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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

hatten. Er wurde ein sehr beliebtes Mitglied. Denn seine ehrenfeste Art er¬
weckte ihm überall großes Zutrauen, und die innere Befriedigung, die er aus
der Fülle der neu auf ihn eindringenden Anregungen zog, stimmte ihn froh
und mitteilsam. Keiner nahm die Bedingungen des bier- oder weinfröhlichen
Zusammenseins so ernsthaft wie die norddeutsche Heideschnucke, wie man ihn
jetzt nannte, nachdem er einmal die Geschichte von dem Reiseberichte des un¬
wissenden Franzosen zum besten gegeben hatte. Eine Zeit lang trieb er es
sogar ein wenig arg, sodaß er selbst anfing gegen die Studien gleichgiltiger
zu werden und sich dem Verbindungsleben fast ausschließlich hinzugeben. Da
meldete sich denn bald das Unbehagen. Er besann sich schnell und ging auf
eine andre, der Heimat näher gelegne Hochschule. Er arbeitete fleißig weiter
und wurde ein immer zeitgemäßerer Medizinmann. Aber es blieb ihm eigen¬
tümlich, daß er nebenher das ernsthafte Biertrinken liebte, von den Frauen
nichts wiffen wollte und niemals an Veranstaltungen teilnahm, wo diese
eine Rolle spielten und er sich deshalb ihm fremden Sitten Hütte anpassen
müssen.

In der Heimat ließ er sich seine vollkommne innere Entfremdung von der
häuslichen Denkungsart nicht merken. Das war nur bei dem großen Unterschiede
des Bildungsstandes auf die Dauer möglich. So groß auch vielleicht seine Welt-
ungewandtheit war, so Hütte es ihm doch so leicht keiner nachgethan, wie er mit
der größten Feinfühligkeit mit den Seinigen umging. Weil er so ganz in den in
sich geschlossenen Verhältnissen des Hnuses und der Heimat wurzelte, konnte
es ihm nicht begegnen, durch dumme Vornehmthuerei, gelehrten Dünkel und
anspruchsvolles Gebühren Halbheiten, Mißtrauen und Betrübnis hineinzutragen.
Es kam ihm dabei allerdings zu statten, daß sein Heimatdorf so weltentrückt
in der Heide lag, daß sein Takt und sein richtiges Gefühl durch Begegnungen
auf keine ernsthafte Probe gestellt wurden. Er scheute sich aber auch uicht,
mit seinem Vater oder seinem Bruder, der ein richtiger Anerbe geworden war,
ganz unbefangen in die Stadt zu fahren, in der er seine Gymnasialzeit durch¬
gemacht hatte. Und während er sonst wenig mitteilsam und gesprächig war, viel
lieber mit gutmütigen Anteil der oft der Nachsicht bedürftigen Unterhaltung der
übrigen zuhörte, laute er ordentlich auf, wenn er in ländlichen Dingen, nachdem
er wohl eine Weile abwartend und lächelnd zugehört hatte, zur Entscheidung auf¬
gerufen wurde. Wenn von Höferecht, Fruchtfolge, Ablösungen, Hand- und
Spanndiensten die Rede war, konnte er sich wirklich ereifern, was ihm doch
selbst dann nicht gelang, wenn seine Studiengenossen gegen die Homöopathen
zu Felde zogen und gegen andre medizinische Heterodoxien. Und dabei war er
doch sonst ein so strenggläubiger Verfechter der schneidenden, wägenden, messenden
und mikrvskopirenden Richtung. Es siel ihm nicht einen Augenblick ein, hinter
den Dingen noch irgend ein Geheimnis des Lebens zu wittern, dem man nicht
schließlich mit irgend einer Methode beikommen könnte. Grundehrlich war


Der Streit der Fakultäten

hatten. Er wurde ein sehr beliebtes Mitglied. Denn seine ehrenfeste Art er¬
weckte ihm überall großes Zutrauen, und die innere Befriedigung, die er aus
der Fülle der neu auf ihn eindringenden Anregungen zog, stimmte ihn froh
und mitteilsam. Keiner nahm die Bedingungen des bier- oder weinfröhlichen
Zusammenseins so ernsthaft wie die norddeutsche Heideschnucke, wie man ihn
jetzt nannte, nachdem er einmal die Geschichte von dem Reiseberichte des un¬
wissenden Franzosen zum besten gegeben hatte. Eine Zeit lang trieb er es
sogar ein wenig arg, sodaß er selbst anfing gegen die Studien gleichgiltiger
zu werden und sich dem Verbindungsleben fast ausschließlich hinzugeben. Da
meldete sich denn bald das Unbehagen. Er besann sich schnell und ging auf
eine andre, der Heimat näher gelegne Hochschule. Er arbeitete fleißig weiter
und wurde ein immer zeitgemäßerer Medizinmann. Aber es blieb ihm eigen¬
tümlich, daß er nebenher das ernsthafte Biertrinken liebte, von den Frauen
nichts wiffen wollte und niemals an Veranstaltungen teilnahm, wo diese
eine Rolle spielten und er sich deshalb ihm fremden Sitten Hütte anpassen
müssen.

