige Stellen hervorheben wollen, weil sie gerade im gegen¬
wärtigen Augenblick ernsthaft erwogen zu werden verdienen.

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[0473] Victor Amo Huber des Staatssozialismus sein. Alles Gute und Lebensfähige gedeiht, davon ist er überzeugt, nur auf dem Wege des geräuschlosen, langsamen, natürlichen Wachstums, der freiwilligen Thätigkeit, nicht durch künstliche Mache, geräusch¬ volle, großartige Staatsaktionen und äußern Glanz. Und noch dazu unsre Bureaukratie, die nicht einmal den ihr von Rechts wegen obliegenden Auf¬ gaben gewachsen ist, wie könne sie sich mit so ungeheuern neuen Aufgaben beladen, die ihrer Natur widerstrebten! Bleibt nur der Staat als Retter aus sozialen Noten übrig, dann sind wir verloren. „Daß der Staat gewaltsame Ausbrüche jederzeit und überall mit rascher, alles überwältigender Energie zu verhindern oder zu unterdrücken berechtigt, verpflichtet, willig und imstande sein wird, ist wohl wenigstens in Deutschland und vor allem in Preußen selbst¬ verständlich. Mag er aber mit seinen Reifen von Stahl und Eisen die Fässer auch in der heftigsten Gährung des sozialen und politischen Inhalts zusammen¬ halten, so ist das zwar eine unerläßliche Bedingung der Weingährung, aber es ist damit die Möglichkeit der sauern oder faulen Gährung nicht ausge¬ schlossen, und auch das Holz ist vor Fäulnis und endlicher Auflösung nicht geschützt. Wehe aber der Zeit, die diese Jauche zu trinken oder darin zu ertrinken verdammt sein wird!" Später, als unsre heutige sogenannnte Sozial¬ politik schon im Anzüge war, schreibt er einmal: „Auch die konservative Partei — wenigstens die gouvernemental Jungkonservativen 5 1a, Wagener — haben allerlei im Sack, was aber auf Büreaukratisirung der ganzen sozialen Be¬ wegung hinausläuft. Werden wir je aus diesem Schlendrian herauskommen? Wo nicht — nun dann freilich sind alle Steine zum künftigen Brückenbau .vergeblich ins Wasser gelegt und holt uus überhaupt der Teufel, wenn er uns noch mag." Bei dieser Richtung mußte er ein entschiedner Gegnern von Männern wie Lassalle und Rodbertus sein, während er das Wirken von Schulze-Delitzsch, soweit es auch hinter seinem Ideal zurückblieb, als einen erfreulichen Anfang mit uneingeschränkter Anerkennung begleitete. Ihm, dem alle wüste Massen¬ agitation mit heftigen, aufreizenden Reden, revolutionären Tendenzen, Kneipen¬ leben und allem, was drum und dran hängt, ein Greuel war, ihm, der in vornehmer Ruhe und zartsiuuiger, gewissenhafter Zurückhaltung nur einem kleinen vornehmen Kreise — stocktauber Zuhörer predigte, konnte nichts ent¬ setzlicheres begegnen, als die Organisation der sozialdemokratischen Partei durch Lassalle ansehen zu müssen. Er hat diese Bewegung und ihren Führer be¬ kämpft und diesem sein Mißfallen in den stärksten Ausdrücken kundgegeben. Lassalle hat ihm in einigen Briefen geantwortet, die zwar, wenn wir nicht irren, schon vor Mundings neuem Abdruck bekannt geworden sind, aus denen wir aber doch einige Stellen hervorheben wollen, weil sie gerade im gegen¬ wärtigen Augenblick ernsthaft erwogen zu werden verdienen. „Sie hassen meinen Weg der Massenagitation, schreibt Lassalle, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/473>, abgerufen am 28.09.2024.