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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Schotte gerade wie der Jankee und der Angloaustralier andre Ansprüche ans
Leben stellen, als der Jrländer, der Deutsche und nun gar der neuerdings in
schreckenerregender Zahl auf dem Plan erschienene Italiener, Pole und Tscheche.
In den Vereinigten Staaten ist es schon lange bekannt, was neuere Beobachter
aus Kanada und Südafrika berichten, daß besonders der Deutsche als Land¬
mann besser gedeiht als der Engländer, ja daß er sich noch unter Umstünden
behauptet, wo dieser verkauft und wegzieht. Das liegt aber nicht bloß in der
Anspruchslosigkeit, sondern auch in der Sparsamkeit, nicht selten auch in der
bessern Sachkenntnis und Bildung, sogar im bloßen Schreiben- und Ncchncn-
können. Für sehr zweifelhaft wird aber jeder, der diese Dinge aus der Nähe
gesehen hat, den Vorteil ansehen, den der Deutsche aus der Frauen- und
Kinderarbeit zieht. Das schönere, bequemere, einem edlern Familienleben
passendere Haus bewohnt der englische Ansiedler, wo sich der Deutsche mit
zahlreicher Familie in unbehagliche, oft kaum menschenwürdige Hütten ein¬
pfercht. Deutschamerikaner und Dentschauftralier hören es nicht gern, wenn
man die Frage aufwirft, ob die gut gekleidete, ihr liorns zierende und in be¬
haglichem Zustand erhaltende Frau des englischen und angloamerikanischen
Farmers nicht ebenso viel oder sogar mehr für das Fortkommet, und Em¬
porsteigen ihrer Familie leiste, als die deutsche, die früh im Stall, den Tag
über auf dem Felde und den Abend in der Küche ganz in rauhen, jede geistige
und gemütliche Freiheit tötenden Arbeiten verbringt. Das Ergebnis ist oft,
aber durchaus nicht immer, ein sicherer Wohlstand, aber Eltern und Kinder
genießen ihn nicht, und Geschlecht auf Geschlecht bleibt in dem Zustande des
höhern Interessen verschlossenen, immer fortarbeitenden und sparenden Bauern,
wie wir ihn in dem "Dutchman" Pennsylvaniens wie eine Versteinerung aus
dem vorigen Jahrhundert anstaunen. Dieser Bauer ist fleißig, wohlhabend, be¬
häbig, versteht sein Geschäft, blickt aber selten darüber hinaus. Was hat sein
Dasein dem Deutschtum in Amerika genützt? Fast nichts. Er ist zum lang¬
samen Aufgehen im Amerikanertum bestimmt; für dieses allein hat er gearbeitet,
gespart, sich und den Seinen Seele und Geist niedergehalten. Möchte die Zu¬
kunft der Buren in Südafrika Heller sein als die der Bauern in Amerika! möchten
sie sich nicht bloß an Heldensinn und Bauernfleiß, sondern auch an politischem
Blick ihren englischen Bedrängern überlegen zeigen! Wenn sich diese der Über¬
flutung zu erwehren vermöchten, dann schiene wenigstens ein Hoffnungsfunke,
daß nicht alles gute Land der uns zugänglichen Zonen der Erde bestimmt sei,
in die Hände des Stammes zu geraten, der sich als die zum Genuß des besten,
was die Erde beut, bestimmte, weil allen andern weit überlegne Nasse fühlt.
Wir fürchten manchmal, es werde ihnen nicht gelingen. Was dann? Dann
bleibt nichts, als den Kampf mit dieser im Besitze stolzen Rasse aufnehmen,
der ein Kampf sein wird um Boden und um menschenwürdiges Dasein, das
sie für sich allein beansprucht, zuletzt eigentlich ein Kampf um die Erde.




Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Schotte gerade wie der Jankee und der Angloaustralier andre Ansprüche ans
Leben stellen, als der Jrländer, der Deutsche und nun gar der neuerdings in
schreckenerregender Zahl auf dem Plan erschienene Italiener, Pole und Tscheche.
In den Vereinigten Staaten ist es schon lange bekannt, was neuere Beobachter
aus Kanada und Südafrika berichten, daß besonders der Deutsche als Land¬
mann besser gedeiht als der Engländer, ja daß er sich noch unter Umstünden
behauptet, wo dieser verkauft und wegzieht. Das liegt aber nicht bloß in der
Anspruchslosigkeit, sondern auch in der Sparsamkeit, nicht selten auch in der
bessern Sachkenntnis und Bildung, sogar im bloßen Schreiben- und Ncchncn-
können. Für sehr zweifelhaft wird aber jeder, der diese Dinge aus der Nähe
gesehen hat, den Vorteil ansehen, den der Deutsche aus der Frauen- und
Kinderarbeit zieht. Das schönere, bequemere, einem edlern Familienleben
passendere Haus bewohnt der englische Ansiedler, wo sich der Deutsche mit
zahlreicher Familie in unbehagliche, oft kaum menschenwürdige Hütten ein¬
pfercht. Deutschamerikaner und Dentschauftralier hören es nicht gern, wenn
man die Frage aufwirft, ob die gut gekleidete, ihr liorns zierende und in be¬
haglichem Zustand erhaltende Frau des englischen und angloamerikanischen
Farmers nicht ebenso viel oder sogar mehr für das Fortkommet, und Em¬
porsteigen ihrer Familie leiste, als die deutsche, die früh im Stall, den Tag
über auf dem Felde und den Abend in der Küche ganz in rauhen, jede geistige
und gemütliche Freiheit tötenden Arbeiten verbringt. Das Ergebnis ist oft,
aber durchaus nicht immer, ein sicherer Wohlstand, aber Eltern und Kinder
genießen ihn nicht, und Geschlecht auf Geschlecht bleibt in dem Zustande des
höhern Interessen verschlossenen, immer fortarbeitenden und sparenden Bauern,
wie wir ihn in dem „Dutchman" Pennsylvaniens wie eine Versteinerung aus
dem vorigen Jahrhundert anstaunen. Dieser Bauer ist fleißig, wohlhabend, be¬
häbig, versteht sein Geschäft, blickt aber selten darüber hinaus. Was hat sein
Dasein dem Deutschtum in Amerika genützt? Fast nichts. Er ist zum lang¬
samen Aufgehen im Amerikanertum bestimmt; für dieses allein hat er gearbeitet,
gespart, sich und den Seinen Seele und Geist niedergehalten. Möchte die Zu¬
kunft der Buren in Südafrika Heller sein als die der Bauern in Amerika! möchten
sie sich nicht bloß an Heldensinn und Bauernfleiß, sondern auch an politischem
Blick ihren englischen Bedrängern überlegen zeigen! Wenn sich diese der Über¬
flutung zu erwehren vermöchten, dann schiene wenigstens ein Hoffnungsfunke,
daß nicht alles gute Land der uns zugänglichen Zonen der Erde bestimmt sei,
in die Hände des Stammes zu geraten, der sich als die zum Genuß des besten,
was die Erde beut, bestimmte, weil allen andern weit überlegne Nasse fühlt.