In der Heimat ließ er sich seine vollkommne innere Entfremdung von der
häuslichen Denkungsart nicht merken. Das war nur bei dem großen Unterschiede
des Bildungsstandes auf die Dauer möglich. So groß auch vielleicht seine Welt-
ungewandtheit war, so Hütte es ihm doch so leicht keiner nachgethan, wie er mit
der größten Feinfühligkeit mit den Seinigen umging. Weil er so ganz in den in
sich geschlossenen Verhältnissen des Hnuses und der Heimat wurzelte, konnte
es ihm nicht begegnen, durch dumme Vornehmthuerei, gelehrten Dünkel und
anspruchsvolles Gebühren Halbheiten, Mißtrauen und Betrübnis hineinzutragen.
Es kam ihm dabei allerdings zu statten, daß sein Heimatdorf so weltentrückt
in der Heide lag, daß sein Takt und sein richtiges Gefühl durch Begegnungen
auf keine ernsthafte Probe gestellt wurden. Er scheute sich aber auch uicht,
mit seinem Vater oder seinem Bruder, der ein richtiger Anerbe geworden war,
ganz unbefangen in die Stadt zu fahren, in der er seine Gymnasialzeit durch¬
gemacht hatte. Und während er sonst wenig mitteilsam und gesprächig war, viel
lieber mit gutmütigen Anteil der oft der Nachsicht bedürftigen Unterhaltung der
übrigen zuhörte, laute er ordentlich auf, wenn er in ländlichen Dingen, nachdem
er wohl eine Weile abwartend und lächelnd zugehört hatte, zur Entscheidung auf¬
gerufen wurde. Wenn von Höferecht, Fruchtfolge, Ablösungen, Hand- und
Spanndiensten die Rede war, konnte er sich wirklich ereifern, was ihm doch
selbst dann nicht gelang, wenn seine Studiengenossen gegen die Homöopathen
zu Felde zogen und gegen andre medizinische Heterodoxien. Und dabei war er
doch sonst ein so strenggläubiger Verfechter der schneidenden, wägenden, messenden
und mikrvskopirenden Richtung. Es siel ihm nicht einen Augenblick ein, hinter
den Dingen noch irgend ein Geheimnis des Lebens zu wittern, dem man nicht
schließlich mit irgend einer Methode beikommen könnte. Grundehrlich war


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[0437] Der Streit der Fakultäten hatten. Er wurde ein sehr beliebtes Mitglied. Denn seine ehrenfeste Art er¬ weckte ihm überall großes Zutrauen, und die innere Befriedigung, die er aus der Fülle der neu auf ihn eindringenden Anregungen zog, stimmte ihn froh und mitteilsam. Keiner nahm die Bedingungen des bier- oder weinfröhlichen Zusammenseins so ernsthaft wie die norddeutsche Heideschnucke, wie man ihn jetzt nannte, nachdem er einmal die Geschichte von dem Reiseberichte des un¬ wissenden Franzosen zum besten gegeben hatte. Eine Zeit lang trieb er es sogar ein wenig arg, sodaß er selbst anfing gegen die Studien gleichgiltiger zu werden und sich dem Verbindungsleben fast ausschließlich hinzugeben. Da meldete sich denn bald das Unbehagen. Er besann sich schnell und ging auf eine andre, der Heimat näher gelegne Hochschule. Er arbeitete fleißig weiter und wurde ein immer zeitgemäßerer Medizinmann. Aber es blieb ihm eigen¬ tümlich, daß er nebenher das ernsthafte Biertrinken liebte, von den Frauen nichts wiffen wollte und niemals an Veranstaltungen teilnahm, wo diese eine Rolle spielten und er sich deshalb ihm fremden Sitten Hütte anpassen müssen. In der Heimat ließ er sich seine vollkommne innere Entfremdung von der häuslichen Denkungsart nicht merken. Das war nur bei dem großen Unterschiede des Bildungsstandes auf die Dauer möglich. So groß auch vielleicht seine Welt- ungewandtheit war, so Hütte es ihm doch so leicht keiner nachgethan, wie er mit der größten Feinfühligkeit mit den Seinigen umging. Weil er so ganz in den in sich geschlossenen Verhältnissen des Hnuses und der Heimat wurzelte, konnte es ihm nicht begegnen, durch dumme Vornehmthuerei, gelehrten Dünkel und anspruchsvolles Gebühren Halbheiten, Mißtrauen und Betrübnis hineinzutragen. Es kam ihm dabei allerdings zu statten, daß sein Heimatdorf so weltentrückt in der Heide lag, daß sein Takt und sein richtiges Gefühl durch Begegnungen auf keine ernsthafte Probe gestellt wurden. Er scheute sich aber auch uicht, mit seinem Vater oder seinem Bruder, der ein richtiger Anerbe geworden war, ganz unbefangen in die Stadt zu fahren, in der er seine Gymnasialzeit durch¬ gemacht hatte. Und während er sonst wenig mitteilsam und gesprächig war, viel lieber mit gutmütigen Anteil der oft der Nachsicht bedürftigen Unterhaltung der übrigen zuhörte, laute er ordentlich auf, wenn er in ländlichen Dingen, nachdem er wohl eine Weile abwartend und lächelnd zugehört hatte, zur Entscheidung auf¬ gerufen wurde. Wenn von Höferecht, Fruchtfolge, Ablösungen, Hand- und Spanndiensten die Rede war, konnte er sich wirklich ereifern, was ihm doch selbst dann nicht gelang, wenn seine Studiengenossen gegen die Homöopathen zu Felde zogen und gegen andre medizinische Heterodoxien. Und dabei war er doch sonst ein so strenggläubiger Verfechter der schneidenden, wägenden, messenden und mikrvskopirenden Richtung. Es siel ihm nicht einen Augenblick ein, hinter den Dingen noch irgend ein Geheimnis des Lebens zu wittern, dem man nicht schließlich mit irgend einer Methode beikommen könnte. Grundehrlich war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/437>, abgerufen am 23.07.2024.