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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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im Frieden genau bekannt sind. Auch im Kriege können ihre Abfahrten aus
neutralen Häfen jederzeit telegraphisch mitgeteilt werden, und sie sind leicht zu
finden, weil sie meistens bestimmte Wege innehalten.

Die Jünger Aube's suchen den höchsten Preis zu gewinnen: sie wollen
mit ihrer Flotte Englands Seegeltung brechen. Dazu soll ihnen der Kreuzer-
krieg dienen, dessen Bedeutung mit der Zunahme des Seehandels von Jahr
zu Jahr wächst. Sie berechnen, daß die Engländer trotz ihrer ungeheuern
Kriegsflotte einem viermal größern Schaden durch den Krenzerkrieg ausgesetzt
sind. Mit nur achtundvierzig sehr schnellen Kreuzern, für die drei Weltmeere
je drei Gruppen von je vier Schiffen, wollen sie der englischen Seehandels-
sahrt das Leben sauer machen. Und ferner sagen sie: "Hat sich nicht die
deutsche Handelsflotte des zweiten Ranges bemächtigt, den die unsrige bis 1891
Dar bis 1881 einnahm? Kommen nicht die hamburgischen und bremischen
Flotten an Bedeutung unmittelbar hinter der Handelsflotte des britischen
Königreichs?"

Die Größe der deutschen Handelsflotte verhält sich zu der der franzö¬
sischen wie 15 zu 9, während unsre Kriegsflotte kaum ein Drittel der fran¬
zösischen Marine erreicht. Dieses ungeheure Mißverhältnis zum Schaden
unsers Landes ist nur damit zu erklären, daß mau in Deutschland immer noch
nicht den Zweck einer Kriegsflotte kennt. Der Zweck der Kriegsflotten ist: die
Küsten und den Seehandel des eignen Volks zu schützen, die Küsten und den
Seehandel der Feinde anzugreifen. Wie viel kann davon unsre Flotte in ihrer
jetzigen Stärke erfüllen, soweit es nach menschlichem Ermessen zu schätzen ist?
Kaum den Schutz der eignen Küste, weil sogar dabei zum Aufllärungs- und
Vorpostendienst mehr schnelle Kreuzer nötig sind, als wir bis jetzt haben.

Die Stärke ihrer Marine halten die französischen Seestrategen für das
wirksamste Mittel, England vom Dreibunde fernzuhalten. Nichts ist in der
That leichter für Frankreich, als den Krieg u, vorzubereiten. Der
Kreuzerkrieg oder Handelskrieg, wie er auch genannt wird, hat seine bestimmten,
scharf begrenzten Regeln. Ohne Mitleid den Schwächern überfallen, ohne
falsche Scham dein Stärkern entfliehen, das soll die Hauptsache dabei sein.
In der längern Untersuchung über die beste Art der Küstenverteidigung kommen
die Verfasser zu dem Schlüsse, daß ein feindlicher Kriegshafen nicht eher mit
Erfolg beschossen werden könne, als bis die feindliche Flotte fast ganz zerstört
sei. Angreifen, ehe der Feind die bedrohte Küste erreicht, ihn verfolgen, wenn
er die Küste beschossen hat, und auf ihn vor seinem eignen Hafen lauern,
wenn er glaubt, der Verfolgung schon entwischt zu sein -- das sind die Grund¬
sätze der jungen Seestrategen für den Küstenkrieg.

Nur noch einige Bemerkungen seien aus dem interessanten Werke mit¬
geteilt. Die Schiffskommandanten, sagt der Verfasser, sollen Gelehrte sein;
denn Wissen ist Macht: Ü8 sont 8ni8 liomisur, 8'iis 8out 8M8 8eisnvö. Ein


im Frieden genau bekannt sind. Auch im Kriege können ihre Abfahrten aus
neutralen Häfen jederzeit telegraphisch mitgeteilt werden, und sie sind leicht zu
finden, weil sie meistens bestimmte Wege innehalten.

Die Jünger Aube's suchen den höchsten Preis zu gewinnen: sie wollen
mit ihrer Flotte Englands Seegeltung brechen. Dazu soll ihnen der Kreuzer-
krieg dienen, dessen Bedeutung mit der Zunahme des Seehandels von Jahr
zu Jahr wächst. Sie berechnen, daß die Engländer trotz ihrer ungeheuern
Kriegsflotte einem viermal größern Schaden durch den Krenzerkrieg ausgesetzt
sind. Mit nur achtundvierzig sehr schnellen Kreuzern, für die drei Weltmeere
je drei Gruppen von je vier Schiffen, wollen sie der englischen Seehandels-
sahrt das Leben sauer machen. Und ferner sagen sie: „Hat sich nicht die
deutsche Handelsflotte des zweiten Ranges bemächtigt, den die unsrige bis 1891
Dar bis 1881 einnahm? Kommen nicht die hamburgischen und bremischen
Flotten an Bedeutung unmittelbar hinter der Handelsflotte des britischen
Königreichs?"

Die Größe der deutschen Handelsflotte verhält sich zu der der franzö¬
sischen wie 15 zu 9, während unsre Kriegsflotte kaum ein Drittel der fran¬
zösischen Marine erreicht. Dieses ungeheure Mißverhältnis zum Schaden
unsers Landes ist nur damit zu erklären, daß mau in Deutschland immer noch
nicht den Zweck einer Kriegsflotte kennt. Der Zweck der Kriegsflotten ist: die
Küsten und den Seehandel des eignen Volks zu schützen, die Küsten und den
Seehandel der Feinde anzugreifen. Wie viel kann davon unsre Flotte in ihrer
jetzigen Stärke erfüllen, soweit es nach menschlichem Ermessen zu schätzen ist?
Kaum den Schutz der eignen Küste, weil sogar dabei zum Aufllärungs- und
Vorpostendienst mehr schnelle Kreuzer nötig sind, als wir bis jetzt haben.

Die Stärke ihrer Marine halten die französischen Seestrategen für das
wirksamste Mittel, England vom Dreibunde fernzuhalten. Nichts ist in der
That leichter für Frankreich, als den Krieg u, vorzubereiten. Der
Kreuzerkrieg oder Handelskrieg, wie er auch genannt wird, hat seine bestimmten,
scharf begrenzten Regeln. Ohne Mitleid den Schwächern überfallen, ohne
falsche Scham dein Stärkern entfliehen, das soll die Hauptsache dabei sein.
In der längern Untersuchung über die beste Art der Küstenverteidigung kommen
die Verfasser zu dem Schlüsse, daß ein feindlicher Kriegshafen nicht eher mit
Erfolg beschossen werden könne, als bis die feindliche Flotte fast ganz zerstört
sei. Angreifen, ehe der Feind die bedrohte Küste erreicht, ihn verfolgen, wenn
er die Küste beschossen hat, und auf ihn vor seinem eignen Hafen lauern,
wenn er glaubt, der Verfolgung schon entwischt zu sein — das sind die Grund¬
sätze der jungen Seestrategen für den Küstenkrieg.

Nur noch einige Bemerkungen seien aus dem interessanten Werke mit¬
geteilt. Die Schiffskommandanten, sagt der Verfasser, sollen Gelehrte sein;
denn Wissen ist Macht: Ü8 sont 8ni8 liomisur, 8'iis 8out 8M8 8eisnvö. Ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/455>, abgerufen am 26.06.2024.