Wir fürchten manchmal, es werde ihnen nicht gelingen. Was dann? Dann
bleibt nichts, als den Kampf mit dieser im Besitze stolzen Rasse aufnehmen,
der ein Kampf sein wird um Boden und um menschenwürdiges Dasein, das
sie für sich allein beansprucht, zuletzt eigentlich ein Kampf um die Erde.




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[0410] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Schotte gerade wie der Jankee und der Angloaustralier andre Ansprüche ans Leben stellen, als der Jrländer, der Deutsche und nun gar der neuerdings in schreckenerregender Zahl auf dem Plan erschienene Italiener, Pole und Tscheche. In den Vereinigten Staaten ist es schon lange bekannt, was neuere Beobachter aus Kanada und Südafrika berichten, daß besonders der Deutsche als Land¬ mann besser gedeiht als der Engländer, ja daß er sich noch unter Umstünden behauptet, wo dieser verkauft und wegzieht. Das liegt aber nicht bloß in der Anspruchslosigkeit, sondern auch in der Sparsamkeit, nicht selten auch in der bessern Sachkenntnis und Bildung, sogar im bloßen Schreiben- und Ncchncn- können. Für sehr zweifelhaft wird aber jeder, der diese Dinge aus der Nähe gesehen hat, den Vorteil ansehen, den der Deutsche aus der Frauen- und Kinderarbeit zieht. Das schönere, bequemere, einem edlern Familienleben passendere Haus bewohnt der englische Ansiedler, wo sich der Deutsche mit zahlreicher Familie in unbehagliche, oft kaum menschenwürdige Hütten ein¬ pfercht. Deutschamerikaner und Dentschauftralier hören es nicht gern, wenn man die Frage aufwirft, ob die gut gekleidete, ihr liorns zierende und in be¬ haglichem Zustand erhaltende Frau des englischen und angloamerikanischen Farmers nicht ebenso viel oder sogar mehr für das Fortkommet, und Em¬ porsteigen ihrer Familie leiste, als die deutsche, die früh im Stall, den Tag über auf dem Felde und den Abend in der Küche ganz in rauhen, jede geistige und gemütliche Freiheit tötenden Arbeiten verbringt. Das Ergebnis ist oft, aber durchaus nicht immer, ein sicherer Wohlstand, aber Eltern und Kinder genießen ihn nicht, und Geschlecht auf Geschlecht bleibt in dem Zustande des höhern Interessen verschlossenen, immer fortarbeitenden und sparenden Bauern, wie wir ihn in dem „Dutchman" Pennsylvaniens wie eine Versteinerung aus dem vorigen Jahrhundert anstaunen. Dieser Bauer ist fleißig, wohlhabend, be¬ häbig, versteht sein Geschäft, blickt aber selten darüber hinaus. Was hat sein Dasein dem Deutschtum in Amerika genützt? Fast nichts. Er ist zum lang¬ samen Aufgehen im Amerikanertum bestimmt; für dieses allein hat er gearbeitet, gespart, sich und den Seinen Seele und Geist niedergehalten. Möchte die Zu¬ kunft der Buren in Südafrika Heller sein als die der Bauern in Amerika! möchten sie sich nicht bloß an Heldensinn und Bauernfleiß, sondern auch an politischem Blick ihren englischen Bedrängern überlegen zeigen! Wenn sich diese der Über¬ flutung zu erwehren vermöchten, dann schiene wenigstens ein Hoffnungsfunke, daß nicht alles gute Land der uns zugänglichen Zonen der Erde bestimmt sei, in die Hände des Stammes zu geraten, der sich als die zum Genuß des besten, was die Erde beut, bestimmte, weil allen andern weit überlegne Nasse fühlt. Wir fürchten manchmal, es werde ihnen nicht gelingen. Was dann? Dann bleibt nichts, als den Kampf mit dieser im Besitze stolzen Rasse aufnehmen, der ein Kampf sein wird um Boden und um menschenwürdiges Dasein, das sie für sich allein beansprucht, zuletzt eigentlich ein Kampf um die Erde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/410>, abgerufen am 22.07.2024.